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Blockadekonzept etabliert

Einleitung

Im niedersächsischen Bad Nenndorf wurde in diesem Jahr der jährliche neo­nazistische »Traueraufmarsch« verhindert. Zum ersten Mal seit 2006 gab es eine Massenblockade direkt auf der Demonstrationsstrecke, welche dafür sorgte, dass die Neonazis ihr Ziel, das  Winklerbad1 nicht erreichen konnten. Die Initiative »Kein Naziaufmarsch in Bad Nenndorf« und einzelne umtriebige Kleingruppen hatten bereits im Vorfeld offensiv zu Massenblockaden aufgerufen und konnten auch viele Menschen aus Bad Nenndorf motivieren, sich an den Blockaden zu beteiligen. Wir sprachen mit einigen Protagonist_innen dieser Blockaden.

  • 1Im „Winklerbad“ wurde von Juni 1945 bis Juli 1947 ein Internierungslager der Britischen Rheinarmee betrieben.
Foto: PM Cheung

AIB: Der zuletzt drittgrößte bundesrepublikanische Neonaziaufmarsch ist passé, von den ehemals knapp 1000 Neonazis sind nur noch knapp 250 übrig geblieben. Wie war der geschichtsverdrehende Opfermythos aufgebaut worden?

Über den Zweck von Traueraufmärschen, die Inszenierung von Opfermythen und deren Bedeutung für neonazistische Lebenswelten könnt ihr sicher mehr erzählen.

Wie auch immer. Wie hat sich der antifaschistische Widerstand und der zivilgesellschaftliche Protest über die Jahre entwickelt und was gab es an konkreten Aktionen? Wie ist es euch in diesem Jahr gelungen den Neonazis ihren symbolträchtigen Ort zu nehmen?

In den ersten Jahren war ausschließlich das Antifaspektrum, die jüdische Gemeinde und einige Einzelpersonen aus Bad Nenndorf und dem Umland beteiligt. Das bürgerliche Bündnis »Bad Nenndorf ist Bunt« gründete sich aus dieser Initiative heraus im dritten Jahr, teils aus antifaschistischen Strukturen, in erster Linie aber aus dem Gewerkschaftsumfeld. Nachdem von Seiten des Antifaspektrums z.B. ein Streichorchester in den Widerstand integriert wurde, welches an einem jüdischen Gedenkstein ein Konzert gab, war es dem bürgerlichen Spektrum kaum möglich, diese Akteure außen vor zu lassen. Teile der Antifastrukturen waren in diesem Bündnis, aber etwa auch der lokale Polizeichef. Im darauffolgenden Jahr gab es eine Demonstration, die von allen Akteur_innen dieses Bündnisses getragen wurde. Damit war der erste Schritt geschafft.

In den darauffolgenden Jahren konzentrierte sich die antifaschistische Szene darauf, die Aufmarschroute der Neonazis zu blockieren. Erstmalig wurde das Blockadekonzept mit einer Betonpyramide1 unterstützt. Das Bündnis reagierte darauf gespalten, der Polizeichef verließ unter Protest das Bündnis und es gab kontroverse Diskussionen. Parallel dazu entwickelte sich aus dem Antifaspektrum ein Blockadebündnis. Insbesondere das Konzept der Blockade mittels einer Pyramide hatte in der bürgerlichen Presse und bei den Anwohnern großen Anklang gefunden. Auch im nachfolgenden Jahr wurde eine solche auf die Strecke gebracht und erstmals solidarisierten sich Anwohner, die sich neben die Pyramide setzten und erst nach mehrmaliger Aufforderung die Straße räumten. Die Aktionsform wurde bundesweit in den Medien thematisiert und als kreativer, friedlicher Protest bewertet.

2010 organisierte das Bündnis »Bad Nenndorf ist Bunt« an der Aufmarschstrecke eine Partymeile. Die Bündnisdemonstration fand nach einer Verbotsverfügung unter massiven polizeilichen Auflagen statt, was das Bündnis in seiner ganzen Breite sehr verärgerte. Daher wurden Gaststätten, die an der Strecke lagen von Einzelpersonen angemietet, die dort private Feiern organisierten, welche nicht dem Demonstrationsrecht unterlagen. Der Neonaziaufmarsch wurde mit dieser Beschallung in seiner Außenwirkung merklich eingeschränkt. Diese »Partymeile« wurde auch in den Folgejahren eine kontinuierliche Protestform, genauso wie Blockaden mit Stahlbeton/Luftdruck Pyramiden, welche die Polizei nicht in der nötigen Zeit vorher entfernen konnte und welche die Neonazis in ihrem zeitlichen Ablauf und ihrer Route einschränkten.

Im letzten Jahr gründete sich die Initiative »Kein Naziaufmarsch in Bad Nenndorf« (»I love to block«). Sie wird von verschiedenen Organisationen, Gruppen und Parteien mit der Absicht unterstützt, den Aufmarsch durch Blockaden zu verhindern. Mit welchen politischen, juristischen und organisatorischen Schwierigkeiten hatten die verschiedenen Organisator_innen der Proteste zu kämpfen?

Das Bündnis »I love to block« vertrat aus antifaschistischen Strukturen heraus das Massenblockadekonzept. 2012 gelang es den Bahnhof in Bad Nenndorf mit einer Fahrradschlossankettaktion für die Alt- und Neonazis zu blockieren. 2013 wurden aufgrund eines Gerichtsurteils, die bürgerliche Kundgebung und die Neonazi-Kundgebung zeitversetzt vor dem Winklerbad erlaubt. Es bestand somit die Chance, das bürgerliche Spektrum zu animieren, sich zu den Blockadeaktionen solidarisch zu verhalten. Die Block­aden bestanden aus Menschen, die sich mit Fahhrradschlössern anketteten und – das versteht sich von selbst – einer Pyramide. Bereits bei der Anreise mit der Bahn konnten sich zwei Blockierer_innen zwischen Zug und Bahngleis mit Hilfe einer betongefüllten Tonne anketten. Das bürgerliche Bündnis rief im Vorfeld nicht zur Blockade auf, beteiligte sich jedoch mit Einzelpersonen. Herausgehoben werden sollte dabei etwa der Sportverein VFL Bad Nenndorf. Erstmalig sind einige Anwohner_innen auch nach der dritten polizeilichen Aufforderung, die Straße zu räumen, sitzen geblieben. Die Polizei räumte zwar die Sitzblockade von 300 Menschen und löste auch die mit Fahrradschloss verbundenen Blockierer_innen. Sie schei­terte jedoch an einer Stahl-Fingerpyramide, die sie nicht in dem Zeitrahmen räumen konnte, in welchem die Neonazis ihre Kundgebung durchführen durften. Dank des Blockadebündnisses und den verschiedenen Aktionsformen, die von einem breiten Spektrum mitgetragen wurden, konnte die Abschlusskundgebung der Neonazis in eine Seitenstraße verbannt werden.

Die Pyramidenaktionen wurden seitens der Polizei jedes Jahr aufs Neue zu kriminalisieren versucht, was jedoch nicht gelang. Im Gegenteil: Es wurde vom Oberlandesgericht (OLG) Celle festgestellt, dass die Polizeimaßnahmen gegen die Angeketteten illegal waren. Das OLG Celle verwies zudem darauf, dass es sich bei den Ankettaktionen um eine Versammlung handelt, die durch das Grundgesetz abgesichert ist (vgl. AIB 93). Es könnte sich höchstens um eine Ordnungswidrigkeit handeln, was jedoch nie gerichtlich festgestellt wurde. Somit kam es bis heute zu keinerlei Verurteilungen oder Ordnungsstrafen. 2012 musste die Pyramide, die 22 Stunden vor dem Winklerbad stand und den Abschlusskundgebungsort der Nazis beschränkte, den Aktivist_innen wieder ausgehändigt werden.

Ihr habt die Blockade eines Neonaziaufmarsches durch Pyramidenkonstruktionen als probates Widerstandsmittel etabliert und juristisch durchgestanden. Wie verlief die Zusammenarbeit mit anderen politischen Akteuren an diesem Punkt?

Die Pyramidenaktionen liefen immer als Einzelaktionen ab. Es ist nicht möglich, sie in einem Konzept im Vorfeld zu diskutieren, da man davon ausgehen kann, dass solche Aktionen zu großes Interesse bei den staatlichen Behörden auslösen und die Aktion durchsickern würde.

Welche Erfahrungen gebt ihr unseren Leser_innen mit auf den Weg?

Betonpyramiden und andere Ankettaktionen sind gerade das effizienteste Mittel, um auf einen martialischen Poli­zeiapparat zu reagieren, der Neonazis durch die Städte geleitet. Mit wenig Aufwand und Leuten ist es möglich, einen hochgerüsteten Polizeiapparat ins Lächerliche zu ziehen und dabei auch im bürgerlichen Lager Blockadekonzepte zu verankern. Wir danken natürlich den Wendländern, bei denen wir uns diese Aktionsform bei den Protesten gegen Castor-Transporte abgeschaut haben. In einschlägigen Foren kann man nachlesen, wie Pyramidenkonstruktionen optimiert werden müssen, um Jahr für Jahr der technischen Einheit der Polizei Stand zu halten und die Blockadezeit zu überbrücken. Jedes System funktioniert nur einmal. Wir freuen uns, dass auch in anderen Städten diese Aktionsform gewählt wurde, die auch, trotz eines martialisch auftretenden Polizeiapparates, ihre politische Wirkung hat. Seid kreativ und konzentriert.

  • 1In der Betonpyramide waren mehrere Menschen so fixiert, dass die Polizei sie nicht von der Aufmarschstrecke entfernen konnte.