»Ein langer Weg, mit Bedacht begleitet«
Über die Entwicklung ehemaliger Neonazis hin zu aktiven Antifaschist_innen. Wir haben mit zwei Personen gesprochen, die den Weg aus der Neonaziszene gefunden haben und sich nun antifaschistisch betätigen. Sie erzählen über diesen Prozess aus ihrer Perspektive.
Wie verläuft ein Ausstiegsprozess? Vom ersten Zweifeln, über innere Distanzierung zum Ausstieg bis hin zur Arbeit gegen Nazis?
S: Also erst einmal verläuft es im Kopf. Man fängt an zu zweifeln, Sachen zu hinterfragen. Es brechen dann von dem alten Denken einzelne Teile weg, das Denken ändert sich. Es ist jedoch nicht so, dass man aufwacht und eine andere Einstellung hat. Das verläuft nach und nach, es braucht Monate oder Jahre. Es ist ja im Grunde so, dass jeder Mensch irgendwie eine Sicht auf die Dinge oder auf die Welt hat. Und eine rechte Einstellung ist so eine Art Denken oder Weltsicht, die alles betrifft, ein geschlossenes Weltbild. Jeder hat seine Sicht auf die Dinge, egal ob man politisch ist oder nicht. Aber ein rechtes Weltbild ist eine komplett durchbestimmte Sicht, du hast einen komplett anderes Erklärungsmuster für alle Dinge als andere. Und das ändert sich eben nur nach und nach. Du siehst eine Sache, fängst irgendwo an zu zweifeln, dann änderst du deine Einstellung in einem Schritt, in einem bestimmten Bereich, und das ganze schreitet voran und ändert sich immer wieder. Wenn du ideologisch das Ganze voll mitgetragen hast, dann dauert das, ich würde sagen, wahrscheinlich Jahre. Ich glaub nicht Wochen oder Monate, ich denke viel länger.
K: Ich hab damals schon viele Theorieschriften gelesen, auch immer linke Sachen. Zum einen um zu gucken, was denken die eigentlich, wie kann man dagegen argumentieren und wie sieht es die Gegenseite. Einfach um ein umfassendes Bild zu kriegen. Dann hab ich angefangen, mich mit wirtschaftlichen Fragen, mit Kapitalismus auseinanderzusetzen, und da gibt’s halt keine ernstzunehmenden Sachen im rechten Bereich. So hab ich angefangen, mir mehr linke Veröffentlichungen zu suchen. Ich hab gemerkt, das die linke Kritik am Kapitalismus weiter war oder besser war. Ich dachte damals noch, man könnte das vielleicht irgendwie so integrieren ins rechte Denken.
Dann kommen Fragen auf: Wenn ich jetzt einer linken Kritik zustimme, wie kann ich das einbinden, ohne das Widersprüche aufkommen. Und das geht nicht. Irgendwann kommt der Punkt, wo man sagt, entweder sieht man über die Widersprüche hinweg, weil man so sozial eingebunden ist, oder man sagt »Halt«. Entweder bist du ehrlich zu dir und sagst, wenn du so denkst, kannst du das andere nichtmehr machen. Dann muss man aufhören und auch sein Handeln ändern. Also wenn mein Denken sich anfängt zu ändern, muss ich auch mein Handeln ändern, oder du hörst auf zu denken. Anders geht’s nicht. Du kannst nicht dauernd mit dem Widerspruch leben. Ich hab dann angefangen, damals über linke Internetforen oder Politikforen in denen auch Leute diskutierten, die früher Rechts waren. Da hab ich viel mitgelesen und mitgeschrieben. Das hat mir viel gebracht.
Nachdem ihr dann an antifaschistische Strukturen herangetreten seid, was fandet ihr bei eurem Ausstiegsprozess förderlich und was nicht?
S: Als störend empfinden würde ich, was ich schon von anderen gehört habe, dass die auf Treffen gekommen sind mit Linken und extrem schlecht bzw. herablassend behandelt wurden. Solche Dinge wären hinderlich, oder enttäuschend. Aber wir hatten da eigentlich keine...
K: Man muss es schon sagen, wir hatten uns distanziert gehabt, sehr für uns und hatten noch überhaupt keinen persönlichen Kontakt in die linke Szene, nur den theoretischen oder über Foren im Internet. Es schien uns bei dem ersten Kontakt den wir halt hatten so: Wir als die Rechten, kriegen Kontakt mit Linken. Aber nicht wir als Personen, sondern weil wir die Rechten sind. Das war unumgänglich in dem Fall, aber es war eben für mich erst einmal schwierig. Dass man erstmal – zu Recht, muss man sagen – in der Rechtfertigungsposition ist, war für mich eine ganz unangenehme Situation. Man musste sich dann sozusagen ausziehen, mehr oder weniger seinen ganzen Lebenslauf darstellen. Ich hatte mir das jedoch schlimmer, mit Kreuzverhörmethoden, vorgestellt. Das war es ja dann nicht. Man muss halt auch sagen, die Umstände haben den Anlass dazu gegeben. Und ich denke, wir haben uns da ganz gut mit arrangieren können. Aber für mich persönlich war es schwierig, weil ich zu dieser Zeit psychisch total angeknackst war.
S: Ach so, jetzt haben wir nur darüber gesprochen, was hinderlich war. Also förderlich ist, sozialen Kontakt zu halten zu Leuten. Aber da muss man auch wieder unterscheiden zwischen Aussteigern und Umsteigern. Also bei Aussteigern, die über so ein Gespräch aussteigen, ist es natürlich erstmal förderlich, dass wenn die einfach ihre Ruhe haben wollen, sie in Ruhe gelassen werden. Es ist sinnvoll, ihren Weg dadurch zu bestätigen, dass da nichts mehr passiert. Also wenn sich einer mit Antifas trifft, weil er Ärger mit dem Arbeitgeber oder mit seiner Familie hat, und dann gibt es danach auch wieder Aktivitäten gegen ihn, besteht natürlich die Gefahr, dass der wieder versucht zurückzukommen. Bei Umsteigern ist es wichtig, in irgendeiner Form erstmal persönlich sozialen Kontakt zu halten, also nicht, ihn in Kneipen mit zu schleppen oder auf Treffen oder ähnliches, sondern einfach einen persönlichen Kontakt zu halten, dass er eben andere Bindungen knüpfen kann. Außerdem sehr förderlich für mich war, einfach über Internet überhaupt mal zu sehen, dass es noch andere gibt, dass es schon Leute gibt, die auch umgestiegen sind. Also dass so etwas überhaupt möglich ist, dass es Leute gibt, die das gemacht haben. Das ist für mich ein ganz zentraler Punkt.
Es gibt ja in der jüngeren Vergangenheit häufiger Fälle von Umsteigern. Wie erklärt ihr euch diese Zunahme, welche Tendenzen seht ihr in der Szene?
K: Ich finde das gar nicht so überraschend, ehrlich gesagt. Wenn du dir die AN’s anschaust, das basiert ja primär oder zumindest sehr viel, von dem was die Äußerlichkeiten anbelangt, auf der linken, autonomen Szene. Also die haben ja sehr viele Symbole übernommen und die Kleidung und das alles, und natürlich auch viel Musik. Da kommt man schneller von der Rechten in die Linke, weil man sich mehr mit dem ganzen identifizieren kann. Weil vieles über Optik und Aktionen geht, und einem in diesem Bereich das linke Spektrum viel mehr zu bieten hat, als das rechte.
S: Es ist die Frage, ob man auf lange Sicht eine Form komplett kopieren kann, ohne dass es auf den Inhalt Rückwirkung hat, ob ich einen linken Style übernehmen kann, ohne dass dieser Stil dann auf die Inhalte zurückwirkt. Also wenn ich z.B. die Demos vergleiche. Vor 10 oder 20 Jahren wären die Nazis bei ihren Aufmärschen am liebsten noch mit Trommeln in Marschkolonnen gelaufen. Heute hingegen zielen ihre Aktivitäten vor allem auf Action, letztlich auf Spaß und Unterhaltung. Da stellt sich die Frage, ob nicht ein Klientel angezogen wird, was dann irgendwann sagt: Dann können wir auch unsere sonstigen Treffen ein bisschen freier gestalten, oder überhaupt unser Verhalten zueinander. Vielleicht kommt dann einer auf die Idee und sagt: Naja, wenn die Demo jetzt keinen richtigen Anführer mehr hat, dann können wir uns ja eigentlich auch so treffen und alles zusammen entscheiden. Und das widerspricht ja so einer rechten Grundkonstante wie dem Führerprinzip. Oder wenn die Männer lange Haare haben dürfen und die Frauen auf einmal was zu sagen haben, kommen Fragen auf. Widerspricht das nicht dem Frauenbild, das wir haben? Wie passt das eigentlich alles zusammen? Das sind dann halt so Widersprüche die auftreten. In Dortmund, zumindest was ich so gehört habe, ist das Problem zeitweise ziemlich massiv geworden, z.B., dass Leute vorgeprescht sind und sich mehr Freiheiten nehmen wollten, als derjenige der die Führung beanspruchte, ihnen zu gestand.
Ich weiß nicht, wie sich das entwickelt, ich denke, so streng und radikal nationalsozialistisch wie viele früher das noch wollten, wird sich das mit dem linken Stil nicht durchsetzen lassen. Eine andere Frage ist, ob es dann nicht so Mischformen gibt, die zwar nicht mehr so extrem in bestimmten Ausprägungen sind, wie die ganze NS-Szene früher war, aber vielleicht gefährlicher, weil sie einfach eine größere Masse anziehen. Also das wären dann keine ideologischen, durchideologisierten Nationalsozialisten mehr, sondern eher einfach Rassisten, die sich einer Jugendkultur angenähert und mehr gegenwärtige Trends und Stile – oder auch einen Habitus im allgemeinen – übernommen haben und trotzdem eben noch ein rassistisches Weltbild bewahren. Wenn denen das gelingt, das zu integrieren, also vom Nationalsozialismus Abstand zu nehmen, aber trotzdem noch ein rassistisches, brutales Weltbild zu behalten, dann könnte ich mir vorstellen, dass da eine viel massenkompatiblere Bewegung daraus wird. Ich denke immer: Dieser ganze strenge NS-Stil, der schreckt eben auch viele ab, die noch ein rassistisches Weltbild haben, die sagen: Mit denen will ich nichts zu tun haben. Ich hab etwas gegen Migranten, aber das, was die mir anbieten will ich auch nicht.
Wir kommen nochmal zurück auf den Prozess des »Umstiegs«. Das verlief in der Vergangenheit ja leider manchmal sehr schnell und unbedacht. Was haltet ihr von raschen »Umstiegen«?
K: Ich glaube, die Erwartungshaltung von jemandem, der rasch umgestiegen ist, dass ihm dann die linken Räume direkt aufgetan werden, ist ein bisschen blauäugig. Erstmal mit einem gewissen Abstand da ranzugehen und das ganze sich setzen zu lassen, ist schon eine Voraussetzung, die man erfüllen sollte. Ich kann jeden verstehen, der sagt: Du warst letzte Woche noch auf ner rechten Demo, mag ja sein, das sich da dein Weltbild schon geändert hatte, aber wir wollen uns das erstmal angucken und dich kennen lernen. Mich wundert es nicht, dass das so zu Konfrontationen geführt hat. Man weiß ja erstmal nicht, wie authentisch, wie ernst das ist. Bleibt er jetzt bei seiner Meinung, wenn er sie scheinbar von gestern aus heute geändert hat, oder ändert er sie dann wieder? Also da muss man sich schon erstmal Zeit einräumen, um das beurteilen zu können.
S: Man muss ja fragen: Was ist rasch? Also hat der Ausstieg bei raschen Aussteigern wirklich schon begonnen, als sie in der Szene noch voll integriert waren? Wann setzt man diesen Punkt an, an dem der Ausstieg anfängt? Da kann man halt auch viel behaupten. Es könnte sich einfach einer melden bei einer Antifa-Gruppe: Ich war zwar noch letzte Woche auf dem Aufmarsch, aber im Grunde hab ich schon seit zwei Jahren Zweifel. Das kann man nicht nachprüfen. Das kann man eben nur durch die Herangehensweise machen, dass man eben sagt: Im Grunde hört sich das gut an, was der sagt, der ist irgendwie glaubwürdig, aber wir können ihm nicht in den Kopf rein schauen. Wir halten mal Kontakt und schauen, wie der sich so auf längere Sicht gibt und was er uns sagt. In persönlichen Gesprächen oder auf Treffen. Und dann kann man jemanden beurteilen. Es kann ja auch kein Psychologe eine Sitzung mit jemanden abhalten und weiß sofort genau, was für ein Typ das ist.
Das ist ja ein wichtiger Diskussionspunkt: Erstens nicht nur, welchen zeitlichen Abstand braucht es, in dem man sagt, komm erstmal mit deinem Ding klar, kannst nächstes Jahr noch mal kommen, wir lassen dich in Ruhe und wenn dir es ernst ist, klopf zum Beispiel in zwölf Monaten noch mal an. Sondern zweitens auch, ob man sich sagt: Wir müssen ihm erstmal soziale, kulturelle Räume aufmachen, damit er einfach andere Lebensqualität gewinnt, also dass sein Ausstieg auch »belohnt« wird. Und dann gucken wir uns das zwei oder drei Jahre lang an und wenn es ihm ernst ist, bindet man ihn vielleicht auch in Anti-Naziarbeit ein. Oder sollte das anders herum laufen? Das man sagt: Wir binden dich in die Arbeit ein…
K: Ich denk, man sollte folgende Option geben: Du hast jetzt den Ausstieg vollzogen, wir haben eine Gruppe, beschäftigen uns mit Arbeit gegen Nazis, wär das was? So kann man eine Basis schaffen um Vertrauen zu entwickeln und sich kennen zu lernen und, wo derjenige auch Reflektionsarbeit leisten muss, wo aber auch seine Meinung gefragt ist. Sein Erfahrungswissen kann ja auch positiv sein. Die Erfahrung, die man eben in rechten Kreisen gemacht hat weiterzugeben, zu sagen, wie die Strukturen laufen, etc. Aber auch zu sagen: Pass auf, wir können dich in eine Arbeitsgruppe integrieren und da kannst du mitarbeiten oder da kannst du zeigen, was du drauf hast, du kannst dich politisch engagieren in nem Raum auch, der zugänglich ist. Aber zu linken Räumen und Aktionen hältst du erstmal Abstand. Zum Beispiel in einem Konzert sind ganz viele verschiedene Menschen mit ganz vielen verschiedenen Ansichten. Du kannst doch nicht all diesen Leuten vorschreiben: Ihr habt den jetzt aufzunehmen, der darf da rein. Da fühlen die sich ja auch bevormundet. Wenn die erstmal nicht wollen, kann ich das schon nachvollziehen.
Aber wenn man ihm die Möglichkeit gibt, sich linkspolitisch zu engagieren, mitzuarbeiten, sogar aufgrund seiner Erfahrung seinen Beitrag dazu zu leisten, und dann zu sagen: der macht echt gute Arbeit, der ist bemüht, der ist ja in den Bereich schon integriert, so fällt es doch auch leichter, hier sein OK zu geben, dass er sich auch bei uns in solchen Räumen aufhalten kann. Dann ist das Vertrauen da.
S: Ich würde sagen, dass unabhängig von der Form der Integration als erstes das Wichtigste ist, persönlichen Kontakt zu halten. Ob dass nur persönliche Treffen sind oder ob man ihn gleich auf Konzerte mitnimmt, dass halte ich im Grunde eigentlich für nicht so wichtig. Die Frage, ob man ihm jetzt verbietet, in dieses oder jenes Lokal zu gehen, hängt dann von anderen Faktoren ab: Hat zum Beispiel die Person, die in den Raum rein will, öfter schon körperliche Auseinandersetzungen mit Leuten gehabt, die da auch auf die Konzerte gehen. Ich kann verstehen, dass das Leute dann nicht wollen. Das sind dann Einzelfallentscheidungen. Gibt ja auch Cafes wo Linke und Normalos reingehen, die jetzt nicht aus der linken Szene stammen, wo man sich treffen kann. Man muss ja nicht gleich in das Cafe XY von der Antifa gehen.
K: Aber genau so ist es ja in der Vergangenheit schon gekommen.
S: Aber das sollte nicht entscheidend sein. Dann sagt man den Leuten: Nee, das geht jetzt nicht. Und wenn die Person dann sagt: Wenn ich da nicht rein darf, dann hab ich keinen Bock umzusteigen, dann kann mans ja sowieso vergessen. Wenn eine Person ihren Umstieg davon abhängig macht, ob sie in ein bestimmtes Café rein darf, dann ist ja die Frage, wie ernst sie es meint.
Vielen Dank für das Gespräch und viel Glück weiterhin.