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„Schlepper“, „Schleuser“, „Menschenschmuggler“

Michael Plöse
Einleitung

Über die Kriminalisierung der Fluchthilfe und Strategien der Justiz

Seitdem die Bundesregierung Mitte September 2015 nach Art. 23 des Schengener Grenzkodex die Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen beschlossen hat, ist die Zahl der Strafverfahren gegen sog. Schleuser_innen so drastisch gestiegen, dass in Bayern die Gefängnisse überfüllt sind und die Amtsgerichte Bewährungsstrafen im
Viertelstundentakt verhängen.

Während selbst aus Polizeikreisen eine Entkriminalisierung der unerlaubten Einreise und der Beihilfe hierzu gefordert wird, verschärft die Bundesregierung die Strafandrohung für Fluchthilfe auf eine Mindeststrafe von drei Monaten Gefängnis. Die „Bekämpfung“ von „Schleppern“ ist in Europa Staatsraison und soll vom politischen Versagen bei der Organisation der Flüchtlingshilfe ablenken. Dabei richtet sich die Kriminalisierung immer öfter auch gegen solidarische Fluchthilfeaktionen und kollidiert bewusst mit dem Wohlfühlgewissen der Willkommenskultur.

3.601 Flüchtende haben 2015 im Mittelmeer bei dem Versuch, ihr Leben zu retten, ihr Leben gelassen. Die Bilder von ertrunkenen Menschen an Europas Stränden und die 71 Leichen in einem LKW südlich von Wien erzeugen Betroffenheit und provozieren die Suche nach Verantwortlichen. Die unverhohlene Scheinheiligkeit, mit der die zuständigen Innenminister die Folgen ihrer martialischen Abschottungs- und Abschreckungspolitik den kommerziellen und solidarischen, in jedem Fall aber kriminalisierten Fluchthilfenetzwerken zuschieben, wenn sie Betroffenheit heucheln und von „schamlosen Menschenschmugglern“ schwadronieren, appelliert nicht umsonst an die rassistischen und stigmatisierenden Vorstellungen von den „ausländischen Schlepperbanden“, die schon in den 1990er Jahren unter dem Kampfbegriff der „Organisierte Kriminalität“ die Fluchthilfe in einem Atemzug mit „Menschenhandel“, Zwangsprostitution und Kindesmissbrauch nannten. Dabei wird oft vergessen, dass auch der illegalisierte Markt wie jeder andere nach den Mechanismen von Angebot und Nachfrage funktioniert und dass die militarisierte Aufrüstung an den Außengrenzen ebenso wie die Intensivierung der Migrationskontrolle im Inland für die Flüchtenden die Inanspruchnahme gut vernetzter Fluchthilfestrukturen geradezu notwendig macht und damit den Preis für die begehrte Dienstleistung in die Höhe treibt. Wer immer diesen Preis nicht zahlen kann, setzt sich einem erhöhten Risiko aus, auf unsichere Strukturen vertrauen zu müssen oder sich tatsächlich krimineller Ausbeutung auszusetzen. Um es zynisch auszudrücken: Qualität hat ihren Preis.

Migration und Strafverfolgung

Mehr als 280.000 Menschen wurden 2014 beim nicht erlaubten Grenzübertritt festgestellt; in den ersten acht Monaten des Jahres 2015 waren es mehr als 500.000. Die Bundesregierung beziffert die Anzahl der 2015 bis September in die BRD geschleusten Personen auf 14.811, überwiegend aus Syrien (6.610), Afghanistan (2.358), dem Irak (1.944), Kosovo (909) und aus Pakistan (418). Die in Folge der Zunahme militärischer Kriegshandlungen deutlich steigende Zahl von Asylsuchenden in diesem Jahr schlägt sich auch in der Anzahl der wegen „Einschleusens von Ausländern“ (§ 96 AufenthG) eingeleiteten Strafverfahren nieder: Bis zur Wiedereinführung der Binnengrenzkontrollen in der Nacht des 13. September 2015 stellten die Grenzbehörden insgesamt 2.653 tatverdächtige Schleuser_innen fest – fast doppelt so viele wie im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Fast die Hälfte der Strafverfahren (1.323) wird in Bayern geführt; anders als in den übrigen Bundesländern ordnen die Haftrichter_innen hier jedoch auch Untersuchungshaft für die Verdächtigen an. Zeitweise saßen in den Sommermonaten bis zu 800 Verdächtige in den völlig überfüllten Vollzugsanstalten ein. Allein in Passau wurden 350 Menschen auf 75 Haftplätzen untergebracht. Aber auch die Herkunft der Fluchthelfer_innen hat sich geändert: Waren es 2014 an erster Stelle deutsche Staatsbürger_innen (insgesamt 18 Prozent) oder mit dauerhaftem Aufenthalt in Deutschland lebende Nicht-Deutsche, die ihre Verwandten und Bekannten bei der — legal nicht möglichen — Einreise in die BRD unterstützten, richten sich die Strafverfahren 2015 überwiegend gegen Tatverdächtige aus Ungarn (335), Rumänien (306), Syrien (238) und Bulgarien (138). 135 Strafverfahren sind aktuell gegen De­­­utsche anhängig (5 Prozent), 97 gegen Öster­reicher_innen (3,6 Prozent).

Angesichts dieser im Allgemeinen als Überforderung der Justiz thematisierten Problematik verwundert es nicht, wenn an den bayerischen Amtsgerichten gegen die zumeist schlecht oder gar nicht verteidigten Tatverdächtigen Bewährungsstrafen im Viertelstundentakt verhängt werden. Dabei entsteht der Eindruck, insbesondere die über Tage oder Wochen in Untersuchungshaft gehaltenen Tatverdächtigen aus Osteuropa, die zumeist ohne Vorstrafen sind, seien von der Staatsanwaltschaft schon im Vorfeld der Verhandlung auf folgendes Szenario eingeschworen worden: Kassiere die Bewährungsstrafe und ein Einreiseverbot für die BRD und wir schieben dich sofort nach Hause ab. Anders lässt sich der Verzicht auf die Möglichkeit einer Geldstrafe bei nicht vorbestraften Angeklagten kaum erklären. Tatfahrzeuge werden nicht selten eingezogen und versteigert oder zerstört.

Schengen bedeutet Kriminalisierung

Die europäische Richtlinie 2002/90/EG verpflichtet die Mitgliedsstaaten der EU zur Verhängung „wirksamer, angemessener und abschreckender“ Sanktionen gegen Menschen, „die einer Person, die nicht Angehörige eines Mitgliedsstaates ist, vorsätzlich dabei helfen, in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaats unter Verletzung der Rechts­vorschriften des betreffenden Staates über die Einreise oder die Durchreise von Ausländern einzureisen oder durch dessen Hoheitsgebiet zu reisen“ oder dieser „zu Gewinnzwecken vorsätzlich dabei helfen, sich im Hoheitsgebiet [unerlaubt] aufzuhalten“. Lediglich, „wenn das Ziel der Handlungen die humanitäre Unterstützung der betroffenen Person ist“, ist den Mitgliedsstaaten erlaubt, von einer Strafe abzusehen.

Selbst wenn die Strafverfolgungspraxis weit hinter der gesetzlichen Kriminalisierung zurückbleibt, hat die Bundesrepublik hiervon praktisch keinen Gebrauch gemacht. Ziel der Repression ist dabei weniger der Schutz von Menschen auf der Flucht – hierzu würden ja schon die üblichen Vorschriften des Strafgesetzbuches gegen (fahrlässige) Tötung, Körperverletzung, Freiheitsberaubung, Nötigung oder „Menschenhandel“ genügen. Vielmehr geht es um die Stabilisierung bürokratischer Ordnungs- und Ausschließungssysteme zur Migrationskontrolle. Aus diesem Grund steht hinter fast jeder verwaltungsrechtlichen Mitwirkungspflicht im Asylverfahren für den Fall der Nichtbefolgung oder Nichtberücksichtigung eine Strafdrohung (z.B. für falsche oder unvollständige Angaben bei der Asylantragstellung oder das unerlaubte Verlassen eines zugewiesenen Verwaltungsbezirks). Damit wird zugleich jede Unterstützungshandlung nach den allgemeinen Regeln der Anstiftung und Beihilfe (§§26, 27 StGB) unter Strafe gestellt. Spezielle Strafnormen verstecken sich mithin im Aufenthaltsgesetz (§§95–97 AufenthG), im Asylverfahrensgesetz (§84–85 AsylVfG) und im Freizügigkeitsgesetz (§9 FreizügG/EU).

Legale Einreise nicht vorgesehen

Die Einreise von Asylsuchenden aus sog. „Drittstaaten“, die nicht über ein gültiges Visum oder einen sonstigen Aufenthaltstitel verfügen, ist nach §14 Abs. 2 AufenthG unerlaubt und wird durch §95 Abs.1 Nr.3 AufenthG mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bedroht. Auch der weitere Aufenthalt ohne entsprechende Papiere ist unter Strafe gestellt. Nicht strafbar macht sich lediglich, wer direkt an der Grenze um Asyl nachsucht; muss dann aber davon ausgehen, dass ihm/ihr die Einreise verweigert wird, da er/sie regelmäßig aus einem der sicheren Drittstaaten im Sinne von §26a AsylVfG einreisen wird, von denen die BRD umgeben ist. Damit ist es praktisch ausgeschlossen, ohne fremde Hilfe legal auf dem Land-, Luft- oder Seeweg einzureisen. Wer dennoch Unterstützung leistet oder dazu anstiftet, ohne selbst davon einen Nutzen zu haben, wird als Teilnehmer der vorsätzlichen Haupttat bestraft (§ 95 Abs.1 Nr.3 AufenthG i.V.m. §§26, 27 StGB).

Wann immer der/die Fluchthelfer_in sich einen Vorteil versprechen lässt, wiederholt oder (!) zugunsten von mehreren Illegalisierten handelt, wird die Unterstützungstat durch §96 AufenthG als qualifizierte Beihilfe seit dem 24. Oktober 2015 mit drei Monaten bis fünf Jahren Freiheitsstrafe geahndet. Die Bundesregierung hatte die Strafschärfung im „Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz” damit begründet, dass „jegliche Schleusungsaktivitäten“ das Ziel, „die aktuelle Flüchtlingsbewegung nach Möglichkeit zu steuern und organisatorisch zu bewältigen“ gefährdeten und diese „besonders sozialschädliche Form kriminellen Verhaltens mit allen verfügbaren Mitteln zurückzudrängen“ sei. Lediglich in „minder schweren Fällen“ können ausnahmsweise auch Geldstrafen verhängt werden. Von solchen Fällen ist nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 446/15, S. 69) auszugehen, „wenn ein altruistischer Schleuser eine erst- bzw. einmalige Schleusung ohne kommerzielle Gewinninteressen durchführt, z.B. in dem er mit seinem Privatfahrzeug zwei Ausländer über die Grenze transportiert.

Besonders teuer wird es jedoch, wenn Fluchthelfer_innen wiederholt („gewerbsmäßig“), gemeinschaftlich, womöglich organisiert agieren (Stichwort: „Bande“), Waffen (auch ohne konkrete Verwendungsabsicht) bei sich führen oder die geschleusten Personen erniedrigend bzw. lebensgefährdend behandeln (§96 Abs. 2 AufenthG: Mindeststrafe sechs Monate).

Eigentlich können sich Asylsuchende spätestens im Moment ihrer Antragstellung (vorübergehend) legalisieren, weil sie einerseits zur Durchführung des Asylverfahrens gem. § 55 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG von Gesetzes wegen eine Aufenthaltsgestattung erlangen und damit von der Passpflicht des § 3 Abs. 1 AufenthG befreit werden (vgl. § 64 Abs. 1 AsylVfG), andererseits mit Art.31 Abs.1 der Genfer Flüchtlingskonvention (GK) ein persönlicher Strafausschließungsgrund für sie streitet, der ihnen Straflosigkeit ab dem Zeitpunkt der Einreise gewährt. Damit fällt jedoch die rechtswidrige Haupttat weg und die Fluchthelfer_innen bleiben straffrei. Wegen der Konstruktion „sicherer Drittstaaten“ in Art.16a Abs. 2 GG und §26a Abs. 1 AsylVfG können sich die meisten Asylsuchenden aber nicht auf ihr Asylrecht aus Art.16a Abs.1 GG berufen, weil sie nicht „unmittelbar aus einem Gebiet kommen, in dem ihr Leben oder ihre Freiheit bedroht ist“. Vielmehr können sie im Rahmen der Dublin-Verordnungen in den EU-Mitgliedsstaat zurückgeschickt werden, den sie zuerst betreten haben. Konsequenz für die Fluchthelfer_innen: Ihre Strafbarkeit lebt wieder auf, denn die generelle Straffreiheit der Asylsuchenden wird bei denen, die keinen Zugang zum Asylverfahren haben, nur zu einem persönlichen Strafaufhebungsgrund. Daher bleibt die Einreise unerlaubt, der/die Einreisende straffrei, die Fluchthilfe aber strafbar.

Schlepper ist, wer am Steuer sitzt

Auf einen besonderen Tatbeitrag kommt es kaum an, um sich als Fluchthelfer_in strafbar oder verdächtig zu machen. Es genügt jegliches Unterstützen der Einreise (§§96 Abs.1 Nr. 1 i.V.m. 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG), z.B. durch eine grenzquerende Mitnahme im Fahrzeug oder deren Vermittlung, die Aushändigung eines Tickets zur Reise in die BRD oder durch finanzielle oder organisatorische Hilfestellung, z.B. Dolmetschen. Voraussetzung ist allerdings ein Für-Möglich-Halten, dass der flüchtenden Person die Einreise nicht gestattet ist, ohne dass dazu vertiefte Kenntnisse im Aufenthaltsrecht verlangt würden.

In der Praxis leitete die Bundespolizei allerdings auch Verfahren gegen Menschen ein, die ihre Mitreisenden auf Empfehlung der österreichischen Polizei bereits vor der deutschen Grenze aussteigen ließen oder die in einem Zug auf Sitzen angetroffen wurden, unter denen sich Geflüchtete verbargen. Einer in Deutschland lebenden Familie, die ihre Angehörigen aus der Türkei abgeholt hatte und an der Grenze zur EU von den griechischen Beamten die Auskunft erhielt, deren Reisepapiere würden zur Einreise ins Schengenland genügen, wurden an der deutschen Grenze bereits erwartet und in Haft genommen: Zwei an die griechische Grenze beorderte Polizisten hatten die Dokumente für nicht ausreichend gehalten und einen entsprechenden Funkspruch abgesetzt.

Immer wieder sind auch Taxifahrer_innen von Strafverfahren betroffen. Eigentlich gilt für diese eine Beförderungspflicht, sie sind zur Kontrolle von Ausweisdokumenten nicht berechtigt und ihnen verbietet das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) die Verdachtskontrolle von Reisepässen aufgrund äußerer Merkmale oder Zuschreibungen. Dennoch erlaubt §63 Abs.1 AufenthG den Beförderungsunternehmer_innen nur dann die Fahrt von Nicht-Deutschen ins Bundesgebiet, „wenn sie im Besitz eines erforderlichen Passes und eines erforderlichen Aufenthaltstitels sind“. So verurteilte das Amtsgericht Zittau am 20. März 1997 einen Taxifahrer zu einer Gefängnisstrafe von 1 Jahr und 4 Monaten ohne Bewährung, der sich zwar die Pässe seiner Fahrgäste für die Fahrt von Zittau nach Bautzen hatte zeigen lassen, aber nicht das Vorliegen eines gültigen Visums kontrolliert hatte. In der Folgezeit weigerten sich zahlreiche Taxiunternehmen, vermeintliche Nicht-Deutsche zu befördern, was es für die Asylsuchenden in den abgelegen brandenburgischen Aufnahmeeinrichtungen nahezu unmöglich machte, ihre Termine wahrzunehmen. Auch 2014 noch wurde ein westdeutscher Taxifahrer vom AG Frankfurt an der Oder zu einer Bewährungsstrafe verurteilt, weil er zwei Verwandte ins Inland verbracht hatte.

Doch Taxifahrer_innen sind nicht nur in der BRD gefährdet: 2008 wurde der Flensburger Taxifahrer Jörg Ridder von einem dänischen Gericht zu 50 Tagen Haft ohne Bewährung verurteilt, weil er die Reisepapiere seiner Fahrgäste nicht auf ihre Einreiseberechtigung geprüft hatte. In Reaktion darauf hatten am 10. Januar 2008 über 50 deutsche und dänische Kolleg_innen mit ihren Taxen den Grenzübergang Padberg dicht gemacht und die Abschaffung der Kontrollen verlangt.

Dabei ist es keinesfalls strafbar, Menschen ohne gültigen Aufenthaltsstatus im Inland zu transportieren — lediglich die Grenzfahrt ist unter Strafe gestellt. Vorteilhaft wäre es natürlich, wenn im Falle einer polizeilichen Befragung als Fahrtziel eine Registrierungs- oder Polizeidienststelle angegeben wird, wie es Art.31 Abs.1 GK verlangt.

Generell lässt sich wohl sagen, dass die günstigste Chance in einem „Schleuserverfahren“ davonzukommen, die Einstellung des Verfahrens wegen Geringfügigkeit nach §153 StPO darstellt. Alles andere muss konfliktreich durch die Instanzen verteidigt werden. Was generell in Strafverfahren klar sein sollte: „Anna und Arthur halten’s Maul!“, stellt sich bei der Fluchthilfe jedoch als problematisch heraus. Denn die Asylsuchenden sind im Antragsverfahren unter Strafandrohung verpflichtet, über ihre Identität und den Reiseweg wahrheitsgemäß Auskunft zu geben. Strafverteidiger_innen fordern daher aus dem Verbot des Zwangs zur Selbstbelastung ein Verwertungsverbot der Angaben aus dem Asylverfahren für den Strafprozess.

Verfolgungsaufwand

Zwei französische Taxifahrer und ein Pizza­lieferant aus Freiburg saßen schließlich 2014 am Rande der Anklagebank, als das Landgericht Essen in einem groß aufgedunsenen Strafverfahren wegen gewerbs- und bandenmäßigen Einschleusens von insgesamt 270 syrischen Staatsangehörigen verhandelte. Die Geschleusten, die mit den Hauptangeklagten teils verwandt oder diesen als ehemalige Nachbar_innen persönlich bekannt waren, alle Asyl beantragten und überwiegend auch erhielten, aber wegen der restriktiven Kontingentregelung 2011 keine Chance zur legalen Einreise in die BRD hatten, bedankten sich in der Verhandlung bei den Angeklagten für ihre Rettung. Obwohl viel Geld geflossen war, konnte das Gericht lediglich 300 Euro feststellen, die nicht unmittelbar für die Flucht aufgewendet wurden. Es nutzte nichts: Am Ende des sechswöchigen Prozesses wurde ein Teil der Angeklagten zu Haftstrafen von jeweils drei Jahren verurteilt, drei weitere erhielten Bewährungsstrafen und Geldauflagen (in einem Fall 110.000 Euro). Der Bundesgerichtshof hielt das Urteil, obwohl das Bundesverfassungsgericht in einem anderen Fall die strafbefreiende „notstandsähnliche Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit, angesichts einer bestehenden Verfolgungssituation die für die Einreise erforderlichen Formalität zu erfüllen,“ für anerkennungsfähig gehalten hatte. Nun muss es selbst entscheiden — mehrere Verfassungsbeschwerden wurden anhängig gemacht.

Mehr noch als juristischen Argumentationsstoff aber offenbarte das Verfahren das tatsächliche Ausmaß der gegen die Staatsbedrohung von Fluchthelfer_innen in Stellung gebrachten Überwachungstechnologie: Ab 2011 hatte die Unterabteilung Terrorismus des BND im Auftrag der Bundespolizei im Rahmen der strategischen Fernmeldeaufklärung die Telefon- und Internetverbindungen zahlreicher Verdächtiger abgehört und damit Kosten zwischen 4.000 und 10.000 Euro pro Person verursacht, die den Beschuldigten als Verfahrenskosten auferlegt wurden.

Tatsächlich dürfte der Einsatz von Telefonüberwachung und anderen verdeckten Aufklärungsmaßnahmen zum üblichen Straf­verfolgungsinstrumentarium gegen Schleuser_innen gehören, denn nach §§100a Abs.2 Nr.4 und 5 sowie 100c Abs.2 Nr. 2 und 3 StPO gehören die Straftatbestände der Verleitung zur missbräuchlichen Asylantragstellung (§§84 Abs.3 und 84a Abs.1 AslyVfG) sowie des Einschleusens von Ausländern (§§96 Abs.2, 97 AufenthG) zum Erlaubniskatalog, der den Einsatz von Telekommunikations- und Wohnraumüberwachung ebenso rechtfertigt wie den Einsatz von Verdeckten Ermittlungspersonen oder IMSI-Catchern.

BGH: „billigenswerte, ja edle Motive

Während an den deutschen Binnengrenzen wieder verstärkt Grenzschützer_innen patrouillieren werden vom Berliner Unterwelten e.V. Fluchthelfer_innen geehrt, deren Image besser nicht sein könnte. Dabei geht es allerdings um Menschen, die zwischen 1961 und 1984 insgesamt 300 DDR-Bürger_innen durch Tunnelanlagen zur Flucht nach Westberlin verhalfen. Zu einer Zeit, als die Bundesrepublik bei der Beschaffung von Passfälschungen assistierte und die Kosten westdeutscher Fluchthilfe von der Steuer abgesetzt werden konnten, hielt es der BGH in einem Urteil vom 19. September 1977 keinesfalls für sittenwidrig, wenn sich die Fluchthelfer_innen für ihr Risiko bezahlen ließen: Es sei nicht in jedem Fall anstößig, eine Hilfeleistung, „selbst für einen Menschen in einer Notlage, von einer Vergütung abhängig zu machen.“ — In der Regel belief diese sich auf 13.000 bis 20.000 DM. In dem 2014 vor dem Landgericht Essen verhandelten Fall waren es nur 300 Euro gewesen, was als notwendiges Indiz für die Unterstellung von Gewinnabsichten herhalten musste.

Die inzwischen selbst von der Strafverfolgung wegen des öffentlichen Aufrufs zu Straftaten betroffenen Kunst-Aktivist_innen des Berliner „Peng! Kollektiv“, die mit Plakaten und Mobi-Videos für private Fluchthilfe werben, lassen einen dieser Fluchthelfer zu Wort kommen. Der Mann heißt Dr. Burkhart Veigel, erhielt für seine Fluchthilfetätigkeit das Bundesverdienstkreuz am Bande und macht deutlich, worauf es ankommt: „Was der Staat sagt, wäre mir sowas von egal! […] Ich finde auch diese ganzen Dublin-Gesetze völlig blödsinnig. […] Wir haben uns damals überhaupt nicht darum gekümmert, ob es legal war, was wir tun.“