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Die „Nordische Widerstandsbewegung“ vor den Wahlen

Einleitung

2022 ist ein Wahljahr in Schweden, was normalerweise bedeutet, dass die extreme Rechte ihre Propaganda im Land verstärkt. Aber der radikalste Teil der schwedischen Rechten ist so schwach wie seit vielen Jahren nicht mehr.

Der NMR-Anführer Simon Lindberg (mittig mit Glatze) bei einer Demonstration am 1 Mai 2019 in Kungälv.

Die Gründe für die Schwäche der extremen Rechten liegen unter anderem in der Spaltung, welche die schwedische Neonazi-Organisation „Nordisk Motståndsrørelsen“ (NMR, Nordische Widerstandsbewegung) im Sommer 2019 erlebte. Einige der radikaleren Mitglieder versuchten, den Vorsitzenden Simon Lindberg nach den desastösen Wahlen im Jahr 2018 abzusetzen. Die NMR war damals bei vier Kommunalwahlen sowie der nationalen Wahl angetreten, bei den nationalen Wahlen hatt sie jedoch lediglich 2.106 Stimmen erhalten.

Intern hatten die Führer der NMR versprochen, dass sie zumindest einen Sitz in der Gemeinde Ludvika einnehmen würden. Das Vorhaben scheiterte jedoch. Auf der Suche nach Entschuldigungen wurde behauptet, sie seien Opfer eines Wahlbetrugs geworden. Viele ihrer Mitglieder waren nach dem langen Wahlkampf enttäuscht und ausgebrannt.

Als der interne NMR-Coup nicht gelang, gründeten sich Ende des Sommers 2019 die Organisation „Nordisk Styrka“ (NS, Nordische Stärke). Rund 60 Mitglieder der NMR, unter ihnen mehrere Funktionäre und die aktivsten Militanten auf der Straße, wechselten in die neue Gruppe. Die NS veröffentlichte mehrere Podcasts in denen sie ihre Ziele erläuterten und beschrieben, welche Dinge sie vermeiden wollen. Daneben formlierten sie eine deutliche Kritik an den ehemaligen Kameraden vom NMR. Sie kündigten an, dass Flugblätter verteilen und Demonstrationen organisieren fortan nicht mehr ihre Aufgabe sei. Stattdessen kaufte die NS ein Haus. Hier sollten unter anderm Kampfsporttrainings veranstaltet werden. Hohe Erwartungen wurden an die Mitglieder formuliert.

Die NMR tat sich schwer damit, eine Position zur Corona Pandemie zu entwickeln, musste ihre jährliche 1. Mai-Demonstration absagen, im Jahr 2021 kamen ihre Aktivitäten vollständig zum Stillstand. Für die NMR begann mit der Spaltung ein Mitgliederschwund. Besonders in den Jahren 2020 und 2021 verloren sie viele Mitglieder. Abgeordnete der NMR beklagten die Veränderung der Organisation nach der Spaltung, die Führung erteile nur noch Befehle und es herrsche kein kameadschaftliches Klima mehr. Besonders die Order, nicht militant gegen Antifaschist*innen vorgehen zu dürfen, sorgte intern für Ärger.

Viele jüngere Mitglieder verließen die Gruppe in den Jahren 2020 und 2021 und beschwerten sich über ältere Mitglieder, die nur „fett sind, Alkohol trinken und Drogen nehmen“. Im April 2021 verließ ein regionaler Führer die NMR und nahm mehrere Mitglieder mit sich. Im Herbst 2021 trat er in einer TV-Dokumentation auf. Dort berichtete er, dass im Frühjahr 2020 alle NMR-Führer vom nationalen Vorstand aufgefordert worden seien, sich mit Waffen und Sprengstoff auszustatten. Er zeigte den Journalist_innen internes Filmmaterial, auf dem NMR-Aktivisten Schrotflinten trugen und eine Synagoge verwüsteten.

Mehrere noch aktive Mitglieder, darunter der Funktionär Simon Lindberg, wurden in dem Dokumentarfilm interviewt und mit den Behauptungen des ehemaligen Regionalleiters über Schusswaffen konfrontiert. Sie leugneten dies jedoch und stürmten aus dem Interview. In der Folge veröffentlichte NMR mehrere Artikel auf ihren Webseiten. Dort behaupteten sie, dem Abtrünningen nie vertraut zu haben und dass er gegangen sei, weil er keine Befehle befolgen wollte.

In Schweden wird derzeit die Verabschiedung neuer Gesetze diskutiert, die es möglich machen, als rassistische eingestufte Organisationen und Parteien zu verbieten. Finnland ist diesen Schritt schon gegangen und hat die NMR im Jahr 2020 als illegal eingestuft. Es gibt den Vorschlag, die Mitgliedschaft in einer rassistischen Organisation zu verbieten, aber nicht die eigentliche Organisation. Es gibt keine Informationen darüber, wann das Parlament über diesen Vorschlag abstimmen wird.

Da ehemalige Mitglieder berichtet hatten, dass die Organisation sich bewaffnet habe, befürchtet die NMR, dass sie in naher Zukunft verboten wird. Das ist wahrscheinlich auch der Grund für das mutmaßliche interne Verbot von Angriffen auf Antifaschist*innen.

Bei den Wahlen 2022 tritt die NMR bei fünf Kommunalwahlen, drei Regionalwahlen und den nationalen Wahlen für das Parlament an. Bereits vor den Wahlen haben sie ihren AktivistInnen mitgeteilt, dass sie im Vergleich zu 2018 nicht mit Wahlerfolgen rechnen und den Wahlkampf vielmehr dazu nutzen werden, ihre Agenda durchzusetzen und nicht um Sitze zu gewinnen. So soll eine Krise wie im Jahr 2018 vermieden werden.

Vor der Corona-Pandemie veranstaltete die NMR jedes Jahr am 1. Mai eine Demonstration. Aufgrund von Beschränkungen war sie jedoch dazu gezwungen, diese 2020 und 2021 abzusagen. Im Jahr 2022 waren alle Einschränkungen für Demonstrationen aufgehoben. Dennoch entschied sich die NMR dafür, nur kleine Versammlungen in jenen Städten abzuhalten, in denen sie vertreten ist. 2016 nahmen an ihrer 1. Mai-Demonstration noch rund 600 Personen teil, im Jahr 2022 waren es insgesamt nur noch etwa 50 Personen, die kleinere Aktionen und Versammlungen durchführten. Am Tag zuvor hielten sie in der kleinen Stadt Lysekil an der Westküste Schwedens eine kleine Demonstration mit etwa 30 Teilnehmenden ab. Nach weniger als 45 Minuten hatten sie die Stadt jedoch wieder verlassen. Neu an dieser Demonstration war, dass der größte Teil der Aktivisten maskiert auftrat. Dies ist eine risikofreie Art und Weise, Demonstrationen durchzuführen und Aufmerksamkeit zu bekommen. Mit der sinkenden Anzahl aktiver Mitglieder in der NMR wird es zukünftig öfter zu solchen Aktionen kommen.

Seit dem Jahr 2020 steht die NMR also aus mehreren Gründen unter Druck. Sie hat einen großen Teil ihrer gewaltbereiten Aktivisten auf der Straße verloren. Übrig blieben die älteren Aktivisten und diejenigen, die Podcasts und andere Medieninhalte produzierten. Sie bekamen die Auswirkungen des Wahlkampfs im Jahr 2018 zu spüren, gleichzeitig wurden mehrere wichtige Kader angeklagt und zu Haftstrafen verurteilt. Auch wurden sie von Antifaschist*innen verstärkt unter Druck gesetzt, die Informationen über ihre Aktivisten veröffentlichten. Zum Teil wurden sie auch direkt angriffen.

Die NMR selbst hatte schon früher Informationen über Antifaschist*innen auf ihrer Homepage veröffentlicht, startete nun aber eine neue Homepage namens Avmaskerat (demaskiert). Die Idee dahinter war eine Seite zu schaffen, die offiziell nicht mit der NMR in Verbindung steht, um dort Informationen über linke Aktivist_innen zu veröffentlichen und den Rest der extrem rechten Medienlandschaft dazu zu bringen, diese Inhalte zu teilen und so eine größere Verbreitung zu erreichen. Nach ein paar Monaten konnten Antifaschist*innen jedoch Informationen über die Personen hinter der Seite veröffentlichen. Es handelte sich hauptsächlich um ein NMR-Mitglied und Personen aus dem Umfeld der extrem rechten Zeitung "Exakt24".

Für die Zeit nach dem 1. Mai hatte die NMR angekündigt, den Wahlkampf für das Jahr 2022 zu beginnen. Hauptkonkurrent der NMR ist die „Alternative für Schweden“ (AfS). Sowohl NMR als auch AfS sind durch den Krieg in der Ukraine unter Druck geraten und haben versucht, ihre Sympathien für Russland zu zügeln, was sie im Wahlkampf wohl beibehalten werden. Sowohl NMR als auch AfS haben ihre Erwartungen seit der letzten Wahl gesenkt. Die NMR hat bereits erklärt, dass sie keine Sitze erringen wird und das Hauptziel der AfS ist es, 1 Prozent zu erreichen (die Hürde für den Einzug ins Parlament liegt bei 4 Prozent).

Mit weniger Mitgliedern müssen sie sich auf kleine politische Aktionen konzentrieren, die ein Maximum an Aufmerksamkeit und Platz in den Zeitungen bringen, anstatt so viele Flugblätter wie möglich zu verteilen (was bei der letzten Wahl das Ziel war).

Das Risiko der Gewalt geht aber eher nicht von den aktiven Mitgliedern der NMR aus, sondern von den verärgerten ehemaligen Mitgliedern, die den Weg der Organisation als gescheitert ansehen und von den schlechten Wahlergebnissen 2018 enttäuscht sind.