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Verkürzter Antikapitalismus in der Globalisierungskritik

Einleitung

Hinter den spektakulären Aktionen der Anti-Globalisierungsbewegung droht die Auseinandersetzung um die Inhalte des »neuen Antikapitalismus« zu verschwinden. Insbesondere die Hoffnung, nationalstaatliche (Sozial-)Politik könne ein Gegengewicht zu den globalisierten Finanzmärkten bilden, erweist sich jedoch als Bumerang für emanzipative Absichten. Nicht umsonst bekommt die Globalisierungskritik auch Beifall von der falschen Seite.

»Achtung! Bush kommt!« so lautet die Überschrift eines Plakates, das gegen das Treffen des Amerikanischen Präsidenten George W. Bush mit Bundeskanzler Gerhard Schröder im Mai in Berlin mobilisierte. Darunter das Bild vom Zylinder tragenden Uncle Sam, an dessen Zeigefinger die Erde, dargestellt als Jojo, hängt. Die Bedeutung ist klar: Die Welt als der Spielball des bösen Amerikaners. Versatzstücke der traditionell antiimperialistischen Ideologie der Neuen Linken mit ihren nationalistischen Untertönen haben aktuell vor allem im Mainstream des linken Anti-Neoliberalismus- und Globalisierungsdiskurses ihren festen Platz. Hier wie dort wird der Kapitalismus weitgehend mit einer Wirtschaftsform identifiziert, die im Interesse der privaten Aneignung des als Mehrwert produzierten Reichtums durch »herrschende Klassen« die Interessen der Ausgebeuteten missachtet. Mit dieser Interpretation ist unweigerlich eine Reihe von Vorstellungen verbunden, denen das Herunterbrechen hochkomplexer Zusammenhänge auf einfache Gegensätze zugrundeliegt.

Der abstrakte kapitalistische Vergesellschaftungszusammenhang, welcher tendenziell alles und jede(n) zur verwertbaren Ware macht und so zu Formen totaler Vergesellschaftung führt, wird dabei unzulässig verdinglicht und personalisiert. Der Gesamtzusammenhang kapitalistischer Warenvergesellschaftung zerfällt dabei in Einzelbereiche wie Markt und Staat oder Wirtschaft und Politik. Durch Etikettierungen wie »neoliberal« werden bestimmte Erscheinungsformen des global gewordenen Kapitalismus für das Ganze genommen und die Globalisierung allein zu einem willentlich betriebenen politischen Projekt der Herrschenden erklärt. »Neoliberale Globalisierung« wird dabei oft synonym mit dem älteren Begriff des (spekulativen) Finanzkapitals verwendet, der so eine ungute Renaissance erfahren hat. Eine adäquate linke Kritik an den Phänomenen der Globalisierung sollte demgegenüber »Globalisierungsprozesse ausgehend von einem Gesellschaftsverständnis diskutieren, das sowohl Markt und Staat als auch produktives und zirkulatives Kapital als notwendige Bestandteile kapitalistischer Warenproduktion begreift und kritisiert.«1

Kein Staat ist neutral

Im linken Globalisierungsdiskurs wird oft der Nationalstaat als potenzieller Wohlfahrts- und Sozialstaat zum positiv besetzten Gegenstück des besagten »entfesselten« Marktes erhoben, statt beide als notwendig aufeinander angewiesene Kategorien warenkapitalistischer Vergesellschaftung zu betrachten. Das gilt auch und gerade für den Prozess der Globalisierung, der ohne staatliche Vermittlung genauso wenig denkbar ist wie eine ausschließlich marktförmige Reproduktion des Kapitalismus überhaupt. Der Staat steht weder als neutraler Akteur über dem marktwirtschaftlichen Geschehen und kann dieses nach Maßgabe der in ihm hegemonialen politischen Kräfte willkürlich beeinflussen, noch ist er den von den Kapitalverwertungsbedingungen auf dem Weltmarkt ausgehenden Transformationsprozessen naturgewalthaft ausgeliefert.

Die Orientierung auf eine Wiederherstellung des Sozialstaates zieht sich im Namen des Kampfes gegen die neoliberale Globalisierung durch bis hin zu linken TheoretikerInnen wie z.B. Pierre Bourdieu, der als Stichwortgeber der Antiglobalisierungsbewegung fungierte. Bourdieu stellte in seinen Analysen das Feld des Finanzkapitals und des Neoliberalismus dem der Staaten und sogar der Unternehmen gegenüber, anstatt sie als Gesamtzusammenhang zu begreifen, in der die subjektlose Herrschaft der kapitalistischen Wertvergesellschaftung waltet.

Wunsch nach Geborgenheit

Besonders problematisch werden solche Analysen, wenn Bourdieu ein »Europa, das sich um die Macht und die Machthabenden herausbildet und das so wenig europäisch ist« ablehnte und behauptete, dass dieses Europa »nur kritisierbar ist, indem man Gefahr läuft, mit den Widerständen eines reaktionären Nationalismus (...) verwechselt zu werden.«2 In Deutschland übersetzt sich derlei Globalisierungskritik schnell in die spezifisch deutsche Ideologie des korporatistischen »rheinischen Kapitalismus«. So setzt Attac-Deutschland dem »zeitgenössischen Manchesterkapitalismus« der »Global Players« eine Position entgegen, bei der volksgemeinschaftliche Töne anklingen.

Attac beschwört in einer ihrer Broschüren das Bild von schwarze Koffer tragenden Kapitalanlegern, die sich auf der Suche nach Steueroasen »trotz satter Gewinne und Vermögenszuwächse vor ihrer sozialen Verantwortung drücken.« Bedroht wird diese Gemeinschaft immer von außen: Hinter dem Politikfetisch und seinen nationalen Anwandlungen steht das Feindbild »globales Finanzkapital« mitsamt seinem »Raubtierkapitalismus«. »Die internationalen Finanzmärkte sind zu einer Macht geworden, die zunehmend die Politik bestimmt«, lautet der erste Satz deutschen Attac-Gründungserklärung. Positiv entgegengesetzt werden den globalisierten Finanzmärkten die nationalen Ökonomien. Interne Ausbeutungs- und staatliche Herrschaftsverhältnisse werden durch solche Argumentationen entweder zum Verschwinden gebracht oder – schlimmer noch – als Ausweg gepriesen.

Offene Flanken

Doch nicht reformistische Bündnisse wie Attac machen aufgrund ihrer Verengung des antikapitalistischen Blicks auf Verteilungsprobleme das Übel des Kapitalismus im Welthandel und in den auf den internationalen Börsen und Finanzmärkten flottierenden Geldvermögen fest. Auch in dem von ca. 200 Organisationen auf dem Weltsozialforum in Porto Allegre verabschiedeten »Aufruf zur Mobilisierung« wird vor allem gegen »die Vorherrschaft der Finanzmächte, die Zerstörung unserer Kulturen« durch die »neoliberale Globalisierung« gewettert. An den Auslandsschulden wird das finanzkapitalistische Böse dingfest gemacht: «Illegitim, ungerecht und betrügerisch fungieren sie lediglich als Instrument der Unterwerfung und berauben die Völker ihrer fundamentalen Rechte einzig und allein deswegen, um den internationalen Wucher noch mehr auszuweiten.«

Spätestens mit solcher Agitation gegen den »Wucher« offenbart die Unterscheidung zwischen einem werteschaffenden produktiven Investitionskapital auf der einen Seite und einem unproduktiven, sich parasitär von Zinserträgen nährenden Finanzkapital auf der anderen Seite, den ihr zu Grunde liegenden strukturellen Antisemitismus. Es gibt eine klare Verbindungslinie von der traditionslinken positiven Wertschätzung produktiver Arbeit zur antisemitischen Unterscheidung zwischen »schaffendem« und »raffendem« Kapital. Natürlich sind Traditionslinke und ähnlich denkende GlobalisierungsgegnerInnen nicht per se Antisemiten - ein unbestreitbares Problem ist aber, dass ein auf die Unterscheidung zwischen Produktiv- und Finanzkapital fixierter Antikapitalismus nicht nur die kapitalistische Vergesellschaftung falsch begreift, sondern von der Struktur der Argumentation her immer eine offene Flanke zum Antisemitismus hat.

Ideologiekritik contra Praxis?

Es soll hier keineswegs der Eindruck erweckt werden, dass demnächst das Bündnis linker GlobalisierungsgegnerInnen mit Neonazis droht. Schließlich gehört es zum guten linken Ton, sich von reaktionären GlobalisierungsgegnerInnen abzugrenzen, indem die grundsätzliche Ablehung jeder Form von Herrschaft und Unterdrückung propagiert werden. Es ist auch richtig, IWF-und G8-Gipfel oder andere Treffen der kapitalistische Funktionseliten zu nutzen, um deren Verantwortung für eine Politik, die mörderische Konsequenzen für ganze Bevölkerungen haben, nicht nur theoretisch sondern auch praktisch zu kritisieren. Aber den unheimlichen Verwandschaften falscher antikapitalistischer Weltbilder ist nur mit einer Ideologiekritik beizukommen, die gerade im Fall der Globalisierung auf kategoriale Kapitalismus-, also Wertkritik, nicht verzichten sollte.

  • 1Stefan Grigat, Markt und Staat in der Globalisierung, in: Faust 00.01, Sept. 2000, S.12.
  • 2Alle Zitate aus: Neoliberalismus und neue Formen der Herrschaft, in: Sozialismus 12/2000, S. 10-16