Von Aussteigern und Austretern
Die staatlichen Aussteigerprogramme sind konzeptlos und definieren keine Kriterien für einen wirklichen Bruch mit der Neonaziszene. Die »Belohnungsstrategie« ist politisch fragwürdig und zielt insbesondere im Osten Deutschlands ins Leere.
Seitdem die staatlichen Aussteigerprogramme installiert wurden, überschlagen sich die Medien mit Erfolgsmeldungen wie der folgenden: »Das Aussteigerprogramm für Rechtsextremisten hat in Sachsen-Anhalt erste Erfolge gebracht. Wie Innenminister Manfred Püchel (...) mitteilte, haben Beamte des Staatsschutzes gemeinsam mit Sozialarbeitern in den vergangenen Wochen mit 53 Gewalttätern aus der rechten Szene konkrete Gespräche geführt. 26 davon hätten erklärt, sich von der rechten Szene zu distanzieren. Bei 13 der jungen Leute würden inzwischen Möglichkeiten des Ausstiegs geprüft. (...) Insgesamt gebe es rund 250 junge Leute im Land, die durch rechte Gewalttaten aufgefallen seien. Gesprochen werde nur mit jenen rund 110, gegen die derzeit kein Ermittlungsverfahren laufe und die keine Gefängnisstrafe verbüßten.«1
Mittlerweile gibt es kaum ein Bundesland, das kein eigenes Aussteigerprogramm anbieten würde. Die Unterschiede zwischen den Angeboten sind graduell: In Niedersachsen beispielsweise hat SPD-Justizminister Christian Pfeiffer zwei Millionen D-Mark locker gemacht und eigens eine Psychologin und zwei Sozialarbeiter - sogenannte Ausstiegshelfer - angestellt, die durch die Knäste touren und inhaftierte Neonazis ansprechen sollen. Ihnen wird die Vermittlung von Arbeitsplätzen, Weiterbildungskurse, Finanzierung von Umzügen und die Prüfung von vorzeitigen Haftentlassungen angeboten. Zusätzlich bietet Niedersachsen eine Telefonhotline für all diejenigen, die noch nicht ins Visier der Strafverfolger geraten sind.
Polizisten sind angehalten, rechte Straftäter bei der Festnahme auf das Aussteigerprogramm aufmerksam zu machen. Das Bundesprogramm unterscheidet sich von den Länderprogrammen insoweit, als es angeblich vor allem auf Führungskader der Neonaziszene abzielt. Dafür wurde beim Bundesamt für Verfassungsschutz eine eigene Hotline eingerichtet, bei der bis Mitte Juni 550 Anrufe gezählt wurden, darunter sollen viele Eltern und 120 »ernsthafte Ausstiegswillige« gewesen sein. Bisher hat es nach VS-Angaben 20 Treffen gegeben, 25 weitere seien verabredet.2 Allen Programmen gemeinsam ist die Zielsetzung: Angestrebt wird eine »Verunsicherung der Szene«.
Böcke zu Gärtnern
Die bei den Verfassungsschutz- und Landeskriminalämtern angesiedelten Programme sind extrem fragwürdig. Zum einen negieren sie, dass die meisten Neonazis weder arbeits- noch wohnungslos noch sozial desintegriert sind. Die »Belohnungsstrategie« zielt insbesondere im Osten, wo die „Freien Kameradschaften“ einen gewissen Grad an sozialer Kontrolle ausüben und gesellschaftlicher Druck auf Neonazis und rechte Skinheads kaum existiert, ins Leere. Es gibt dort schlicht keinen Anreiz, Gruppen zu verlassen, deren Dominanz sowohl Rückhalt nach Außen, als auch Druck nach Innen vermittelt.
Darüber hinaus negiert die Belohnungsstrategie, dass das wesentlichste Element beim Ausstieg die eigene Motivation des Aussteigers ist. Er oder sie muss aus eigenem Antrieb, eigener Entscheidung und Bedürfnissen die Naziszene verlassen und die ersten Schritte selbst machen. Geschieht dies nicht, besteht die Gefahr, dass der Ausstieg lediglich taktisches Kalkül ist, um sich beispielsweise mildere Strafen oder Hafterleichterungen zu erkaufen. Nicht erst aus den letzten Monaten ist das Phänomen bekannt, dass Neonazis in ihren Prozessen unvermittelt erklärt haben, sie seien jetzt ausgestiegen.
So behauptete etwa der Neonazi Alexander T. aus Luckenwalde (Brandenburg) in seinem Berufungsprozess vor dem Landgericht Potsdam wegen schweren Landfriedensbruchs Mitte Juli 2001, er sei jetzt ausgestiegen - während auf den Zuschauerbänken Neonazis aus der „Freien Kameradschaft“-Szene« dem Kameraden aufmunternd zunickte. Die Rückkehr in die Reihen der Kameraden ist so spätestens nach einem glimpflichen Prozessende vorprogrammiert. Dazu kommt, dass bisher weder das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) noch die Landesämter Kriterienkataloge mit Definitionen für einen Ausstieg entwickelt haben. Sobeschränkt sich das Konzept des BfV bislang auf eine DINA4-Seite mit Allgemeinplätzen.
Die Rückkehr in die gesellschaftliche Mitte...
haben viele Neonazis bisher auch ohne staatliche Aussteigerprogramme vollzogen. Entweder, weil sie irgendwann mit Freundin, Kind und Pitbull beschäftigt waren und sich deshalb aus der aktiven Szene zurückzogen, oder weil sie keine Lust mehr auf den ständigen Ärger mit Antifas vor Ort hatten: Das ist die Gruppe der leisen »Austreter«. Die Ausnahmefälle sind jene Neonazis, die über JournalistInnen und AntifaschistInnen den langen Weg des tatsächlichen Bruchs mit den Strukturen und der Ideologie geschafft haben. Sie berichten, dass der Ausstieg sich als langsamer Prozess vollzogen hat - entweder durch Schlüsselerlebnisse oder durch FreundInnen außerhalb der Neonazi- und der rechten Skinheadszene. (siehe das Interview mit Jörg Fischer)
Erfahrungsgemäß kann ein derartiger Prozess jahrelang dauern. Wichtig waren und sind hierbei immer wieder linke Kulturprojekte vor Ort, in denen ausstiegswillige Neonazis AnsprechpartnerInnen fanden und finden und die in der Lage sind, die Glaubwürdigkeit des Ausstiegs auch tatsächlich zu überprüfen. Das entscheidende Kriterium für einen Ausstieg ist der Bruch mit der Neonaziszene. Dieser Bruch muss nachvollziehbar sein, d.h. Informationen müssen offen gelegt werden, und die Betreuenden müssen im Gegenzug einen vertrauenswürdigen Umgang mit den Informationen garantieren. Sie müssen auch darauf vorbereitet sein, dass der Prozess kräftezehrend ist - sowohl für den Aussteiger als auch für die BetreuerInnen.
Wichtigstes Kriterium für einen tatsächlichen Ausstieg ist, dass Aussteiger alle Brücken zu den ehemaligen »KameradInnen« abbrechen und sich jeglichen Rückweg in die rechte Szene verbauen - was nicht immer durch eine Veröffentlichung geschehen muss. Die medial inszenierten Ausstiege der letzten Monate machen eines deutlich: Um Aufmerksamkeit und »Zuwendung« - materieller oder/und immaterieller Art - zu erhalten, müssen sich aussteigende Neonazis wichtig machen. In der Öffentlichkeit entsteht angesichts scheinbarer Top-Aussteiger der staatlicherseits erwünschte Eindruck, dass reihenweise wichtige Führungskader aussteigen würden und das lästige »Skinheadproblem« demnächst gelöst sein wird.
Grundsätzlich stellt sich die Frage, was es zum »Kampf gegen Rechts« beiträgt, wenn die Schläger mit Arbeitsplätzen und Wohnungen belohnt werden, während ihre Opfer wie Flüchtlinge und MigrantInnen weiter mit Abschiebung und rassistischer Gesetzgebung bedroht sind. Die beste Ausstiegshilfe ist immer noch die Förderung alternativer und nicht-rechter Jugendkulturen vor Ort. Die staatlichen Aussteigerprogramme laufen hingegen auf eine gesellschaftliche Aufwertung von Neonazis und Rassisten hinaus.