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Über die Hintergründe zu der Verhaftungswelle in Arolsen

"Soligruppe Kassel" (Ergänzt durch AIB) (Gastbeitrag)
Einleitung

Im Vorfeld des diesjährigen sogenannten »Rudolf-Heß-Gedenkmarsches« gab es in der Nähe von Frankenberg/Nordhessen eine Auseinandersetzung zwischen Neonazis und AntifaschistInnen. Thomas Kubiak, Mitinitiator der »Sauerländer Aktionsfront« (SAF) und Vertreter »Nationalen Jugend« (NJ), wurde dabei verletzt. Es folgten Verhaftungen. Die taz (die tageszeitung) vom 27. August 1993 fasst ihren Wissensstand so zusammen: "Auslöser der Festnahmewelle war eine Auseinandersetzung zwischen Neonazis und Autonomen in der Gemeinde Rennerthausen bei Arolsen am Vormittag des 14. August. Eine Gruppe von Rechtsradikalen war auf dem Weg nach Bischofferode zum Gedenkmarsch für den Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß und wurde von den AntifaschistInnen aufgehalten. Bei der anschließenden Prügelei erlitt ein führender Funktionär der neofaschistischen „Sauerländer Aktionsfront“, der 22jährige Thomas Kubiak, schwere Schädelverletzungen."

Der Neonazi-Kader Thomas Kubiak wurde bei einer Auseinandersetzung mit Antifas verletzt.

Am Montag den 16. August 1993 wurde daraufhin die erste Person aus antifaschistischen Zusammenhängen unter dem Vorwurf »schwerer Landfriedensbruch« und »gemeinschaftlich begangener versuchter Totschlag« verhaftet. In den folgenden Tagen wurden weitere neun Personen aus dem Raum Arolsen festgenommen. Sie befinden sich zur Zeit alle in Untersuchungs-Haft. Zusätzlich wurden von Polizei und dem Amtsgericht Korbach einige Menschen zu Verhören mitgenommen und danach wieder freigelassen. Zeitweise waren 13 Leute in Haft. Die Staatsanwaltschaft Marburg leitet die noch nicht abgeschlossenen Ermittlungen. Dazu erklärte der Leiter der Staatsanwaltschaft Hansjürgen Karge, daß die Inhaftierten »ganz schnell angeklagt« werden sollten, um »ein Zeichen gegen Selbstjustiz zu setzten«.

Der Staatsanwaltschaft der hier im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit offenbar ein Zeichen setzen möchte, begann seine juristische Laufbahn im Jahr 1971 bei der Staatsanwaltschaft Darmstadt. Anschließend arbeitete er als Referent im hessischen Justizministerium und anschließend bei der Generalbundesanwaltschaft in Karlsruhe. Nach der Wende wurde er nach Suhl abgeordert, um dort eine Staatsanwaltschaft aufzubauen, anschließend begann er bei der Staatsanwaltschaft Marburg.1

Als es Anfang 1993 zu „mysteriösen Todesfällen“ von Linken kam gingen die zuständigen Staatsanwaltschaften presse-öffentlich explizit nicht von politisch motivierten Gewalttaten bei den zwei Verstorbenen aus. Wir berichteten über den Tod des 23-jährigen Mitgliedes der "Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend" (SDAJ) Olaf H. in Suhl und über den Tod eines Punks im thüringischen Schlotheim (Kreis Mühlhausen). In beiden Fällen mutmaßen Angehörige und Freunde der Opfer politisch motivierte Taten - in beiden Fällen weisen die zuständigen Staatsanwaltschaften dies energisch zurück. Die Eltern von Olaf stellten Strafanzeige wegen Mordverdachts. Er war in der Vergangenheit mehrfach von Neonazis bedroht worden und lebte deshalb aus Furcht vor Überfällen nicht mehr in seiner Wohnung. Dies alles habe sich laut Oberstaatsanwalt Hansjürgen Karge jedoch als nicht stichhaltig erwiesen. Die ständigen Vorwürfe, man würde hier einen Mord vertuschen, gingen ihm „auf den Geist“ teilte er der taz mit.

Der zuständige Oberstaatsanwalt Hans-Joachim Petri2 sah auch keine politisch motivierte Auseinandersetzung in Schlotheim. Punks seien für ihn nicht im linken Spektrum angesiedelt, sondern „unpolitische Personen, die sich nur aus Protest gegen die Erwachsenen so kleiden und verhalten“ würden. Dass im November 1990 der Angolaner Amadeu Antonio im brandenburgischen Eberswalde von Heavy Metals und Skinheads zu Tode geprügelt worden war, sei Petri „nicht bekannt3 .

Nach Angaben der „Roten Hilfe“ fiel der polizeilichen Fahndungsaktion auch eine völlig unbeteiligte Person zum Opfer. Die Verhaftungsaktion sei in Polizeikreisen offensichtlich schon länger in Vorbereitung gewesen. Der Leiter der Marburger Staatsanwaltschaft, Hansjürgen Karge, bestätigte die Festnahmen, bestritt jedoch eine geplante Aktion. „Zur Zeit sitzen sie in der U-Haft ganz gut“, so Karge. Er wolle die Verhafteten jedoch „so schnell wie möglich“ anklagen.

Es gibt mittlerweile Menschen in Nordhessen, die sich um das Nötigste für die inhaftierten Antifas kümmern. Weitergehende „Soli-Arbeit“ ist laut ihren Aussagen jedoch im Moment noch schwierig, da sie noch nicht wissen, was alle Gefangenen dazu denken. Deshalb bitten sie alle, die konkrete Unterstützung angeboten haben, um etwas Geduld, da sie noch auf die Reaktionen der Gefangenen warten wollen.

Das »Nationale Infotelefon« (NIT) der SAF/NJ in Hallenberg fordert unterdessen die Anti-Antifa auf, sich an der Suche nach den »Täterinnen« zu beteiligen. Das Neonaziblatt "HNG-Nachrichten" druckte später die Namen von 13 angeblichen Tatverdächtigen ab. Druck bekommen die Naonazis scheinbar eher von auswärtigen Staatsanwaltschaften. Derzeit läuft noch ein nicht abgeschlossenes Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Dortmund wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung (§ 129 StGB) und anderer Delikte gegen den Personenkreis um Kubiak und seine SAF/NJ. Im Rahmen dieses Verfahrens wurde am 4. November 1993 Hausdurchsuchungen durchgeführt, bei denen zahlreiche Beweismittel sichergestellt werden konnten.

Eine Person aus dem SAF-Kreis hatte am 19. Juli 1992 einen brennenden Molotowcocktail auf ein Asylbewerberheim in Schröck bei Marburg geworfen. Am 12. September 1992 griff die selbe Person in Arolsen zwei mutmaßliche „Linke" an und verletzte diese. Anläßlich eines Gedenkmarsches des „Freundeskreises Heinz Reisz" am 25. Juli 1992 wurde ein anderer SAF-Anhänger festgenommen, da er eine Wollmütze mit Sehschlitzen und einen Baseballschläger mit sich geführt hatte. Am 28. Mai 1993 bedrohte diese Person auf einem Bahnhof in Siegen (Nordrhein-Westfalen) zwei Ausländer mit einer Gaspistole.

  • 1Nachtrag: In der taz (die tageszeitung) vom 27.6.1997 ist zu erfahren: Der Chef von über 300 Anklägern der Stadt stellte sich eine Rechtsprechung vor, die wie auf dem Fußballplatz funktionieren soll: „Objektive Regelverstöße müssen zu Sanktionen führen. Das ist überall so, von den primitivsten Buschnegern bis hin zu den Tieren“, so Hansjürgen Karge in der SZ wörtlich." (Vgl.: "Staatsanwalt und Buschneger" von Plutonia Plarre)
  • 2Nachtrag: Ein zumindest zweifelhafter Schusswaffeneinsatz, das Verhalten der Staatsanwaltschaft und die politische Gesinnung der Beteiligten spielte nach Berichten des Punkmagazin "Wahrschauer" auch beim Todesfall von Rene Bastubbe in Nordhausen eine mögliche Rolle - verursacht durch den Polizisten Rene Strube. Im Oktober 2018 wird der Todesschütze auf Platz 34 der AfD-Landesliste für die Thüringische Landtagswahl 2019 gewählt. Zusätzlich wird er im Juli 2019 AfD-Direktkandidat - im Wahlkreis Nordhausen I. Der für den Fall zuständige Oberstaatsanwalt Hans-Joachim Petri in Mühlhausen fand damals, dass es zwar theoretisch möglich wäre, dass die Abteilung „Interne Ermittlungen“ die Falluntersuchungsarbeit mache, man habe aber geklärt, dass die Ermittlungen weiter von einem Beamten mit „exzellenter Kompetenz“  in der Landespolizeidirektion Nordhausen geführt werden (NZZ, 26.8.2002). Der Todesschütze wurde am Ende freigesprochen. (Vgl.: wahrschauer.net)
  • 3Mysteriöse Todesfälle von Linken, Bernd Siegler, taz 13. 2. 1993