Prozess gegen Ex-SEKler und „Nordkreuz“-Chat-Administrator Marko G.
Caro Keller (NSU Watch)Mit der Festnahme von Franco A. und Durchsuchungen bei der Gruppe „Nordkreuz“ in Mecklenburg-Vorpommern (AIB Nr. 122) wurden rechte Netzwerke in Polizei und Bundeswehr teilweise offengelegt. Die juristische Aufarbeitung allerdings ist lückenhaft, entpolitisierend und trägt zur weiteren Aufklärung kaum etwas bei. Am 20. November 2019 wurde am Landgericht Schwerin der Prozess gegen Marko G., Administrator der Chatgruppe „Nordkreuz“, eröffnet. Bei der Durchsuchung seines Hauses in Banzkow im August 2017 wurde er zunächst nur als Zeuge geführt. Warum sich das nach den Funden von Waffen und mehreren Zehntausend Schuss Munition nicht änderte, gehört zu den offenen Fragen des Verfahrens. Zum Beschuldigten wurde der ehemalige SEKler erst 2019: Haus und Bungalow wurden erneut durchsucht, wieder wurden Waffen und enorme Mengen Munition gefunden. Marko G. kam in Untersuchungshaft.
Vorkehrungen für den „Tag X“
Die Verhandlung lief auf Verstöße gegen Kriegswaffenkontroll-, Waffen- sowie Sprengstoffgesetze hinaus. Nur in der Anklage der Staatsanwaltschaft wurde ansatzweise klar, warum die Sicherheitsvorkehrungen und der mediale Andrang wohl nicht den Alltag des Landgerichts widerspiegelten. Etwa 45 Minuten brauchte die Staatsanwältin bei der Verlesung der Anklageschrift, um alle 2017 und 2019 bei G. gefundenen Munitionsteile und Waffen vorzulesen. Sie machte deutlich, dass G. Munition und Waffen gelagert, besessen und gesammelt habe, um die Ziele der Gruppen „Nordkreuz“ und „Nord.com“ zu verwirklichen. Es habe sich dabei um deutschlandweite Chatgruppen gehandelt, in denen man sich für einen „Tag X“ gegenseitige Hilfe versprochen habe.
Ende Januar 2016 habe G. die Chatgruppe „Nordkreuz“ als Infokanal gegründet, um die Aktivitäten der Mitglieder zu koordinieren und zu organisieren. Es sei ihm gelungen 40 Mitglieder zu werben, darunter auch die in anderen Verfahren angeklagten Jan Hendrik H. und Haik J., denen die Bundesanwaltschaft die Vorbereitung einer „schweren, staatsgefährdenden Straftat“ vorwirft.
Inhaltlich sei in diesen Gruppen besprochen worden, dass die Bundesregierung die Macht verlieren könnte, beispielsweise durch die aktuelle Flüchtlingspolitik. Um in einer solchen Situation nicht zum Opfer zu werden, habe man Vorkehrungen für einen „Tag X“ treffen wollen. Die Gruppen hätten sich regelmäßig zu Schießübungen getroffen, die von H. organisiert wurden und der zu seinem Geburtstag einen „Mehmet Turgut-Pokal“ als Preis ausgelobt hätte. Diesen habe er nach eigenem Bekunden nach Mehmet Turgut benannt, der 2004 in Rostock vom NSU ermordet worden war. In der Einladung sei die Rede von einem „bedauernswerten südländischem Neumitbürger“, der „vor gar nicht allzu langer Zeit durch fiese Mörderhand“ ermordet worden sei.
Von dem auf Treffen gesammelten Geld habe G. Nahrungsmittel, Leichensäcke, Ätzkalk sowie anderes Material erworben. Er sei zudem bestrebt gewesen, so genannte safe houses und Depots zu suchen. Seine vornehmliche Aufgabe als Waffenexperte habe darin bestanden, Waffen und Munition zu beschaffen. Diese habe er u.a. von dem eingesammelten Geld gekauft oder auf unbekannte Weise u.a. von der Bundeswehr und Polizeien in Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein, Sachsen und Bayern besorgt. Diese Orte waren auf der Munition als eigentliche Empfänger angegeben. Ein Ziel habe G. in einem Collegeblock notiert: Für seine Gruppen wollte er mindestens 40.000 Schuss für den „Tag X“ besorgen.
G. selbst war überraschend nicht wegen einer schweren staatsgefährdenden Straftat angeklagt. Die Verfahren gegen H. und J. wurden abgetrennt, so dass für eine Anklage nach § 129 wegen Bildung einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung rechtlich die dritte Person fehlt. Dieses Verhalten des Generalbundesanwalts machte der Verteidigung von Marko G. das Verfahren in Schwerin umso leichter.
Patronen aus ganz Deutschland
Der Vorsitzende Richter machte deutlich, dass er selbst die Angaben der Staatsanwaltschaft zum Netzwerk „Nordkreuz“ und dessen Zielen nicht als Teil des Verfahrens sehe. Es gehe nur darum, dass G. Waffen und Munition besessen habe, Gegenstand der Anklage sei nicht die Zugehörigkeit des Angeklagten zu einer Gruppe oder dessen politische Ausrichtung. Deutlich machte der Richter sein Ziel eines schnellen, ruhigen Verfahrens im Umgang mit (potentiellen) Zeug*innen. Geladen waren nur eine Handvoll Anwesende der Hausdurchsuchungen, Waffensachverständige und ein Auswerter der Chatgruppen. Aussagen aller anderen Zeug*innen – um die 25 Namen standen dabei im Raum – wurden auf Vorschlag des Richters hin im Selbstleseverfahren eingeführt. Das unterläuft ein öffentliches Aufklärungsinteresse, wogegen sich auch die Staatsanwaltschaft nicht durch weitere Zeug*innenladungen widersetzte.
Im Verfahren waren die offenen Fragen, die die Zeugen hinterließen oft interessanter, als die Antworten die sie gaben. So berichtete ein Polizeizeuge des LKA Hamburg, er habe festgestellt, dass die gefundenen Munitionsteile ursprünglich an Polizeidienststellen, Bundeswehrstandorte und Schießstände in ganz Deutschland ausgegeben wurden. Wie sie ihren Weg nun aber in das Haus und den Bungalow von Marko G. fanden, wollte offenbar niemand von den Verfahrensbeteiligten im Rahmen des Prozesses in Erfahrung bringen. Nur in der Anklage wurde kurz angedeutet, dass Marko G. offenbar andere Polizisten darum gebeten hatte, ihm Munition zu beschaffen.
Die Wege von Waffen und Munition nach ihrer Zeit bei Marko G. lassen ebenfalls Fragen offen und sorgten bei den im Verfahren anwesenden Journalist*innen für Verwunderung.
Anders bei den Prozessbeteiligten, die nicht nachfragten, als Matthias He., Beamter des Landratsamtes Ludwigslust-Parchim, u.a. zuständig für die Erteilung von Waffenbesitzkarten und Bekannter von Marko G., geladen war. He. wurde 2017 vom BKA zur ersten Durchsuchung bei G. dazu gebeten. Im Anschluss an die Durchsuchung übergab ihm das BKA sämtliche aufgefundenen Waffen und die Munition. He. sollte alles auflisten, die Durchsuchungskräfte wollten das nicht machen. Er sollte darauf achten, dass nichts wegkomme. Einmal verladen, blieben die Waffen allerdings nicht bei He. Er versuchte sie an den Waffenhändler und Schießstandbesitzer Frank Th., bekannt als der Besitzer von „Baltic Shooters“ aus Güstrow, weiterzugeben. Dieser hatte zuvor allerdings eine größere Waffenlieferung bekommen und daher keinen Platz mehr. Hier hätten sich Nachfragen nicht nur zur Verfahrensweise angeboten. Denn Frank Th. hatte Verbindungen zum „Nordkreuz“-Netzwerk und auf seinem Schießplatz fanden viele der Schießübungen statt, bei denen Marko G. mitunter auch als Anleiter auftrat.
Waffenbegeisterung anstatt rechter Terror
Selbstverständlich hatten G. und seine drei Anwälte Erklärungen für alle Vorwürfe parat. Die Leichensäcke? Wasserdichte Hüllen für Schlafsäcke! Die Hitlerbilder in den Chats? Makaberer Humor, um den Alltag beim SEK zu bewältigen! Die Uzi mit Schalldämpfer, die 2019 bei G. gefunden wurde? Beim angeblichen Kauf auf dem Parkplatz einer Waffenmesse „siegte meine Faszination für Waffen und wahrscheinlich auch Abenteuerlust über meine Vernunft“. Eines seien weder G. noch seine „Prepper“-Freunde gewesen: politisch. Ein kritischer wertkonservativer Bürger sei er, er stehe damit auf dem Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung, zu der er sich bekenne: „Jegliche extremistische Tendenzen sind mir fremd.“
Im Plädoyer sprach sein Verteidiger, der Hamburger Rechtsanwalt Robert Kain, dann auch von „rechtsradikalen lustigen Bildern“, die man einfach weiterleite, betonte den Besserungswillen seines Mandanten und dass er die meisten Waffen sowie den Hauptteil der Munition legal besessen habe. Er fügte hinzu, dass die Staatsanwaltschaft bei Marko G. wegen seiner Spezialausbildung von einer besonderen Gefahr ausgehe. Wenn aber Kriegswaffenkontroll-, Waffen- und Sprengstoffgesetz doch für Sicherheit sorgen sollten, bei wem seien die Gegenstände in sichereren Händen als bei dem Profi Marko G., der als Präzisionsschütze ausgebildet und als polizeilicher Schießtrainer tätig gewesen sei? Alles andere sei Quatsch.
Das Gericht schwenkte auf die Linie des Angeklagten und seiner Verteidigung ein, sprach von Waffenbegeisterung anstatt von rechtem Terror und veruteilte G. unter dem Beifall seines Netzwerks auf den Rängen zu einem Jahr und neun Monaten Freiheitsentzug auf Bewährung - elf Monate unter der Forderung der Staatsanwaltschaft. Diese hat trotz ihres mäßigen Aufklärungsinteresses Revision gegen das Urteil eingelegt.