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»Verkleidet als Neonazi«

Ein »Researchkollektivet Redox« (Gastbeitrag)
Einleitung

Acht Monate unter Neonazis in Århus

Bild: attenzione-photo.com

Eine Neonazi-Demonstration in Dänemark.

Am 24. Oktober diesen Jahres berichtete »21 Sonntag«, die grösste Nachrichtensendung in Dänemark, über die Geschichte einer Frau (Charlotte), welche in einem Zeitraum von acht Monaten das neonazistische Milieu in der zweitgrössten Stadt im Land, Århus, unterwandert hatte. Diese Infiltration geschah in Zusammenarbeit mit dem Recherchekollektiv Redox. Redox ist eine Journalist_innengruppe, die extrem rechte Aktivitäten und Zusammenhänge in Dänemark beobachtet und dokumentiert.

Die Idee zur Infiltration kam auf, als einer der besten Freunde der Frau von der neonazistischen Hooligangruppe »White Pride« überfallen und  schwer zusammengeschlagen wurde. Charlotte ist über diesen Vorfall sehr schockiert und entschliesst sich dazu, dass »etwas« gemacht werden müsse. Dieses »etwas« nimmt sehr schnell Gestalt an, als sie heraus findet, dass sich ein alter Bekannter von ihr zum Umfeld von »White Pride« gehört. Beweggrund für diese Idee war, herauszufinden was die Mitglieder von »White Pride« planen, um so die »Linken« in Århus vor gewaltsamen Auseinandersetzungen warnen zu können.

»White Pride« wurde 1994 gegründet und ist eine extrem rechte Hooligangruppe des örtlichen Fussballclubs Århus GF. »Gewöhnliche« Rassisten sind ebenso bei »White Pride« aktiv wie offen bekennende Neonazis. Neben Konfrontationen mit anderen Hooligans ist »White Pride« auch für eine Vielzahl von Überfällen auf Linke, MigrantInnen und Homosexuelle in Århus verantwortlich. Linke und alternative Jugendliche werden gezielt angegriffen und ihr ehemaliger Treffpunkt wurde immer wieder attackiert.

Sind die »White Pride« Mitglieder nicht bei einem Fussballspiel, treffen sie sich in verschiedenen Kneipen, wie z.B. dem »Weissen Pferd«. Hier machte auch Charlotte ihre erste Bekanntschaft mit »White Pride« und anderen Angehörigen der extrem rechten Szene in Århus.

Charlotte ist zu diesem Zeitpunkt 20 Jahre alt,  hat gerade ihr Abitur gemacht und arbeitet in einer Marketingfirma. Der Überfall auf ihren Freund führte dazu, dass sie im Oktober 2008 beschließt, sich unter die Neonazis zu mischen. Sie kontaktiert die Recherchegruppe Redox und bittet um Hilfe. Redox warnt vor solch einem Projekt, aber Charlotte lässt sich nicht davon abbringen. Aus diesem Grund beschliesst Redox, die Idee aktiv zu unterstützen, auch um so fatalen Fehlern vorzubeugen.

Mehrere Male in dieser Zeit trifft sich Charlotte mit Redox. Ziel dieser Treffen ist, dass Charlotte mehr Wissen über das »Who is Who«, die Strukturen und Zusammenhänge der rechten Szene bekommt. Im Gegenzug schreibt Charlotte alle ihre Erfahrungen und Beobachtungen auf und schickt sie an die Recherchegruppe. 

Mit ihrem alten Bekannten verbringt Charlotte viele Abende mit den Neonazis in verschiedenen Kneipen der Stadt. Eines Abends lernt sie Morten kennen. Morten ist ein ehemaliges Mitglied von »White Pride« und nun in der Ultras Gruppe »Nysir« aktiv. Nach aussen hin gibt sich »Nysir« unpolitisch, viele ihrer Mitglieder haben aber einen extrem rechten Hintergrund. Morten kennt viele von »White Pride« persönlich und Charlotte wittert ihre Chance. Charlotte und Morten treffen sich häufig und durch ihn lernt sie mehrere zentrale Figuren aus der rechten Szene von Århus kennen. Diese Situation setzt sich einige Monate fort und langsam aber sicher wird Charlotte in der lokalen Neonaziszene akzeptiert.

In der gleichen Zeit bekommt die autonome Szene in Århus ein Haus zur Verfügung gestellt. Der Treffpunkt, der einfach »Haus« genannt wird, dient ihnen als Ort in dem politische Treffen, Partys und »Volksküchen« stattfinden. Das »Haus« ist den Neonazis, die Århus als »ihre« Stadt ansehen, ein Dorn im Auge. Aus diesem Grund wird das »Haus« regelmäßig von »White Pride« Mitgliedern angegriffen.

Charlottes Arbeit zeigt aber schon erste Wirkung und so gelingt es ihr, mehrmals die NutzerInnen des Hauses vor Angriffen zu warnen. Das hat Konsequenzen für »White Pride«. Die Leute im Haus können sich auf die Angriffe vorbereiten und es gelingt ihnen mehrfach diese abzuwehren und die Neonazis in die Flucht zu schlagen. Daneben deckt Charlotte auch eine Personenüberschneidung zwischen »White Pride« und der Organisation »Vederfølner« auf. »Vederfølner« ist eine Organisation aus dem rechten Spektrum in Århus, die sich explizit von Gewalt distanziert und versucht, sich als seriöse Gruppe zu verkaufen, welche für die Interessen Dänemarks einstehen will.

Der Austausch ihres gesamten Freundeskreises schlägt sich auf Charlottes Wohlbefinden nieder. Sie fühlt sich mit ihrer Situation oft alleine und hat kaum jemanden mit dem sie ihre Ängste und Gefühle teilen kann. Gleichzeitig kommen sich Morten und sie immer näher und verbringen immer mehr Zeit miteinander.

Die Infiltration gelingt hingegen immer besser und Charlotte dringt immer tiefer in den inneren Kreis der Neonazis ein. Sie erlebt einen Alltag, der geprägt ist von Gewalt, Drogen und den Hitlergruss zeigenden jungen Männern. Mehrfach schrammt Charlotte nur ganz knapp an einer Aufdeckung vorbei. Charlotte hat eine Kontaktperson in der linken Szene in Århus, die als einzige über das Projekt Bescheid weiss. Als sie die Kontaktperson wieder einmal vor einem bevorstehenden Angriff der Neonazis warnen will, tippt sie aus Versehen die Nummer eines Mitgliedes von »White Pride« ein. Kurz vor dem Senden der Nachricht bemerkt sie glücklicherweise rechtzeitig ihren Fehler.

Nach mehreren Monaten Anwesenheit in  Kneipen, bei Festen und Weihnachtsessen bekommt Charlotte den endgültigen Beweis, dass die Neonazis sie als eine der ihren ansehen. Sie wird auf die jährliche Generalversammlung der Organisation »Vederfølner« eingeladen. Ein abruptes Ende wird dem Projekt gesetzt, als eine Mitarbeiterin von Charlotte diese in Begleitung von »White Pride«-Leuten trifft. Die Kollegin ist schockiert, beginnt andere Leute über Charlotte auszufragen und streut das Gerücht, dass Charlotte jetzt in der Neonazi-Szene verkehre.

Nach einer kurzen Situationsanalyse beschließen Charlotte, ihre Kontaktperson und Redox, das Projekt zu beenden. Innerhalb kürzester Zeit bricht Charlotte alle Kontakte ins rechte Milieu ab. Als Grund gibt sie an, sich in einen Muslim verliebt zu haben. Die Neonazis fallen darauf herein und die Folge sind E-Mails mit wüsten Beschimpfungen als »Volksverräterin«. Seitdem hat Charlotte in Zusammenarbeit mit zwei JournalistInnen ihre Erinnerungen und Erfahrungen zu Papier gebracht.

Das Ergebnis ist das Buch »Verkleidet als Nazi« das am 26. Oktober diesen Jahres erschienen ist. Diese Veröffentlichung hat für einigen Wirbel gesorgt und die erste Auflage ist schon vergriffen. Die Reaktion der Neonazis bestand aus Versuchen, das Buch zu bagatellisieren und ihre Geschichte als Lüge darzustellen. Fakt ist jedoch, dass dieses Projekt, die daraus gewonnenen Erkenntnisse und die Herausgabe des Buches mit der daraus resultierenden Medienaufmerksamkeit als ein grosser Erfolg zu werten sind. Es ist ein herber Rückschlag für die ansonsten sehr starke rechte Szene in Århus. Das erste Mal seit Jahren befinden sie sich in der Defensive. Charlotte hat Århus verlassen und wohnt unter Schutz und einer heimlichen Adresse irgendwo in Dänemark.