Skip to main content

Zwischen Selbstverleugnung und Populismus

Einleitung

Vor etwa 18 Monaten meldete sich das Antifaschistische Infoblatt mit einem offenen Brief an die Friedensbewegung zu Wort. Damals waren KriegsgegnerInnen mit dem Problem konfrontiert, dass Neonazis offensiv an ihren Veranstaltungen teilnahmen. Gegenwärtig gibt es ähnliche Probleme, nur dass die extreme Rechte diesmal massiv die sozialen Proteste für sich instrumentalisieren will.

Bild: attenzione-photo.com

Hoyerswerda am 18.09.2004: Gordon Reinholz (Mitte), einer der Organisatoren des Neonazi-Aufmarsches gegen Hartz IV, verteilt Flugblätter an Passanten.

Allgemein dürften AntifaschistInnen das Problem haben, dass die neonazistischen Beschreibungen zu Hartz IV wenig Angreifbares bieten. Salopp gesagt unterschieden sich die Schilderungen von Hartz IV – egal ob sie von AntifaschistInnen, GewerkschafterInnen, Tageszeitungen oder Neonazis formuliert wurden – nur marginal. Die Eckpunkte von Hartz IV waren schließlich bekannt und in Verordnungen gegossen. Einen extrem rechten Drall bekamen diese Be­schrei­bungen immer erst dann, wenn die Auswirkungen der Hartz IV-Gesetze formuliert wurden. Innerhalb der Argumentation der extremen Rechten ist offen oder verschleiert unisono zu lesen, dass »nur« Deutsche von Hartz IV betroffen sind. »Dies und vieles mehr wird auf uns Deutsche zukommen«1 war etwa beim Nationalen und Sozialen Aktionsbündnis Mitteldeutschland zu lesen. Auch wenn die Propaganda von NPD und den sogenannten freien Nationalisten ihre Sozialdemagogie nur als Türöffner für nationalistische, rassistische und anti­semitische Positionen nutzen, ist ein genauerer Blick auf die Forderungen lohnenswert.

Prinzipiell kann man sagen, dass die NPD ihre Forderungen sehr ausgefeilt präsentiert. Ausgefeilt deshalb, weil weite Teile der Propaganda nur schwerlich als extrem rechts zu erkennen sind. Forderungen, wie sie die NPD in den jüngsten Landtagswahlkämpfen aufstellte, sind Be­stand­teil einer gesamtgesellschaftlichen Debatte. Die Schlagworte waren etwa Mindestlohn, Vermögenssteuer, Bürgerversicherung oder Abschaffung der Praxisgebühr. Irritierend dürfte hierbei sein, dass diese Schlagworte vor allem von links in die Debatten um den Sozialabbau eingeworfen werden und die NPD sich dieser in ihrem Wahlkampf auf der Parolen-Ebene bediente. Denn schließlich bezieht sie diese Forderungen nur auf Deutsche, da Ausländer »in ihre Heimat zurückgeführt« werden sollen.2

Natürlich hatte die NPD ihren Wahlkampf explizit auf die jeweiligen Regionen zugeschnitten. In einer Postwurfsendung in Sachsen war die Rede von »auswärtigen Beamten«3 , die den potentiellen ALG II-Empfängern erklären, wie sie davon leben sollen. Eine derartige Argumentation macht deutlich, dass es nicht nur MigrantInnen als fremde Bedrohung braucht, sondern die extreme Rechte immer jemand »Außenstehendes« finden kann. Dass sächsische Beamte genau den selben Job machen werden, wird beflissentlich verschwiegen.

Dass sich eine populistische Propaganda bis zur Verleugnung eigener, originärer Standpunkte verändern kann, bewies die sächsische NPD ebenfalls. Sie formulierte in ihrem Wahlkampfflugblatt, dass die »Zu­mut­­barkeitsregeln für Arbeitslose nicht verschärft« werden dürften. In der Vergangeneheit war genau das Gegenteil in der monatlichen NPD-Zeitung Deutsche Stimme zu lesen. »Wer über Angebot und Nachfrage des freien Arbeitsmarktes keine Stelle bekommt, sollte vom Staat zur gemeinnützigen Arbeit verpflichtet werden«, war da unter der Überschrift »Arbeitsdienstpflicht als Gemein­schafts­werk« zu lesen.4 Ebenso plädierte Reinhold Oberlercher in seinen »Schulungstexte« zum Vierten Reich«, mit denen er ab 1998 maßgeblich das wirtschaftspolitische Profil der NPD mitgestaltete, für einen Arbeitsdienst.

PISA lässt grüßen

Im Gegensatz zur Wahlpropaganda der NPD plädiert das Nationale und Soziale Aktionsbündnis Mittel­deutsch­land (NSAM) offen für die Einführung »eines vom Staat geschaffenen  Arbeitsdienst«. In diesen sollen Langzeitarbeitslose, Sozialhilfeempfänger und ABM-Kräfte »eingegliedert« werden.5 Abgesehen von diesem positiven Bezug auf den Nationalsozialismus stellt sich die Frage nach dem Sinn dieser Einrichtung. Schließlich wird ein staatlich finanzierter, zweiter Arbeitsmarkt durch einen anderen ersetzt. Wahrscheinlich denken die Mannen vom NSAM aber ähnlich wie die Befürworter von Hartz IV: Niemand soll dem Staat auf der Tasche liegen und jeder soll für sein Brot, sei es auch noch so wenig, arbeiten.

Insgesamt präsentiert das NSAM seine politischen Forderungen wenig galant und füllt den Begriff »politischer Analphabetismus« mit Leben. Die insgesamt recht unterbelichtete Argumentation entblödet sich nicht, den Beginn des »Sozialstaates Deutschland« auf das Jahr 1845 zu legen. »Die Auflösung dieser, in über einhundert Jahren geschaffener, so­zialer Errungenschaften bis 1945 müssen wir gemeinsam stoppen und bekämpfen«.6 Es ist davon auszugehen, dass das NSAM diesen politischen und historischen Un­sinn nicht beabsichtigt – anders bekommt man jedoch den positiven Bezug auf den Nationalsozialismus und das Abfeiern der sozialen Errungenschaften der BRD nicht unter einen Hut.

Quasi nebenbei werden die eigenen Forderungen in einer Art und Weise aufgestellt, dass es bei deren Umsetzung faktisch zur Senkung von Löhnen und zum massiven Abbau von Arbeitsplätzen kommen würde. So beklagt man die »hohen Löhne von Angestellten im Gesundheitssystem«7 und will das Geld für den Bau des Eurofighters und den Großraum-Airbus A400M einsparen.1 Während die NPD wenigstens noch so schlau ist, ihre Forderungen nach Einstellungen der Geldausgabe für Eurofighter und den großen Airbus mit Friedensforderungen zu verknüpfen, scheinen die NSAM-Kameraden hier nur einfach den Abbau von zehntausenden Ar­beits­plätze zu beabsichtigen.

Natürlich spielt das NSAM genauso wie die NPD die rassistische Karte. Beispielsweise wollen sie das Geld für die Krankenbehandlung von »illegalen Aus­ländern« einsparen und vergessen dabei, dass gerade deren Behandlung meist ein Zuschussgeschäft für die behandelnden ÄrztInnen ist. Im Prinzip dienen die gesamten neonazistischen Proteste gegen die Agenda 2010 nur als Aufhänger zur Propagierung ihrer sattsam bekannten Positionen. Was bei »Hartz IV« anfängt, endet bei der bekannten rassistischen Parole »Arbeitsplätze zuerst für Deutsche«.8 Exemplarisch hierfür steht der Wahlkampf der NPD zur Europawahl im Juni 2004.

Ein Blick in die damalige Wahlkampfzeitung machte deutlich, dass die NPD zu ihrem Kernthema – der Hetze gegen Ausländer – zurück gekehrt war. Das Modewort »Globalisierung«, gegen die die NPD beispielsweise noch am 1. Mai mit wehenden Fahnen auf den Berliner Straßen marschierte, kam im Wahlkampfmaterial kaum noch vor. Stattdessen wurde die EU-Osterweiterung und mit ihr die Ausländer im allgemeinen für alle sozialen Verwerfungen in der BRD verantwortlich ge­macht.

  • 1a1bFlugblatt „Schröder DU Dieb! Gib zurück, was du genommen hast!, NSAM, Michael Kutschke (ViSdP).
  • 2vgl. Flugblatt „Quittung für Hartz IV“, NPD Sachsen.
  • 3Gemeint sind Beamte, die aus den alten Bundesländern in den Osten entsandt werden sollen, um dort die Umsetzung der Hartz IV-Gesetze zu unterstützen.
  • 4Deutsche Stimme, Nr.4, 2000, S.7.
  • 5www.keine-agenda2010.de/Alternative.html, August 2004: Alternative Vorschläge zur AGENDA 2010.
  • 6www.keine-agenda2010.de/index.html, August 2004: Was ist die Agenda2010 ?
  • 7Flugblatt „Nein zur Agenda 2010. Bürgerinfo“, NSAM, Michael Kutschke (ViSdP).
  • 8Flugblatt „Quittung für Hartz IV“, NPD Sachsen.