»Kapitalismus führt zum Faschismus«?
Klaus Maler (Gastbeitrag)Über die Notwendigkeit, sich mit der Krise zu beschäftigen
Es ist schon erstaunlich. Da haben wir die größte ökonomische Krise seit dem Bestehen der BRD und man sollte meinen, in den antifaschistischen Medien wimmele es nur so von Diskussionen: »Droht uns ein Erstarken faschistischer Organisationen?«, »Kippt das Klima zugunsten rechtspopulistischer Ideologien?«, »Wer profitiert politisch von der Krise – die Linken oder die Rechten?«, »Was passiert, wenn die Herrschenden die Krise nicht in den Griff kriegen?«.
Die Seiten wären gefüllt mit Reprints von Beiträgen aus den 20er und 30er Jahren – zur Rolle des Faschismus für die Bourgeoisie, über den Klassencharakter der faschistischen Bewegung, zur Frage der Abhängigkeit des Faschismus von der Bourgeoisie und so weiter und so fort.
Doch nichts dergleichen. Kein Rauschen im antifaschistischen Blätterwald. Woran liegt es? Fühlen sich AntifaschistInnen nicht betroffen oder ist das Thema einfach »zu groß« – nachdem sie sich eingerichtet haben in Anti-Nazimobilisierungen und dem Sammeln von Fakten, Fakten, Fakten über jegliche Nazikleinstorganisation?
Ideologisch hatte der Neoliberalismus seinen Höhepunkt bereits vor der Krise überschritten. Dennoch, was wir seit Sommer 2008 als Einbruch in den finanzkapitalistischen Höhenflug erleben, hat sich wohl kaum jemand vor zwei Jahren so vorstellen können. Und das obwohl sich eigentlich jede/r mit einigermaßen normalem Menschenverstand ausmalen konnte, dass es so nicht funktionieren kann: Kurz mal als »Heuschrecke«, zu 90 Prozent über Kredite finanziert, den gesamten kommunalen Wohnungsbestand einer Großstadt schlucken oder eine der größten Tageszeitungen der Bundeshauptstadt aufkaufen und zugleich den Einlegern 20 bis 25 Prozent Rendite versprechen.
Doch was hat das mit mir zu tun, mögen sich manche der Antifa-AktivistInnen fragen? Ja, was haben Klassenfragen mit dem Faschismus zu tun? Ist die antifaschistische Bewegung in weiten Teilen so entpolitisiert, dass sie die sozialen Fragen bestenfalls als Reflex auf die Nazis wahrnimmt – wenn diese sie als »ihre« Themen in die Öffentlichkeit posaunen?
Das Verständnis von den Nazis als Krisenpartei scheint abhanden gekommen zu sein. Stattdessen verharren AntifaschistInnen im Beobachterstatus: Was machen die Neonazis? Bestenfalls: Was haben die Neonazis zur Krise zu sagen? Das jedoch hilft nur begrenzt weiter. Von denen kommt nämlich nicht viel Neues, warum auch? Von ihrer Seite ist das Wesentliche gesagt: Kapitalismus mit Wohlstandselementen – exklusiv für die »Volksgemeinschaft«. Das Ganze zu verwirklichen über »Ausländer und Juden raus« oder Schlimmeres ...
Doch ein Reflex-Antifaschismus bringt längerfristig nicht weiter. Hilfreich allein ist eine Anbindung an soziale Kämpfe und Bewegungen und die damit verbundene Perspektive einer gerechten und freien Gesellschaft – eben das, was die Neonazis unbedingt verhindern wollen. Die »soziale Frage« wird dann nicht aus der Anti-Haltung gegen die Neonazis heraus beantwortet, sondern auf Grundlage der gesellschaftlichen Perspektiven, die aus der Verkopplung der antifaschistischen Gruppen mit sozialen Bewegungen entstehen. Dies bedeutet dabei keineswegs, den Antifaschismus zur linken Allround-Politik zu erklären.
In der Krise zeigen sich gesellschaftliche Widersprüche nackter und grundsätzlicher. Grund genug für AntifaschistInnen als ExpertInnen in Sachen Faschismus, einige Fragestellungen auch grundsätzlicher zu diskutieren:
• Weder Bundeskanzlerin noch Manager oder Ökonomen trauen sich festzulegen, wie die Krise verlaufen wird. Was machen wir, wenn die Herrschenden die Krise nicht in den Griff kriegen?
• Heute gibt es keine geschlossenen Klassenmilieus wie in den 20er/30er Jahren. Auf welche Schichten und Klassen kann sich der Antifaschismus heute stützen? Welche sind heute die sozialen Gruppen/Klassen, die gegen den Faschismus immun sind?
• Wo verorten wir heute die Arbeiterklasse? Verglichen mit den 1930er Jahren existiert nur noch ein Bruchteil der industriellen Arbeiterschaft. Es waren aber in erster Linie die organisierten ArbeiterInnen in den Großbetrieben, die gegen das »Gift des Faschismus« immun waren. Wie sieht es heute bei der erheblich demontierten Industriearbeiterklasse aus?
• Wie stark sind faschistische Haltungen bereits in die Mitgliedschaft von Gewerkschaften eingedrungen – die Studie der FU-Professoren Stöss, Zeuner u.a. geben dazu deutliche Hinweise?
• Dann die Frage der Mittelschichten, aus denen sich die Antifa-Bewegung heute wesentlich speist. Die Diskussion über die Rolle dieser sozialen Gruppe wurde in den 1930er Jahren nur verkürzt geführt, eine Ausnahme bildete Fritz Sternberg, Theoretiker der Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP). Immerhin hatten die Mittelschichten mit einem Anteil von 40 bis 45 Prozent einen fast so großen Anteil an der Bevölkerung wie die Arbeiterschaft (50%). Schon damals gab es nicht nur den klassischen Kleinbürger, es gab auch bereits die »neuen Mittelschichten«.
Auch heute ist von der »Zerstörung der Mittelschichten« die Rede. Bedeutende Teile des Mittelstandes fühlen sich vom sozialen Absturz bedroht. Wer in Betrieben – unterhalb der Führungsebene – kann sich heute nicht vorstellen, in die Arbeitslosigkeit katapultiert zu werden und alles Erkaufte und Angesparte zur Disposition stellen zu müssen?
Teile des Mittelstands sind heute für rassistische, rechtspopulistische Auffassungen empfänglich – wer ist jedoch aus diesen Schichten für eine Position gegen den Faschismus zu gewinnen? Welchen Bezugspunkt kann es für verunsicherte Mittelschichten heute geben? Anfang der 30er Jahre hätte das für Teile des Mittelstandes die Arbeiterbewegung sein können – wenn diese sich denn zu einer Einheitsfront zusammengerissen hätte. Doch wo könnten heute Angehörige des Mittelstandes vor dem Hintergrund einer veränderten Klassenzusammensetzung ein Gravitätszentrum finden?
• Mit welchen Verschiebungen im rechtsextremen Lager werden wir in der nächsten Zeit zu rechnen haben? Wird eine breitere Verankerung rechter Ideen zu einem stärkeren Rechtspopulismus und/oder Nationalkonservatismus führen? Und damit zu einer Schwächung der offen neonazistischen, »antikapitalistischen« Position à la NPD, die von der Schwäche der extremen Rechten profitiert?
• Grundsätzlicher werden wir uns auch zu fragen haben, wie hoch wir die Gefahr einer Wiederholung des Faschismus einschätzen? Auch die Bourgeoisie hat aus der Erfahrung des Nationalsozialismus gelernt – welche Konsequenzen es nach sich ziehen kann, wenn sie die politische Macht aus der Hand gibt. Nach 1945 kamen klassische faschistische Bewegungen nicht mehr an die Macht, sie fungierten bestenfalls als Wegbereiter oder Juniorpartner von Militärdiktaturen (eine Rolle, die den Nazis Anfang 1933 in Deutschland ebenfalls zugedacht gewesen war). Allerdings etablierten sich Diktaturen nach dem 2. Weltkrieg bislang auch nicht in einer Zerfallsphase des internationalen Kapitalismus.
Es gibt sicherlich noch eine Reihe weiterer wichtiger diskussionswürdiger Fragen. Doch ein Punkt drängt sich vor dem Hintergrund der Krise auf: Der Antifaschismus wird sich in Zukunft nicht nur auf die Sphäre der politischen Demokratie beziehen können, sondern sich auch mit der Frage der Wirtschaftsdemokratie befassen müssen. Der Neoliberalismus hat versucht, jeglichen Ansatz einer Beeinflussung oder gar Kontrolle der Wirtschaft seitens der Bevölkerung zu unterbinden. Direkt nach der Niederlage des Nationalsozialismus war die öffentliche Diskussion da an einem anderen Punkt: Kaum jemand stellte die Notwendigkeit der Kontrolle der Konzerne in Frage. Dazu war der Pakt der Großwirtschaft mit den Nazis noch zu präsent.
Diese Diskussion gilt es zu beleben: Die Forderung nach Wirtschaftsdemokratie wird dem Antifaschismus den Bogen zum Wirtschaftssektor und zur arbeitenden Bevölkerung schlagen. Antifaschistische Medien könnten und sollten eine Vorreiterrolle solcher Diskussionen führen und der antifaschistischen Bewegung Impulse und Orientierung geben. So habe ich die Aufgabe des AIB immer verstanden.
Klaus Maler ist Gewerkschafter und Mitglied der AG Rechtsextremismus (agrexive) bei ver.di Berlin-Brandenburg.