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Adressat unbekannt

Kressmann Taylor

Kressmann Taylor fängt mit schriftstellerischer Brillianz und in einfühlsamer Darstellung ein, wie ein Mensch mit Worten töten kann. Selten wird man auf so wenigen Seiten in eine Freundschaft hineingezogen und sieht sie an nationalsozialistischer Propaganda und Mittäterschaft zerbrechen. In einem Wechsel aus achtzehn Briefen zwischen dem US-amerikanischen Juden Max Eisenstein und seinem ehemaligen deutschen Geschäftspartner Martin Schulse schildert Taylor in ergreifender Schlichtheit die Entwicklung Martins zu einem deutschen Täter.

Mit mehr als nur dem atlantischen Ozean zwischen ihnen muss Max sich damit arrangieren, dass sein bester Freund die nationalsozialistische Indoktrination und die völkische Gesinnung voll und ganz in sich aufnimmt. »Ihr lamentiert immer, aber ihr seid niemals tapfer genug, zurückzuschlagen. Deshalb gibt es Pogrome.« schreibt Martin im Juli 1933 an den fassungslosen Max, der versucht zu mahnen, zu erinnern, an die gemeinsam geteilten Werte zu appellieren; und zuletzt, seine Schwester Griselle zu retten, die als Schauspielerin nach Berlin gegangen ist und sich auf der Flucht vor der SA an Martin wendet. Dieser schützt die ehemalige Geliebte nicht, sondern sieht tatenlos zu, wie sie ermordet wird. Und Max wehrt sich dagegen auf seine Art: mit Worten. Er schreibt Briefe, die dazu führen, dass Martin das Vertrauen seiner Umgebung verliert. Und so erhält Max seinen letzten Brief zurück – mit dem Stempel »Adressat unbekannt«.

Kressmann Taylor
Adressat unbekannt
Rowohlt Taschenbuch Verlag
3. Auflage November 2002
erstmals 1938 »Story Magazine«, New York
ISBN 3-499-23093-3