UdSSR - Neonazismus im Schatten der Perestroika
Die Reformen in der „Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken“ (UdSSR) haben allen Arten von politischen Gruppen die Voraussetzungen verschafft wieder offen zu agitieren und zu rekrutieren. Die dunkle Seite dieser Freiheit ist, das sie auch Neonazis und Nationalisten erlaubt eine Kampagne auf drei Ebenen zu betreiben: Von offenem Neonazismus, zu einem „respektableren“ Nationalismus bis zu "Anti-Reform"-Arbeiterräten. In weiten Teilen der UdSSR ist daraus noch keine einheitliche Bewegung entstanden, doch der Einfluss solcher Gruppen auf die »Los von Moskau« Bewegungen ist beträchtlich.
Von "Pamjat" bis "Otechestvo"
In Leningrad nahmen antisemitische Überfälle in den letzten Monaten zu, so wurden u.a. ein Kulturbeauftragter ermordet, wobei die Täter auf seiner Weste einen Davidsstern hinterließen und ein jüdischer Mediziner wurde von Männern erstochen, die Ku Klux Klan Symbole trugen. In der Ukraine, in Belorussland, in Aserbaidschan, in den baltischen Republiken, im Kaukasus und auch in Russland sammeln sich unter den Menschen, die mehr Eigenständigkeit fordern auch Neonazis und extreme Rechte. Es gibt eine Reihe neuere Neonazi-Gruppen wie die "Patriotische Union" / „Patrioticeskij Sojuz“ oder "Union der spirituellen Erneuerung des Vaterlandes", doch ihre Ziele sind ähnlich. Ein Beispiel ist die radikal nationalistische und antisemitische Gruppe "Pamjat" / „Память» (Erinnerung), die inzwischen ein deutlich sichtbares Zeichen dafür ist, in welcher Art und Weise sich der Nationalismus, zusammen mit Antisemitismus zu einer Ideologie gegen die Perestroika verbindet. Hinter der Gruppe sollen nach Recherchen russischer AntifaschistInnen u.a. die ultra-rechten Aktivisten Nikolai Sagoruiko, Alexander Dugin (Александр Дугин), Valieri Emelianow, Dmitri Vasilyev, Yevgeny Bikov und Alexander Barkashov (Алекса́ндр Баркашо́в) stehen. Ihre Aktivitäten nehmen bedrohliche Ausmaße an. So berichteten jüdische Abgeordnete des Sowjetischen Parlamentes, das während einer Tagung ihr Hotel von "Pamjat"-Mitgliedern belagert worden ist. Diese forderten den Rücktritt der jüdischen Parlamentsmitglieder und die Polizei schritt gegen die Neonazis nicht ein. Trotzdem zählt auch der bekannte „Volkskünstler der UdSSR“ Ilja Glasunow (Илья Глазунов) zu den Pamjat-Unterstützern.
Zur Verdeutlichung der Arbeitsweise der neueren Neonazis ist die "Otechestvo" (Отечество) ein gutes Beispiel. Gegründet mit viel Rückendeckung der konservativen Presse, fordern sie »Rückkehr und Entwicklung der Schätze spiritueller und materieller Kultur unseres Volkes im Laufe der Jahrhunderte der Geschichte«. Die Gruppe wird laut russischen AntifaschistInnen u.a. von den Neonazi-Aktivisten Oleg Maschenko, Nikolai Kondratenko und Alexander Burulko vertreten. Sie haben Abteilungen in Leningrad, Sverdlovsk und in Sibirien und Belorussland. Obwohl sie sich selbst als Studiengruppe bezeichnen, haben sie politische Ziele. Einer ihrer Anführer, Apollon Kuzmin (Аполло́н Кузьми́н), erklärte, das die Geschichte bewiesen habe, das nur das Russische Volk ein großes Reich zusammenhalten könne, das es so bleiben werde und es nun an der Zeit sei dem »ausländischen Kapital zu widerstehen«. Ihre neue Losung ist der naheliegender Weg die zwei Propagandabestandteile „Internationaler Kapitalismus“ und „Internationales Judentum“ zusammenzubringen. Kuzmin bestreitet antisemitisch zu sein, auch wenn die Positionen und politischen Fakten kaum eine andere Deutungen zulassen. Zwei Jahre zuvor z.B. beschuldigte die "Otechestvo" in Swerdlowsk ein lokales Theater einer »zionistischen Verschwörung gegen die russischen Klassiker«. Bedeutsam sind die engen Bindungen dieser Studiengesellschaft mit der "Pamjat". Beide wurden von derselben Organisation initiiert, einer „Allrussischen Gesellschaft zum Schutz von historischen und kulturellen Denkmälern“ / „Vserossijskoe obščestvo ochrany pamjatnikov istorii i kul'tury“ (VOOPIK). Der stellvertretende Vorsitzende der "VOOPIK" war Vorsitzender der ersten "Otechestvo"-Konferenz und die Postadressen der beiden Organisationen sind dieselben. Auch die "Union für die spirituelle Erneuerung des Vaterlandes" hat "Pamjat"-Unterstützer unter sich, wie Vera Bryusova, die die sowjetische Führung als »jüdisches Denkzentrum« bezeichnet hatte.
Weitere Bündnisse
Die zweite Ebene des „gemäßigten“ Nationalismus dient dazu, durch einen scheinbar wissenschaftlich begründeten Nationalismus, mit extrem rechten Positionen von Akademikern, Journalisten, Parteikadern und Soldaten respektiert zu werden. Während die "Pamjat" das Fußvolk organisiert, wenden sich diese Gruppen an höhere Schichten der Gesellschaft. So nahmen zwei Generäle an der Gründung der "Otechestvo" teil und einer ihrer Vorsitzenden ist Aleksander Autskoi, ein dekorierter Kriegsheld für seinen Einsatz in Afghanistan. Die "Arbeiterfronten" bilden die dritte Ebene, ihr vorgegebener Grund ist es „normale Arbeiter“ zu vertreten und ihnen bei der Durchsetzung ihrer Rechte zu helfen. Tatsächlich sind sie von Funktionären extrem rechter Parteien gegründet worden, um enttäuschte slawische ArbeiterInnen zu gewinnen. Ihre Kampagnen richten sich generell gegen Reformen und die Forderungen von ethnischen Minderheiten im speziellen. Unter der Fahne einer „Vereinigten Front der Arbeiter Russlands“, sind Gruppen in Russland und im Baltikum, Moldavien und Tadjikistan entstanden. In Leningrad waren ihre ersten AktivistInnen zwei unrühmlich bekannte Konservative: der abgesetzte ehemalige Chef der örtlichen Partei, Yuri Solovev und die sich antisemitisch und stalintreu gebende Nina Andreyeva (Нина Андреева).
Nationalismus und Antisemitismus
Die stärksten Erfolge dieser "Fronten" sind dort zu verzeichnen, wo die russischen ArbeiterInnen in der Minderheit sind und sich benachteiligt fühlen. Die Sowjetunion ist in der Krise zahlreiche Republiken versuchen aus der UdSSR auszuscheiden, das Essen ist in einigen Teilen Russlands rationiert. Die umliegenden Republiken sind gegen die slawische Bevölkerung eingestellt und das drückt sich oft in blutigen Überfällen aus. Ein Armee-General warnte kürzlich davor, das die UdSSR ein zweites Libanon werden könne, falls die Kämpfe sich ausweiteten. Hungrig, wütend, und desillusioniert blicken viele russische ArbeiterInnen um sich und suchen nach Sündenböcken. Die extremen Rechten haben einige parat: »Die Intellektuellen, die ethnischen Minderheiten und hinter allem der internationale jüdische Kapitalismus und ihre Marionetten im Kreml«. Durch Nationalismus, so ihre Botschaft, die Beherrschung und Ausbeutung »niedriger Völker« und eine absolute Diktatur, könne Russland wieder stark werden. Diese Bewegungen sammeln sich nicht nur unter der russischen Nationalflagge, sondern auch wieder unter dem Banner des alten Zarenreiches.