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70 Jahre Hitler-Stalin-Pakt

Oliver Schmitt
Einleitung

Eine »mit Blut besiegelte Freundschaft der Völker« (Josef Stalin) 1

Die gemeinsamen Paraden, die im September 1940 im polnischen Lwow und Brest-Litowsk von Wehrmacht und Roter Armee durchgeführt wurden, krönten ihr gemeinsames Werk: die Beseitigung des polnischen Staates. In der Sowjetunion blieben die Photographien dieser Aufzüge unter Verschluss, vermutlich hätten sie die Bevölkerung zu sehr irritiert. Um mögliche Irritationen zukünftig zu vermeiden vollzog das »Vaterland der Werktätigen« eine außen- wie kulturpolitische 180-Grad-Wende. Bibliotheken wurden von antifaschistischen Büchern gesäubert und selbst das Adjektiv antifaschistisch verschwand aus der Tagespresse. Damit nicht genug, einer der prominentesten Regisseure der Sowjetunion, Sergej Eisenstein, wurde angewiesen im Moskauer Bolshoi-Theater Opern des deutschen Antisemiten Richard Wagner zu inszenieren. Symbolträchtiger konnte eine politische Kurs-Korrektur kaum vollzogen werden.

  • 1»Die mit Blut besiegelte Freundschaft der Völker Deutschlands und der Sowjetunion hat alle Grundlagen um dauerhaft und fest zu sein« schrieb Josef Stalin in einem Dankestelegramm an den Nazi-Außenminister Ribbentropp, der vorher seine herzlichen Glückwünsche zu Stalins 60. Geburtstag übermittelte.

Abschluss des Nichtangriffspaktes am 23. August 1939.

International gerieten KommunistInnen nach Abschluss des Hitler-Stalin-Paktes (23. August 1939) in Erklärungsnot, galt doch eine starke Sowjetunion bisher als Garant der Eindämmung des deutschen Expansionsstrebens. Die Apologeten des Vertragschlusses argumentierten, im August 1939 hätte die Sowjetunion gar keine andere Wahl gehabt als einen Ausgleich mit Deutschland zu suchen. Der Versuch eine Politik der kollektiven Sicherheit zu etablieren, also ein Bündnis zwischen den Westmächten und der Sowjetunion zu schaffen, sei aufgrund der ablehnenden bzw. herauszögernden Haltung Frankreichs und Großbritanniens gescheitert. Um, wie Stalin sich ausdrückte, zu verhindern, dass die Sowjetunion »alleine die Kastanien aus dem Feuer zu holen«1 habe , sei der Abschluss dieses Vertrages nicht nur gerechtfertigt, sondern, da er der Sowjetunion weitere 22 Monate den Frieden sicherte und die Grenze 300 Kilometer nach Westen verschob, ein Beispiel der Hellsichtigkeit der sowjetischen Führung. »Zeit« und »Raum« seien also gewonnen worden und die Sowjetunion nutze diese Zeit zur forcierten Aufrüstung, um auf den drohenden faschistischen Überfall angemessen reagieren zu können. Zweifellos profitierten beide Unterzeichner vom Vertragsabschluss. Doch welcher der beiden Akteure ist als Hauptnutznießer zu betrachten, d.h. der realpolitischen Logik der Großmächte folgend: Änderte sich das Kräfteverhältnis zwischen der Sowjetunion und dem Deutschen Reich zwischen 1939–1941 zu Gunsten oder zu Ungunsten der Sowjetunion? Die Entwicklung des Kräfteverhältnisses kann am Ausmaß der territorialen Expansion der Sowjetunion und des Deutschen Reiches, sowie der Quantität und Qualität der Aufrüstungsmaßnahmen, betrachtet werden. Der angerichtete politische Flurschaden bleibt hierbei bis heute außen vor. Werfen wir also einen kurzen Blick auf die Zahlen der Truppenstärke: Im Juni 1941 standen an der Ostfront insgesamt 3,2 Millionen deutscher Soldaten unter Waffen, von insgesamt 3,8 Millionen, während die Sowjetunion insgesamt 4,7 Millionen Menschen unter Waffen hatte, davon allerdings lediglich 2,5 Millionen in den, vom deutschen Überfall betroffenen westlichen Provinzen, während Deutschland nach dem Sieg über Frankreich nur noch sehr geringe Kräfte im Westen zurückhalten musste.2 Zwar produzierte die Sowjetunion bereits die ersten 1000 Einheiten des hochmodernen T34-Panzers oder erste Flugzeuge – die Piloten hatten allerdings erst wenige Flugstunden absolvieren können und waren deshalb zu Kriegsbeginn nur in sehr eingeschränktem Maße einsatzbereit – das größte militärische Manko hingegen war selbstverschuldet: Als 1937 die Führungsspitze der Roten Armee liquidiert wurde, war die Armee enthauptet und durch Menschen ersetzt, deren Qualifikationen primär darin bestanden, dass sie mit Josef Stalin schon seit der Bürgerkriegszeit bekannt waren, so z.B. General Budjonny, der die mechanisierten Verbände der Roten Armee auflösen lies und – im Zeitalter der Panzerwaffe und des Jagdf liegers sich den Glauben an die Effizienz berittener Einheiten bewahrte. Erst als die Erfolge der Wehrmacht, wie auch die hohen sowjetischen Verluste des finnischen Krieges analysiert wurden, trat die Führung der Roten Armee wieder in Verbindung zur Realität - viel zu spät. Die territorialen Gewinne, welche die Sowjetunion in Folge des geheimen Zusatzabkommens erwarb, eine Gesamtfläche, die ungefähr der Frankreichs entspricht, stehen in keinem Verhältnis zur zeitgleichen deutschen Expansion. Dies ermöglichte es dem Deutschen Reich auf die Kriegsindustrie Frankreichs sowie auf nicht unerhebliche Rohstoffreserven zurückzugreifen. Im Zeitraum von 1939 bis 1941 gelang es dem Deutschen Reich auf militärischem Wege eine europäische Einigung unter deutscher Vorherrschaft zu erzwingen und damit eine bessere Ausgangsbasis für die anstehende Zerschlagung der Sowjetunion zu schaffen. Wie bedeutend der sowjetische Beitrag zur Erstarkung des nationalsozialistischen Deutschland war, können die Wirtschaftslieferungen gut illustrieren: Während die britische Seeblockade zu greifen begann, musste ein neuer Wirtschaftspartner in die Bresche springen, da die »Auslandsabhängigkeit Deutschlands zur Zeit des Kriegsbeginns bei Kautschuk 80, Mineralöl 65, Nickel 95, Zinn 90, Kupfer 70, Blei 50 und Zink 25.« lag.3 Die Bedeutung von Mineralöl und Kautschuk für die moderne Kriegswirtschaft kann kaum überschätzt werden. Bei Chrom, welches zur Produktion von Panzerstahl notwendig ist, war Deutschland zu 100 von Importen abhängig. Das »Deutsche Reich« verfügte nur über Chromreserven welche nach Kriegsbeginn innerhalb von acht Monaten aufgebraucht worden wären.4 Zwischen Juli und September 1940 kam jede vierte Ware, welche das »Deutsche Reich« importierte entweder aus der Sowjetunion oder aus dem Transithandel über das sowjetische Eisenbahnnetz zu ihnen.5 Die Sowjetunion unterstütze Deutschland in der Hoffnung es würde in einen längeren Krieg mit den Westmächten verwickelt und die Sowjetunion hätte ausreichend Zeit um sich zu Rüsten. Die Blitzsiege der Wehrmacht machten diese Hoffnung zunichte. Von einer Alternativlosigkeit der deutsch-sowjetischen Kooperation im Jahre 1939 kann von sowjetischer Seite keine Rede sein kann, ausschlaggebend war eher, dass Deutschland mehr Versprach als die Westmächte. So sehr am 8. Mai allen Akteuren der Anti-Hitler-Koalition zu danken ist, die Blut, Schweiß und Tränen gaben um Nazi-Deutschland Herr zu werden: Erst die jahrelange Tolerierung des »3. Reichs« durch die westlichen Mächte (Stichworte wären hier: Aufgabe der Spanischen Republik, Olympiabeteiligung, Zerschlagung der Tschechoslowakei durch das Münchner Abkommen 1938) wie auch der Hitler-Stalin-Pakt ermöglichten es Deutschland zu einem ihm günstigen Zeitpunkt den Krieg zu beginnen und im besetzten Polen eine radikalere antisemitische Politik zu praktizieren, die der erste Schritt in die Vernichtung war.

Der Autor veröffentlichte mit Sandra Westenberger in: Götz Aly (Hg.): Volkesstimme. Skepsis und Führervertrauen im Nationalsozialismus, Frankfurt 2006.

  • 1Vgl. Gabriel Gorodetsky, Die große Täuschung, S.23.
  • 2Vgl. u.a. Andreas Hillgruber, Hitlers Strategie,S. 947.
  • 3Andreas Hillgruber, Hitlers Strategie, S.31.
  • 4Angaben nach: Manfred Zeidler, Deutschsowjetische Wirtschaftbeziehungen im Zeichen des Hitler-Stalin-Paktes, S. 93.
  • 5Vgl. Manfred Zeidler, Deutsch-sowjetische Wirtschaftbeziehungen, S. 105f.