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Der zweite Sonntag im September

Einleitung

Am jeweils zweiten Sonntag im September wird in Berlin der »Tag der Erinnerung, Mahnung und Begegnung« als vornehmlich ostdeutscher Gedenktag begangen. Dieser auch als OdF-Tag bekannte Gedenktag hat eine lange Geschichte, welche die vorliegende Broschüre als Begleitheft zur gleichnamigen Ausstellung der VVN/BdA nachzeichnet.

Dieser Gedenktag wurde noch im Sommer 1945 eingerichtet, um auf die Opfer des Nationalsozialismus aufmerksam zu machen. Dies war umso unerlässlicher, da sich viele Deutsche, die wenige Monate zuvor noch dem Nationalsozialismus die Treue hielten, als dessen Opfer ansahen. Die Texte der Broschüre verfolgen den Wandel dieses Gedenktages von einem überpartlichen Gedenktag zu einem erstarrten, in das Konzept der ideologischen Erbediskussion der DDR eingebundenen Ritual. Im Westen vergessen und verfemt, wird der Gedenktag auch im Osten ein Opfer des kalten Krieges. Ende der 1940er und zu Beginn der 1950er Jahre folgen die Veranstaltungen im Berliner Lustgarten der Choreographie und Liturgie politischer Massenaufmärsche, wie sie so typisch für politische Kultur der DDR bis zu ihrem Ende waren.

Im Mittelpunkt steht der Heroismus der antifaschistischen Widerstandskämpfer, die eine in ihrer Mehrheit in den NS-Staat verstrickte Bevölkerung zur Identifikation einladen sollte. Stilles Gedenken an die Opfer sucht man in dieser Ikonographie vergebens. Während im Westen der Gedenktag von der Polizei unterbunden wird, instrumentalisiert man ihn im Osten für die tagesaktuelle Propaganda. All dies skizziert die Broschüre mehr, als das sie es analysiert, was seinen Grund im geringen Umfang der im A5 Format gehaltenen vierfarbigen Publikation hat. Das   die Inszenierung eines solchen Tages vor dem Hintergrund der Existenz neonazistischer Gruppen in der DDR, über deren alltagskulturelle Präsenz nicht öffentlich diskutiert werden konnte, zur Farce wird, erwähnt die Broschüre leider nicht. Das »Komitee der antifaschistischen Widerstandskämpfer« monopolisierte im Parteiauftrag die Erinnerungskultur, und griff selbst dort ein, wo es um die Publikation antifaschistischer Literatur in der DDR ging.

Nach der Wende startet der Gedenktag neu. Ohne rituelle Vollzüge, an deren Stelle Begegnung und Austausch getreten sind, wird versucht, dem Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus öffentlich Stimme zu geben, ohne zum Staatsakt zu verkommen.

Kurz: Die Broschüre ersetzt keine kritische Geschichte der VVN, wie sie sich in Ansätzen in dem Band »Das kurze Leben der VVN in der DDR« Mitte der 90er Jahre zeigte. Fragen und Brüche sind eher angedeutet, als ausgeführt. Das Autorenteam Coppi/Warmbold hat eine Fülle von sehr interessantem historischem Layoutmaterial zu Tage gefördert, dass das Heft wiedergibt. Man mag die Broschüre als hinweisende Handreichung zu einer Geschichte der Gedenkkultur in der DDR lesen, und möchte doch auf eine kritische, umfängliche  Buchpublikation warten, die jenseits der Klischees vom »verordneteten Antifaschismus« die Gedenkultur der DDR lernend sichtet.

VVN/BdA (Hrsg.)
Der zweite Sonntag im September – Gedenken und Erinnern an die Opfer des Faschismus
Zur Geschichte des OdF-Tages

ISBN 3-00-019609-9