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Der rechte Traum vom "Tag X"

Dirk Laabs
Einleitung

Nach Jahren des Zauderns und der Skepsis, sehen inzwischen die neue Bundesregierung und selbst das zuständige Bundes­amt für Verfassungsschutz ein: Die größte Gefahr geht hierzulande von potenziellen Rechtsterroristen aus. Seit 2016 sind Mitglieder diverser rechter und terroraffiner Gruppen enttarnt worden – darunter, um nur einige zu nennen, die „Gruppe S“, die „Oldschool Society“, „Revolution Chemitz“ und eine „Reichsbürger“-Armee. Gleichzeitig wurde bekannt, dass Reservisten der Bundeswehr in Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen paramilitärische Gruppen gebildet haben, zum Teil unterstützt von Soldaten des „Kommando Spezialkräfte“ (KSK) und mit Verbindungen in das Verteidigungsministerium. Hinzu kommen vermeintliche Einzeltäter in Hessen, Sachsen und andernorts, die große Sprengstoff- und Waffenlager angelegt hatten. Bisher gibt es keine Belege dafür, dass die verschiedenen Gruppen koordiniert gehandelt hätten – sie haben sich allerdings alle auf einen Tag X vorbereitet und damit eine alte Tradition der rechten Szene fortgeführt. Denn spätestens seit den 1990er Jahren arbeiten Neonazis auf diesen Tag gezielt hin, an dem es entweder zum Umsturz kommen soll oder der „Rassenkrieg“ beginnt. Dass die Behörden diese Bestrebungen fehlgedeutet und unterschätzt haben, führte am Ende zum Terror des NSU. Diese Geschichte könnte sich nun wiederholen.

Foto: Archiv Dirk Laabs

Der Polizist Marko G. (links) war Teil des „Nordkreuz“-Netzwerkes. Hier bei Schießübungen.

Die Kernidee des "Tag  X"

Am 9. Juni 1996 verhört das LKA Thüringen einen jungen Soldaten, der Mitglied im „Thüringer Heimatschutz“ (THS) ist. Der Zeuge packt aus: „In der rechten Szene wird oft vom ‚Tag X‘ gesprochen. … Es soll der Tag der Machtergreifung der Rechtsgesinnten sein. Nachdem die Vernetzung vollkommen ist, soll ein nationalsozialistischer Volksauf­stand stattfinden.“ Der Tag X ist damit nicht nur aktenkundig – der Satz war auch keine leere Drohung. Zu diesem Zeitpunkt wurden aus einigen Straßenschlägern des „Thüringer Heimatschutzes“ gerade Terroristen, die den NSU gründen sollten. Der führende Thüringer Neonazi Sven Rosemann, enger Gefolgsmann der späteren NSU-Kernmitglieder, wich der Frage nach dem Tag X in einem Interview zunächst aus:

Was ist perspektivisch das Ziel? Es gibt ja die Debatte über den Tag X.

Dazu sage ich nichts. Nee.

Aber gibt es das Konzept, dass man irgendwann die Macht übernimmt?

Das Konzept ist sicherlich vorhanden, ja.

Und wenn man merkt, man kommt dem Ziel nicht näher?

Dann geht‘s halt nur noch mit Gewalt.

Gibt‘s da irgendwelche Grenzen?

Glaub ich nicht.1

Ein anderer Neonazi aus Thüringen, der die Kernmitglieder des NSU ebenfalls gut kannte, bestätigte später in einem Interview, dass man die Idee des Tag X als blutigen Umsturz in der Szene damals sehr ernst nahm – so ernst, dass man die Betten in Thüringens Krankenhäusern zählte, um zu wissen, wie viele eigene „Kämpfer“ am Tag X  dort versorgt werden könnten.

Nicht nur in Thüringen ist das Konzept zu diesem Zeitpunkt allgegenwärtig. Bei Mitgliedern der Berliner „Kameradschaft Treptow“ wird 1998 ein Strategiepapier für den Tag X gefunden. Der einflussreiche Hammerskin Mirko Hesse aus Sachsen schrieb in einem Neonaziblatt offen: „Manchmal gehen wir auch in den Wald und … trainieren … für den Tag X“.2 Und in mehreren Songs verherrlichten deutsche RechtsRock-Bands den Umsturz, so „Julmond“ („Gedanken zum Tag X“) und „Skalinger“, die in ihrem Lied „Tag X“ sogar Adolf Hitler zitierten: „… ihr werdet vor mir, neben und seiten und hinter mir stehen. Und wir werden in unserem Zeichen wieder siegen…“3

Der deutschen Öffentlichkeit ist das Konzept eines neonazistischen Tag X dagegen in den 1990er Jahren nahezu unbekannt. Das X steht eher für die Anti-Atomkraft-Bewegung, die damals versucht, Castor-­Transporte nach Gorleben zu verhindern – da das genaue Datum der Transporte so lange wie möglich geheim gehalten wurde, mussten sich die Aktivisten auf den „Tag X“ vorbereiten. Das gelbe X aus Latten zusammengezimmert wird damals zum unübersehbarem Symbol.4

Anders als die deutsche Öffentlichkeit bekommen verschiedene Staatsschützer früh mit, dass die rechte Szene ihren eigenen Tag X plante. Uwe Kranz, Chef des LKA Thüringens, das schon 1997 gegen die Vorläufer des NSU ermittelt hatte, erklärte später: „Die haben von einem Tag X gefaselt, an dem sie die Macht übernehmen wollen. Sie haben daraufhin gearbeitet, irgendwann mal ganz groß zuzuschlagen.“ Es habe durchaus Hinweise gegeben, dass 1997 das „Jahr der Jahre“ werden und der „Tag X“ kommen würde.5 Tatsächlich hatten die späteren Gründungsmitglieder des NSU zu diesem Zeitpunkt bereits über ein Kilo Sprengstoff angeschafft, das erst von der Polizei in Jena gefunden wurden, als sich Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe bereits in den Untergrund abgesetzt hatten. Dort leisteten sie offenbar umfangreiche Vorarbeiten für einen Tag X. So fanden sich in Datenbanken des NSU nicht nur Adressen von Kasernen und Waffenläden – der Zugang zu Waffen ist immer ein zentraler Gedanke beim Tag X –, sondern auch Daten von hunderten Demokraten in ganz Deutschland, den „Feinden der Bewegung“, mit denen man abrechnen wollte. Darunter war der CDU-Politiker Walter Lübcke, der in den 1990er Jahren in Thüringen als Leiter einer Bildungseinrichtung Rockkonzerte gegen Rechts organisiert hatte und im Juni 2019 vom Neonazi Stephan Ernst erschossen wurde.

In der Szene war den Beteiligten klar, was der Tag X für die Demokratie bedeuten würde. Der frühere Neonazi Achim Schmid, ehemals aktiv in der NPD, dem Ku-Klux-Klan und Sänger in der RechtsRock-Band „Wolfsrudel“, hat die Diskussionen selber mit geführt: „Das Deutsche Reich sollte dann wiederaufstehen, wenn der Tag X da ist und das System BRD kollabiert. Und das habe ich auch in meinen Liedern so gesungen.“6 Nicht zuletzt ging es beim Tag X darum, mit den Feinden abzurechnen, so Schmid: „Ganz klar, der politische Gegner kommt ins Konzentrations- oder Arbeitslager.“

Schon dem LKA-Beamten, der im Juni 1996 das Mitglied des „Thüringer Heimatschutzes“ verhört hatte, fragte nach „sogenannten Todeslisten“. Die Antwort des Zeugen: „Es werden sich Namen von Polizisten, Staatsanwälten und Richtern notiert. …Das Wort Todesliste ist schon ein Begriff und kursiert auch.“

Todesliste war also auch schon früh ein stehender Begriff. Die Rachefantasien der rechten Szene knüpfen dabei an den „Day of The Rope“, der Tag des Stricks, an – ein Konzept, das auch das Denken von militanten Rechten in den USA und Europa bestimmt. Wie so viele Kernideen der transnationalen rassistischen Internationale geht auch diese Blaupause auf das Buch „The Turner Diaries“ von William Pierce aus dem Jahr 1978 zurück.7 Er beschreibt darin, dass am „Tag des Stricks“ Rassisten dutzen­de Menschen aufhängen, die die „eigene Rasse betrogen haben“: Journalisten, Politiker und Frauen, die etwa Afroamerikaner geheiratet haben. Der Tag der Abrechnung wird auch von US-RechtsRock-Bands verherrlicht. In einem Song der Band „Bound for Glory“ heißt es: „Politicians to Pope, there’ll be no hope/There is no escaping the Day of the Rope“.8

Diesen Ansatz nehmen nun ausgerechnet jene Gruppen militanter Polizisten, Soldaten und deren Komplizen auf, die seit 2017 an vielen Orten in Deutschland enttarnt werden, weil sie sich aktiv auf einen Tag X vorbereitet hatten. Darunter „Nordkreuz“ in Mecklenburg-Vorpommern, im wesentlichen von Polizisten wie Marko G. geführt, ehemals Mitglied in einem Sondereinsatzkommando.9 Die Gruppe hortete nicht nur tausende Schuss Munition, der „Nordkreuz“-Anhänger und Anwalt Jan Hammer, einst Mitglied im Rostocker Stadtparlament, fragte in Diskussionen auch, wie man die Feinde am Tag X an Straßenkontrollen der regulären Truppen vorbeibringen könne, um sie in Lagern zu ermorden – gleichzeitig führte er zu Hause Listen mit den Namen seiner politischen Gegner. Zu einzelnen Wohnungen dieser Menschen besorgte sich die Gruppe Informationen aus Polizeiakten.

Die Nordkreuzler orientierten sich dabei an der deutschen Geschichte. Sie waren fasziniert von rechten Freikorps, die nach 1918 Deutschland terrorisierten. Mit ihrer Faszination waren sie nicht allein. Reservisten in Sachsen, die sich auf einen Tag X vorbereiteten, nannten sich etwa „Zeitfreiwilligenregiment “ – nach einem Freikorps, der 1919 gegründet wurde.10 Rechtsradikale Freikorps hatten in den ersten Jahren der Weimarer Republik hunderte Menschen ermordet, die sie lange vorher als Feinde ausgemacht hatten, aber erst in der unübersichtlichen Situation nach dem Kriegsendes ungesühnt umbringen konnten.

Ein augenscheinlich terroristischer Ansatz, den „Nordkreuz“ kopieren wollte. Die Gruppenmitglieder nutzten allerdings erfolgreich eine simple Strategie, um sich zu rechtfertigen: Man tarnte sich als „Prepper“. Die „Nordkreuz“-Mitglieder behaupteten, dass es eine Art vorauseilende Notwehr vorgelegen habe. Und die Todesliste seien auch gar keine Todeslisten, sondern ein lose Sammlung von Notizen. Das ist allerdings kein neuer Trick. Viele Neonazis und deren Sympathisanten sagten ebenfalls wie abgestimmt: Beim Tag X gehe es ausschlie­ßlich um Selbstverteidigung.

Der V-Mann und Berlin/Brandenburger Neonazi Carsten Szcz­epanski erklärte das im NSU-Prozess stellvertretend, als er vom Richter gefragt wurde, warum die Szene überhaupt Waffen brauche: „Die Szene war der Ansicht dass das jetzige System der BRD zusammenbricht und das man sich dann in bürgerkriegsähnlichen Zuständen befinden würde und dann für den Tag X wollte man sich vorbereiten... Die Waffen sollten dazu dienen, sich in diesem Vakuum, das dann entsteht, zu schützen und natürlich die eigene Machtposition [auszubauen].“11

Ähnlich redete sich der Nordkreuzler Marko G. erfolgreich heraus, als ihm in Schwerin der Prozess wegen eines Verstosses gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz gemacht worden ist. Die Richter urteilten, Marko G. habe sich zwar auf den Tag X vorbereitet und sich auch nicht mehr auf dem Boden des Grundgesetztes befunden, aber nicht aktiv auf einen Umsturz hingewirkt – allerdings hatten die Richter auch nur einen Bruchteil der Ermittlungsakten zu dem Komplex gesehen.12

Tag X im “Hannibal”-Netzwerk

Denn „Nordkreuz“ war nur eine von vielen Chatgruppen in Deutschland, die der KSK-Soldat André Sch. initiiert hatte, der sich dort „Hannibal“ nannte. Er hatte ab Ende 2014 in Soldaten-, Polizei- und Behördenkreisen ein Manifest verteilt, eine „Standard Operating Procedure, in dem es um eine Kommunikationsstruktur ging, die man aufbauen müsse. Die Organisatoren bezogen sich ausdrücklich auf den Tag X: „Desto besser die Kommunikation, umso einfacher die Organisation und das Sammeln untereinander am Tag X. Doch bis dahin gilt für jeden von UNS, so wenig wie möglich aufzufallen. Ziel ist es in diesem Chat, mit so vielen vertrauenswürdigen Personen wie nur möglich zu befüllen und somit ein starkes Fundament zu schaffen.“

Doch auch „Hannibal“ ging es nicht um Notwehr oder Selbstverteidigung, abwarten wollte er ebenfalls nicht. Vielmehr verglich er die Bundesregierung 2015, als über eine Million Menschen in Deutschland Zuflucht suchten, mit dem Hitler-Regime – die Lage ähnele dem Juli 1944. Deshalb warb er aktiv im Umfeld von Freimaurerlogen offen für einen Umsturz der Regierung.13

Vor diesem Hintergrund sind auch die Handlungen der Gruppen um „Hannibal“ einzuordnen. Systematisch und mit hoher Dynamik organisierten „Hannibal“ und die Gruppen – Nordkreuz, Westkreuz, Südkreuz, Ostkreuz – Munition in großen Mengen. Dazu Trainingsmöglichkeiten, damit auch Zivilisten, die man gezielt anwarb, Schießen lernen oder trainieren konnten. In anderen paramilitärischen Gruppen lief es ähnlich: Die Reservisten in Sachsen organisierten Schießtrainings für ihre Mitstreiter, genau wie die in Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen. Oft nutzten sie dabei Bundeswehreinrichtungen. Aber niemand war aktiver und erfolgreicher als die Gruppen um dem KSK-Soldaten „Hannibal“.

Abzeichen für den Tag X wurden entworfen, Funkkanäle festlegt, Codewörter verteilt und sogenannte Safehouses organisiert. An diesen sicheren Rückzugsorten lässt sich sehr gut festmachen, wie ernst und wie weit die Gruppen gekommen waren. Der Organisator und damalige KSK-­Soldat „Hannibal“ behauptete beim BKA, man habe nur abstrakt über diese Safehouses gesprochen. Recherchen zeigen etwas anderes. Diese Safehouses und Treffpunkte existierten und konnten ganz unterschiedliche Orte sein – Privathäuser, die direkt neben dem Wasserversorger eines Ortes lagen, abgelegene Werkstätten, zu denen man aus privaten Gründen Zugang hatte, ehemalige Liegenschaften der Staatssicherheit in Ostdeutschland, zu denen man sich Zugang verschaffte, Schießstände, deren Betreiber der Bewegung wohlgesonnen waren.

Ein weiteres Dokument der Gruppe um „Hannibal“ belegt den ernsthaften Charakter: Eine Art Taschenkarte für den Tag X. Darauf sind nicht nur jene Funkkanäle und Codewörter festgelegt, sondern auch ein Sammelpunkt, von dem man sich später zum Safehouse auf dem Kasernengelände durchschlagen sollte. Der Sammelpunkt lag Mitten auf einem Truppenübungsplatz, auf dem auch die KSK trainiert, und damit im militärischen Sperrgebiet. Hätte man sich dort etwa getroffen, um ein abstraktes Szenario zu üben, hätte die Gruppe riskiert, von der Militärpolizei aufgegriffen zu werden und die Gesamtplanung gefährdet. Das ist wenig plausibel. Man meinte es offenbar ernst – die Karte war für den tatsächlichen Tag X gedacht. Im Ernstfall hätte man dort offenbar sogar eine Auseinandersetzung mir regulären Truppen der Bundeswehr in Kauf genommen. Trotzdem kamen „Hannibal“ und andere Komplizen mit ihren Ausreden durch und wurden für ihre Pläne juristisch nicht belangt.

Auch der enge Kontakt zu Franco Albrecht wurde den Gruppenmitgliedern nicht zum Verhängnis – obwohl erst die Verhaftung des Bundeswehroffiziers aus Offenbach, der sich als syrischer Flüchtling ausgegeben hatte, die Dynamik der Gruppen um „Hannibal“ unterbrach. Zuvor hatte sich Albrecht mehrmals mit „Hannibal“ und anderen aus der Gruppen getroffen, um unter anderem über die Beschaffung von Waffen zu sprechen.

Als Albrecht verhaftet wurde, ordnete „Hannibal“ die Löschung der ausgetauschten Nachrichten an und Nordkreuzler, die angeblich nie Kontakt zu Albrecht hatten, zerstörten ihre Handys. Bei den Treffen mit Albrecht ging es zuvor auch um einen Tag X, wie man dann etwa die Kaserne des KSK übernehmen könne. Franco Albrecht wusste dabei nicht nur nach Aussagen von Zeugen, welches Erkennungszeichen es am Tag des Umsturzes gelten sollte – „Die Guten kann man von den Bösen unterscheiden durch blaue Kreuze auf den Windschutzscheiben und Uniformen“ –, er gehörte vielmehr auch zu denjenigen Rechten, die sich dafür aussprachen, aktiv auf einen Umsturz hinzuwirken: „In diesem Zusammenhang zog er in Erwägung, einen ‚Zentralrat der Deutschen‘ zu gründen, der ‚Angriffe durch die Antifa inszenieren / Verrätern das Handwerk lege‘, das ‚System zu unseren Gunsten ausnutzen / Schlüsselpositionen ausschalten oder es infiltrieren oder das ganze System zerreißen‘“ würde, fasste der Bundesgerichtshof seine Auffassung zusammen.14

Auch die verurteilten Rechtsterroristen der Gruppe „Revolution Chemnitz“ hatten wie Albrecht über „False-Flag-Attacks“ nachgedacht: „Wenn es nicht von alleine geschieht [sic] muss es nur so aussehen [sic] als hätten die Parasiten angefangen. Bedeutet [sic] wir dürfen nicht erwischt werden [sic] sondern der Fokus liegt darauf, dass die Beamten denken [sic] links dreht frei.“15

Franco Albrecht schickte zudem Nachrichten an andere Soldaten, in denen es hieß, dass jeder, der „dazu beitrage, dass das bestehende Konstrukt des Staates kaputtgehe“, Gutes tue. Seine politischen Gegner bezeichnete er in einer Audiodatei als „Schweine“, die ihn und seine Gesinnungsgenossen umbringen würden. Wörtlich sagte er: „Ich weiß, du wirst mich ermorden, ich ermorde dich vorher.’ Wer zu einem solchen Vorgehen nicht bereit sei, könne ‚den Kampf von vornherein gleich lassen‘.“ Ähnlich formulierte es „Revolution Chemnitz“: die Mitglieder wollten „effektive Schläge“ gegen „Linksparasiten, Merkelzombies, Mediendikatur und deren Sklaven“ durchführen, waren aber in Sachen Waffen­beschaffung lange nicht so erfolgreich wie Franco Albrecht oder „Nordkreuz“.

Terrorgefahr auch ohne Tag X

Der ehemalige Bundeswehr-Offizier Albrecht, der inzwischen Jura studiert, verkörpert die Gefahr der rechten Tag-X-Bewegung: Nicht jeder rechte Aktivist in der Szene will wirklich warten, bis das System ohne Fremdeinwirkung zusammenbricht. Denn viele Neonazis erkennen, dass der Umsturz eben nicht von allein kommt, wie auch Achim Schmid erklärt. Man warte zwar ständig auf den Tag X, aber die meisten seiner Mitstreiter hätten immer geahnt, dass die Demokratien mit den paar Neonazis fertig würden. Das Erkennen der eigenen Schwäche kann dann zu großer Frustration und Wut führen. Dann geht es dann nicht mehr darum, mit einer Aktion das verhasste System zum Zusammenbruch zu bringen – sondern es geht nur noch um Frustabbau, Wut, und mehr denn je, um Rache an alle jene, die für die gescheiterte Machtübernahme verantwortlich gemacht werden – der Tag X als unerreichbare Utopie. Wie beim NSU, dessen Mitglieder so große Pläne hatten und in einem Brief versprachen – „…entschlossenes, bedingungsloses Handeln soll der Garant dafür sein, das [sic] der morgige Tag dem deutschen Volke gehört“, ehe sich am Ende der Hass der Rechts­terroristen entlud und sie willkürlich mordeten.

Zu der entscheidenden Erkenntnis, dass es am Ende gar nicht um den Tag X geht, kam das Bundesamt für Verfassungsschutz schon in den 1990er Jahren nicht, als es sich mit der Szene in Thüringen und andernorts beschäftigte. Die Analysten des BfV schrieben 1998 in einem Vermerk stattdessen: „Rechtsextremisten legen ihre Sprengstoff- und Waffenbestände meist nicht im Rahmen einer klaren Strategie an oder mit dem Ziel, zu einem bestimmten Zeitpunkt bestimmte Personen anzugreifen. Sie rüsten sich vielmehr für einen ungewissen ‚Tag X‘ und erliegen oftmals auch allein der Faszination von Waffen und Sprengstoff.“

Diese Linie wird heute von einigen Behörden weitergeführt, die mit dem Phänomen zu tun haben. Da der Tag X ja niemals komme, seien auch die Vorbereitungen der Szene – der Sprengstoff und die Waffen – nicht als so gefährlich anzusehen, dass man sie deswegen als terroristische Vereinigung stoppen müsste.

Das Gegenteil war und ist der Fall. Da der Tag-X sehr wahrscheinlich nicht kommt, ist die große Wut der Neonazis als Reaktion auf diese Enttäuschung die wichtigste Quelle für eine dramatische Terrorgefahr von Rechts, zumal noch lange nicht alle Strukturen enttarnt sind, die sich tief in die bürgerliche Gesellschaft gegraben haben. Franco Albrecht und seine Komplizen sind zudem alle auf freiem Fuß.16 Nicht ein Soldat oder Polizist, der sich auf den Tag X vorbereitet hat, ist aktuell in Haft.