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»Ein Maximum an Aufklärung zu erreichen ...«

Einleitung

Interview mit Rechtsanwalt Alexander Hoffmann

Foto: Christian Mang

War es schwierig, beim NSU-Verfahren zur Nebenklage zugelassen zu werden?

Ich vertrete eine Frau, die Opfer des Bombenanschlags in der Kölner Keupstraße ist. Für die unmittelbar durch die Nagelbombe verletzten Personen oder die Angehörigen von Ermordeten war die Beiordnung unproblematisch. Meine Mandantin wohnte zwar in unmittelbarer Nähe der Bombenexplosion, wurde aber nicht direkt durch die Bombenexplosion verletzt. Für uns ging es darum, deutlich zu machen, dass die Benutzung einer Nagelbombe, mit der schon aufgrund der Bauart offensichtlich eine möglichst große Anzahl an Menschen schwer verletzt oder getötet werden sollte, einen versuchten Mord auch gegenüber Anwohner_innen darstellt.
Zunächst widersprach die Bun­des­anwalt­schaft dieser Auffassung vehement. Schließlich wurde die Nebenklage für meine Mandantin dann doch zugelassen. Nachfolgend meldeten sich noch weitere Personen als Nebenkläger.

Was waren die Motivationen und Ziele der Nebenklage?

Das Ziel meiner Mandantin ist in erster Linie der Versuch, ein Maximum an Aufklärung der Geschehnisse zu erreichen. Daneben ist es ihr ein besonderes Anliegen, dass die rassistischen Ermittlungsmethoden, die die gesamte Bevölkerung der Kölner Keupstraße in den Jahren 2004 bis 2011 zu erleiden hatte, nicht unter den Teppich gekehrt werden. Geldforderungen stehen für meine Mandantin nicht im Vordergrund. Ich bin allerdings der Meinung, dass für alle Betroffenen eine erhebliche, nicht nur symbolische Geldzahlung von staatlichen Stellen zu erfolgen hat, auch um einen Ausgleich für die offensichtlich auf rassistischen Strukturen und Vorurteilen basierenden und gegen die Opfer gerichteten Ermittlungsmaßnahmen zu schaffen.

Nehmen noch viele Nebenkläge­r_innen am Verfahren teil?

Es nehmen immer noch alle Nebenklagevertreter_innen an der Hauptverhandlung teil. Die Nebenkläger_innen selbst erscheinen nur soweit sie entweder als Zeugen aussagen oder wichtige Beweiserhebungen erfolgen, die sie interessieren. Manche Nebenkläge­r_in­nen erscheinen überhaupt nicht, da sie sich dem Prozess und dem Medienrummel nicht gewachsen fühlen.

Wie gestaltet sich die Zusammen­arbeit mit den Angehörigen?

Die Zusammenarbeit mit den Angehörigen ist naturgemäß schwierig, da diese gleich mehrfach traumatisiert sind. All denjenigen Angehörigen, die sich regelmäßig und engagiert am Prozess beteiligen, kann ich daher nur meinen größten Respekt ausdrücken. Die Konfrontation mit der sehr stark durch Formalien geprägten Hauptverhandlung kann leicht dazu führen, dass sie erneut in eine Rolle gebracht werden, in der sie handlungsunfähig sind. Nicht alle sind bereit, sich auf den sehr aufreibenden und anstrengenden Prozess der Selbst­er­mäch­tigung als handelnde Subjekte im Prozess einzulassen.

Was war die Motivation, sich gerichtlichen Beistand zu suchen und als Nebenkläger_innen am Verfahren teilzunehmen?

Eine einheitliche Motivation der Neben­kläger_innen gibt es sicher nicht. Für viele war dies aber der erste Schritt heraus aus der ihnen zugewiesenen Opferrolle.

Was haben sich die Angehörigen von dem Verfahren erwartet?

Die Angehörigen erhoffen sich natürlich Aufklärung, Wahrheitsfindung und Gerechtigkeit. Sie suchen nach öffentlicher, staatlicher Anerkennung ihrer Leidensgeschichte. Sie wollen, dass von dem Gericht als anerkannte unabhängige Institution festgestellt wird, dass die Ermordeten keine Schuld an ihrem Schicksal trifft. Sie hoffen aber auch, dass alle Verantwortlichen und nicht nur die fünf Angeklagten zur Verantwortung gezogen werden.

Haben sich ihre Erwartungen erfüllt? Was erscheint nach der bisherigen Prozesserfahrung noch realistisch?

Ein Strafprozess kann die gerade formulierten Hoffnungen und Erwartungen aus seiner Natur heraus nicht erfüllen. Der bisherige Prozessverlauf hat gezeigt, dass die strafprozessmäßige Beweiserhebung mit dem Ziel, die in der Anklageschrift erhobenen Vorwürfe zu beweisen, wenig Spielräume lässt. Der Prozessverlauf hat aber auch gezeigt, dass durchaus Möglichkeiten bestehen, den engen Rahmen zu sprengen. Der ideologische Hintergrund der Mord­serie wird nur aufgrund der Initiative der Nebenklage dargelegt. Die Verwicklungen der verschiedenen Inlandsgeheimdienste können nur gegen den erklärten Willen des Gerichts und der Bundesanwaltschaft aufgeklärt werden. Die rassistischen Ermittlungen gegen die Opfer spielen formal für die gegen die Angeklagten erhobenen Tatvorwürfe keine Rolle, jede Frage in diese Richtung muss energisch durchgesetzt werden. Die engagierten Nebenkläger_innen haben erkannt, dass sie ihre Interessen, Wünsche und Hoffnungen nur selbst erkämpfen und durchsetzen können.

Wie hat sich das öffentliche Interesse am NSU Verfahren entwickelt?

Das enorme öffentliche Interesse das die ersten Wochen des Prozesses begleitet hat, ist natürlich abgeflacht. Nach wie vor besteht allerdings eine große Bereitschaft der Medien, über den Prozessverlauf zu berichten. Die Verhandlungsführung hat in den ersten 50 Verhandlungstagen besondere Schwierigkeiten für die Berichterstattung verursacht. Teilweise wurden gleichzeitig zu mehreren Mordfällen parallel Beweise erhoben. Es wurden also beispielsweise an einem Tag Zeugen zu völlig unterschiedlichen Komplexen gehört. Dies hat sowohl die Berichterstattung erschwert als auch ein sehr unübersichtliches Bild des Prozessverlaufs geschaffen. Das hatte teilweise zur Folge, dass die Presseberichterstattung sich isoliert auf einzelne Highlights gestürzt hat. Projekte wie NSU-Watch geben allerdings für Interessierte Gelegenheit, sich intensiv mit der Beweiserhebung zu beschäftigen. Einen Überblick über den Stand der Beweiserhebung muss man sich allerdings schwer erarbeiten.

Konnten die Untersuchungsausschüsse Impulse für das Verfahren geben?

Bislang konnten kaum Materialien aus den Untersuchungsausschüssen in den Prozess eingeführt werden. Die Untersuchungsausschüsse hatten andere Schwerpunkte als der Prozess vor dem Oberlandesgericht München. Ich gehe allerdings davon aus, dass die weitere Beweisaufnahme noch in erheblichem Umfang auf Ergebnisse aus den Untersuchungsausschüssen zurückgreifen wird. Das bedeutet, dass zahlreiche Zeugen, die bereits in den Untersuchungsausschüssen ausgesagt haben, auch in dem Münchner Prozess als Zeugen geladen werden müssen.

Ist Rassismus ein Thema, das im Prozess eine große Rolle spielt?

Rassismus spielt als Tatmotiv bislang eine eher geringe Rolle. Das Bekennervideo des NSU offenbart eindeutig eine rassistische Motivation. Damit ist das Thema Rassismus für das Gericht und die Bundesanwaltschaft mehr oder weniger abgehakt. Für die Nebenklage geht es auch darum, den weit verbreiteten Rassismus im Lebensalltag der TäterInnen aufzuarbeiten. Es geht darum, deutlich zu machen, durch welche Gruppierungen und Organisationen die menschenverachtende Ideologie verbreitet wurde, die die Mordtaten des NSU als logische Konsequenz verursacht hat.

Was wünschst Du Dir von der antifaschistischen Bewegung?

Ich wünsche mir, dass sie dabei hilft weiterhin den öffentlichen Druck aufrecht zu erhalten, den die Nebenkläger_innen brauchen, um ihre Position im Prozess halten zu können. Ich wünsche mir aber vor allem, dass eine breite Diskussion fortgesetzt wird, mit dem Ziel, die Spaltung der Gesellschaft in Deutsche und Nicht-Deutsche, die weniger durch die Mordtaten als durch die staatliche Reaktion, die rassistischen Ermittlungen und die Verweigerung von Hilfe und Beistand für die Opfer des NSU, vorangetrieben wurde, in den Mittelpunkt unserer Aktivitäten zu rücken. Der Kampf um gleiche Rechte für alle und der Kampf gegen institutionellen Rassismus muss ein wichtiger Bestandteil der antifaschistischen Agenda sein.