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Wer vom Kapitalismus nicht reden will, ...

Einleitung

Antifa ist out, sozialer Protest und globaler Widerstand ist in – auf diese kurze Formel scheint sich die gegenwärtige politische Praxis großer Teile der radikalen Linken bringen zu lassen. So befassen sich – um nur ein Beispiel zu geben – bei www.antifa.de meist mehr Beiträge mit Demonstrationen gegen Sozialabbau und Mobilisierungen gegen G8-, EU- oder NATO-Gipfel als mit dem Thema, das dieser Internetseite den Namen gegeben hat. Der Trend weg von den häufig frustrierenden Antifa-Aktionen ist deutlich. Die Verlagerung auf Politikfelder, die mehr Dynamik, Spannung und politische Chancen versprechen, ist die logische Konsequenz.

Bild: flickr.com/mkorsakov/CC

Von der Perspektive der antifaschistischen Bewegung aus gesehen erscheint diese Entwicklung bedenklich. Die personellen Ressourcen werden knapper, Mobilisierungen auch gegen große Neonaziaufmärsche sind keine Selbstläufer mehr und die Forderung nach »neuen Konzepten« für die Antifa-Arbeit ist immer öfter zu hören, ohne dass gleichzeitig weiterführende Thesen präsentiert würden.

Diese Schwierigkeiten sollten allerdings nicht nur den (wenigen) organisierten Gruppen angelastet werden, die seit einiger Zeit deutlich mehr Energie in soziale Auseinandersetzungen investieren, zumal diese Gruppen ihre antifaschistische Praxis ja keineswegs aufgegeben haben. Was bei organisierten Gruppen eine mehr oder minder bewusste, in jedem Fall diskutierbare und kritisierbare Entscheidung ist, findet im Bereich der nicht oder in kurzlebigeren Gruppen organisierten Linken ebenso statt. Wenn wir uns nicht nur im Auf und Ab der Bewegungskonjunkturen treiben lassen wollen, sollte daher das Verhältnis von sozialer und antifaschistischer Bewegung zum Gegenstand grundsätzlicher Betrachtungen gemacht werden.

In der antifaschistischen Bewegung der alten BRD vor 1989 waren eher traditions-kommunistische Vorstellungen vom Zusammenhang zwischen Kapitalismus und Faschismus vorherrschend. Faschismus wurde als eine Herrschaftsform des Kapitals begriffen, deren hauptsächliche Funk­tion in der Unterdrückung der ArbeiterInnenbewegung und der Vorbereitung bzw. Durchführung eines imperialistischen Eroberungskrieges lag. Die faschistische Ideologie, insbesondere Rassismus und Antisemitismus, waren demnach von der herrschenden Klasse mehr oder minder bewusst eingesetzte Manipulationsinstrumente, um Sündenböcke für die sozialen Missstände der kapitalistischen Gesellschaft zu finden.

Entsprechend wurde auch die Funktion von Neonazi-Gruppen gesehen. Sie sollten die Linke bekämpfen und beschäftigen, soziale Unzufriedenheit in für das Kapital ungefährliche Bahnen lenken und als Reservearmee für eine mögliche erneute diktatorische Form der Kapitalsherrschaft dienen. Antifa wurde in diesem Verständnis in enger Beziehung zur ArbeiterInnenbewegung insgesamt gesehen, sowie als ein typisches Feld von Bündnisarbeit, weniger als eine eigenständige Bewegung, die sich durch besondere Radikalität auszeichnen sollte. 

Nach dem Zusammenbruch der DDR änderten sich die Bedingungen für antifaschistische Arbeit dramatisch. Militante Neonazis hatten massiven Zulauf und Anfang der 90er Jahre begann eine Welle rassistischer Gewalt, die in den Pogromen von Rostock und Hoyerswerda sowie in den Mordanschlägen von Mölln und Solingen ihren deutlichsten Ausdruck fand. Diese rassistische Gewalt wurde im Rahmen der »Asyldebatte« von großen Teilen der Medien und der Politik angeheizt und gleichzeitig zum Vorwand genommen, eine repressive Abschottungs- und Abschiebepolitik gegen Flüchtlinge und EinwanderInnen zu etablieren.

Die Bedeutung antifaschistischer Gegenwehr nahm also zu und Antifa wurde zum wichtigsten Politikfeld für die radikale Linke. In diesem Bereich gab es trotz der allgemeinen Schwäche der Linke noch eine gute Mobilisierungsfähigkeit und es ließen sich häufig auch praktische Erfolge erzielen. Gleichzeitig gerieten jedoch soziale Utopien und antikapitalistische Perspektiven in eine schwere Krise. Die Folge davon war, dass sich die autonom geprägte Linke fast ausschließlich auf Antifa konzentrierte, während es aber immer schwieriger wurde, hierbei auf breite Bündnisse zu bauen und sich z.B. die Gewerkschaften vielfach aus Gegenmobilisierungen verabschiedet haben.


Ein Ausdruck dieser Entwicklung war die Parole »Antifa ist der Kampf ums Ganze« und das Konzept des »revolutionären Antifaschismus«. Hier wurde eine Theorie gebastelt, die die bestehenden Defizite, insbesondere den Rückzug aus vielen anderen Bereichen gesellschaftlicher Auseinandersetzung, zur Tugend erklärte. Die soziale Frage erscheint jetzt als ein Anhängsel des Antifaschismus, nicht mehr umgekehrt. Dadurch wurden der antifaschistischen Bewegung Aufgaben und Funktionen zugeschrieben, die diese objektiv nicht erfüllen konnte. Denn der antifaschistische Kampf ist und bleibt ein notwendiger Abwehrkampf, in dem Bünd­nisfähigkeit eine besondere Be­deutung hat. Die Entwicklung einer revolutionären Gegenmacht benötigt aber soziale Utopien, die nicht nur die Auswüchse, sondern die Grundlagen der gegenwärtigen Gesellschaftsordnung in Frage stellen und überwinden können.

Die Überwindung des stellenweise sehr holzschnittartigen Verständnisses der Zusammenhänge von Kapitalismus, Faschismus, Rassismus und Antisemitismus gehört zu den wichtigen Lernprozessen, die zwar nicht alle, aber doch große Teile der radikalen Linken in den 90er Jahren durchgemacht haben. Die relative Eigenständigkeit von rassistischen und antisemitischen Vorstellungen, die nicht einfach nur durch Manipulation von oben in die Köpfe gebracht, sondern z.B. auch in Familie und Erziehung weitergegeben und reproduziert werden, wurde nun stärker wahrgenommen. Damit musste auch die These über Bord geworfen werden, dass die Menschen, die das faschistische Wahl- bzw. Mobilisierungspotenzial bilden, »eigentlich zu uns« gehören, und selbst nur Opfer der Verführung und Manipulation durch die rechte Propaganda seien. Die soziale Lage wurde nicht mehr als Entschuldigung oder Erklärung für rassistische oder antisemitische Einstellungen akzeptiert.

In der richtigen Erkenntnis, dass Opfer gleichzeitig Täter sein können und dass Herrschafts- und Unterdrückungsverhältnisse sich häufig in Personen oder Gruppen überschneiden, liegt aber gleichzeitig die Gefahr, den Antifaschismus bzw. Antirassismus komplett von der sozialen Frage zu lösen. Daraus resultieren dann schnell elitärer Dünkel, eine Geringschätzung von »Normalos« und »Bürgermob« und eine immer stärkere Abschottung der linksradikalen Szene von der übrigen Gesellschaft. Wohin die Isolierung des Antifaschismus von den sozialen Kämpfen führen kann, zeigt sich in seiner Extremform bei jenen »Antideutschen«, die die gegenwärtigen sozialen Proteste gegen Hartz IV pauschal als völkisch und antisemitisch denunzieren und das Auftreten von Neonazis bei Montagsdemos nicht etwa als Anlass zum beherzten antifaschistischen Einschreiten begreifen, sondern nur noch als Bestätigung für ihre krude Verschwörungstheorie.

Die stärkere Orientierung vieler radikaler Linker auf sozialen Widerstand erscheint in dieser Betrachtung eher als eine Korrektur der einseitigen Überbetonung und Isolierung der antifaschistischen Arbeit in den 90er Jahren. So sind z.B. die Montagsdemonstrationen und die Versuche der Neonazis, sich an einigen Orten mit ihren Parolen und Transparenten an den Demos zu beteiligen, ein deutlicher Beleg dafür, wie wichtig eine personelle, organisatorische und ideologische Verbindung von aktiven AntifaschistInnen mit der sozialen Protestbewegung ist. Die Demoverantwortlichen brauchen die Antifas, um die Nazis sicher zu erkennen. AntifaschistInnen sollten eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der Demoleitung anstreben, damit die Entfernung der Nazis mit der Rückendeckung der Demonstration erfolgen kann. Dieses Vorgehen ist allerdings an solchen Orten unmöglich, wo den OrganisatorInnen der Sozialproteste das Problembewusstsein völlig fehlt oder gar offene Kumpanei mit Kräften der extremen Rechten betrieben wird. In diesen Fällen sind scharfe, öffentliche Kritik an den Demoleitungen und eigenverantwortliches Handeln gegen Nazis in den Demos unvermeidlich. Diese antifaschistischen Interventionen werden aber umso erfolgreicher sein, je eher die Antifa glaubwürdig als Teil der Bewegung gegen Hartz IV auftreten kann und aus dieser Position heraus ihre berechtigten Forderungen aufstellt und ihre Aktionen erklärt.

Es ist zu erwarten, dass die sozialen Auseinandersetzungen in den nächsten Jahren an Schärfe zunehmen werden. Hartz IV ist noch lange nicht das Ende des Sozialabbaus. Weiterhin ist davon ausgehen, dass die Nazis in den nächsten Jahren noch stärker versuchen werden, sich als soziale und antikapitalistische Kraft zu präsentieren. Eine Zusammenarbeit von antifaschistischen Initiativen und Sozialbündnissen wird also wichtiger denn je sein. Umso besser, wenn es organisierte Gruppen gibt, die so­wohl in der sozialen als auch in der antifaschistischen Bewegung aktiv und verankert sind.


Der Autor ist Mitglied bei AVANTI – Projekt undogmatische Linke. Er war dort lange Jahre im Antifabereich tätig und hat seinen Schwerpunkt nun auf den Sozialbereich verlagert.