»Globalisierungsbrei«
Wie bereits andere soziale Bewegungen zuvor haben sich auch die Anti-Globalisierungs- und Friedensbewegung mit Neonazis bei den eigenen Aktionen auseinander zusetzen. Diese profitieren natürlich einerseits von dem oberflächlichen Konsens der Bewegung, der sich all zu oft mit den plakativen Schlagworten Krieg, Globalisierung und USA zusammenfassen lässt. Andererseits versuchen neonazistische Kräfte im Sog der sozialen Bewegungen öffentlichkeitswirksame Aktionen durchzuführen. Getreu der alten Kühnen-Devise »Auch negative Werbung ist Werbung« machte zum Beispiel die NPD am Rande der Friedensdemonstration im Oktober vergangenen Jahres auf sich aufmerksam, als einige ihrer Aktivisten ein Transparent am Französischen Dom in Berlin anbrachten.
Die extreme Rechte in Deutschland verknüpfte in den vergangenen Jahren fast alle ihre (alten) Positionen mit der sozialen Frage und dem Thema Globalisierung. Somit erscheinen diese modern. Für diesen Beitrag ist weniger die Globalisierungsanalyse selbst interessant,1 sondern vielmehr die damit verknüpften Argumentationen und daraus resultierenden Forderungen. Ähnlich der Thematisierung der »sozialen Frage« dient Globalisierung als Plattform für Antisemitismus, Rassismus, Antiamerikanismus und (vermeintlichen) Antikapitalismus. Letzterer kommt unter dem Namen »raumorientierte Wirtschaftsordnung« daher und propagiert eine völkisch durchsetzte Wirtschaftstheorie. »Gemeinnutz soll vor Eigennutz gehen« ist zu lesen, aber auch, dass die »Zinsknechtschaft« gebrochen werden solle.2
Exakt das selbe formulierte bereits 1920 die NSDAP in ihrem 25-Punkte-Programm, dem »Grundgesetz der nationalsozialistischen Bewegung schlechthin« (Michael Kühnen). Als Leitgedanken stellt die extreme Rechte der Globalisierung den Nationalismus entgegen. Ein »homogenes, einiges Volk« sei der größte Feind der transnationalen Konzernen. »Deshalb trachtet das internationale Grosskapital danach, durch Masseneinwanderung und ethnische Vermischungsprozesse homogene Völker nach Kräften aufzulösen.«3 Fast selbstverständlich sei, dass vor allem Menschen aus anderen Kulturkreisen (Osteuropa, arabischer Raum) einwandern. So kurz ist der Weg von Globalisierungskritik zu völkischem Rassismus. Und ausgelebt wird dieser unter dem Stichwort »Vielfalt der Völker erhalten« in allen (altbekannten) Facetten. So bezeichnet die NPD ihre Positionen als »Ethnopluralismus«, welcher vermeintlich das Selbstbestimmungsrecht der Völker forciere.4
Unterlegt sind die Argumentationen u.a. durch die Gleichsetzung beim Territorialverhalten von Menschen und Tieren. Da kann ohne Anstrengungen auch der vermeintliche Menschen und Tierrechtsexperte Holger Schleip (Birkenfeld/BW) mithalten. Der frühere Amnesty-International-Aktivist beklagte die Minderung des Tier- und Pflanzenartenreichtums und die biologische Verarmung der Menschheit im Zuge der Globalisierung.5 Unterfüttert ist dieser völkische Rassismus mit einem Wohlstandsdenken, das EinwanderInnen als Konkurrenten auf dem Arbeitsmarkt beschreibt. Die NPD-Parole »Arbeitsplätze zuerst für Deutsche«6 belegt dies. Antisemitisch wird es u.a. bei der Beschreibung der transnationalen Konzerne. Diese seien allmächtig, konspirativ organisiert und überhaupt gesichtslos. Wird das völkische Konstrukt einer »Auflösung der Völkervielfalt durch Einwanderung« vor allem als Bedrohung von unten wahrgenommen, beschreibt die extreme Rechte den Einfluss transnationaler Konzerne in den Lebensalltag des »des kleinen Mannes« vor allem als Bedrohung von oben.
Die Früchte der »ehrlichen Arbeit« des weißen Arbeitnehmers würden durch das »raffende Kapital«7 zunichte gemacht. Da das gesichtslose, nicht greifbare »Böse« den gesamten Lebensalltag unterwandert hätte, benötigt es Projektionsflächen, um diese Bedrohung sichtbar zu machen. Das eingestürzte World-Trade-Center »stand in seiner Symbolik auch für ein imaginiertes Zentrum einer Verschwörung des Finanzkapitals«8 . Derlei antisemitische Verschwörungstheorien sind im Begriff »amerikanische Ostküste« komprimiert. Genau diese verteufelte der NPD-Anwalt Horst Mahler in seiner Rede am 1. Mai in Göttingen. Der gerechtfertigte, breite Widerstand gegen Kriege (für Frieden) und gegen soziale Ungerechtigkeiten bietet gegenwärtig viel zu viele offene Flanken für derartige Argumentationen von ganz Rechts.
In den vergangenen Monaten sind verschiedene, unabhängig voneinander stattfindende und sehr komplexe Prozesse zu einem Brei vermengt worden. Da wurden wirtschaftliche Globalisierungsprozesse, Abbau von sozialen Regulierungsmechanismen, Kriege für Frieden etc. in eine Topf geschmissen, kräftig umgerührt und mit dem Israel-Palästina-Konflikt garniert. Dieser Ansatz ist falsch und lädt durch ungenaue Analysen, personifizierte Feindbilder, Verallgemeinerungen, Verkürzungen und oberflächliche Erklärungen die extreme Rechte quasi ein Umgedreht sucht die extreme Rechte – das ist altbekannt – natürlich genau diese Schnittstellen, um andocken zu können. »Ein zu denken gebendes Experiment« nannte bereits vor elf Jahren die Zeitschrift Einheit+Kampf9 die Aktion einiger Neonazis bei einer Friedensdemo gegen den Golfkrieg. »Wir produzierten ein Flugblatt, das ohne Kompromiß den imperialistischen Massenmord am Golf aus nationalistischer Sicht erklärte, den bzw. die Hauptfeinde aufzeigte und Konsequenzen zog«.
Die Neonazis verzichteten auf jegliche Organisationsbezeichnung auf dem Flugblatt und wurden laut Eigenbekunden alle Exemplare ohne Probleme los. Eine der dokumentierten Erkenntnisse in dem Beitrag dürfte heute aktueller denn je sein: »‘Gefährliche‘ Begriffe wie Nationalist, zionistisch oder deutsch wurden von Menschen BEDENKENLOS geschluckt, die sonst bei genau den gleichen Begriffen ausgerastet wären«.10 Diese »gleichen Begriffe« treffen gerade die Linke auf einem falschen Fuß. War vor Jahrzehnten beim Skandieren von platten (Antikriegs-) Parolen schon noch klar, dass die Kritik von Links kam, muss heute zweimal hingeschaut werden. Ein Blick auf die Großdemonstrationen am 21./22. Mai 2002 in Berlin zeigt das Beschriebene exemplarisch. Die von der »Achse des Friedens« veröffentlichte Erklärung beinhaltet ausschließlich Kritik am Afghanistan-Krieg, dem Einsatz deutscher Truppen im Ausland sowie den amerikanischen Rüstungsausgaben und fordert die Nutzung von Rüstungsgeldern zur Linderung der Armut.
Das ist gut, aber zu wenig, um sich von der extremen Rechten abgrenzen zu können. Auch die argumentiert gegen den Krieg und den Einsatz deutscher Truppen im Ausland, und die USA ist sowieso eines der beliebtesten Feindbilder. Nicht zuletzt gibt sich auch die extreme Rechte als Interessensvertretung zur Linderung der Armut aus – aber bitte nur für »Blutsdeutsche«. Vermutlich wurde dies nach den Mobilisierungsaufrufen aus Neonazi-Kreisen zur »Achse des Friedens«-Demo auch deren Organisatoren bewusst. In einer Presseerklärung vom 6. Mai teilte das Friedensbündnis mit, dass man »gegen Chauvinismus, Rassismus und Antisemitismus« demonstrieren wolle und erklärte rechte Kräfte für unerwünscht. Diese Presseerklärung zeigt einen einfachen, aber politisch wichtigen Schritt auf. Warum nicht gleich so? Es genügt nicht mehr, einen Aspekt des Themenkomplexes Globalisierung aufzugreifen, zu analysieren und zu kritisieren. Erst die Verknüpfung der Globalisierungskritik mit antirassistischen u.ä. Positionen schafft eine dauerhafte Abgrenzung nach Rechts. Denn die Propaganda rechter Globalisierungsgegner ist um so erfolgreicher, je oberflächlicher und plakativer unsere Argumente sind.
Eines der peinlichsten Beispiele für das Aufspringen auf den Anti-Globalisierungszug bieten unbestritten die Jungen Nationaldemokraten im Internet. Die strukturell und ideologisch zur Bedeutungslosigkeit tendierende Jugendorganisation der NPD betreut dort eine eigene »Informationsplattform zum Thema Globalisierung«. Der Domain-Name www.gegen-globalisierung.de11
ist gut gewählt, garantiert er doch eine sehr gute Platzierung in einzelnen Suchmaschinen. Auf der Startseite sind zwei Jugendliche zu sehen die Steine aufheben und auf einen Panzer werfen. Außerdem ist dort ein Aufruf gegen Globalisierung belgischer Neonazis dokumentiert.12
Verkauft wird das Ganze dann als europäische »Nationalisten gegen Globalisierung«. Höhepunkt sind aber sicherlich die neun angegebenen Links, wo der interessierte Nutzer weitere Infos zur Globalisierung finden soll. Jegliche Versuche, die Texte der NPD-Zeitung Deutsche Stimme zu lesen scheiterten, da es diese Seiten einfach nicht mehr gibt. Wählte man den Link auf die Themenseite der Frankfurter Rundschau, dann fand man dort auch wirklich ein sehr ausführliches Dossier...zum Anschlag im tunesischen Djerba. Zwei Links funktionieren dann auch wirklich, wobei der interessierte Nutzer u.a. erfährt, dass aktive AntifaschistInnen im November 2000 in Mailand eine Neonazikundgebung mit JN-Beteiligung massiv behinderten. Zu diesen ganzen Peinlichkeiten, passen schlussendlich auch die beiden Steine werfenden Jugendlichen von der Startseite. Dieses Motiv hat nämlich nichts mit Globalisierung zu tun, sondern ist ein beliebtes Symbol für den Arbeiteraufstand am 17.Juni 1953 in der DDR.
- 1Hierfür wird auf alle zugänglichen Quellen, egal aus welcher politischen Richtung, zurückgegriffen.
- 2Ausführlich zur »sozialen Frage«: Antifaschistisches Infoblatt Nr.46, 1999, S.10-13: Der reaktionäre Mittelstand schimpft. Zur wirtschafts- und sozialpolitischen Programmatik der NPD
- 3Opposition, Nr.6, 2001, S. 45: Stoppt die Globalisierer!, von Jürgen Gansel. Dieser Beitrag hat beispielhaften Charakter.
- 4Bspw. Deutsche Stimme, Nr.6, 2002, S.20: Besuch bei treuen Vasallen: Bush fordert Unterwerfung, von Martin Laus.
- 5Opposition, Nr.6, 2000, S.40f.: Wenn es nur noch Inländer gibt, von Holger Schleip.
- 6Dass das Arbeitsverbot faktisch seit Jahren gesetzlich festgelegt ist, wird dabei beflissentlich übersehen
- 7Z.B.: Deutsche Stimme, Nr.5, 2002, S.1: Zur Unterscheidung raffendes und schaffendes Kapital s.a. AIB 56, S.10, »Verkürzter Antikapitalismus«
- 8Boris Kanzleitner und Dario Azzelini für felS, in: Bildungswerk der Heinrich Böll Stiftung (Hg.): Kapitalismus & Protest, Berlin 2001, S.6.
- 9Inzwischen eingestellte Zeitschrift der Jungen Nationaldemokraten.
- 10Einheit+Kampf, Nr.4, 1991, S.27: Ein zu denken gebendes Experiment.
- 11Angemeldet von Marco Fässler beim Wiking-Computer-Service von Siegfried Birl (Geisselhöring).
- 12Weitergeleitet wird man auf eine Homepage, die von der Vlaams Jongeren (Flämische Jugend) aus Mechelen angemeldet ist. Deren Internetseite ist ebenfalls sehr unaktuell.