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Aufbruchstimmung bei der NPD (1998)

Einleitung

Vor wenigen Jahren noch galt die "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) als unbewegliche und verstaubte Stammtischpartei. Ihre herausragenden Merkmale waren ein überschuldetes Parteikonto und ein ebenso bankrottes Programm. Mit ihrer Wandlung von der Wahl- zur »Kampfpartei«, der populistischen Verknüpfung klassisch neofaschistischer und sozialer Themen sowie der Öffnung gegenüber dem NS-Spektrum und der Einbindung der neonazistischen Subkultur entwickelt die Partei heute eine starke Integrationskraft. Diese bringt sie als ernstzunehmende Sammlungsorganisation rechts von REPs und DVU wieder nach vorne. Der endgültigen Abstieg ins Sektendasein, der der alten neofaschistischen Partei noch vor wenigen Jahren drohte, ist mit ihrer Umorientierung, die jetzt Früchte trägt, abgewendet. Aufbruchstimmung macht sich breit. Dem Ruf der Basis nach einer »vereinigten nationalen Bewegung« scheint Rechnung getragen zu werden.

Die NPD auf dem Weg zur »politischen Heimat für alle nationalen Strömungen in Deutschland«?1

1964 als Sammlung der im Zerfall befindlichen Altnazi-Parteien gegründet, erlebte die NPD kurze Jahre des Aufstieges. Nach dem Scheitern bei der Bundestagswahl 1969 und dem damit mißlungenen Versuch, sich mit national-konservativem Image parlamentarisch zu etablieren, folgte der stetige Niedergang, der auch durch einige Wahlerfolge Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre nicht aufgehalten werden konnte. 1990 war die Partei unter ihrem damaligen Vorsitzenden Martin Mußgnug finanziell und programmatisch derart heruntergewirtschaftet, daß ihre Auflösung zeitweise eine beschlossene Sache schien. Dann trat der Studienrat a.D. Günter Deckert 1991 als Vorsitzender an, um den Karren aus dem Dreck zu ziehen. Er verordnete einen radikalen Kurswechsel: Das national-konservative Image wurde endgültig ad acta gelegt und die NPD statt dessen zur »Kampfpartei« erklärt. Mit den aggressiven Parolen des neuen Vorsitzenden trat die NPD somit in eine Phase der Neukonstituierung ein, deren inhaltliche Ausrichtung keine Tabus mehr kannte und kennt. An diese Umorientierung geknüpft war das Kalkül, die Partei im NS-Spektrum als politische Alternative anzubieten und das organisatorische Vakuum zu füllen, in dem sich viele NS-Aktivisten infolge der staatlichen Verbote befanden. Als verbotsresistente und somit übriggebliebene Partei sah sich die NPD in der Lage, eine legale Plattform für weitergehende Aktivitäten zu stellen. Dieser Kurs wurde ab 1996 von Udo Voigt geschickter und erfolgreicher fortgesetzt. Der Nachfolger Deckerts im Amt des Parteivorsitzenden trug mit seiner ersten Amtshandlung - der Aufhebung der Unvereinbarkeitsbeschlüsse - der Umorientierung der Partei auch formal Rechnung. Er, der bereits spätestens ab 1995 als »zweiter Mann« hinter dem ehemaligen Vorsitzenden Deckert die strategischen und taktischen Fäden gezogen hatte, ist der Garant der angestrebten Sammlung aller rechtsradikalen und neonazistischen Kräfte.

Um »die Glaubwürdigkeit (...) im nationalen Lager zu stärken"2 , ist die NPD bemüht, den veränderten Kurs auch in der Praxis deutlich zu machen und sich - z.B. über Kader ihrer Partei-Jugend- an fraktionsübergreifenden Projekten des NS-Spektrums, wie der Organisation der alljährlichen »Rudolf-Heß-Gedenkmärsche«, zu beteiligen. Gleichzeitig versuchte sich die Partei im Aufbau langfristiger Allianzen, wie beispielsweise dem 1994 unter dem Arbeitsbegriff „Bündnis Deutschland" ausgerufenen Zusammenschluß der »nationalen Kräfte« in einer »Fundamentalopposition zur Rettung völkischer (...) Lebensgrundlagen«.3 Von seiten der REPs und der DVU gab es kein Interesse an einer gemeinsamen "Wahlplattform". Doch das auf diesen Wegen untermauerte, nicht gerade uneigennützige Angebot an das NS-Spektrum, die NPD als legale Plattform zu nutzen, wurde vielfach dankend angenommen und bringt der Partei den Zulauf aus der neofaschistischen Subkultur und dem NS-Spektrum ein.

NPD als Magnet für NS-Gruppierungen

Eindrucksvolles Beispiel für diese »eine Hand wäscht die andere«-Entwicklung ist die quasi-Überführung des vom Verbot bedrohten Neonazi-Vereins "Die Nationalen e.V." in die Partei. Die NPD kann nun Dank dessen in Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Berlin auf weitere eingespielte Strukturen zurückgreifen. Den Neonazis von den "Die Nationalen" bietet sich dafür die Möglichkeit, ihre Politik ohne staatlichen Repressionsdruck unter anderem Namen fortzusetzen, und ihr ehemaliger Chef Frank Schwerdt wurde mit einem Posten im NPD-Bundesvorstand belohnt. Frank Schwerdt ist dabei seine Getreuen und seine Verbündeten in die NPD zu überführen.4 Hierzu sollen bespielsweise Christian Wendt (Ex-FAP) aus Berlin, Jörg Krautheim (ehem. "Jungnationale") aus Gera und Udo Hempel (ehem."Junges Nationales Spektrum") aus Weißwasser zählen.

Innerhalb der NPD machte Christian Wendt eine eigene Struktur auf: Die "Arbeitsgemeinschaft nationaler Sozialisten innerhalb und außerhalb der NPD" (AGNS) .5 Die AGNS versteht sich selbst als »die geistige und revolutionäre Speerspitze der nationalen Opposition«.5 Für den Fall weiterer staatlicher Verbote von Neonaziorganisationen ruft die AGNS gezielt zum »totalen Widerstand« gegen »das System«. In einem sogenannten "BBZ Gepräch" macht Andreas Schulz, ehemaliger Vorsitzender der Hochschulgruppe der aufgelösten "Die Nationalen" die eigentlichen Ziele der AGNS deutlich: »Eine Revolution, also ein politischer Umsturz bedarf ja keiner Partei wie der NPD, sondern konkreter revolutionärer Umständet...) Die AGNS hat sich für den legalen Weg entschieden, nicht weil sie den Parlamentarismus als Allheilmittel ansieht, sondern weil es für militante Aktionen im Volk kein Verständnis und keine Basis gibt5 Mit der AGNS sollen sowohl die Strukturen der "Die Nationalen" als auch "unabhängige Kameradschaften" aus den ostdeutschen Bundesländern an die NPD angebunden werden, um deren Wahlparteienstatus optimal auszunutzen.

»Die NPD hat mittlerweile eine Magnet-Wirkung auf das nationale Lager«6 , kommentierte Parteichef Voigt den derzeitigen Erfolg der angestrebten Entwicklung zur Sammlungsorganisation mit Führungsanspruch. Beispielhaft hierfür ist der NPD-Landesverband Sachsen, der binnen weniger Monate zum Vorzeige-LV der NPD avanciert ist und seine Mitgliederzahl von 300 auf über 1.000 steigern konnte. Die Klüngeleien reichen dort bis hin zur rechtskonservativen "Deutschen Sozialen Union" (DSU), deren Stadtratsmitglieder in der Kreisstadt Wurzen NPD-Propaganda während der Stadtratssitzungen verteilt haben sollen. Bei den Dresdner "Freitagsgesprächen" sitzen beide Parteien in trauter Eintracht zusammen. Der »Kampfpartei« NPD geht es vorerst weniger um schnelle Wahlerfolge, als um den kontinuierlichen Aufbau tragfähiger Strukturen.

NPD-Reorganisation

Anfang 1998 ging eine neue -und für NPD-Verhältnisse ausgesprochen junge- Führungsmannschaft an die Parteiarbeit. Die spürbare Reorganisation der 15 Landesverbände mit ihren rund 250 Kreisverbänden war eine sichtbare Folge. Jüngeres Personal, eine neu strukturierte Bundesgeschäftsstelle, eine erneuerte Parteizeitung und ein neues Verlagswesen der "Deutschen Stimme" zeigten die neue Weichenstellung Richtung Modernisierung und Zukunftsfähigkeit.

Methodisch bedient sie sich einer Doppelstrategie: Eine von der Parteiführung dirigierte »nationale außerparlamentarische Opposition« (Napo) soll die Schnittstelle zum rekrutierbaren und mobilisierbaren Umfeld bilden und auch nach eventuellen Wahlerfolgen das Zusammenspiel zwischen »Bewegungs-« und Kaderebene gewährleisten. Somit wird eine Anbindung an die Partei ermöglicht, ohne daß man Mitglied werden muß. Dem »Bewegungs«-Umfeld - vor allem dem großen Potential in der rechten und neonazistischen Subkultur - wird eine maßgebliche Rolle zugedacht. Bereiten doch deren kulturelle »Hegemonie«- Ansätze vor Ort einen geradezu idealen Boden für Agitation, Strukturaufbau und eine gesamtgesellschaftliche Binnenwirkung.

Aufmärsche wie 1997 in München gegen die "Wehrmachtsausstellung" mit 5.000 Teilnehmern oder der NPD-Kongreß in Passau im Februar, die überwiegend von jugendlichen Neonaziskins geprägt waren, belegen die Integrationskraft der NPD gerade in diesen Kreisen. Voigt zieht selbstzufrieden Bilanz, daß unter den 1.640 Neueintritten im Jahre 1997 mehr als zwei Drittel jünger als 30 Jahre alt gewesen seien. Auch wenn Voigt zu Übertreibungen neigen sollte, der Trend ist offensichtlich.

Die neue Phase der JN-Konzeption

Als Bindeglied zwischen der Parteiführung und der neuen Neonazi-Generation fungiert mit den "Junge Nationaldemokraten" (JN) eine Jugendorganisation, die zum einen Schnupperkurse für Neueinsteigerinnen anbietet, ihren Schwerpunkt jedoch in der Heranbildung von Kadern setzt. Schützenhilfe kam dabei vor allem von ehemaligen Führungskadern der "Nationalistischen Front" (NF), die nach dem NF-Verbot 1992 in die Parteigliederungen der JN gewechselt waren. Die NF-Kader Jens Pühse und Steffen Hupka waren schon bald im Führungremium der NPD-Jugend tätig.

Während der JN-Bundesschulung 1996 in Thüringen referierte der ehemalige NF-Funktionär Steffen Hupka über das Kaderverständnis der JN, welches - wie aus einem internen Papier der JN hervorgeht - nahezu identisch mit dem der NF ist. »Neben der natürlichen Auslese, die Mitläufer von politischen Aktivisten trennt, braucht die Organisation geschulte und konstruktiv arbeitende Führungskräfte. Eine straff geführte Organisation, wie wir sie in unserem revolutionären Befreiungskampf brauchen, funktioniert aber nur dann, wenn das Gerüst dieses Personenzusammenschlusses auf einer natürlichen Hierarchie aufgebaut ist, wobei wir bei der Ein- und Unterordnung wären. Dieses hierarchische Verhaltensmodell ist deshalb nichts neues, sondern gerade für uns Nationalisten Grundvoraussetzung unserer gesamten nationalen Wertewelt.«7 Nicht nur die »Wertewelt« der verbotenen NF wurde kopiert, sondern auch deren organisatorische Gliederung: Mitgliedsanwärter müssen während ihrer sechsmonatigen Probezeit an den Grundschulungen teilnehmen, sie »haben (...) keine besonderen Rechte. Dagegen bestehen die Pflichten aus aktivem politischen Einsatz und aus der regelmäßigen Beitragszahlung«.7 Auf der Grundlage eines Stufenmodells, das dazu dient, »die Gesamtorganisation zu straffen und führbar zu machen«7 , dauert die Ausbildung zum vollwertigen JN-Kader etwa zwei Jahre. Einem elitären Menschenbild entsprechend habe sich der NPD-Jugendkader »durch seinen kontinuierlichen Einsatz (...), Ausdauer, Überlegung, Führungsqualität, Charakterstärke und Opferbereitschaft« zu beweisen.7 Propagiert wird dabei das Bild von einem durch den »legionären Geist« inspirierten »politischen Soldaten«. Als historisches Vorbild scheint Teilen der JN-Strategen dabei die SS zu dienen. Wie diese strebt sie an, die »disziplinierteste und revolutionärste Kampforganisation in Deutschland zu werden«.7

War die Rolle der JN in den letzten Jahren neben der Kaderausbildung darauf ausgerichtet, als Vorhut der NPD die Sammlungsbemühungen voranzutreiben, so tritt sie mit der weitgehenden Integration des NS-Spektrums in die NPD in eine neue Phase. Die bewährten JN-Kader übernehmen jetzt Ämter in der Mutterpartei. Udo Voigt, als ehemaliger Leiter des NPD/JN-Schulungszentrums im italienischen Iseo einst selbst für die Ausbildung des Nachwuchses zuständig, zeichnet für diesen Schritt verantwortlich. Ihm zufolge bedarf die NPD-Führung einer motivierenden Ergänzung und Auffrischung. Mit der Wahl von JN-Kadern wie Holger Apfel (JN-Bundesvorsitzender), Jürgen Distier (stellv. JN-Bundesvorsitzender), Klaus Beier, Steffen Hupka und Jens Pühse aus dem JN-Bundesvorstand in den NPD-Bundesvorstand wurde dem während des Bundesparteitag am 10./11. Januar 1998 im mecklenburgischen Stavenhagen Rechnung getragen.

Von der Wahlpartei- zur Kampfpartei- zur Wahlkampfpartei?

In der Vergangenheit scheiterten rechtsradikale und neofaschistische Parteien bei Wahlen zumeist an der Fünf-Prozent-Hürde, weil sie durch gleichzeitige Wahlantritte um dasselbe Wählerpotential konkurrierten. Beispielsweise fehlten der DVU 1997 bei der Hamburger Senatswahl gerade einmal 200 Stimmen für den Einzug ins Parlament, während die REPs 1,3 Prozent erhielten. Aufrufe zu gemeinsamen Wahlantritten und derartige Versuche gab es in der Vergangenheit regelmäßig, sie scheiterten jedoch meist an den wahltaktischen Überlegungen der als »gemäßigt« geltenden Rechten. Die für eine Einigung auf breiter Ebene nötige Zurückstellung der Führungsansprüche durch die verschiedenen Parteispitzen scheint nach wie vor undenkbar, wenn man von regionalen Ausnahmen wie dem »Bündnis Rechts« in Lübeck absieht. Gerade die NPD lehnt eine Zusammenarbeit mit den »gemäßigten« rechten Parteien ab und feiert sich selbst als »Speerspitze der nationalen Erneuerung«1 , obwohl sie als Wahlpartei immer noch im Null-Komma-Bereich liegt.

Ob sich letzteres in Zukunft ändern wird, hängt angesichts der fehlenden Einigung zwischen den verschiedenen Parteien davon ab, inwieweit es der NPD gelingt, neben der NS-Fraktion auch andere Spektren der extremen Rechten anzusprechen und zu integrieren. Zugute kommen wird ihr dabei der Zerfall der "Deutschen Liga", wie auch das Drängen auf eine Einigung an der Basis anderer Parteien, was sich in verschiedenen Initiativen niederschlägt.8 Dieses Drängen kann von den Parteiführungen kaum kontrolliert werden und hat unter Umständen zur Folge, daß sich enttäuschte Mitglieder abwenden und auf den Erfolgszug NPD aufspringen. Der wachsende Unmut an der Basis der REPs gegen den Abgrenzungskurs ihrer Bundesführung hat bereits Schritte in diese Richtung bewirkt: Im Mai vergangenen Jahres trat der Wartburg-Kreisverband der REPs geschlossen zur NPD über. Der ehemalige Vorsitzende des bayerischen REP-Landesverbands, Otmar Wallner, wirbt mittlerweile für die NPD und fungiert als Kronzeuge gegen den Abgrenzungskurs der REP-Bundesführung. Der ehemalige REP-Landesvorsitzende in Sachsen, Winfried Petzold, ist heute sächsischer Landesvorsitzender der NPD. Auch sein sächsischer NPD-Parteikamerad Jürgen Schön war zuvor bei den REPs organisiert. Diese Tendenz könnte sich angesichts eines kaum zu erwartenden Erfolges der REPs bei der kommenden Bundestagswahl verstärken.

Mit ihrer flächendeckenden Struktur, dem verjüngten und gut geschulten Führungskaderstamm, dem nicht zu unterschätzenden Umfeld und der hohen Anzahl von aktiven Parteimitgliedern besonders in Ostdeutschland müssen der NPD letztendlich die besten Aufstiegschancen unter den Rechtsaußenparteien eingeräumt werden. Wenn es ihr gelingen sollte, den momentanen Aufschwung zu halten oder gar zu steigern, wäre ein schrittweises Etablieren als neofaschistisch-populistische Wahlpartei denkbar. Die dafür nötige, zumindest teilweise Abkehr vom offenen NS-Kurs könnte allerdings zum innerparteilichen Konfliktherd werden.

Wirtschaft und Soziales im Zeichen der arischen Volksgemeinschaft

Die Perspektiven der NPD als Wahlpartei werden maßgeblich von ihren Standpunkten zur Wirtschafts- und Sozialpolitik abhängig sein. Dementsprechend ist die Partei in diesen Bereichen um Profilierung bemüht. Populistisch und Besitzstandsängste schüren wollend, trägt sie im Wahljahr '98 das altbekannte rassistische Strickmuster von den »deutschen Arbeitsplätzen für Deutsche« vor sich her. Gebetsmühlenhaft fordert sie eine »Sonderrückführsteuer« für »Betriebe, die ausländische Arbeitnehmer beschäftigen«9 , »protektionistische Maßnahmen [wie] Sonderzölle«1 oder die Ablehnung der »Globalisierung der deutschen Wirtschaft"10 . Auf der Grundlage nationalsozialistischer Wirtschaftskonzeptionen kommt sie zum »Gesellschaftsmodell« der arischen Volksgemeinschaft.

Vorgeschoben werden dem scheinbar antikapitalistische Positionen, die sich bei genauem Betrachten schnell als Worthülsen neofaschistischer Agitation entlarven. »Wir müssen es schaffen, daß die deutschen Arbeiter zu unseren Kundgebungen kommen«11 benannte Parteichef Voigt in seiner Rede während des Kongresses in Passau die Adressaten der Wirtschafts-»Politik«.

Eckpunkte der NPD-Modelle für den »Standort Deutschland« lassen sich mit einer nationalstaatlich gelenkten Ökonomie, frühkapitalistischen Betriebs-und Ausbeutungsverhältnissen, sowie agrargeprägten Lebensräumen zusammenfassen. So sei etwa »eine Sozialpolitik nach dem Traumbild«12 des Wohlfahrtsstaates unsozial, und die »unternehmerische Freiheit«13 das Ziel nationaldemokratischer Wirtschaftspolitik. Deren ideologische Hintergründe wurden 1997 als Grundsatzartikel in der NPD-Parteizeitung "Deutsche Stimme" (DS) unter der Überschrift »Das 'Gesetz der komparatiblen Kostenvorteile' als Alibi für die Globalisierung der Wirtschaft« 14 publiziert. Der Autor Per Lennart Aae15 aus dem NPD-Parteipräsidium wirft hierin die Frage auf, ob »die Spezialisierung der Volkswirtschaft (...) in Kauf genommen werden«14 müsse, »wenn dadurch das Land denaturiert, die Bevölkerung kulturell und strukturell degeneriert und der soziale Friede zerstört«14 würde. Die realen Gegebenheiten einer modernen Gesellschaft ignorierend vertritt er die Position, daß die »Völker und Siedlungsräume« im organischen, biologischen-kulturellen und systemtheoretischen Sinne erhalten werden müßten. Das heißt nichts anderes, als daß die Voraussetzungen für eine Wirtschafts- und Sozialpolitik nach den Vorstellungen Aaes auf völkischen, rassistischen Gesellschaftsmodellen beruhen. Dementsprechend fordert er eine »raumorientierte nationale Volkswirtschaftsordnung«.

Die geistigen Väter der Terminologie Aaes traten in dem von ihm geleiteten »wirtschaftspolitischen Forum« am 7. Februar in Passau auf. Hier traf Aae u.a. auf Albert Lämmel und Michael Nier. Die wesentlichen Unterstützer seiner Linie waren hier der Hamburger Reinhold Oberlercher und Herbert Schweiger aus Österreich. Oberlercher, ein ehemaliger APO-Aktivist, befürwortet mittels sich intellektuell gebärdender Rhetorik einen bäuerlichen Ständestaat, der auf den rassistisch definierten »Wurzeln« eines Volkes stehen solle. Schweiger wurde in Österreich für sein Buch »Evolution und Wissen - Neuordnung der Politik« erst kürzlich wegen nationalsozialistischer Wiederbetätigung zu einer Haftstrafe von 15 Monaten verurteilt.

An Deutlichkeit läßt auch er, der ehemalige Berater und Ideologe für die Führungsriege der verbotenen "Nationalistischen Front", es nicht mangeln: So könne »die Neuordnung der Wirtschaftspolitik nur vom Gesichtspunkt des organisch gewachsenen Volksganzen erfolgen«.16 Das »Volk« wird dabei durch eine Bluts- und Genverwandschaft definiert. Im Resultat fordert er »eine Lebensordnung, welche die geografisch bedingte Entwicklung von Mensch, Tier und Pflanze als organisch gewachsene Arten anerkennt«. Rassismus und Apartheid sind die Grundsätze, auf denen Schweigers wirtschafts- und sozialpolitische Konzepte fußen. Diese finden sich im 1997 neu erschienen Parteiprogramm der NPD wieder. Die Handschrift Schweigers oder zumindest seine geistige Urheberschaft zieht sich wie ein brauner Faden durch die programmatischen Erklärungen der Partei.

Resümee

Die deutsche NS-Bewegung befand sich in den vergangenen Jahren in einer Übergangs- und Umstrukturierungsphase. Organisationsmodelle, die von terroristischen Kleingruppen über scheinbar unabhängig agierende "Kameradschaften" und subkulturelle NS-Vereinigungen, bis hin zu parteiorientierten Zusammenschlüssen reichten, treten zunehmend in den Hintergrund.

Aktuell ist die Lage durch eine Konsolidierungs- und Formierungsphase gekennzeichnet, in der sich bestehende Strukturen in das gemeinsame Projekt NPD eingliedern. Die Partei verspricht den Gescheiterten wie den Emporkömmlingen einen Neuaufbruch und nachfolgend fette Jahre. Ihre Mitgliederzahl von aktuell gut 4.000 kann dabei nicht mit den 28.000 verglichen werden, die die NPD Ende der sechziger Jahre hatte, stützte sich die »alte« NPD doch vor allem auf radikale Vertriebene und nostalgische Altnazis. Ihr heutiger Mitgliederstamm - das Klientel von Passau zeigt es deutlich - besteht vor allem aus der jungen Generation der Neonazis. Dies wird auch NPD-intern als notwendiger Übergang von der "Erlebnisgeneration zur Bekenntnisgeneration" entsprechend forciert. Angesichts der Tatsache, daß die bislang größte Neonaziorganisation der letzten Jahrzehnte, die 1992 verbotene "Deutsche Alternative" (DA), in ihrer Hochzeit etwa 1.200 Mitglieder aufzuweisen hatte, muß dies nicht nur als quantitativer und qualitativer Sprung, sondern auch als Novum gesehen werden: Das NS-Spektrum sammelt sich in einer Organisation, der einigenden Partei.

Ebenfalls neu an der heutigen NPD ist ihre Integrationsfähigkeit. Ihr ist es gelungen, sich Teilen der neofaschistischen Subkultur als deren politischer Arm anzudienen und diese teilweise sogar schon auf Parteilinie zu bringen. So stammt der NPD-Kader Sascha Wagner aus der rechten Skinhead-Subkultur. Die scheinbar widerspruchslose Verknüpfung von Erlebniswelt und politischer Schulung sowie die von den Hintergrundfiguren des NS-Spektrums zugesicherte Rückendeckung lassen mancherorts eine gefährliche Dynamik entstehen.

Entscheidend für die weitere Entwicklung wird nicht nur sein, ob es der NPD gelingt, die verschiedenen Fraktionen des NS-Spektrums zusammenzuhalten, sondern auch, ob sie es schafft, andere Teile der extremen Rechten zu integrieren. Die dann entstehende Mischung in der Partei wäre zwar höchst gefährlich, aber auch so unterschiedlich, daß sie über dann mögliche Wahlerfolge hinaus wohl nur schwerlich zusammenzuhalten sein wird. Um den Aufschwung zu halten, der die Partei derzeit nach vorne bringt und ihr den Rücken für den Parteiaufbau und -ausbau freihält, muß sie (ständig) Erfolge vorweisen. Das bedeutet einerseits, daß sie weiterhin Gemeinschaftserlebnisse wie Großveranstaltungen und Aufmärsche bieten und die bisherigen Größenordnungen der Mobilisierungen steigern muß. Ob ihr das gelingt, wird der 1. Mai in Leipzig zeigen.

Andererseits wird einiges davon abhängen, ob die Partei ihre Wahlziele erreichen kann: Konkret anvisiert sind 0,5 Prozent bei der Bundestagswahl in diesem Jahr, für die die NPD eine flächendeckende Kandidatur angekündigt hat. Mit der daraus resultierenden Wahlkampfkostenrückerstattung sollen die kommenden Wahlkämpfe finanziert werden. Auf einen Erfolg in Form des Sprungs über die Fünf-Prozent-Hürde setzt die Partei dann bei der Kommunalwahl im kommenden Jahr in Sachsen, wo sie ihren stärksten Landesverband hat. Hätte sie Erfolg dürfte bald ein Konkurrenzkampf um Posten, Jobs und Geld einsetzen.

Daß das Zusammenspiel der verschiedenen strategischen wie auch ideologischen Ansätze in und um die NPD durchaus Widersprüche in sich birgt, geht in der momentanen Euphorie unter bzw. wird zurückgestellt und teilweise auch unterdrückt. Diese Widersprüche werden jedoch relevant, wenn in das zur Zeit wie geschmiert laufende Räderwerk eine Phase des Stillstandes einkehrt, der Aufschwung abebbt und die ersten Rückschläge verkraftet werden müssen.

Dann erst wird sich zeigen, ob es der NPD gelungen ist, tragfähige Strukturen aufzubauen, die einen langfristigen Erfolg sichern. Es wäre nicht das erste Mal, daß eine Partei auf Erfolgskurs so schnell wieder im braunen Sumpf verschwindet, wie sie aus ihm emporkam.

  • 1a1b1cUdo Voigt in Deutsche Stimme, Ausgabe 6/97, Juni 97, Stuttgart, S.3
  • 2Holger Apfel auf der Pressekonferenz während des NPD-Kongresses am 7. Februar '98 in Passau
  • 3Günter Deckert in Deutsche Stimme, Ausgabe 10+11/94
  • 4Rundschreiben Schwerdt vom 26.2.1998
  • 5a5b5cInternet-Ausgabe der Berlin-Brandenburger Zeitung (BBZ) vom 19.2.1998
  • 6Udo Voigt auf der Pressekonferenz während des NPD-Kongresses am 7. Februar '98 in Passau
  • 7a7b7c7d7eOrganisationsinternes Schreiben der Jungen Nationaldemokraten
  • 8In regionalen Koordinierungsgesprächen, sogenannten "Runden Tischen", wurde ab 1995 über Perspektiven einer Sammlung des Rechtsaußen-Spektrums diskutiert. Unterstützung finden die Sammlungsansätze bei einem Kreis führender Personen des ultra-rechten bis neofaschistischen Spektrums, die parteiungebunden über den Fraktionsgräben stehen: Fast zu jeder erdenklichen Gelegenheit tingeln der ehemalige REP-Vorsitzende Franz Schönhuber, der ehemalige "Deutsche Liga"-Chef Harald Neubauer, der Herausgeber der Publikation "Europa Vorn", Manfred Rouhs, und Alred Mechtersheimer vom "Friedenskomitee 2000" auf "Einigungs-Promotiontour" zu Veranstaltungen der verschiedenen braunen Wahlparteien.
  • 9NPD-Flugblatt »Erst der Euro, dann die Pleite«, 1997
  • 10NPD-Bundesvorstand (Hrsg.): Parteiprogramm der NPD, Stuttgart, September 1997, S.6
  • 11Udo Voigt in seiner Rede während des NPD-Kongresses am 7. Februar '98 in Passau
  • 12NPD-Wahlprogramm 1998, S.2
  • 13NPD-Bundesvorstand (Hrsg.): Parteiprogramm der NPD, Stuttgart, September 1997, S.S
  • 14a14b14cDeutsche Stimme, Ausgabe 6/97, Juni 97, Stuttgart, S.6-7
  • 15Aae ist Mitglied des NPD-Bundesvorstands und Leiter der NPD-Rechtsabteilung
  • 16Herbert Schweiger: »Evolution und Wissen - Neuordnung der Politik«, 1995, S.425