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»Lebensschützer«

Joß Fritz
Einleitung

Kreuzritter gegen die Moderne

Seit 2002 ruft der »Bundesverband Lebensrecht« (BVL) alle zwei Jahre zum Protestmarsch »1000 Kreuze für das Leben« in Berlin auf. Als Vorbild gelten die riesigen Demos in den USA oder im »Opus Dei«-Stammland Spanien, wo jüngst Hunderttausende gegen Schwangerschaftsabbrüche demonstrierten. Ab diesem Jahr soll der Marsch in Berlin nun jährlich und nach internationalem Vorbild als »Marsch für das Leben« stattfinden. Das ranghohe Kirchenleute und Politiker dem Marsch ihre Grußworte sandten, belegt den zunehmenden Einfluß dieser Bewegung in der Gesellschaft.

»Marsch für das Leben« am 26. September 2009 in Berlin.

In München und erstmals auch in Münster ist es »EuroProLife«  (Heroldsbach) um Wolfgang Hering, eine um das Münchener »Lebenszentrum« und den Verein »Helfer für Gottes kostbare Kinder Deutschland« angesiedelte Gruppierung, die unter dem Motto »1000 Kreuze für das Leben« aufmarschierte. Im Jahr 2008 beteiligten sich sogar Teile der Münchener Neonazi-Szene daran.

Während dem BVL als Dachverband 14 Verbände unterschiedlicher Konfession angehören, wurde »EuroProLife« mit höchsten Weihen aus Rom gegründet. Mit – nach Eigenangaben – 30.000 Mitgliedern und Unterstützern stellt der BVL derzeit den größten Zusammenschluß von »Lebensschützern« in Deutschland dar. Unter dem Vorsitz von Martin Lohmann haben sich unter dem Dach des BVL die »Christdemokraten für das Leben« (CDL, Münster), der »Arbeitskreis Lebensrecht und Familie« der PBC-Abspaltung »AUF«, die »Aktion Lebensrecht für Alle e.V.« (ALfA, Augsburg), die »Europäische Ärzteaktion« (Salzburg), die vor allem im Osten Deutschlands verankerte »Kooperative Arbeit Leben Ehrfürchtig Bewahren« (Berlin), die »Juristen Vereinigung Lebensrecht e.V.« (Köln), die »Stiftung Ja zum Leben« (Meschede), das »Treffen Christlicher Lebensrecht-Gruppen e.V.« (Stuttgart), die freikirchliche Initiative »Pro Vita«, »Hilfe für Mutter und Kind e.V.« (Königstein) sowie die Vereine »Durchblick« (Östringen), »Pro Conscientia« (Heidelberg), »Rahel« (Rheinstetten) und »pro mundis« zusammengeschlossen.

Nach dem überraschenden Rücktritt der BVL-Vorsitzenden Claudia Kaminski aus »familiären Gründen« im Juli diesen Jahres fungierte BVL-Vizechef Manfred Libner als Interims-Vorsitzender. In einem Interview mit der »Jungen Freiheit« (JF) kurz vor dem Marsch in Berlin äußerte sich Libner, zugleich Geschäftsführer der »Stiftung Ja zum Leben«, auch über die »Bauchschmerzen« vieler BVL-Mitglieder mit der Politik der CDU. Es sei »kein Geheimnis«, das der »Marsch für das Leben« durch »etliche Mitglieder von Kleinparteien, vor allem christlicher Prägung« unterstützt werde. So lange aber die Zersplitterung anhalte, sehe er nicht, wie diese je politische Relevanz gewinnen könnten. »Wichtig wäre«, so Libner, der noch im April als Referent bei der »Burschenschaft Hannovera« in Göttingen angekündigt wurde, »daß mindestens eine von ihnen wahrnehmbar an fünf Prozent herankäme«, damit die Union »vielleicht aufmerksam« und »ihren eigenen Kurs überdenken« werde.

Noch im September 2008 hatte der BVL in einem »Berliner Manifest« die damalige Große Koalition aufgefordert, die derzeitige Praxis der Schwangerschaftsabbrüche zu beenden. Mit einer groß angelegten Unterschriftenaktion versuchten unlängst »Lebensschützer«-Gruppen und konservative protestantische Gemeinden eine Neuorientierung der EKD bei der »kirchlichen Hilfe für schwangere Frauen« zu erwirken. Um Druck auf die Politik auszuüben, suchen »Lebensschützer« verschiedener Konfessionen auch den Schulterschluß mit der extremen Rechten. Die Bundesvorsitzende der ALfA, Claudia Kaminski, war wiederholt Interviewpartnerin der JF.

Die stellvertretende Vorsitzende der etwa 10.000 Mitglieder umfassenden ALfA, Alexandra Maria Linder, stellte im Oktober in einem JF-Interview ihr neues Buch mit dem Titel »Geschäft Abtreibung« vor. Der »Stiftungsbrief« der »Stiftung Ja zum Leben« lag wiederholt der JF bei, in der die Stiftungsvorsitzende Johanna Gräfin von Westphalen auch wiederholt interviewt wurde. Auch die CDL scheinen keine Probleme mit dem rechtsgerichteten Berliner Blatt zu haben. So wurde die CDL-Bundesvorsitzende Mechthild Löhr, gelegentliche Autorin des Blattes, im Oktober auf der Buchmesse als Gesprächspartnerin am Messestand der JF angekündigt. Ebenfalls dort auftreten sollte der Vorsitzende des Vereins »Die Birke« (Heidelberg), Kristijan Aufiero. In ihrem Kampf gegen Schwangerschaftsabbrüche, die Gleichstellung homosexueller Partnerschaften mit der Ehe und den Feminismus sucht der rechte Rand des bundesdeutschen Protestantismus die Nähe zu ihrem Gegenstück bei den Katholiken. So nahmen im September hochrangige Vertreter der Evangelikalen an einer Podiumsdiskussion des »papst- und kirchentreuen« »Forum Deutscher Katholiken« teil. Einträchtig diskutierten dort Hartmut Steeb, Generalsekretär der »Deutschen Evangelischen Allianz« und Leiter des »Treffens Christlicher Lebensrecht-Gruppen«, Andreas Späth, Vorsitzender der »Kirchlichen Sammlung um Bibel und Bekenntnis« in Bayern, Manfred Libner (BVL) und Norbert Geis, CSU-MdB, JF-Kolumnist und Präsident der »Opus Dei«-nahen »Rhein-Donau-Stiftung« über Gemeinsamkeiten.

Neben dem BVL und »EuroProLife« gibt es noch zahlreiche weitere »Lebensschützer«-Gruppen. So z.B. die 1979 gegründete »Aktion Leben e.V.« (Abtsteinach), die behauptet, 50.000 eingetragene Mitglieder zu haben und mit einem mobilen Infostand durch die Republik tourt, die »Deutsche Vereinigung für eine Christliche Kultur« (Frankfurt/M.), die sogar schon in der JF mit Anzeigen für sich warb, der Verein »Ärzte für das Leben« (Lindenfels), die eng mit der ALfA zusammenarbeitet und die 1973 gegründete »Aktion für das Leben« (München), die gerade einen Generationswechsel in ihrer Führungsspitze hinter sich hat. Zudem gibt es noch das »Weisse Kreuz« (Ahnatal), das mit einer stattlichen Anzahl von Referenten zu Problemen in allen Lebenslagen aufwartet. Aufmärsche wie in Berlin oder München gab und gibt es übrigens auch in anderen Städten.

In Saarbrücken demonstrieren »Lebensschützer« alljährlich am 3. Oktober. Rund 200 Menschen beteiligten sich 2008 an dem Marsch, zu dem das »Aktionskomitee Christen für das Leben« in Saarbrücken, die »Aktion Leben«, das »Trierer Bündnis für Lebensrecht und Menschenwürde« sowie die islamophobe Kleinpartei »Christliche Mitte« (CM, Liesborn) aufriefen. Ebenfalls so viele Menschen beteiligten sich am 17. April 2009 an einem »Gebetszug« gegen Abtreibung in Freiburg. Mobilisiert hatten hier das Priorat Rheinhausen der fundamentalistischen »Priesterbruderschaft St. Pius X.« und deren Kapellen in Freiburg und Offenburg. Auf der Abschlusskundgebung sprach Pfarrer Winfried Pietrek von der CM. In Stuttgart demonstrierten am 1. August die Priesterbruderschaft mit anderen christlichen Gruppierungen gegen die örtliche CSD-Parade. Das örtliche Priorat der Priesterbrüder hatte zuvor zum Protest gegen die « Propagierung der sodomitischen Unzucht« aufgerufen.