Hinter »schwedischen Gardinen«
Vom 14. bis 16. Juni 2001 fand in Göteborg ein Gipfeltreffen der Europäischen Union statt. In der Stadt kam es zu internationalen Protesten, Auseinandersetzungen und etlichen Festnahmen. Zu den Verhafteten, die später zu exemplarisch hohen Strafen verurteilt wurden, gehört auch der 24jährige Berliner Björn. Er erhielt zwei Jahre Haft ohne Bewährung.
Nach deiner Festnahme hast Du einige Monate in Isolationshaft verbringen müssen. Wie war das?
Die ersten Wochen waren schlimm. Ich hatte zeitweise kleinere stressbedingte, gesundheitliche Beschwerden. Ich konnte nichts essen, ohne zu erbrechen, und hatte ständig Magenschmerzen. Aber eigentlich hat mir der Tatvorwurf mehr zu schaffen gemacht als die miesen Haftbedingungen. Mir ist nämlich gleich beim ersten Verhör eröffnet worden, dass mich zwischen vier und sieben Jahren Knast erwarten würden. Da dachte ich natürlich, dass die nur bluffen würden, um so an eine Aussage zu kommen. Aber dann hat mir der Anwalt erklärt, dass die Prognose der Polizei durchaus realistisch sei und ich mich auf einige Jahre im Knast einrichten müsse.
Wie war der Tagesablauf in der Zeit?
Irgendwann um sieben Uhr wird die Zelle aufgeschlossen und ich werde von einem Wärter geweckt. Dann werde ich aufgefordert aufzustehen und mein Bett zu machen. Gegen acht Uhr wird das Frühstück gebracht. Danach lege ich mich wieder schlafen. Um 11.30 Uhr gibt es das Mittagessen. Anschließend darf ich auf das Dach in eine etwa zehn qm grosse Freilichtzelle. Dort kann ich täglich für eine Stunde den Sommer genießen und etwas auf und ab gehen. Alle zwei Tage darf ich auch einen winzigen Fitnessraum benutzen und anschließend duschen. Um 16 Uhr gibt es das Abendessen. Um 16.45 wird dann »Gute Nacht« gewünscht.
Wie verbringt man die Zeit alleine in der Zelle ?
Den Großteil des Tages habe ich einfach geschlafen oder aus dem Fenster geguckt und dabei nachgedacht. Mit der Zeit habe ich dann mehr und mehr Zeit damit verbracht, am Fenster zu sitzen und zu träumen, mir Geschichten auszudenken, um so den völligen Kontaktverlust mit anderen Menschen auszugleichen. Irgendwann habe ich festgestellt, dass meine Gedankengänge immer chaotischer wurden, es mir immer schwerer fiel, klare Gedanken zu fassen und ich erhebliche Konzentrationsprobleme bekam. Also habe ich angefangen Konzentrations- und Entspannungsübungen zu machen. Das hat etwas geholfen.
Hast Du Möglichkeiten gehabt, Dich abzulenken ?
Mir waren Radio, Fernsehen, Zeitungen, Telefonate, Besuche oder der Kontakt mit anderen Gefangenen verboten. Wenn ich zum Verhör geführt wurde und ich im Gang auf andere Gefangene traf, dann durften wir nicht miteinander reden. Sie durften mich nicht einmal angucken und manchmal wurden sie von den Wachen auch umgedreht. Das war schon ein ziemlich bizzares Schauspiel. Nach einigen Wochen habe ich einige englische Bücher aus der Knastbibliothek bekommen. Später sind mir dann die ersten Briefe ausgehändigt worden. Natürlich erst, nachdem sie für die Polizei und den Staatsanwalt komplett übersetzt wurden.
Die Isolationshaft endete mit dem ersten Prozess. Wie sah die Beweislage in deinem Prozess aus?
Die Anklage basierte auf der Aussage eines einzigen Undercover-Polizisten, der behauptete, mich bereits vor der Demonstration observiert zu haben. Er behauptete, mich dann dabei beobachtet zu haben, wie ich mich vermummt, behelmt und mit einer Eisenstange bewaffnet hätte. Danach wäre er in der Demonstration hinter mir gelaufen. Als die Polizei den Autonomen-Block mit Hunden und Schlagstöcken angriff, behauptete er, gesehen zu haben, wie ich im Alleingang eine Polizeikette angegriffen hätte. Neben dieser Aussage gibt es noch etwa 20 Fotos und ein Video von der Sicherheitspolizei -Säpo- [die mit dem deutschen Verfassungschutz vergleichbar ist].
Weder das Video noch die Fotos konnten aber die angeblichen Steinwürfe oder den Angriff auf die Polizisten belegen. Sie beweisen nur, dass ich dort war. Aber leider gab es auch keine Zeugen oder Filmaufnahmen, die den Polizisten einen Meineid nachweisen konnten. Jeder Zeuge, der für mich vor Gericht ausgesagt hätte, wäre automatisch des Landfriedensbruchs beschuldigt worden. Als sich trotzdem einige Zeugen bei meinem Anwalt meldeten, wurde seltsamerweise der zweite Prozess plötzlich um zwei Wochen vorverlegt. Genauso überraschend legte die Polizei 48 Stunden vor dem Prozess das Video vor. Meine Verteidigung ist dadurch erheblich erschwert worden.
Du bist in der ersten Verhandlung zu 15 Monaten Gefängnis ohne Bewährung verurteilt worden. In der Revisionsverhandlung ist die Strafe noch einmal erhöht worden. Verschiedene Journalisten und Beobachter bezeichneten die Prozesse als »Schauprozesse, die an der Unabhängigkeit der schwedischen Gerichte zweifeln lassen würden«. Wie beurteilst Du die Verhandlungen?
Die Prozesse sollten vor allem die Strafsehnsucht der Öffentlichkeit befriedigen und ein Exempel statuieren. Das ist auch beim zweiten Prozess sehr deutlich geworden. Es war von Anfang an klar, dass ich zu einer höheren Haftstrafe verurteilt werden soll. Der Polizist war gut vorbereitet und hatte seine Aussage in einigen entscheidenden Punkten verändert. Er machte eine ziemliche Show und legte dem Gericht eine angeblich originalgetreue Nachbildung der Eisenstange vor, mit der ich einem - natürlich unbekannt gebliebenen - Polizisten auf das Schild geschlagen haben soll. Diese Nachbildung war aber so schwer, dass der Zeuge sie selbst kaum bewegen konnte und beim unbeholfenen Herumhantieren fast eine beobachtende Journalistin verletzte.
Anschließend bestand der Staatsanwalt auf der Vorführung des Polizei-Videos. Obwohl ich nach seiner Meinung nur etwa 10 Sekunden zu sehen sei, bestand er aber darauf, dass Video in ganzer Länge, also über 20 Minuten, zu zeigen. Im Anschluss beschuldigte er mich der Mitgliedschaft in der Antifa Aktion Berlin (AAB) und eines schweren Angriffes auf die Grundwerte der schwedischen Demokratie. Schließlich wurde mir noch meine Aussageverweigerung als Schuldeingeständnis ausgelegt. Der Höhepunkt der Absurdität war, dass der Staatsanwalt die Maximalstrafen für »Landfriedensbruch« und »versuchte gefährliche Körperverletzung« addierte und dabei auf 16 Jahre Knast kam, um dann doch »nur« drei bis vier Jahre Gefängnis zu fordern. Im Endeffekt bekam ich dann zwei Jahre ohne Bewährung und zehn Jahre Einreiseverbot verpasst.
AIB: Du bist also für Straftaten verurteilt worden, die Du nicht begangen hast?
Ja. Juristisch formuliert bin ich höchstens des einfachen Landfriedensbruchs und eines Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz schuldig. Ich habe nicht die »versuchte gefährliche Körperverletzung« begangen, für die ich dann verurteilt worden bin. Im Grunde bin ich aber dafür verurteilt worden, dass ich in ihren Augen ein Teil des schwarzen Blockes war. Und mich damit offen zur Notwendigkeit und Richtigkeit von Militanz bekannt hätte. Das alleine hat für das Gericht ausgereicht, um Tat- und Täterstrafrecht stillschweigend zu vertauschen. Daher wurde nur noch über die Begründung und die Länge der Haftstrafe verhandelt.
AIB: Nach der Umfrage einer großen Göteborger Zeitung sind 89 Prozent der Befragten der Ansicht, die Urteile in den Prozessen gegen die militanten Aktivisten seien angemessen oder gar zu milde ausgefallen. Nur drei Prozent beurteilen die Strafen als unangebracht hoch. Wie erklärst Du Dir die sehr heftige Reaktion der schwedischen Öffentlichkeit?
Die politische Kultur ist hier sehr stark von einer besonders konfliktscheuen und moderaten Form der Sozialdemokratie geprägt. Schweden ist eine sehr staatsloyale, sehr ruhige und sozialpolitisch ultrastabile Nation. Eine militante Fundamentalopposition, die Konfrontation auf der Straße oder in Fabriken sucht, hat hier keine Tradition. Einige Zeitungen und Politiker bezeichneten die Auschreitungen um den EU-Gipfel herum daher als ein außerschwedisches Phänomen. Also als etwas, das von außerhalb nach Schweden getragen worden ist. Das Gespenst des internationalen schwarzen Blockes wurde dann nach den Ereignissen in Genua begierig von der Presse aufgegriffen. So wurde öffentlich vom Schwarzen Block und seinem Kern aus einer Gruppe von bewaffneten, deutschen Terroristen, die die Kommandos gegeben hätten, halluziniert. All dieser Unfug sollte davon ablenken, dass der Polizei ihr eigenes Eskalationskonzept um die Ohren geflogen ist.
Wer dann wie ich als vermeintlicher Aktivist des schwarzen Blockes festgenommen wurde, bekommt per Gerichtsurteil den Volkszorn über die zedepperte Prachtstrasse zu spüren. Viele Schweden begreifen den Riot ganz richtig als einen Angriff auf ihr Wertesystem und damit auch auf ihre gesamte Lebensweise. Nur wenige verstehen aber die Motivation und das Konzept der Militanten. Die Gerichte haben hier ganz im Sinne der Politik und der Stimmung in der Öffentlichkeit geurteilt. Polizei und Politik nutzten diese Stimmung sehr geschickt, um die Flucht nach vorne anzutreten. Speziell die Polizei war nach dem Riot im Zugzwang. Sie hatte schließlich aus einer völlig falschen Einschätzung der Situation heraus die Ausschreitungen provoziert und sich dabei als ein Trupp schießwütiger Straßenkampfrookies blamiert. Nach dem Riot ging es um politische Schadensbegrenzung. Selbst die dreiste Lüge, die Polizei hätte in höchster Lebensgefahr drei Jugendliche niederschiessen müssen, ist geschluckt worden.