»Wake up – Stand up!«
Nachbetrachtung der antifaschistischen Kampagne zur Landtagswahl 2011 in Mecklenburg-Vorpommern
Gemeinsames Ziel der antifaschistischen Kampagne »Wake up – Stand up! Keine Stimme den Nazis in MV!« war die Aufklärung über Inhalte und Gesichter der NPD in MV während des Landtagswahlkampfs 2011. Im Gegensatz zur antifaschistischen Kampagne 2006, die sich anlässlich des erstmalig drohenden Einzugs der NPD in das Parlament gründete, hielt man es zuletzt für illusorisch, den Wiedereinzug der Neonazis verhindern zu können. Zu fest verankert sind die NPD und Freien Kameradschaften sowie ihr Gedankengut in weiten Teilen des Landes. Daher konzentrierte sich das Bündnis aus antifaschistischen und antirassistischen Gruppen, Initiativen und Einzelpersonen neben der Aufklärung über rechte Strukturen und Inhalte durch Öffentlichkeitsarbeit darauf, bestehende antifaschistische Strukturen zu stärken.
Was tun?!
Der Mit-mach-Charakter von »Wake up – Stand up!« sollte die Einstiegshürde für nicht organisierte antifaschistische Jugendliche in allen Teilen des Landes verringern. Flugblätter, die sich mit Forderungen der NPD z.B. hinsichtlich der sozialen Frage oder des demographischen Wandels inhaltlich auseinandersetzen, ließen sich von der Website der Kampagne herunterladen. In Rostock entstand das Konzept der Stadtteilspaziergänge, bei denen Antifaschist_innen Flyer in eher rechts dominierten Regionen verteilen. Diese Idee verbreitete sich über die Stadtgrenzen und linken Zentren in MV hinaus und wurde mancherorts zum Selbstläufer bzw. Praxis für nicht-rechte Jugendliche gegen Neonazis in ihrer Region. Darüber hinaus wurden verschiedene Festivals für ein nicht-rechtes Publikum mit Infomaterial versorgt.
Neben diesen dezentralen Aktionen gab es auch gemeinsame Ereignisse. Dazu zählte eine antifaschistische Kaffeefahrt mit drei Reisebussen durch Teterow und Demmin, die durch Demonstrationen und Flyern auf die Zustände in der jeweiligen Stadt hinwiesen. Für die antifaschistische Szene fand ein Aktionstag in Rostock mit Vorträgen, subkulturellen Freizeit-aktivitäten und Konzerten statt. Eine Kundgebung in Lichtenhagen, eine Demonstration in Bad Doberan sowie die Abschlussdemonstration mit ca. 500 Antifaschist_innen am Vortag der Wahl in Schwerin rundeten die Kampagne ab. Alle Aktionen im Rahmen der Kampagne sowie das Treiben der Neonazis wurden zudem dokumentiert und für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Eine Reihe von Bands und Musikprojekten, wie Feine Sahne Fischfilet, Egotronic und Frittenbude solidarisierten sich mit der Kampagne vor allem medial durch Video-Statements.
Reaktionen und Strategien der Neonazis
Seit dem Einzug der NPD in das Landesparlament 2006 konnte sich die Partei infrastrukturell durch die fließenden Gelder erweitern. Anstelle angemeldeter Infostände, mit Tisch und NPD-Schirm, besitzt die Partei seit einigen Jahren einen mobilen Infotisch in Form eines Wohnmobils, das »Flaggschiff Waterkant«. Damit sind sie flexibler und können innerhalb eines Tages von Ort zu Ort ziehen, was antifaschistische Gegenaktionen erschwert. Dennoch schafften es Aktivist_innen z.B. in Greifswald, Bützow und Rostock immer wieder die Infostände zu stören. Wie schon im letzten Wahlkampf war das Land überzogen mit NPD-Plakaten, die zum Teil die zugelassene Anzahl überschritten und von den örtlichen Behörden wieder abgehängt wurden. Auch Antifaschist_innen beteiligten sich gemeinsam an dem flächendeckenden Abhängen. Da kam selbst die NPD nicht hinterher, die in Rostock mit einem Dutzend Personen und organisiertem Schutz zum Plakateaufhängen anreiste.
Im Vergleich zum Wahlkampf 2006 kam es vermehrt zu rechten Gewalttaten und Sachbeschädigungen. Vielerorts meldeten demokratische Parteien Beschädigungen ihrer Plakate durch rechte Parolen und Symboliken. Das regionale rechte Internetportal MuP-info rief sogar einen Wettbewerb aus, bei dem Fotos zerstörter Plakate anderer Parteien und unzerstörter NPD-Plakate (mit oder ohne den nationalen Aktivisten) veröffentlicht werden konnten. Die alleinige Zerstörung der eigenen Wahlpropaganda wollte man wohl nicht länger hinnehmen. Als Novum erwies sich jedoch das unverblümte Bekenntnis der NPD zur Gewalt während des Wahlkampfes: Eine Vielzahl vorbestrafter Kandidaten trat nicht nur für die Partei an, sondern Neonazis griffen weiterhin in Rostock, Teterow und Hagenow Wahlkreisbüros demokratischer Parteien an. In Stralsund, Teterow, Greifswald und Rostock wurden nicht-rechte Personen und Antifaschist_innen von Neonazis attackiert und auch das Festival »Jugend rockt für Toleranz« in Gallentin bei Bad Kleinen wurde von einer Gruppe Rechter angegriffen.
Das Nachspiel mit den staatlichen Ermittlungsbehörden
Die antifaschistische Gegenwehr und der Selbstschutz vor gewalttätigen Neonazis in Mecklenburg-Vorpommern zog eine Kriminalisierung der Kampagne sowie ihrer Aktionsformen nach sich. Infolge eines Reizgasangriffs dreier stadtbekannter Neonazis auf Antifaschist_innen während eines Stadtteilspaziergangs in Rostock-Toitenwinkel und dessen Abwehr, trat der örtliche Staatsschutz auf den Plan. In der Konsequenz wurde ein Treffen von linken Aktivist_innen in Rostock durch ein übertriebenes Polizeiaufgebot begleitet, während gleichzeitig angekündigte NPD-Infostände in der Stadt stattfanden. Jede Person, die in irgendeiner Art und Weise im Rahmen der Kampagne namentlich in Erscheinung trat, wurde vom Staatsschutz vorgeladen. Antifaschist_innen sowie der Hoster der Website wurden zu Aktivitäten von »Wake up – Stand up!« und den zugrunde liegenden Strukturen befragt. Das juristische Nachspiel vom Wahlkampf 2011 setzt sich für die Antifa in MV bis heute fort.
Keine Stimme den Nazis! (2006) vs. Wake up – Stand up! (2011)
Die »Wake up – Stand up!«-Kampagne wirkte mobilisierend auf die eigene Szene. Die Aktionsformen waren im Wesentlichen aktionistisch und setzten auf breite Beteiligung. So ist es gelungen, Menschen auch außerhalb des klassischen Antifaspektrums zu aktivieren. Im Vergleich zur »Keine Stimme den Nazis«-Kampagne, bei der gemeinsame Aktionen im Vordergrund standen, beinhaltete »Wake up – Stand up!« vor allem dezentrale Aktionen, die aufgrund ihres leicht zu organisierenden Charakters gleichzeitig in mehreren Städten stattfinden konnten. Im Gegensatz zu 2006 war jedoch nicht das Ziel, jede Aktion der Neonazis zu stören. Stattdessen stand die Aussicht auf eine erfolgreich durchzuführende Aktion im Vordergrund. So wurden die Neonazis z.B. durch die antifaschistische Kaffeefahrt exemplarisch gestört. Einmal mehr konnte so deutlich gemacht werden, dass hundert Neonazigegner_innen binnen kürzester Zeit in sonst eher von rechts dominierten Regionen auftauchen können. Was bleibt, sind jedoch die Landstriche einer Neonazi-Wunderwelt, in die auch die »Wake up – Stand up!«-Kampagne nicht erfolgreich vordringen konnte.
Die Kampagne hatte einen explizit pluralistischen Charakter. Aufklärung der Bürger_innen über die NPD auf der einen, und die Stärkung der eigenen Szene auf der anderen Seite, ermöglichten eine Partizipation vieler Akteur_innen auf verschiedenen Ebenen. Diese stark unterschiedlichen Ansprüche standen zum Teil allerdings auch im Widerspruch zueinander. In Hinblick auf die Zielrichtung resultierte aus den verschiedenen Ansätzen eine Spannung, die in der Kampagne 2011 nicht aufgelöst werden konnte. Zu wünschen wäre eine gemeinsame Praxis mit einer sich als antifaschistisch verstehenden Zivilgesellschaft, ohne dabei zu weit hinter eigene linksradikale Standpunkte zurücktreten zu müssen.