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Der Generalbundesanwalt ermittelt gegen Leipziger Antifas

Antifaschist_innen aus Leipzig (Gastbeitrag)
Einleitung

Im November 2020 wird in Leipzig die Antifaschistin Lina in Untersuchungshaft genommen. Staatsanwaltschaft, Polizei und Medien sind sich sicher: Sie soll ein Kopf der militanten Strukturen Leipzigs sein. Ihr wird vorgeworfen an Angriffen gegen Neonazis mitgewirkt zu haben, gegen sie und weitere Beschuldigte wurde ein Verfahren nach Paragraph 129 wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung eingeleitet.

Dieser Vereinigung werden Körperverletzungen und Landfriedensbrüche in verschiedenen Fällen sowie sogenannte „Vorbereitungsstraftaten“ vorgeworfen. Die Ermittlungen werden von der Soko Linx geführt.1 Auslöser des Verfahrens sind zwei Auseinandersetzungen im Jahr 2019 im thüringischen Eisenach. Nachdem der Neonazi Leon R. den Polizeinotruf gewählt hat, werden insgesamt fünf Personen festgenommen. Die Polizei Eisenach beginnt mit ihren Ermittlungen. Im Rahmen von Observationen behauptet das hinzugezogene LKA Sachsen zwei Personen beim “Ausspähen“ des Neonazis Brian E.2 an seinem Wohnort in Leipzig beobachtet zu haben. Darauf aufbauend konstruieren die Behörden eine militante Vereinigung, in deren Rahmen sie Lina eine „herausgehobene Stellung” zuschreiben, weil sie koordinative Aufgaben im Rahmen einer Aktion übernommen haben soll. So wird ihr auch ein vorgeworfener Ladendiebstahl in einem Baumarkt zu einer „Beschaffungshandlung von Tatwerkzeug“ umgedeutet oder mit dem Besitz von Bargeld der Haftgrund Fluchtgefahr begründet.

Die Eisenacher Neonazis

Bei den Geschädigten der behaupteten Angriffe handelt es sich um den Kern der formell aufgelösten Kameradschaft „Nationaler Aufbau Eisenach“, die in fast identischer Besetzung unter dem Label „Knockout-51“ firmiert. In der Gruppe der umtriebigen und gewaltaffinen Neonazis inszeniert sich Leon R. als Opfer einer „Antifa Kampagne“ gegen ihn und den von ihm und seiner Mutter betriebenen rechten Szenetreff „Bullseye“. Die Kneipe ist fester Bestandteil der neonazistischen Infrastruktur in Eisenach. Parallel inszeniert sich der Personenkreis unter dem Label „Knockout-51” als rechte Kampfsportgruppierung. Gemeinsam besuchten sie neonazistische Kampfsport-Veranstaltungen wie „Tiwaz“ und „Kampf der Nibelungen“. Im Rahmen der Leaks, die zu „Iron March“ veröffentlicht wurden, wurde bekannt, dass sich Leon R. intensiv mit Mitgliedern der US-amerikanischen rechtsterroristischen Gruppe „Atomwaffen Division“ austauschte und sich für deren deutschen Ableger engagierte, indem er u.a. an der Produktion eines Werbevideos mitwirkte3 . Die „Atomwaffen Division“ ist in den USA für fünf Morde verantwortlich. Betrachtet man diese Umstände, muss man den Eindruck gewinnen, dass es sich bei Leon R.‘s Gruppe um angehende Rechtsterroristen handeln dürfte.

Repression im Kontext

Der Verfolgungseifer im vorliegenden Fall ist im Kontext einer bundesweiten Repressionswelle gegen linke Strukturen zu betrachten. Die Feindseligkeit, mit der die Behörden ermitteln und die Tatsache, dass der Generalbundesanwalt das sächsische Verfahren an sich gezogen hat, fügt sich nahtlos ein in das Bild eines bundesweiten Vorgehens gegen eine Linke, die konsequent für ihre Positionen eintritt. Die hohe Dichte der gegenwärtigen Verfahren stellt die radikale Linke als Bewegung vor die gemeinsame Herausforderung, sich nicht verunsichern, hemmen und zersplittern zu lassen.

Auffallend in Sachsen ist die Pressestrategie der Ermittlungsbehörden. Mit Unterstützung der Medien wird hier bewusst ein Szenario gezeichnet, dass die Vorwürfe dramatisiert. Während die ersten Pressemeldungen4 zu einem Vorfall im Oktober 2019 im „Bullseye“ von sechs „leicht Verletzten“ sprachen, behauptete Leon R. später im Internet: „Der Zeitungsbericht stimmt auch dahingehend nicht, dass es 6 Verletzte sind. Es waren noch 6 Personen in der Gaststätte, von denen 3 Personen (..) leicht verletzt wurden“. Ein halbes Jahr später spricht der Generalbundesanwalt jedoch von „erheblichen Verletzungen“.

Dies ist kein Einzelfall. Die nie alt werdende Erzählung der „neuen Qualität der Gewalt“ wird von staatlichen Stellen seit jeher genutzt, um die eigenen Befugnisse zu erweitern. Exemplarisch dafür steht das eingerissene Ohrläppchen („Not-OP“) eines Leipziger Bereitschaftspolizisten5 , das bundesweit die Medien beschäftigte – ganz im Gegensatz zu den Verbindungen der Polizisten zur rechten Kampfsportszene6 - oder eine Auseinandersetzung am Rande einer Demonstration von „Querdenken“ im November 2020. In beiden Fällen wurden die Geschädigten lediglich ambulant versorgt und kaum verletzt, dennoch wurden in der Folge „Mordermittlungen“ öffentlich inszeniert und die Verfahren als versuchte Tötungsdelikte geführt.

Dieses Narrativ bestimmt die Berichterstattung, die Taten stünden „an der Schwelle zum Terrorismus“. Mehrfach wurden dabei Analysen des Verfassungsschutzes angeführt, nach denen sich „linksradikale Kleingruppen“ unter höherem Gewalteinsatz auf das private Umfeld der Neonazis konzentrieren würden und daher „gezielte Tötungen nicht mehr ausgeschlossen“ seien.7 Die Strategie der Behörden dahinter ist durchschaubar: Bei der Bewertung des „Gewalteinsatzes“ geht es nicht vorrangig um eine medizinisch und juristisch sachliche Einordnung der Vorfälle, sondern darum, die Taten öffentlich mit Tötungsdelikten zu assoziieren, die Beschuldigten als Terroristen zu stigmatisieren und mithilfe des höheren Strafrahmens militanten Antifaschismus gezielter zu bekämpfen. Zum anderen dient die Umdeutung von Antifa-Aktivitäten zu versuchten Tötungsdelikten einer moralischen Delegitimierung, um Spaltungen und Distanzierungen hervorzurufen.

Indem sie ihren „Haus-und-Hof-Journalisten“ die Ermittlungsakten „durchstechen“8 , betreiben die Strafverfolgungsbehörden inoffiziell Öffentlichkeitsarbeit gegen die Beschuldigten, insbesondere mithilfe von der Tageszeitung „Die Welt“ aus der Axel Springer Verlagsgruppe.9

Das geschilderte „Dramatisierungsnarrativ“ sollte auch im Rahmen von antifaschistischen Unterstützungskampagnen nicht sorglos bedient werden. Um die Schwere der Verletzungen der von Neonazis angegriffenen Journalisten in Frettenrode nicht herunterspielen zu lassen10 , anwaltlich mit der Forderung einer Anklageerhebung wegen eines versuchten Totschlags zu kontern, ist politisch diskutierbar. Das Verhältnis vieler antifaschistisch Aktiver zum Staat und seiner Justiz ist ein anderes. Neonazis verhalten sich im Gefängnis nicht weniger gewalttätig, vielmehr trifft ihre Gewalt hinter Gittern diejenigen, deren Chance dem aus dem Weg zu gehen oder sich zu wehren minimal sind.

Insbesondere das zweite vorgebrachte Argument für eine vermeintliche qualitative Veränderung der Militanz, die Verlagerung von Konfrontationen mit Neonazis in ihr Privatumfeld verwundert, handelt es sich doch lediglich um eine örtliche Verschiebung in ihre Wohlfühlzone. (Während die Alltagsangst der von Neonazigewalt Betroffenen hingenommen wird, dürfen offenbar Neonazis nach „Feierabend“ nicht mit Widerspruch als Folge ihres Handelns rechnen). Diese lässt sich auch ganz banal durch den zunehmenden Verlust von Handlungsspielräumen im Rahmen neonazistischer Events erklären oder der Tatsache, dass Neonazis, die den militanten Straßenkampf als Teil ihrer Ideologie und politischen Praxis sehen, im privaten Umfeld eher in der Defensive sind.

In der Behördenwahrnehmung von antifaschistischer Gegenwehr steckt am Ende die zu diskutierende Frage, welche Praxis welche Ziele erfüllen kann. Zum Beispiel inwiefern die vermeintliche Radikalisierung von Aktionsformen ein Ausdruck davon ist, den Druck auf organisierte Neonazis umso entschiedener in der Tiefe führen zu müssen, wenn er nicht in der Breite ausgeübt wird.

Der praktische Erfolg koordinierter militanter Kämpfe ist nicht zu verleugnen: Sei es die Schwächung von AfD-Strukturen durch konsequente Schädigung der von ihr genutzten Räume oder die Zerschlagung der Leipziger NPD durch ein wochenlanges Orchester aus direkten Angriffen. Antifaschist_innen sollten sich mit der Frage auseinandersetzen, inwiefern die eigenen strategischen Überlegungen zu einer Praxis führen, die sich als wirksam in der Bekämpfung militanter Neonazistrukturen erweist. Daneben braucht es eine solidarische Praxis zur Unterstützung von Antifaschist_innen, die von den Behörden für ergebnisorientiertes Handeln verfolgt werden.

Das Verfahren gegen Leon R. wegen seiner Verbindungen zur „Atomwaffen Division“ führt mittlerweile ebenfalls die Bundesanwaltschaft. Ob das etwas an der Gewaltbereitschaft der Gruppe um ihn ändern wird, darf stark bezweifelt werden. So werden auch in Zukunft antifaschistische Interventionen notwendig sein, um rechten Terror präventiv zu bekämpfen.