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Antikapitalismus von Rechts?

Felix J. Körner
Einleitung

Im Frühjahr beginnt eine bundesweite Antikapitalismus-Kampagne von Neonazis. Das Thema stößt in der rechten Szene auf vermehrtes Interesse. Nur ein Randphänomen, die Folge der Kopie ­linker Konzepte?

Die neonazistische Antikapitalismus-Kampagne verspricht »umfangreiche Kapitalismuskritik aus nationaler Sicht«

»Kapitalistische Normalitäten angreifen! Alternativen schaffen!« – Parolen, die ihren Platz auf jedem linken Transparent finden könnten. Doch diese Initiative geht von Neonazis aus: Unter dem Motto »Freie Menschen statt freie Märkte« beginnt im April eine »deutschlandweite Antikapitalismus-Kampagne«, flankiert von einer Auftaktdemonstration in der thüringischen Kleinstadt Arnstadt. Initiatorin ist das Spektrum um das »Nationale und Soziale Aktionsbündnis Mitteldeutschlands« (NSAM). Die aktuelle Kampagne wird unterstützt von bekannten Kadern des extrem rechten Spektrums, etwa durch den Jenaer Ralf Wohlleben, den stellvertretenden NPD-Landesvorsitzender in Thüringen aus dem Umfeld des »Nationalen Widerstandes Jena« und des »Thüringer Heimatschutzes«, und Sebastian Richter (»Freie Aktivisten Hoyerswerda«, »Lausitzer Infoportal«, »Mitteldeutsche Jugendzeitung« u.v.m.)

»Freie Nationalisten« aus der Lausitz sorgten bereits für eine eigene Broschüre und organisieren zur Zeit eine Schulung, die »Führungsaktivisten […] ein fundiertes Grundwissen vermitteln soll«. Thomas Gerlach (alias »Ace«) aus Altenburg, Organisationsleiter des Kampfbundes Deutscher Sozialisten (KDS), verspricht, die Kampagne beinhalte eine »umfangreiche Kapitalismuskritik aus nationaler Sicht«.

»Worum es geht«

Oft wird das Thema »Antikapitalismus von rechts« subsumiert unter rechte Demagogie, wird angesehen als Propagandatrick oder als Resultat der Kopie linker Konzepte – zu Unrecht. Denn bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass die Selbstverortung als »Systemfeinde« zum extrem rechten Selbstverständnis, eine aggressive Revolutionsrhetorik und das Reden vom »nationalen Sozialismus« zum Repertoire moderner Neonazi-Identität gehören.

Dies beginnt bereits in der Programmatik der NPD. In deren »Aktionsprogramm« heißt es beispielsweise: »Die Realität der BRD spiegelt […] die Folgen der Herrschaft des Kapitals und der Spekulanten wider« und »die Zerstörung jeglicher Gemeinschaft liegt ebenfalls im Interesse des Kapitals. […] So werden kritiklose Konsumenten geschaffen, die sich bereitwillig ‚den Gesetzen des Marktes’ unterwerfen.« Die Jungen Nationaldemokraten schrieben in »Nationalismus heißt Kapitalismuskritik«: »Die Entwicklung einer radikalen Kapitalismuskritik ist eine Aufgabe, welcher wir uns stellen müssen […]«

Auch im Kameradschaftsspektrum sind derlei Tendenzen nachweisbar. Indizien sind etwa die Besetzung von Terminen wie dem 1. Mai, das Auftreten auf Montagsdemonstrationen, das Anknüpfen an die »soziale Frage« und Parolen vom »nationalen Sozialismus«. »Antikapitalismus« ist in, auch und ganz besonders in der extremen Rechten.

Ideologische Kontinuität

Der Antikapitalismus von rechts hat Tradition. Die Thematisierung der »sozialen Frage« war seit Ende des 19. Jahrhunderts Bestandteil der Agitation gegen die Moderne und die Umwälzung der als »natürlich« empfundenen feudalen Ordnung. Kapitalismus und seine Folgen galten in diesem Kontext als Symptome kulturellen Verfalls. Dieses Motiv findet sich auch bei den Anhängern der Konservativen Revolution während der Weimarer Republik, die eine revolutionäre »nationalistische Erhebung« zur Schaffung einer »neuen abendländischen Einheit unter deutscher Führung« forderten. Ihr autoritäres Gegenbild von Staat und Gesellschaft wurde abwechselnd bezeichnet als »wahrhafter«, »preußischer« oder auch »deutscher Sozialismus«, womit man sich zugleich in einer revolutionären Tradition wähnte, als auch gegen den Marxismus und die Sozialdemokratie abgrenzte.

Die NSDAP führte dieses Muster mit ihrer Eigenbezeichnung fort, vor allem der »linke« Flügel der NSDAP um die Strasser-Brüder: Der 1930 aus der NSDAP ausgeschlossene Otto Strasser gründete im gleichen Jahr die »Kampfgemeinschaft revolutionärer Nationalsozialisten« (später »Schwarze Front«), die »sozialistische Kräfte« innerhalb wie außerhalb der NSDAP, Kommunisten eingeschlossen, sammeln sollte. Zwar blieb die Schwarze Front mit ihren höchstens 5000 Mitgliedern recht unbedeutend, ihre ideologischen Ansätze fanden ihren Widerpart jedoch in Teilen der SA (»Zweite Revolution«) und der »Nationalsozialistischen Betriebszellenorganisation« (NSBO). Der »Strasserianismus« ist heute Stichwortgeber für »nationalrevolutionäre« Anhänger des »Dritten Weges« und Protagonisten der Querfront, die von ihrer eigenen Klientel mithin als »Nationalbolschewisten« tituliert werden.

Die Praxis der NSDAP wiederum blieb stets hinter ihrem eigenen Verbalradikalismus zurück. Zwar fand die von Gottfried Feder (wirtschaftspolitischer Sprecher der Partei) geprägte Floskel von der »Brechung der Zinsknechtschaft« Eingang in das 25-Punkte-Programm von 1920. An die Macht kam die Partei per Wahl, weil sie in einer Krisenzeit glaubhaft machen konnte, mit einem nationalistischen Programm eine politische und wirtschaftliche Krise überwinden und den Status quo retten zu können – und nicht mittels Revolution.

So auch die Realpolitik: Zwar blieb das Verhältnis des Nationalsozialismus zu den Eliten der Wirtschaft stets ein ambivalentes, doch durch »Arisierungen«, Staatsinvestitionen, Rüstungsproduktion, Zwangsarbeit und einen gewaltsam vergrößerten Binnenmarkt konnte ökonomisch profitiert werden – der Zweck kapitalistischer Produktion bestand fort. In einer 1935 erschienenen NS-Lehrschrift kam das offenbare Missverhältnis zwischen eigener Ideologie und praktizierter Politik zum Ausdruck: so heißt es zunächst, der NS »erkennt das Privateigentum grundsätzlich an, und stellt es unter staatlichen Schutz«, um mit dem Hinweis zu schließen, der NS stünde »in schärfster Opposition zu der heutigen Welt des Kapitalismus«. Man erklärt sich für antikapitalistisch, obwohl grundsätzliche Merkmale des Antikapitalismus, etwa die Eigentumsordnung, verteidigt werden und de facto ein staatlich gelenkter Kapitalismus praktiziert wird.

Antikapitalistische Positionen von rechts

Möglich ist dies nur, indem man sich eine ideologisch passende, selektive Kritik am Kapitalismus zurecht legt. Zwar existiert keine durchgängige Argumentation, aber es lassen sich einige wiederkehrende Motive herausstellen, die charakteristisch für die antikapitalistische Agitation von rechts sind:

1. Kapitalismus als kulturelles Phänomen: Kapitalismus wird nicht als ökonomisches System begriffen, das existent ist durch eine spezielle Produktionsweise, sondern als Denkweise oder Weltanschauung. Deren Essenz sei es, dass sie »materialistisch« sei, und es ihren »Anhängern« nur darum gehe, zu Gunsten materieller Ziele die bisherige »natürliche« Kultur zu zerstören.

2. Zinsknechtschaft: Als das Kritikable am Kapitalismus gilt »der Zins«, der den Profit erst möglich mache, indem er Geld in »mehr Geld« verwandle. Diese Erklärung ist ökonomisch falsch, macht es aber möglich, statt den Kapitalismus als abstraktes gesellschaftliches Verhältnis zu kritisieren, einen konkreten Gegenstand (und konkret Handelnde) vorzuführen.

3. Raffendes und schaffendes Kapital: Die rechte Kapitalismuskritik formuliert irrsinnigerweise keine Kritik an einer Grundkategorie des Kapitalismus, dem Kapital. Stattdessen wird nur bestimmtes Kapital kritisiert: das ausländische Kapital beispielsweise in Form »multinationaler Konzerne«. Diese heiße es daher zu bekämpfen, natürlich zu Gunsten des eigenen, »nationalen«, »schaffenden« Kapitals«.

4. Gegen Globalisierung: Der Kapitalismus sei »internationalistisch« und »raumlos«, zersetze also die »natürlichen« Grenzen. Daher müssten die eigene Volkswirtschaft und ein »gesunder Mittelstand« gefördert werden.

Auf den Punkt gebracht ist der rechte Antikapitalismus von einem Hauptwiderspruch geprägt: Einerseits wird die eigene Nation gegen den Kapitalismus stark gemacht, andererseits sind Nationalstaaten Resultat bürgerlich-kapitalistischer Entwicklung. Daher geht es auch nicht gegen »den Kapitalismus«, sondern einige seiner Spielregeln (Zins), seinen Modus (es geht um Handelsvorteile) und seine Begleitumstände (es gebe »Gewinner« und »Verlierer«), nicht aber den Zweck selber (Kapitalakkumulation). Es geht, im Gegenteil, darum, mehr rauszuschlagen für deutsche Interessen. Globalisierung ja, aber zu deutschen Konditionen.

Ausblick

Antikapitalismus von rechts ist Demagogie, jedoch kein »Trick« und keine reine »Propagandamasche«. Nach rationaler Maßgabe bemessen ist die oben exemplarisch aufgeführte Argumentation zwar unsinnig – in ihrer eigenen, nationalistischen Sicht aber folgerichtig. Neonazis stellen die soziale Frage, aber sie geben eine nationale Antwort. Hierauf baut ihr langfristig wirksamer Erfolg: durch die Konstruktion simpler Zusammenhänge, die dem Alltagsbewusstsein eher entsprechen als eine tatsächliche Kritik am Kapitalismus. Weil diese Thematik für die Neonazis von gewisser Relevanz und ein beständiges Argumentationsmuster ist – angewandt, wenn eine Selbstlegitimation verlangt oder nach einer Begründung für Denkmodelle wie Antisemitismus und Antiamerikanismus gesucht wird –, gilt es, sich damit auseinanderzusetzen, die fehlerhafte Argumentation zu erkennen und sie sich nicht selbst zu eigen zu machen.