„Linksextreme Musikszene“ in Sachsen – eine Erfindung des Verfassungsschutzes?
Michael BergmannIn Sachsen wurden in den letzten Jahren mehr Musik-Bands durch den Verfassungsschutz unter der Kategorie „Linksextreme Musikszene“ gelistet, als in allen anderen Bundesländern zusammen. Ein Gerichtsurteil stellte jetzt fest, dass die namentliche Nennung einiger dieser Bands im Jahresbericht des Inlandsgeheimdienstes rechtswidrig war. Die Observierung antifaschistischer Musikgruppen und die Datensammlung über ihre Aktivitäten sind damit jedoch nicht beendet.
In der medialen Wahrnehmung liege ein „starkes Gewicht auf dem Thema Rechtsextremismus in Sachsen“, meint Dirk Münster, Leiter des "Polizeilichen Abwehrzentrums für Terrorismus und Extremismus" (PTAZ) am Landeskriminalamt in Sachsen. In einem Interview mit dem russischen Staatssender "RT Deutsch" erklärt er weiter1 1: „Wenn man die Fallzahlen der Statistik (…), die Anzahl der Gewaltdelikte anschaut, haben wir bei den Gewaltdelikten sogar einen leichten Überhang bei linksextremen. Und das schon seit vielen Jahren.“ Als Zeuge dieser vermeintlichen linksextremen Gewalt kommt in derselben Sendung der extrem rechte Aktivist Maximilian Thorn zu Wort. Er war in der Vergangenheit als Redner bei PEGIDA und Aktivist der „Identitären Bewegung“ (IB) aufgefallen. Die Gründung einer Sonderkommission Linksextremismus in Sachsen verwundert in diesem Zusammenhang nicht. Trotz der Verankerung des Kerntrio des NSU und mindestens drei weitere rechtsterroristische Gruppen hier, hatten in Sachsen die Ermittlungsbehörden ihren Fokus stets auf der Verfolgung und Krimanlisierung von antifaschistischem Widerstand.
Und so reiht sich die neuerliche Stimmungsmache gegen den sogenannten „Linksextremismus“ in eine lange sächsische Tradition. Eine wichtige Rolle spielte dabei schon immer der Verfassungsschutz. Nachdem der Burschenschafter Gordian Meyer-Plath, der wegen seiner Rolle im NSU-Komplex und seinen diesbezüglichen Aussagen vor diversen Untersuchungsausschüssen in der Kritik steht, das Amt des Verfassungsschutzpräsidenten in Sachsen 2013 übernahm, wurde in den Bericht die Kategorie „Linksextreme Musikszene“ eingeführt. Während rechtsextreme Musik klandestin stattfinden müsse, da sie gesellschaftlich geächtet sei, habe es die „linksextreme Musikszene“ deutlich einfacher, heißt es in dem Bericht. Deren Veranstaltungen „finden deshalb häufig in öffentlichen Einrichtungen oder als Festivals unter freiem Himmel statt“, stellt das Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen (LfV) fest. Dadurch können sich, nach Ansicht der Behörde, deren Ideen stärker verbreiten und eine gesellschaftliche Akzeptanz finden. Als Beispiel wird durch das LfV u.a. eine Demonstration gegen die Partei „Die Rechte“ in Leipzig aufgeführt, bei der „linksextreme Musik“ abgespielt worden sei.
Der Punk-Band „Dr. Ulrich Undeutsch“ wurde durch das LfV vorgeworfen, sie würde in ihren Liedtexten Themenfelder wie „Antirepression“ und „Antifaschismus“ besetzen, wodurch eine Ablehnung des demokratischen Rechtsstaates deutlich werde und sie deshalb als linksextrem einzustufen sei. Ähnlich erging es den Bands „One Step Ahead“, „east german beauties“ und „Endstation Chaos“. In einer Sitzung des Kriminalpräventiven Rates der Stadt Limbach-Oberfrohna hörten die Anwesenden im Beisein von Polizei und Verfassungsschutz ein Album der dort ansässigen Band „One Step Ahead“, um sich vom vermeintlichen Linksextremismus der Musiker zu überzeugen.
Die Einstufung der Bands als „linksextrem“ zog weitreichende Konsequenzen nach sich. Das LfV informierte vor jedem öffentlichen Auftritt in Sachsen den Veranstaltungsort und die zuständige örtliche Versammlungsbehörde darüber, dass der Auftritt einer „linksextremen Band“ anstehe. Infolgedessen wurden durch die Versammlungsbehörden der Landkreise und Städte Polizeieinsätze ausgelöst, die rund um die Konzerte die Sicherheit und Ordnung herstellen sollten. Bei zahlreichen Konzerten führte dies dazu, dass mehr Polizeikräfte in den jeweiligen Kleinstädten und Dörfern unterwegs waren, als überhaupt Besucher_innen zu den Konzerten kamen. Einige Veranstaltungsorte sagten die Konzerte aus Angst vor der Staatsmacht auch gänzlich ab. Andere Konzertorte rückten sich durch die Durchführung der Konzerte als „Veranstaltungsorte der linksextremen Musikszene“ selbst ins Visier der Überwachungsbehörden.
Der Bürgermeister der Gemeinde Leubsdorf, Dirk Fröhlich (CDU), verbot im Juni 2019 ein Konzert von „Dr. Ulrich Undeutsch“ beim örtlichen Sportverein durch amtliches Schreiben sogar gänzlich. Andere Kommunalverwaltungen drohten den Veranstaltungsorten mit Fördermittelentzug, wenn sie weiterhin „linksextreme Bands“ auftreten lassen. Kurios betrieben wurde die Einschränkung der Bands u.a. durch die Extremismusbeauftragte des Landkreises Mittelsachsen. Diese forderte von einer auftretenden Band eine Playliste mit Liedern, die beim Konzert gespielt werden sollten. Aufgrund der Absurdität dieser Auflage reichte die Band eine Liste mit Titeln ein, die sie frei erfunden hatte. Am Ende wurde ihr mitgeteilt, dass bis auf zwei Lieder der Liste keines gespielt werden dürfe. In mindestens einem Fall ist darüber hinaus bekannt, dass dem LfV Fotos von einem Konzert in Sachsen vorliegen, die durch den Einsatz eines Mitarbeiters oder eines V-Mannes der Behörde entstanden sind.
In einem Anerkennungsurteil stellte das Verwaltungsgericht Dresden am 23. Oktober 2019 fest, dass die Nennungen der Bands „Dr. Ulrich Undeutsch“, „One Step Ahead“, „east german beauties“ und „Endstation Chaos“ im Verfassungsschutzbericht unzulässig sind. Das LfV musste seinen Bericht daraufhin einstampfen. Vorausgegangen war dem Urteil eine Klage der vier Bands. „Der Verfassungsschutz hatte offenbar nichts gegen die Bands in der Hand, was juristischen Wert hat,“ meint der Leipziger Rechtsanwalt Raik Höfler, der die Klage führte. Die Kosten des Verwaltungsgerichtsprozesses trägt nun das Sächsische Innenministerium. Trotzdem zeigt sich Raik Höfler nicht nur erfreut über die Entscheidung. Er bedauert, dass durch die Anerkennung des Urteils durch die Behörde kein Verfahren stattfinde, bei welchem Fragen von Kunstfreiheit und Zensur im Zusammenhang mit dem LfV gestellt werden können.
Ob eine Beobachtung von politischen Musikgruppen durch die Verfassungsschutzämter überhaupt vom deutschen Grundgesetz gedeckt ist, ist unter Jurist_innen umstritten. Als richtungsweisend gilt in diesem Zusammenhang das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Jahr 2000 zum Lied „Deutschland muss sterben, damit wir leben können“ der Band „Slime“. Das Gericht stellte damals fest, dass der demokratische Rechtsstaat auch „eine plakative, drastische Kritik mit satirischem Einschlag an gesellschaftlichen und politischen Zuständen“ aushalten müsse. In der Kunstform sei es laut Gericht normal, das „symbolhaft überfrachtete Bilder“ und „karikaturhaft überzeichnete Ausdrücke“ zum Einsatz kommen. Wenn Komposition und Dichtung vorlägen, dann komme es auf die „Höhe der Dichtkunst“ nicht mehr an, so die Verfassungsrichter. Die Kunstfreiheit ist demnach ein wichtiges Grundrecht, welches eine hohe Schwelle für Eingriffe vorsieht. Sollte in den Texten von Liedern zu Straf-und Gewalttaten aufgerufen werden, liegt die Zuständigkeit dafür bei Polizei und Staatsanwaltschaften. Ob der Verfassungsschutz im Kunstbereich bereits im Vorfeld tätig werden darf, gilt als mindestens fraglich.
Der innenpolitische Sprecher der Fraktion Bündnis90/Grüne im Sächsischen Landtag, Valentin Lippmann meint: „Die rechtswidrige Beobachtung der linken Musikszene durch den Verfassungsschutz ist ein weiterer Beweis dafür, dass dieser Verfassungsschutz weder seiner eigentlichen Aufgabe nachkommt (…), noch in der Lage ist, saubere rechtssichere analytische Arbeit zu leisten.“ Er fordert eine Abwicklung des Verfassungsschutzes. Dass das LfV nach dem Gerichtsurteil die Observierung von antifaschistischen Musikgruppen in Sachsen einstellen wird ist nicht zu erwarten. Gerichtlich festgehalten wurde lediglich, dass die namentliche Nennung der Bands im Bericht der Behörde zu unterlassen ist. Ob die Observation von antifaschistischen Musiker_innen mit geheimdienstlichen Mitteln rechtskonform ist, muss in kommenden Prozessen entschieden werden.
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