»Rechtsrock« – Zahlen und Fakten für das Jahr 2005
Jede Woche finden in Deutschland durchschnittlich fünf neonazistische Konzerte statt, beinahe jeden dritten Tag erscheint eine neue CD einer neonazistischen deutschen Band. Dies sind die Eckdaten für den »Rechtsrock« im Jahre 2005 in Deutschland.
Die Neonazi-Musikszene präsentiert sich bewegungsdynamisch, virulent und überaus selbstbewusst. Und sie findet immer wieder Wege, staatliche Repression auszuhebeln. Insbesondere abseits der großen Städte haben sich regelrecht Parallelwelten ausgebildet. Oft bekommt man gar nicht mehr so recht mit, was sich nur zwanzig Kilometer entfernt im Hinterland abspielt.
»Rechtsrock« und »Neonazi-Rock«
Die Wahrnehmungen für das Jahr 2005 sind sehr unterschiedlich: Antifaschistische Kampagnen zielen auf die zunehmende Institutionalisierung der Szene über Ladengeschäfte, Wohnprojekte und »Clubhäuser«. Ministerien und Polizei zeigen sich wegen der angestiegenen Zahl der Konzerte und der »Schulhof-CD«-Werbekampagne der NPD besorgt. Andere winken derweilen ab: Alles halb so schlimm, die »rechte Szene« sei »auch im Osten out«, die Rechtsextremen gelten »heute bei immer mehr Gleichaltrigen (...) als die letzten Deppen von gestern.« Zu diesem Ergebnis kommt eine »Jugendkulturen-Präferenzstudie 2004/2005« des Klaus Farin vom Archiv der Jugendkulturen in Berlin, die in der Hauptsache auf Meinungsumfragen basiert, die auf »Anti-Rechts«-Projekttagen durchgeführt wurden und deshalb jeden empirischen Wert vermissen lässt. Die Aussagen überraschen zu einem Zeitpunkt, an dem die Firma Mediatex GmbH, Produzent der in der rechten Szene beliebten Marke Thor Steinar, ihren »offiziellen« Jahresumsatz mit zwei Millionen Euro angibt.
Der Abschied vom Klischeebild des Neonazi-Skinheads fällt insbesondere den Sicherheitsbehörden schwer. So findet sich unter den vom sächsischen Verfassungsschutz für das Jahr 2005 gezählten rechtsextremistischen Konzerten beispielsweise nicht ein »Pagan Metal Open-Air« am 15. Mai in Meißen, das von einem langjährigen Funktionär der NPD veranstaltet wurde, auf dem mit der Band T.H.O.R. eine eindeutig neonazistische Band auftrat und das Publikum hauptsächlich aus Neonazis bestand. Den thüringischen Verfassungsschützern wiederum war ein unpolitisch deklariertes Oi-Konzert am 29. November in Neustadt/Orla keine Erwähnung wert, obwohl dort als Hauptact die bekannte finnische Neonaziband Mistreat auftrat.
Die »Zahlen und Fakten zu Rechtsrock 2005«, die vor wenigen Wochen das apabiz, die Zeitschrift Der Rechte Rand und Argumente und Kultur gegen Rechts e.V. veröffentlichten, erweisen sich dagegen bei genauerer Betrachtung tatsächlich als Zahlen und Fakten zu »Neonazi-Rock«. So sind die 255 »Rechtsrock-Konzerte«, die für das Jahr 2005 gezählt wurden, tatsächlich nur die Spitze des Eisberges. Bands wie Hassgesang und Race War sind hierbei nur die martialisch tönende Vorhut einer Jugendbewegung, die sich in fließenden Übergängen von neonazistischen Kampftruppen zur »unpolitischen« Spaßkultur bewegt. Da covern die selbsternannt unpolitischen Oi-Bands Brachial und Get Out auf einem Konzert im thüringischen Neustadt/Orla Lieder populärer Neonazibands, da spielt auf dem Festival eines germanischen Brauchtumsvereins im brandenburgischen Nauen die extrem rechte Neofolk-Formation Belborn, währenddessen sich an neonazistischen Verkaufsständen im Eingangsbereich ein bunt gemischtes Publikum von Pseudo-Germanen, Neonaziskins, Black Metallern, Dorfjugendlichen und ein paar Rockern mit CDs aus dem harten Kern der Szene eindeckt. Wenngleich nicht unbedingt als »Neonazi-Konzerte« zu kategorisieren, so bieten derartige Konzerte Neonazis eine Plattform für Propaganda und Geschäfte. Und mehr noch: Sie führen »unpolitische«, »rechte« und neonazistische Musikfans zusammen und vermitteln Neonazis nicht zu Unrecht das Gefühl, akzeptierter Bestandteil der Jugendkulturen von heute zu sein.
Neonazistische Konzerte auf neuem Höchststand
Die Gesamtzahl von 255 im Jahr 2005 in Deutschland durchgeführten neonazistischen Konzerten bedeutet eine Steigerung um 65 Prozent im Vergleich zum Vorjahr (155 Konzerte). Der Zahl liegt eine umfassende aber keinesfalls vollständige Auswertung neonazistischer Medien zugrunde, die mit Beobachtungen von AntifaschistInnen »vor Ort« zusammengeführt wurde. Und doch ist sie nur ein Mindestwert. Wie auch in den Jahren zuvor ist von Dutzenden Konzerten auszugehen, die bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht dokumentiert werden können. So liegen beispielsweise knapp 30 Mobilisierungen zu neonazistischen Konzerten vor, die nicht verifiziert werden konnten, doch da Verbote oder Auflösungen viel eher publiziert werden als stattgefundene Konzerte, muss davon ausgegangen werden, dass auch ein Großteil dieser Konzerte stattfand.
Doch wann lässt sich überhaupt von einem Konzert reden? Die Zahl 255 umfasst alle 2005 in Deutschland stattgefundenen Neonazi-Veranstaltungen, auf denen Live-Musik-Darbietungen im Mittelpunkt beziehungsweise im Vordergrund standen und hauptsächlicher mobilisierender Faktor waren. Wenn auf einem Aufmarsch zwischen zwei Redebeträgen der obligatorische Liedermacher drei Lieder zum Schlechtesten gibt oder wenn zu später Stunde nach einer »Sonnwend-Feier« ein Kamerad spontan zur Gitarre greift, dann lässt sich kaum von einem Konzert ausgehen. Wenn jedoch ein Aufmarsch mit den Auftritten mehrerer Neonazibands beworben wird, die dann auch über einen längeren Zeitraum spielen, ist das Kriterium ebenso erfüllt wie beim Pfingstlager der Jungen Nationaldemokraten im Mai in Sachsen, auf dem als »Abendprogramm« die Auftritte von zwei Bands angekündigt sind, die von weit her anreisen und vor den 70 Teilnehmern aufspielen.
Von den 255 Konzerten waren 67 »Liederabende« oder »Balladenabende« mit neonazistischen Liedermachern, in 187 Fällen traten neonazistische Rockbands auf. Insgesamt 32 Konzerte wurden von der Polizei aufgelöst, meist jedoch erst gegen Ende der Veranstaltung. Durch antifaschistische Öffentlichkeitsarbeit, aber auch durch Polizeieinsätze konnten mehrere Dutzend weiterer Konzertveranstaltungen gänzlich verhindert werden.
Die meisten polizeilichen Auflösungen und Verhinderungen fanden in Thüringen statt. Die Schwerpunkte der Konzertaktivitäten lagen in Sachsen (78 Konzerte), wo sich die Zahl im Vergleich zum Jahr 2004 (26) verdreifacht hat, in Thüringen (31, 2004: 19), Bayern (30, 2004: 19) und Baden-Württemberg (26). Der unmittelbare Zusammenhang zwischen der Schaffung von Freiräumen, der Durchführung von Konzerten und der Etablierung neonazistischer Bands und Kameradschaften kann durch aktuelle Beobachtungen in diesen Bundesländern nachdrücklich bestätigt werden. Die wenigsten (nachweisbaren) Konzerte gab es in Bremen (keins), Saarland (3), Hamburg (3), die vergleichsweise geringen Zahlen in den Flächenländern Brandenburg (4) und Rheinland-Pfalz (6) sind vor allem auf rigide polizeiliche Maßnahmen zurückzuführen.
Angestiegen ist zudem die Anzahl an Konzertauftritten deutscher Neonazibands im Ausland. Selbst eine bis dahin recht unbekannte Band wie Valhallas Patriots aus Halle/Saale kann für das Jahr 2005 auf Aufrtitte in England, Belgien und in den USA zurückblicken. Auch wurde neues Terrain erschlossen: So tourte der »Barde« Frank Rennicke durch russische Städte, die Leipziger Band Odessa trat auf einem Blood & Honour-Konzert in der Ukraine auf.
Lebenswelten aus »Kultur und Politik«
Die Auftritte von neonazistischen Liedermachern und Bands sind heute mehr denn je integrale Bestandteile eines geschlossenen lebensweltlichen Komplexes. Sie runden Aufmärsche, Parteitage und »nationale Fußballturniere« ab, der »politische Karneval« der NPD Rhein-Neckar-Kurpfalz im pfälzischen Grünstadt wird von »nationalen Liedermachern« begleitet und auch die »nationale Versteigerung«, die der Kreisverband der Jungen Nationaldemokraten im sächsischen Döbeln für den 18. März dieses Jahres angesetzt hat, soll ihren Ausklang im Balladenabend finden.
Die gestiegene Anzahl neonazistischer Konzerte ist besonders Besorgnis erregend, da sie nur zum geringen Teil darauf zurückzuführen ist, dass im Jahr 2005 eine umfassendere Beobachtung durch antifaschistische Initiativen stattfand. Zum überwiegenden Teil haben strukturelle Veränderungen in der Szene diese Zunahme bewirkt. Durch die Koppelung von »politischen« und »kulturellen« Aktivitäten ist insbesondere die Anzahl an Konzerten und Liederabenden angestiegen, die im Anschluss an Parteitage und Ähnlichem stattfanden oder als Wahlkampfveranstaltungen dienten (insgesamt 57). So fanden beispielsweise zur Unterstützung des NPD-Wahlkampfes der NPD in Schleswig-Holstein im Januar und Februar 2005 alleine im Bundesland mindestens acht Liederabende und -nachmittage mit den in der Szene populären Liedermachern statt. In Rheinland-Pfalz hingegen konnte die NPD ihre vollmundige Ankündigung, das Bundesland im Vorfeld der Landtagswahlen am 26. März 2006 mit »einer Welle von Konzerten« zu überziehen, nicht umsetzen. Ein Konzert am 6. August in Saarbrücken, welches als Startschuss zur Musik-Offensive gedacht war, geriet zum Rohrkrepierer.
Die NPD war zu sehr darauf bedacht, polizeiliche Auflagen zu erfüllen und sich bürgernah zu geben. Schon die intensive Suche der NPD-Ordner nach verbotenen Symbolen auf den Jacken und T-Shirts der Konzertteilnehmer sorgte für schlechte Stimmung und als einige Besucher das aufgehängte schwarz-rot-goldene Banner, die Farben des »demokratischen« Deutschlands, entfernen wollten, kam es zu einer wüsten Schlägerei mit den Ordnern, woraufhin das Konzert abgebrochen werden musste. Die rheinland-pfälzische NPD ruderte zurück und führte in den Folgemonaten lieber (wieder) Liederabende durch.
Der Rückzug ins »Private« als Flucht nach vorne
Gleichzeitig zur Koppelung von »Politik« und »Musik« wird eine Entkoppelung neonazistischer Cliquen und Freundeskreise von den Führungssystemen der Szene deutlich. Diese warten nicht mehr darauf, dass jemand ein Konzert veranstaltet – sie organisieren »ihre« Konzerte selbst, stets im privat deklarierten Rahmen und bisweilen nur durch Mund-zu-Mund-Propaganda beworben. Um den »privaten Charakter« einer Veranstaltung »belegen« zu können, werden an den Schleusungspunkten an der Autobahn schon mal namentliche »Einladungen« an die Fahrzeuginsassen ausgestellt.
In einer wachsenden Anzahl an Orten konnten Neonazis (insbesondere über Hauskäufe und Pachtungen) neue Freiräume erschließen und hier Kameradschafts-Treffpunkte oder »Clubhäuser« einrichten, die zur Durchführung von Konzerten genutzt werden. Derartige Freiräume existieren mittlerweile in vielen Regionen Deutschlands, nachfolgend nur eine kleine Auswahl: In Borthen (Sächsische Schweiz) veranstalteten Neonazis in einer ehemaligen Diskothek im letzten Jahr mindestens zehn Konzerte, an denen zum Teil über 200 Neonazis teilnahmen. Auch in den Räumlichkeiten eines »nationalen Wohnprojektes« im ostvorpommerschen Salchow fanden ab dem Frühjahr mehrere Konzerte statt.
In beiden Fällen sollten behördliche Auflagen, unter anderem wegen Lärmschutz sowie baulicher Mängel, den Neonazis die Durchführung von Konzerten verunmöglichen, doch ging dies nach hinten los. Nach aufwändigen Umbaumaßnahmen verfügen die Betreiber in Salchow und Borthen nun über behördlich abgesegnete Räumlichkeiten. In Thüringen organisierten Neonazis im Jahr 2005 mehrere Konzerte im Vereinsheim eines Toringi-Vereins zur Thüringer Brauchtumspflege e.V. in Gotha und deklarierten diese als »Vereinsfeiern«, bei Mühlacker (Baden-Württemberg) unterhält die als »Freizeitverein« auftretende Neonazi-Gruppe Stallhaus Germania ein »Clubhaus«, wo nach Aussage der örtlichen Polizei jährlich etwa fünf Konzertveranstaltungen stattfinden. Im Club Asgard in Berlin-Friedrichsfelde, einem Treffpunkt der Black-Metal-Szene, traten an drei Abenden im Jahre 2005 neonazistische Bands vor einem entsprechenden Publikum auf. Die Gaststätte Lokalbahn im bayerischen Wunsiedel etablierte sich 2005 als fester Treffpunkt mehrerer im Kameradschaftsbund Hochfranken zusammengeschlossener Kameradschaften. Hier fanden alleine in den letzten vier Monaten mindestens fünf Konzerte und Liederabende statt. Und und und …
Die durchschnittliche Zahl der Teilnehmer ist durch die Zunahme »kleinerer« Konzerte im Jahre 2005 auf ca. 150 gesunken. Es fanden 2005 in Deutschland »nur« vier Konzerte statt, bei denen über 500 Neonazis zugegen waren. »Höhepunkt« war ein Konzert am 2. April im thüringischen Pößneck vor über 1.000 Neonazis. Das benachbarte Ausland hat als Austragungsort von größeren Konzerten weiter an Bedeutung verloren. Die geringe Zahl »spektakulärer« Großevents wird von Teilen der Szene als ein Mangel erkannt, der auch nicht durch angemeldete größere Konzerte, wie zum Beispiel dem Fest der Völker am 11. Juni in Jena, kompensiert werden kann. Behördliche Auflagen und polizeiliche Überwachung setzen dem Gebaren der Bands und Fans meist enge Grenzen, die »Fanatisierung der Masse«, seit jeher wichtiger Bestandteil neonazistischer Erlebniswelten, findet nur eingeschränkt statt.
Ein umkämpfter Markt
Insgesamt veröffentlichten deutsche Neonazibands letztes Jahr 124 CDs, davon entfielen 90 auf die Musikbereiche »White Noise« und »Hatecore«, 34 auf den Bereich neonazistischen Black Metals. Die Zahl der in Deutschland herausgegebenen CDs ausländischer Bands ist mit 38 deutlich höher als 2004 (20). Die Gesamtauflage der CDs ist im Jahre 2005 durch den Sampler »Hier kommt der Schrecken aller linken Spießer und Pauker« beträchtlich angestiegen. Diese von der NPD verbreitete CD, die eine kulturelle Offensive im Bundestagswahlkampf darstellen sollte, wurde nach Angaben der NPD in einer Auflage von 200.000 hergestellt.
Weitere Erkenntnisse über Produktionszahlen lassen die bisher angenommene durchschnittliche Auflagenhöhe von 3.000 pro CD (von White Noise- und Hatecore-Bands) zu niedrig erscheinen. Das Geschäftsvolumen ist dementsprechend, die Marktführer im neonazistischen Musikgeschäft – wie etwa der Wikinger-Versand im bayerischen Geiselhöring oder der Hamburger V7-Versand – erzielen Jahresumsätze von weit mehr als 500.000 Euro, wobei der Verkauf von rechter Bekleidung und Accessoires das Volumen des CD-Verkaufs bisweilen übersteigt.
Auch im Jahr 2005 fand die Produktion der CDs fast ausschließlich in Deutschland statt, selbst die von einem Schweizer Label herausgegebene CD »13« der Bremer Band Endlöser wurde in einem Presswerk bei Mannheim hergestellt, dort allerdings von der Polizei beschlagnahmt. Im Business lässt sich immer deutlicher »typisches« marktwirtschaftliches Denken erkennen. Knapp ein Fünftel der in Deutschland produzierten Neonazi-CDs erschien gegen Jahresende pünktlich zum Weihnachtsgeschäft. Auch sind konkurrenzbedingte Streitigkeiten zwischen Versänden, Labels und Konzertveranstaltern mittlerweile Normalität: Einzelnen »Großverdienern« am neonazistischen Musikgeschäft, wie zum Beispiel Ingo Knauf vom V7-Versand, wird der Vorwurf gemacht, ausschließlich in die eigene Tasche zu wirtschaften und sich der Szene entfremdet zu haben, gegenseitige Betrugsvorwürfe der Labels machen die Runde.
Viele neonazistische Ladengeschäfte und Labels präsentieren sich heute popmodern und sind bemüht mit ihrem Angebot das kulturell ausgefächerte rechte Spektrum zu bedienen: Hatecore- und Hip-Hop-Style, Tribals und Thor-Steinar-Chic, Fightclub- und Fußball-Trendwear liegen in den Auslagen einträchtig nebeneinander. Die Schnittstellen zwischen den Szenen sind vielfältig, auch in der Musik: So erscheint die Neuauflage der CD »Area conflagration: German Hardcore 1993-2003« der nicht extrem rechten Lübecker Hardcoreband Flächenbrand auf einem Fantasielabel, hinter dem sich das Hamburger Neonazilabel V7 Records verbirgt.
Die eher »unverdächtige« Heavy-Metal-Combo Dagor aus dem Raum Schifferstadt (Rheinland-Pfalz), die Wert darauf legt, mit ihrer Musik »keinerlei politische oder religiöse Gesinnung (zu) vertreten«, lässt ihre neue CD »Black Clouds« im 180 Kilometer entfernten Lollar (Mittelhessen) produzieren – von White Noise Records, einem Insiderlabel des harten Kerns der Neonaziszene.
Einordnungs- und Handlungsdefizite der Behörden
Signifikant ist der Zusammenhang zwischen neonazistischem Strukturaufbau und den Handlungsdefiziten politischer Entscheidungsträger. Dort, wo das Problem nicht erkannt oder verschwiegen wird, wo kein zivilgesellschaftlicher Widerstand und keine Gegenkultur unterstützt wird, können die Neonazis fast ungehindert Freiräume schaffen.
Eine erstaunliche Toleranz gegenüber Neonazi-Konzerten zeigten die Behörden in Bayern, wo die militanten »Hammerskins« am 17. September in der Würzburger Frankenhalle ein Konzert mit 400 Besuchern durchführen konnten. Im gesamten Bundesland wurden lediglich ein Neonazikonzert vorzeitig aufgelöst und zwei verhindert. Selbst ein von einem NPD-Funktionär angemeldetes Konzert am 22. Oktober in Mitterskirchen konnte trotz der Anwesenheit starker Polizeikräfte planmäßig durchgeführt werden, obwohl von der Bühne volksverhetzende Aussagen getätigt wurden und für das in Deutschland verbotene Netzwerk von Blood & Honour geworben wurde. Obwohl die Zahlen für das Jahr 2005 alarmierend sind, wird antifaschistische Interventionsarbeit weiterhin durch die Gleichgültigkeit vieler politischer Entscheidungsträger erschwert.
Der »Rückzug« in eigene Räume im Hinterland und der fortschreitende Stilwandel in der Szene lassen die Neonazis mancherorts nicht mehr so »erkennbar« auftreten. Doch die Zahlen des Jahres 2005 zeigen deutlich: Die Neonazis haben sich in Parallelwelten eingerichtet, in denen es ihnen möglich ist, eine kontinuierliche Erlebniswelt anzubieten und den steten Nachschub an musikalischer Propaganda zu organisieren. Die Integration und Versorgung des Umfelds ist darüber flächendeckend gewährleistet.