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Der Staat tritt nach

Einleitung

Kriminalisierung von Antifaschist_innen in Dresden

Die Polizei ging im Februar 2011 in Dresden massiv gegen Antifaschist_innen vor.

Der 19. Februar 2011 war wohl der berühmte Tropfen, der aus Sicht des LKA Sachsen das Fass zum Überlaufen brachte. Und so stürmte man in altbekannter Rowdymanier mit Brechstangen, Vollvermummung und bewaffnet das Pressebüro von »Dresden Nazifrei«. Anlass für das rabiate Vorgehen ist ein bereits seit 2010 laufendes Ermittlungsverfahren wegen Bildung krimineller Vereinigungen, auf dem auch die Durchsuchungen gegen Linke im April/Mai 2011 in Sachsen beruhen. Das in Stellung gebrachte Arsenal soll der politisch gewollten Aufsplitterung in »gute« und »böse« Protestierende dienen und die linke Szene einschüchtern. Mit der Diffamierung als »gewalttätige Linksextremisten« will der Staat antifaschistische Gruppen diskreditieren und für Bündnispartner_innen unnahbar machen. Diese Taktik ist keine neue und insoweit auch nicht spezifisch für Sachsen.

Sächsische Demokratie

Die Selbstwahrnehmung des Freistaats lässt sich wohl am besten an der Werbeoffensive ablesen, die das Land nach der Wahlniederlage von CDU/FDP in Baden-Württemberg schalten ließ. In den Anzeigen heißt »In Sachsen ist die Welt noch in Ordnung. Kommen Sie zu uns«. Was unter Ordnung verstanden wird, lässt einem aber eher einen kalten Schauer über den Rücken jagen, als eine Zuzugsempfehlung aussprechen. Mit diesem politischen Verständnis werden derzeit nahezu sämtliche politische Regungen jenseits der schwarz-gelben Regierungsmehrheit zum Feind konstruiert. So setzt ein CDU-Parlamentarier die Abgeordneten der demokratischen Oppositionsparteien im Landtag schon mal mit der NPD gleich.

Zivilgesellschaftliche Initiativen werden nicht nur von Bundesfamilienministerin Schröder drangsaliert, sondern der sächsische Innenminister verschärft die Extremismusklausel für Gelder des Freistaats noch weiter; einzelne Vereine müssen inzwischen sogar ihre Pressemitteilungen zensieren lassen. Die Staatsanwaltschaft betreibt nach wie vor das Verfahren gegen drei Fraktionsvorsitzende der Linkspartei wegen einer Sitzblockade im Februar 2010 und ermittelte gegen den Bundestagsvizepräsidenten Wolfgang Thierse (SPD), weil dieser sich kritisch zum Zustand der Demokratie in Sachsen geäußert hatte.

Gegen eine unabhängige Linke wird die Karte der Kriminalisierung gezogen. Dabei ist es über den § 129 StGB den Behörden möglich, eine von ihnen selbstkonstruierte Personenmehrheit zu verfolgen. Es verwundert nicht, dass die angebliche Vereinigung weder einen Namen hat oder es Bekennerschreiben zu den vorgeworfenen Straftaten gibt, noch dass Einzelpersonen konkrete Tatvorwürfe gemacht werden. Vielmehr wird Betroffenen prinzipiell erlaubtes Verhalten angelastet, wie beispielsweise die Recherche zu einem Neonaziinfostand am Vortag des 13. Februars in Dresden. Wer vermutet, dass es daraufhin zu Straftaten gekommen wäre, geht fehl.

Zwar beinhaltet der Ermittlungskomplex auch tätliche Angriffe auf Neonazis oder die Beschädigung von Bussen am 19. Februar, aber der innere Zusammenhang bleibt offen. Einer der Betroffenen fasste das treffend zusammen: »Die Auflistung der Staatsanwaltschaft macht den Anschein, als ob man mal eben alle unaufgeklärten Antifa-Aktionen in Dresden und Umgebung aufgelistet hat, um dann im Anschluss die absurde Behauptung aufzustellen, dass das immer die gleichen Täter waren.«1

Kriminalisierung des Protests

So absurd das Konstrukt ist, so real sind die Konsequenzen. Bei der Stürmung des Pressebüros im Februar wurden 22 Personen in Gewahrsam genommen, bei den Razzien im Frühjahr die Wohnungen von 17 weiteren Personen in Dresden, Leipzig und anderen Orten durchsucht. Die Betroffenen wurden erkennungsdienstlich behandelt und teilweise DNA-Proben abgefordert. Zahlreiche Telefone wurden überwacht, sämtliche digitale Speichermedien sowie Handys, Kleidung, Notizen und ähnliches beschlagnahmt. Die Durchsuchungen wurden seitens der Behörden mit einer gezielten Medienkampagne begleitet. So stand die BILD-Zeitung früh um halb fünf mit vor der Tür um die politisch gewünschten Bilder von »linken Gewalttätern« zu liefern.

Gleichzeitig arbeitet eine Sonderkommission eifrig daran, den Protest im Gesamten zu kriminalisieren. Unabhängige Initiativen wie das Polizeibeobachtungsteam oder die Demosanitäter_innen bekamen Aufforderungen ihre Daten herauszugeben. Das sächsische LKA forderte bundesweit schriftliche Auskunft von Busunternehmen an, um zu erfahren, wer den Bus gemietet hat, ob es Besonderheiten während der Fahrt gab und wer wo ausstieg. Während den Demonstrationen überwachte die Dresdner Polizei sämtliche Handy-Daten eines ganzen Stadtteils.2 Gegen über 70 Personen ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen der Teilnahme an einer Sitzblockade in diesem Jahr, obwohl die Neonazis zum Zeitpunkt der Personalienfeststellung bereits abgereist waren. Begründet wird der Aktionismus der Behörden mit der fast schon grotesken Warnung vor »Kreuzberger Verhältnissen«, womit man auf platte Ressentiments und gängige Klischees gegen den Berliner Stadtteil setzt.

Schlapphüte im Kriminalisteneifer

Der sächsische Verfassungsschutz leistet seinen ganz eigenen Beitrag zur konservativen Kampagne und versucht sich in der Kriminalisierung des »Antifa-Logos«. Im aktuellen Bericht wird die Behauptung aufgestellt, dass mehrere nicht abschließend ermittelte Straftaten gegen Neonazis, »Aktivitäten« des AK Antifa Dresden seien. Als »Beweis« dafür gilt, dass sich an der Kleidung der Angreifer »Abzeichen mit der Aufschrift »Antifa« befunden haben«3 . In dieselbe Kerbe schlägt der Geheimdienst bei der Leipziger Kampagne »Fence off«, die sich gegen das NPD-Zentrum auf der Odermannstraße richtet. Dabei wird als Beleg für deren extremistische Ausrichtung offeriert: »Die Kampagne verwendet das Symbol der linksextremistischen ›Antifaschistischen Aktion/Bundesweite Organisation‹ (...).«4 In Wirklichkeit handelt es sich um das allseits beliebte »Antifa-Logo«, welches bekanntermaßen von einem Symbol von 1932 abgeleitet ist. Wer in Sachsen also ein solches Emblem trägt, ist Extremist_in, so die Logik der Schlapphüte.

Au revoir tristesse!

Gegen diese Zustände formiert sich Protest in der Kampagne »Sachsens Demokratie«, die sich zum Ziel gesetzt hat, den Reigen konservativer Diffamierungen zu durchbrechen. Der Erklärung gegen die Kriminalisierung antifaschistischen Engagements haben sich bereits über 300 Organisationen und Einzelpersonen angeschlossen, unter ihnen die Interventionistische Linke, Gewerkschaften, Parteien aber auch die Band Irie Revoltés oder die Vollversammlung der Kirche von unten. Und so lässt sich am Ende optimistisch feststellen: Ob es schmeckt oder nicht, jetzt löffeln wir die Suppe wieder gemeinsam aus.