Der »Welt-Dienst«. Eine antisemitische Nachrichtenagentur
Dr. Eckart SchörleSie verstanden sich nicht als Nationalisten, sondern wollten eine »Internationale der Antisemiten« bilden. Eines ihrer Instrumente wurde der 1933 in Erfurt gegründete »Welt-Dienst«. Mitarbeiter in aller Welt sollten Informationen über Juden sammeln, die dann in der Propagandazentrale entsprechend aufbereitet und weiterverbreitet wurden. So entstand eine einflussreiche, aber heute weitgehend in Vergessenheit geratene antisemitische Nachrichtenagentur.
Eine der zentralen Figuren und Gründer des »Welt-Dienstes« war Ulrich Fleischhauer (1876–1960). Für den Oberstleutnant war nach dem Ersten Weltkrieg, wie für viele andere seiner Generation, eine Welt zusammengebrochen. Ein neues ordnendes Weltbild bot der Antisemitismus, der die Juden für alles Übel in der Welt verantwortlich machte. Im »Weltjudentum« hatten die Fanatiker eine ideale Projektionsfläche gefunden, denn dieses Konstrukt, so bemerkte Louis W. Bondy treffend, war nicht greifbar und konkret zugleich.1
Fleischhauer baute nach Ende des Ersten Weltkriegs den U. Bodung Verlag auf, den er Mitte der Zwanzigerjahre von Perleberg (bei Berlin) nach Erfurt verlegte. In diesem Verlag erschienen zahlreiche antidemokratische, völkische und antisemitische Publikationen, darunter Titel wie »Nordlands Untergang. Arisch-germanische Sprachreste im Mittelmeergebiet«, »Novemberdeutsche und Novemberdeutschland«, »Betrachtungen über das sensationelle Buch ›Die Geheimnisse der Weisen von Zion‹« oder »Die Not in der schaffenden deutschen Wirtschaft und die Zinsknechtschaft des Leihkapitals«.
Ein Lexikon für Antisemiten
Zu den bekanntesten Projekten des Verlags gehörte das Ende der Zwanzigerjahre begonnene und auf mehrere Bände angelegte Nachschlagewerk »Sigilla Veri« (Siegel der Wahrheit). Es ging zurück auf Philipp Stauffs »Semi-Kürschner« von 1913, dessen Titel sich an den renommierten literarischen Jahreskalender von Joseph Kürschner anlehnte. Der »Semi-Kürschner« trennte die gelehrte Welt in eine jüdische und eine nichtjüdische, um auf diese Weise eine vermeintliche Dominanz jüdischer Einflüsse in Gesellschaft und Wissenschaft nachzuweisen.
Die »Sigilla Veri« erweiterten Stauffs Projekt deutlich. Der Vertrieb des Lexikons wurde nicht über die Buchhandlungen organisiert, man konnte es nur direkt beim Verlag bestellen. Jeder, der ein Exemplar kaufen wollte, musste eine Erklärung mit folgendem Wortlaut unterschreiben: »Ich bin nicht jüdischer Abstammung, habe weder jüdisches Blut noch jüdische Verwandte. Ich verpflichte mich dazu, dieses Werk nicht zu verkaufen oder zu verschenken. Ich gebe mein Ehrenwort, dass ich nicht als Strohmann für jemanden agiere.«2
Gründung des »Welt-Dienstes«
Mit dem Machtantritt der Nazis sah Ulrich Fleischhauer 1933 eine Chance, seinen Apparat weiter auszubauen. Er rief den »Welt-Dienst« ins Leben und forderte Antisemiten in zahlreichen Ländern zur Mitarbeit auf. Diese sollten weltweit jüdische Zeitungen und Zeitschriften auswerten und das Material nach Erfurt schicken. Dort wurden die Zeitungsmeldungen und Artikel entsprechend aufbereitet, um damit wiederum Antisemiten in aller Welt zu versorgen. Tatsächlich fanden sich in der Folgezeit dutzende Antisemiten unterschiedlicher Nationalität zur Mitarbeit bereit.
Unter dem Titelkopf des »Nachrichtenblattes«, der eine Weltkarte und den Schriftzug »Welt-Dienst« zeigte, erklärte der Herausgeber: »Diese Blätter sind bestimmt, unter Ariern von Hand zu Hand zu gehen. Der in drei Sprachen erscheinende ›Weltdienst‹ ist nicht auf Gelderwerb eingestellt. Er beabsichtigt vielmehr, in erster Linie die schlecht orientierten Arier aufzuklären – welchen Staat auch immer sie ihr Vaterland nennen mögen. Diese Informationen über das Treiben der jüdischen Unterwelt gehören daher zum geistigen Rüstzeug jedes Ariers. Sehr erwünscht ist die Weitergabe an die Presse.«3
Der »Welt-Dienst« wurde über die Jahre weiter ausgebaut. Erschien das mit Schreibmaschine verfasste Blatt anfangs in den drei Sprachen Deutsch, Englisch und Französisch, so hatte der ab 1936 gedruckte »Welt-Dienst« eine professionellere Gestalt und größere Verbreitung gefunden. Rückblickend heißt es in einer Ausgabe des »Welt-Dienstes« von 1938 über die Anfänge des Projektes: »Von 1919–1933 haben wir im Stillen die 1882 von Th. Fritsch begonnene Arbeit wieder aufgenommen, um zum ersten Male in der Weltgeschichte – der jüdischen Internationale eine Internationale der Judenkenner entgegenzusetzen. Am 1. September 1933 eröffneten wir unsere ›Welt-Dienst‹-Zentrale in Erfurt. Schon nach kurzer Zeit nannte die jüdische Presse wegen unserer Arbeit diese Stadt das ›Mekka der Antijudaisten‹.«4 Dies betrachteten die Macher als Bestätigung ihrer Aktivitäten. Das Blatt expandierte weiter und war 1940 bereits in elf Sprachen verfügbar, hinzugekommen waren russische, ungarische, polnische, dänische, spanische, holländische, rumänische, norwegische und schwedische Ausgaben.
Das Verhältnis zum NS-Apparat
Ulrich Fleischhauer betonte nach außen seine Unabhängigkeit von den offiziellen NS-Organisationen. Inwieweit er von dort finanzielle Unterstützung erhielt, ist bis heute nicht sicher geklärt. Jedenfalls waren die Staats- und Parteistellen schon früh auf die Organisation aufmerksam geworden.
Das Geheime Staatspolizeiamt (Gestapa) in Berlin holte schließlich 1934 Erkundigungen bei der Staatspolizeistelle in Erfurt ein. Dort versicherte man, dass es sich bei dem Informationsbüro »Arischer Weltdienst« in Erfurt »um eine vorbildliche Einrichtung zur Bekämpfung des internationalen Judentums und der Freimaurerei« handele. Die Organisation habe »nach allen Weltteilen Verbindung und in fast allen Städten des Welttals [!] Verbindungsleute sitzen« und sei »ein rein privates Unternehmen«.5
Fleischhauer und seine Mitarbeiter hatten nicht nur Fürsprecher bei der Erfurter Stapostelle, sondern unterhielten auch gute Kontakte zu einzelnen SD-Mitarbeitern. Der »Welt-Dienst« war jedoch bemüht, solche Verbindungen nicht öffentlich werden zu lassen. Schließlich habe man sich dem internationalen Kampf gegen das Judentum verschrieben und wolle keine nationalen Interessen vertreten – so zumindest die nach außen propagierte Linie Fleischhauers, der gerne auch betonte, dass seine »Bewegung« schon aktiv gewesen sei, lange bevor die NSDAP die Regierung übernommen habe.
Der Berner Prozess
Das Erfurter Netzwerk und Ulrich Fleischhauer in seinem Zentrum erlangten mit dem »Welt-Dienst« durchaus eine gewisse Popularität. Als 1935 in Bern ein Prozess gegen Schweizer Nationalisten geführt werden sollte, weil sie die »Die Protokolle der Weisen von Zion« verbreitet hatten, erhofften sich die sogenannten Frontisten Hilfe aus Erfurt. In der Tat trat Fleischhauer in diesem international beachteten Gerichtsverfahren als »Gutachter« auf, um dort zu belegen, dass die »Protokolle« echt seien.6 Er sah in dem international beobachteten Prozess in erster Linie eine gute Gelegenheit zur Verbreitung seiner antisemitischen Propaganda. Im »Welt-Dienst« betonte Fleischhauer die außerordentliche Bedeutung des Prozesses und versprach seinen Lesern, sie würden in Bern »das wichtigste Duell miterleben […], das zwischen dem internationalen Judentum und der arischen Welt in den letzten Jahrzehnten öffentlich ausgetragen worden ist.«7
Als Richter Walter Meyer sein Urteil verkündete, erklärte er: »Ich hoffe, es werde eine Zeit kommen, in der kein Mensch mehr begreifen wird, wieso sich im Jahr 1935 beinahe ein Dutzend sonst ganz gescheiter und vernünftiger Leute vierzehn Tage lang vor einem bernischen Gericht über die Echtheit oder Unechtheit dieser sogenannten ›Protokolle‹ die Köpfe zerbrechen konnten, die bei allem Schaden, den sie bereits gestiftet haben und noch stiften mögen, doch nichts anderes sind als lächerlicher Unsinn.«8
Er sollte sich täuschen. Bis heute hat dieses Buch weltweit millionenfache Verbreitung gefunden und zur Stärkung antisemitischer Strömungen und Ressentiments beigetragen. Sein Urteil wurde schon bald darauf aus formaljuristischen Gründen aufgehoben, ein fatales Signal, das den Antisemiten weiteren Auftrieb gab. Im »Welt-Dienst« und den Publikationen des U. Bodung Verlags wurde ausführlich über den Berner Prozess berichtet.
Die Weltdienst-Kongresse
Nicht nur über ein großes Netz von Korrespondenten aus verschiedenen Ländern, sondern auch über regelmäßig stattfindende Kongresse trieb Ulrich Fleischhauer die internationale Zusammenarbeit der Antisemiten voran. Die Tagungen hatten bereits eine längere Tradition. Seit Anfang der Zwanzigerjahre trafen sich Antisemiten unterschiedlicher Nationen zu konspirativen Kongressen, um ihre judenfeindliche Agitation zu koordinieren und ihre Verschwörungstheorien auszutauschen.
Doch bei der Verbreitung antisemitischer Hetze allein blieb es nicht. Die Teilnehmer diskutierten bei ihren Treffen auch konkrete Maßnahmen und Forderungen wie die »Exterritorialisierung« der Juden. 1937 war der Brite Henry Hamilton Beamish als Hauptredner zu Gast bei einem Weltdienst-Kongress. Er griff mit der Umsiedlung der Juden nach Madagaskar eine Idee auf, die schon seit längerem in den Kreisen der Antisemiten diskutiert wurde – die Umsiedlung nach Madagaskar sollte letzten Endes zum Aussterben der Juden führen. Während die ersten Weltdienst-Kongresse noch von der Geheimhaltung geprägt waren, informierte die Nazi-Presse nun offen und ausführlich über den Kongress.
Immer wieder suchten die »Welt-Dienst«-Mitarbeiter Anschluss an die offiziellen NS-Organisationen, auch wenn sie zeitgleich ihre Eigenständigkeit betonten. Im Anschluss an den Weltdienst-Kongress 1937 reisten rund 100 Mitarbeiter und Korrespondenten weiter zum Parteitag der NSDAP nach Nürnberg und erhielten dort Gelegenheit, Kontakte zu denjenigen offiziellen Stellen zu knüpfen, die mit der »Judenfrage« im Reich befasst waren.
Adolf Eichmann schätzte die dort versammelten Leute jedoch nüchtern und pragmatisch als völlig ungeeignet für die anstehenden Aufgaben an: »Der Grossteil dieser ›Welt-Dienst‹-Angehörigen machte den Eindruck von mehr oder minder fragwürdigen Existenzen, die zum Teil von der fixen Idee besessen sind, als Führer von Parteien und Organisationen in ihren Ländern berufen zu sein. Sie alle verlieren sich jedoch, gelinde ausgedrückt, in Kleinigkeiten, die ihr gesamtes Interesse beanspruchen und sind dergestalt auch nicht annähernd in der Lage, eine grosse Linie herauszuarbeiten und diese zu verfolgen.«9
Übernahme des »Welt-Dienstes«
Fleischhauers Unternehmen wurde in NS-Kreisen durchaus als einflussreiche Konkurrenzorganisation wahrgenommen. Ende der Dreißigerjahre gelang es Alfred Rosenberg, den »Welt-Dienst« in seinen Einflussbereich zu überführen und Ulrich Fleischhauer weitgehend zu entmachten. 1939 ließ er die Zentrale nach Frankfurt am Main verlegen. In der Folgezeit stieg die Zahl der Sprachen auf über 20 und die Auflage wurde noch einmal erheblich gesteigert. 1944 erreichte die Gesamtauflage über 300.000 Exemplare. Fleischhauer setzte seine Aktivitäten in Erfurt mit der Publikation antisemitischer Schriften auch während des Krieges weiter fort, wenn auch in verminderter Form. Erst die Befreiung 1945 setzte den berüchtigten antisemitischen Propagandazentralen in Erfurt und Frankfurt ein Ende.
- 1Vgl. Louis W. Bondy: Racketeers of Hatred. Julius Streicher and the Jew-Baiter’s International. London/Leicester 1946, S. 69.
- 2Zit. n. Magnus Brechtken: »Madagaskar für die Juden«. Antisemitische Idee und politische Praxis 1885–1945. München 1997, S. 44.
- 3Weltdienst I/1 v. 1.12.1933.
- 4Welt-Dienst V/17 u. 18 v. 1. u. 15.9.1938. Theodor Fritsch (1852–1933) hatte bereits 1882 in Dresden den Versuch unternommen, einen internationalen Kongress der Antisemiten einzuberufen. Sein »Handbuch der Judenfrage« galt in Deutschland als antisemitisches Standardwerk. Es erschien ab 1907 in dem von Fritsch gegründeten Hammer-Verlag in Leipzig und erlebte bis 1945 insgesamt 49 Auflagen.
- 5Zit. n. Eckart Schörle: Internationale der Antisemiten. Ulrich Fleischhauer und der »Welt-Dienst«, in: WerkstattGeschichte 51 (2009) H. 1, S. 57–72, hier S. 61f.
- 6Vgl. Michael Hagemeister: Der Mythos der jüdischen Weltverschwörung. Die »Protokolle der Weisen von Zion«, in: AIB 76 (2007) H. 3, S. 14-17.
- 7Welt-Dienst Nr. II/6 v. 15.3.1935.
- 8Zit. n. Urs Lüthi: Der Mythos von der Weltverschwörung. Die Hetze der Schweizer Frontisten gegen Juden und Freimaurer – am Beispiel des Berner Prozesses um die »Protokolle der Weisen von Zion«. Basel 1992, S. 67.
- 9Zit. n. Brechtken, Madagaskar, S. 70.