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Das Nordkreuz-Netzwerk in Mecklenburg-Vorpommern

Einleitung

Die Wellen der medialen Berichterstattung schlugen hoch, als am 28. August 2017 ein Sondereinsatzkommando des BKA mehrere Hausdurchsuchungen in Mecklenburg-Vorpommern durchführte. Die Bundesanwaltschaft, die die Razzien bei zwei Beschuldigten sowie bei „weiteren nicht tatverdächtigen Dritten“ anwies, erklärte, dass sie dem Verdacht auf Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat, nachgehe. Die Tatverdächtigen hätten sich auf den Zusammenbruch des Staates vorbereitet und darin gleichzeitig die Chance gesehen, „Vertreter des politisch linken Spektrums festzusetzen und mit ihren Waffen zu töten.“1

  • 1Pressemitteilung 73/2017 des Generalbundesanwalts vom 28. August 2017.
Bild: Screenshot von panorama

Der LKA-Beamte Marko G. inszenierte sich im ARD-Magazin Panorama als Opfer einer staatlichen „Hexenjagd“.

Krisenvorsorge oder Terror?

Auffallend war, dass keine Landesbehörden in die Maßnahmen eingebunden wurden. Selbst der Innenminister Mecklenburg-Vorpommerns, Lorenz Caffier (CDU), wurde erst am frühen Morgen über die Durchsuchungen informiert. Man misstraute den Landeskolleg_innen, denn in den Fokus der Bundesanwaltschaft gerieten u.a. Polizisten und Angehörige der Bundeswehr, deren Verbindungen bis in die Landespolitik reichen. Obwohl das BKA im April 2018 erneut zu landesweiten Hausdurchsuchungen ausrückte, herrschte in der Causa Nordkreuz lange Zeit weitgehend Stille. Erst umfangreiche Recherchen der taz legten im November vergangenen Jahres ein bundesweites rechtes Netzwerk innerhalb der Bundeswehr offen, in dem auch Mitglieder von Nordkreuz mitmischten und das bis zum Terrorverdächtigen Franco A. reicht.1

Nadelstiche bis zum „Tag X“

Einer der Beschuldigten ist der Rostocker Anwalt Jan Hendrik Hammer. Der ehemalige NVA-Kampfschwimmer soll Ordner mit Namen, Adressen und Fotos von Linken angelegt haben, die es am „Tag X“ zu töten gelte. Wer ins Fadenkreuz genommen wurde ist noch unklar, doch auch Mitglieder der Rostocker Bürgerschaft sollen betroffen sein. Hammer ist dort stellvertretender Vorsitzender für die Fraktion „Unabhängige für Rostock“ (UFR)2 . Im Parlament der Hansestadt traf er regelmäßig auf Holger Arppe, damaliges AfD-Mitglied sowie Kommunal- und Landtagsabgeordneter, und baute eine Nähe zu ihm auf. Arp­pe geriet regelrecht ins Schwärmen, als er seinen Parteifreunden über H. berichtete: „Der Typ würde perfekt in unsere Reihen passen. Er hasst die Linken, hat einen gut gefüllten Waffenschrank in der Garage […].“ Während Arppe wegen gewaltverherrlichender und kinderpornografischer Chats auf Beschluss der Bürgerschaft aus allen Ausschüssen ausgeschlossen wurde, entschieden sich die Stadtvertreter_innen gegen eine Abwahl des Terrorverdächtigen. Bereits im Juni 2015 stilisierte er sich zum zentralen Agitator gegen einen geplanten Bauwagenplatz in Rostock Alt-Barteldorf. In einem Rundschreiben an Anwohner_innen signalisiert Hammer, dass er als Mitglied der Bürgerschaft über einen vorteilhaften Wissensvorsprung verfüge und zu Interventionsmöglichkeiten Auskunft geben könne.

Der privilegierte Zugang zu Informationen erfährt beim zweiten Tatverdächtigen eine gesteigerte Brisanz. So steht der schwerwiegende Verdacht im Raum, dass der Kriminaloberkommissar Haik J. seinen Dienstrechner in der Polizeiinspektion Ludwigslust nutzte, um die Meldeadressen politischer Aktivist_innen auszuforschen. Diese hätten später verwendet werden sollen, um die Personen unter einem Vorwand von zu Hause abzuholen, bevor sie schließlich an einem unbekannten Ort verschleppt werden, um sie dort zu töten. Inwieweit Haik J. weiterhin Zugang zu diesen Daten haben wird, ist unklar. Auf eine Kleine Anfrage antwortete die Landesregierung lediglich, dass gegen zwei Beamte Disziplinarverfahren eingeleitet wurden, „welche jedoch bis zum Abschluss von strafrechtlichen Ermittlungsverfahren ausgesetzt sind.“3  Mittlerweile ist Haik J. Mitglied im parteiinternen Beratungsgremium zur „inneren Sicherheit“ der AfD. Die beiden Hauptbeschuldigten im Fall Nordkreuz verdeutlichen mit ihrer Bindung zur AfD das Wechselspiel zwischen einer Partei, die auf der einen Seite durch eine Politik der kontinuierlichen „Nadelstiche“ versucht, die Destabilisierung eines Landes voranzutreiben und radikalisierten Personen auf der anderen Seite, die auf den Zusammenbruch der staatlichen Ordnung hinfiebern, um mit Waffengewalt die Machtfrage zu ihren Gunsten zu verschieben.

Die Reserve hält sich bereit

Der zweite Beamte, gegen den die diszipli­narrechtlichen Maßnahmen zur Zeit ausgesetzt sind, dürfte der LKA-Beamte Marko G. sein. Nachdem sein Haus in Banzkow vom BKA durchsucht wurde, inszenierte er sich im ARD-Magazin Panorama als Opfer einer staatlichen „Hexenjagd“.4  Obwohl er von der Bundesanwaltschaft lediglich als Zeuge geführt wird, wurde kürzlich bekannt, dass auch gegen ihn ein Verfahren wegen Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontroll- sowie das Sprengstoffgesetz eingeleitet wurde. Innerhalb des Nordkreuz-Netzwerks nahm der ehemalige SEK-Angehörige eine zentrale Position ein. Er sammelte Geld ein, um „Safe-Häuser“ für den „Tag X“ auszustatten. Zudem richtete er u.a. die Nordkreuz-Chatgruppe ein, in denen die Mitglieder mit sensiblen Informationen versorgt wurden.

Zum „inner circle“ des Netzwerks, das mehr als 30 feste Mitglieder verband, schien auch der ehemalige Bundeswehr­soldat Jörg S. aus Rostock gehört zu haben. Jörg S. ist mittlerweile als unabhängiger Finanzberater tätig – seine Spezialgebiete: Vermögenssicherung und Enteignungsschutz. Dass Jörg S. Migration als Gefahr des Wohlstandes ausmacht, überrascht wenig. So wirbt er auf seiner Homepage u.a. mit den einwanderungsfeindlichen Ideen Roy Becks, dem Gründer der Organisation „NumbersUSA“. Inwiefern Jörg S. – neben den anderen Nordkreuz-Mitgliedern – auch im UNITER-Netzwerk von André Schmitt ("Hannibal"), der ebenfalls Teil des Nordkreuz-Chats war, involviert ist, ist derzeit unklar. Gewisse Ähnlichkeiten zwischen dem Logo seines Unternehmens „Scholze Finance“ und dem von UNITER sind jedoch auffällig.5

So relevant wie die Seilschaften der Bun­deswehr für „Hannibals Schattenarmee“ sind, so bedeutend ist der Reservistenverband in Mecklenburg-Vorpommern für Nordkreuz. Einem Tatverdächtigen zufolge könnten die Uniformträger die geplante Tötung missliebiger Menschen vereinfachen, da sie mögliche Polizeikontrollen leichter passieren könnten. Unter dem Dachverband ehemaliger Soldaten war es den Mitgliedern möglich legale Schießtrainings durchzuführen. Zudem konnten neue „Rekruten“, wie der in Krakow am See lebende Reserveoffizier Horst S., geworben werden. Horst S. ­– bis März 2016 selbst Vizevorsitzender des Reservistenverbandes – war den Sicherheitsbehörden kein Unbekannter. Bereits im Vorfeld des G20-­Gipfels wurde er als Kompaniechef von einem Einsatz abgezogen, nachdem bekannt wurde, dass er über das extrem rechte „Thule-Seminar“ Bücher erwarb. Horst S. ist nach wie vor Schießsportleiter der Krakower Schützengarde.

Diskursverschiebung der Landespolitik

Das Aufkommen potentieller rechter Terrorstrukturen führt nicht selten zum Schweigen der Mehrheitsgesellschaft. Vor allem das Innenministerium in Mecklenburg-Vorpommern scheint ein Interesse daran zu haben, die politische Brisanz um Nordkreuz zu relativieren. Anstatt die Aufklärung rechter Netzwerke von Polizisten und (ehemaligen) Soldaten voranzutreiben, findet von Seiten politisch Verantwortlicher, die nicht selten ebenfalls dem prestigeträchtigen Reservistenverband angehören, eine verharmlosende Diskursverschiebung statt. Zwar richtete das Innenministerium zügig eine sogenannte Prepper-Kommission ein, um das Phänomen der „Endzeit-Experten“ zu untersuchen. Doch entgegen der Ankündigungen lieferte diese Kommission bislang keine Ergebnisse. Seinen eigentlichen Auftrag hat das Gremium womöglich schon längst erfüllt. Die Landesregierung signalisiert Handlungsbereitschaft, verweist auf die Untersuchungen des Prepperwesens und lenkt damit – bewusst oder unbewusst – den Blick von möglichen rechtsterroristischen Bestrebungen innerhalb der Sicherheitsbehörden des Landes weg.

  • 1taz: "Rechtes Netzwerk in der Bundeswehr: Hannibals Schattenarmee" von Martin Kaul, Christina Schmidt und Daniel Schulz vom 16.11.2018.
  • 2Nicht der erste Eklat für die UFR. Bis 2014 saß Volker Beecken für das Wähler*innen­bündis, dem auch der Bürgermeister der Hansestadt angehört, in der Bürgerschaft, der eng in die Produktion der „Weltkrieg-Erlebnisberichte“ eingebunden war. Vgl. AIB Nr. 104 / 3.2014: "Landser heisst jetzt Weltkrieg".
  • 3Kleine Anfrage des Linken-Abgeordneten Peter Ritter vom 23.01.2019. Drucksache 7/3003. 7. Wahlperiode.
  • 4dasersteard.de: Panorama - "Rechtsterror-Ermittlungen: Gründer der "Prepper"-Gruppe ist Polizist" von Fabienne Hurst, Robert Bongen, Julian Feldmann, 7.9.2017
  • 5Vgl. bundeswehr-journal.de vom 26. Dezember 2018: Uniter e.V. ist nach Auskunft des Deutschen Patent- und Markenamtes am 17. April 2015 von André Schmitt unter der Marke 302015034967 zum Registereintrag angemeldet worden.