Nach Göteborg und Genua
Ein knappes Jahr ist es jetzt her, dass die Bilder der Proteste gegen den EU-Gipfel in Göteborg und das G8-Treffen in Genua um die Welt gingen. Verschiedensten Teilbereichsbewegungen kamen zusammen, um ihren Widerstand gegen eine ausgrenzende, rassistische und kapitalistische Politik auf die Straßen zu tragen.
Mit der für soziale Bewegungen entscheidenden Kombination aus Straßenprotesten und Theorie gelang es der »Anti-Globalisierungsbewegung« durchaus, Kontrapunkte in der seit dem Zusammebruch des Realsozialismus zunehmend monolithisch kapitalistisch geprägten medialen, gesellschaftlichen und politischen Debatte um internationale Wirtschaftsordnungen und soziale Gerechtigkeit zu setzen. Auch AntifaschistInnen hatten sich schon vor diesen Protesten an entsprechenden Aktionen und Kampagnen beteiligt und erkannt, dass die diffuse Bewegung viele Ansatzpunkte bietet, um für eigene Themenfelder z.B. aus dem Antirassismus-Bereich mehr Menschen zu mobilisieren. Selten zuvor gelang eine solche grenzüberschreitende Mobilisierung, obwohl Antifas überall in Europa vor ähnlichen Situationen stehen. Die für viele - vor allem jüngere Antifas - völlig neue Erfahrung von eigener Stärke und offensivem Vorgehen auf den Straßen von Prag, Göteborg und Genua hat sich nach der Rückkehr aus dem »heißen Sommer 2001« auch in einem selbstbewussteren Auftreten gegenüber den Vertretern der Staatsgewalt und Neonazis in den heimischen Städten wiedergespiegelt.
Darüber hinaus entwickeln sich erstmals seit den 90er Jahren wieder Ansätze einer linken Jugendkultur, die nicht unbedingt durch den Abwehrkampf gegen Neonazis und rassistischen Terror politisiert wird. Das ist eine Entwicklung, die die Antifa-Bewegung nur begrüßen kann. Denn während der gesamten 90er Jahre musste die autonome Antifabewegung - neben der Anti-Atom-Bewegung - die Lücke füllen, die durch die Krise von traditionellen autonomen und linksradikalen Bewegungen hinterlassen wurde. Dieser Rolle und den damit verbundenen Erwartungen konnte eine Antifa-Bewegung, die für sich genommen eine Abwehrbewegung ist und weder eine revolutionäre Organisierung ersetzen kann, noch sich als Basis zum Aufbau »parteiförmiger« linker Strukturen eignet, nicht gerecht werden. Mit der neuen Protestbewegung haben Jugendliche, die sich für eine linke Subkultur interessieren und sich engagieren wollen, neue Anlaufpunkte und Handlungsoptionen gefunden. Neue Gruppen und Strukturen sind entstanden, in denen Antifagruppen manchmal ein Bestandteil sind.
Allerdings bleibt für die Mehrheit der GlobalisierungskritikerInnen antifaschistische Praxis allenfalls auf Einzelevents begrenzt. Hier zeigt sich eine der Schwächen: Die Orientierung auf Kampagnen und Events, die dazu führt, dass immer neue »Highlights« inszeniert werden müssen. Noch ist überhaupt nicht ausgemacht, welche Strömungen und Flügel sich hierbei durchsetzen werden. Die Gefahren sind bekannt. Neben der Vereinnahmung durch Parteien, Gewerkschaften und andere reformistische Institutionen sowie der Illusion eines »fairen Kapitalismus« liegen sie vor allem in der ideologischen Unschärfe der Bewegung. Immer wieder werden nationalistische und antisemitische Untertöne laut. Die teilweise offenen Türen nach Rechts, die die extrem rechten »Querfront«-Strategen dankbar nutzen, können nur durch bewegungsinterne Debatte und eine auch nach Außen wirksame Abgrenzung gegen Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus geschlossen werden. Eine weitere Gefahr besteht darin, dass die Bewegungs-AktivistInnen Ungerechtigkeit zwar in allen Ecken der Welt wittern und bekämpfen wollen, dabei aber gleichzeitig den Blick für die sozialen und politischen Verhältnisse vor der eigenen Haustür verschliessen.
Denn die Auseinandersetzung mit alltäglichem und institutionellem Rassismus scheint vielen um einiges mühsamer und weniger spektakulär als Mobilisierungen gegen Großevents à la G8-Gipfel. Wir halten es beim jetzigen Stand der Dinge daher für durchaus notwendig und sinnvoll, uns als AntifaschistInnen in der verhältnismäßig jungen »Anti-Globalisierungs« Bewegung mit eigenen Inhalten und Positionen einzubringen und einzumischen. Wie in anderen Bündniskonstellationen auch, sollten wir dabei unsere Unabhängigkeit, Inhalte und Aktionsformen offensiv und authentisch vertreten. Umgekehrt erwarten wir allerdings auch, dass die GlobalisierungskritikerInnen antifaschistisches und antirassistisches Engagement als Teil ihrer eigenen Praxis begreifen. Schließlich sollte Antifaschismus wieder selbstverständliches Aktionsfeld einer breiten linken Bewegung sein und nicht an »die SpezialistInnen« abdeligiert werden. Zu Abschluss sei daran erinnert, dass international noch immer AktivistInnen der Proteste von Göteborg, Genua und anderswo im Knast sitzen bzw. von Repression bedroht sind. Die Stärke einer Bewegung zeigt sich immer auch in der Solidarität mit »ihren« Gefangenen.