Skip to main content

Mit Wahlen und mit Waffen – Die AfD in Mecklenburg-Vorpommern

NSU-Watch (Gastbeitrag)
Einleitung

Inzwischen gibt es unzählige Beispiele für die enge Verzahnung zwischen der AfD und der militanten extremen Rechten. Insbesondere die Unterstützung von Stephan Ernst, dem Mörder von Walter Lübcke, für den thüringischen Landesverband der AfD und die Verstrickung von Parteimitgliedern in die Umsturzpläne der Reuß-Gruppe nährten die These, sie agiere als parlamentarischer Arm des Rechtsterrorismus. Untermauert wird diese Annahme noch einmal mit Blick auf das Nordkreuz-Netzwerk in Mecklenburg-Vorpommern. Ein Hinderungsgrund, die AfD flächendeckend in Parlamente, Kreistage und Gemeindevertretungen zu wählen und ihren Vertreter*innen Posten zu verschaffen, ist dies offenbar nicht.

AfD und Lichtenhagen-Täter
(Foto: Lotta Ulrich)

Beim AfD Wahlkampfauftakt in Schwerin plauschte der AfD-Landtagsabgeordnete Jens-Holger Schneider (Mitte) mit den verurteilten Rostock- Lichtenhagen-Tätern Ronny Sa. (links) und Enrico Pa. (rechts)

Wie die AfD Mecklenburg-Vorpommern den Weg zur Macht beschreitet und ihr dabei der rote Teppich ausgerollt wird

Mit der Durchsuchung von knapp 30 Objekten wegen des Verdachts auf Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat im August 2017 flog das Nordkreuz-Netzwerk auf. Die Vorwürfe des Generalbundesanwalts (GBA) wogen schwer und die Angst war offenbar groß, dass Personen aus diesem Netzwerk die eigens beschafften Waffen einsetzen würden, um die Listen ‚abzuarbeiten‘, auf denen sie Namen und Adressen politischer Gegner*innen notiert hatten. Doch sieben Jahre später ist behördlicherseits von den Ermittlungen wenig übrig geblieben. Konsequenzen gab es für die rechten Umstürzler kaum.

Die Ermittlungen gegen die beiden Hauptverdächtigen, Jan Hendrik Hammer und Haik Jaeger, wurden eingestellt. Lediglich der ursprünglich als Zeuge im Verfahren des GBA geführte Marko Gr. wurde vom Landgericht Schwerin wegen illegalen Waffenbesitzes verurteilt. Weitere Verfahren im Nordkreuz-Komplex, sofern es sie überhaupt gab, wurden ohne viel
Aufsehen als Beifang abgehandelt und die politischen Hintergründe sowie der geplante rechte Terror dabei konsequent ausgeblendet.

Den so offengebliebenen Leerstellen und Fragen zum Nordkreuz-Komplex widmet sich der 2. Untersuchungsausschuss „NSU/Rechter Terror“ des Landtages in Schwerin. Schon die ersten Sitzungen mit Vertretern des GBA, des BKA und des LKA MV zeigten, wie stoisch – und unter Missachtung ihrer eigenen Ermittlungsergebnisse – Behörden an der These von zwei Beschuldigten und einer Reihe angeblich nicht tatbeteiligter Zeugen festhielten. Eine Struktur, die hinter den Mordabsichten und den sonstigen Nordkreuz-Aktivitäten steht, wollte der GBA als oberste Ermittlungsbehörde nicht erkennen. Und das obwohl die Ermittler*innen des BKA sowie des LKA MV und die Staatsanwaltschaft Schwerin ihr wiederholt nahelegten, zumindest Marko Gr., den Organisator und Administrator der Nordkreuz-Chatgruppen, als weiteren Beschuldigten zu führen.

Bei Nordkreuz fiel jedoch nicht nur die zentrale Rolle von Angehörigen der Polizei oder auch des Reservistenverbandes in Mecklenburg-Vorpommern (MV) ins Auge. Auch die AfD spielt im Nordkreuz-Komplex immer wieder eine entscheidende Rolle. Die Mitglieder des Umsturznetzwerks besuchten nicht nur Veranstaltungen der AfD, wie Bilder des Ex-SEK-Angehörigen und (ehemaligen) AfD-Mitgliedes, Marko Gr., auf einer Demonstration 2015
in Schwerin belegen. Nordkreuzler übernehmen innerhalb der Partei Funktionen und kandidieren auf ihren Listen für kommunale Vertretungen – im vollen Wissen der Partei über ihre Rolle im Netzwerk.

Noch während der laufenden Terrorermittlungen berief die AfD den Hauptbeschuldigten Haik Jaeger in einen parteiinternen Arbeitskreis und machte ihn zum Strategen in Fragen der „Inneren Sicherheit“. Jaeger, der 2019 auch ein Treffen des extrem rechten „Flügels“ der AfD in Binz auf Rügen besuchte, nutzte für Nordkreuz seinen dienstlichen Zugang zu polizeiinternen Informationssystemen, um die Adressen von politischen Gegner*innen abzurufen. Diese Adressen fanden sich später in der Nordkreuz-Feindesliste wieder. Zur letzten Kommunalwahl in Mecklenburg-Vorpommern im Juni 2024 kandidierte Jaeger unter der nach wie vor gültigen Berufsbezeichnung „Polizeibeamter“ für die Stadtvertretung in Neukloster
südöstlich von Wismar und holte die meisten Stimmen in der Gemeinde. Er erlangte zudem einen Sitz im Kreistag von Nordwestmecklenburg. 

Besonders brisant ist hier, dass sein Parteikamerad Paul Timm neben ihm im Kreistag Platz nimmt. Timm wiederum sitzt für die AfD im 2. NSU/Rechter Terror-Untersuchungsausschuss
und hat Zugang zu allen Akten und geheimen Unterlagen. 

Bereits während ihres Kommunalwahlkampfauftaktes am 1. Mai in Schwerin präsentierte sich die AfD als Magnet verschiedener Rechtsterrorgenerationen. Der KfZ-Meister Maik Flemming, der in die „Tag X“-Kasse von Nordkreuz einzahlte, an der Munitionsbeschaffung beteiligt war und an Treffen der Umstürzler teilnahm, sprach auf der Bühne. Währenddessen plauschte der AfD-Landtagsabgeordnete Jens-Holger Schneider mit den verurteilten
Rostock-Lichtenhagen-Tätern Ronny Sa. und Enrico Pa. Seit dieser letzten Wahl sitzt Maik Flemming in der Landeshauptstadt Schwerin für die AfD in der Stadtvertretung. Ein BKA-Beamter äußerte in der Vernehmung im Untersuchungsausschuss am 1. Juli 2024, dass mehrere Parteimitglieder in den Nordkreuz-Ermittlungen eine Rolle spielten. Die polizeiliche Vernehmung von Maik Flemming sei ihm jedoch besonders in Erinnerung geblieben, da sich dieser positiv über strategische Planungen mit Bombenbestandteilen geäußert habe.

Wie hoch das Gefährdungspotenzial durch Nordkreuz-Mitglieder in Parlamenten und kommunalen Vertretungen sein kann, zeigt das Beispiel von Jan Hendrik Hammer. Das frühere FDP-Mitglied Hammer saß über Jahre in der Rostocker Bürgerschaft. Er war maßgeblich verantwortlich für die Erstellung einer Liste von Personen, die „schädlich“ seien und im Zug
des „Tag X“ getötet werden müssten. In dieser Liste fanden sich in erster Linie Bürgerschaftsmitglieder der Parteien SPD, Grüne und Linke wieder. Hammer stand in dieser Zeit in engem Austausch mit dem früheren AfD-Mitglied Holger Arppe, der die Partei verließ, nachdem Chats veröffentlicht wurden, in denen er sich detailliert über Tötungsphantasien auslässt. Seine Chatpartner ließ Arppe unter anderem wissen: „Grube ausheben, alle rein und Löschkalk oben rauf“. Bemerkenswert ist hier, dass sich Löschkalk auf der Nordkreuz-Beschaffungsliste befand. Von Jan Hendrik Hammer war Arppe gerade zu begeistert. Er schrieb: „Der Typ würde perfekt in unsere Reihen [AfD] passen. Er hasst die Linken, hat einen gut gefüllten Waffenschrank in der Garage und lebt unter dem Motto: Wenn die Linken irgendwann völlig verrückt spielen, bin ich vorbereitet.“

Für die AfD sind Personen wie Hammer und Jaeger offenbar von großem Interesse. Sie binden sie ein und sie suchen – das zeigen die Chats von Arppe – die Nähe zu Personen, die ihre Ziele im Zweifel mit Gewalt durchsetzen. Sie sind Teil einer strategischen Planung und nutzen ihre Positionen – auch in den Vertretungen – um sich auf den „Tag X“ vorzubereiten. 

Vor diesem Hintergrund ist es umso widersinniger, dass sogenannte demokratische Parteien der AfD nach deren zwar erwartbaren, aber dennoch dramatischen Wahlerfolgen bei der letzten Kommunalwahl den roten Teppich ausrollen. AfD-Vertreter*innen werden von diesen sogar in Ämter und Funktionen gehoben. Obwohl es keinen Rechtsanspruch darauf gibt,
wurden AfD-Vertreter*innen in die Präsidien aller Kreistage von Mecklenburg-Vorpommern gewählt. In Städten wie Bergen auf Rügen oder Teterow wurden AfD-Mitglieder sogar zum Präsidenten beziehungsweise zum Vorsteher der jeweiligen Stadtvertretung gewählt. In den geheimen Wahlen erhielten AfD-Vertreter*innen flächendeckend die Stimmen anderer Parteien und konnten sich so, teils mit deutlichem Vorsprung, gegen demokratische Mitbewerber*innen durchsetzen. 

Während sich also AfD-Mitglieder in Mecklenburg-Vorpommern und darüber hinaus aktiv auf den „Tag X“ und Umsturzszenarien vorbereiteten, wird der Partei auf lokaler und regionaler Ebene durch die vermeintliche Mitte der Gesellschaft bereits der Weg zur Machtübernahme geebnet. 

Nachdem die ‚bürgerliche Mitte‘ in der Vergangenheit mehr und mehr die Inhalte der AfD übernahm und sie AfD-Mitglieder aktuell in wichtige Positionen der parlamentarischen Demokratie hebt, wird sich zeigen, wie offen sie zukünftig mit der extremen Rechten paktiert. Aktuell wird die vielbeschworene Brandmauer gegen Rechts, sollte es sie je gegeben haben, jedenfalls eher eingerissen als gestützt. Wenn es so weitergeht wird die extreme Rechte ihren Weg zur Macht weiter beschreiten – mit Wahlen und mit Waffen.