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Die Anti-Antifa Potsdam entdeckt das Internet

Einleitung

Auf der Internetseite der »Anti-Antifa – Sektion Potsdam« werden neben Adressen von alternativen Projekten auch Namen und Fotos von Menschen veröffentlicht, die sich in der Vergangenheit mit der Naziszene in Potsdam kritisch auseinandergesetzt haben. Diese neue Zuspitzung der Ereignisse ist nur einer von vielen Fakten, die Indizien dafür sind, dass sich die Landeshauptstadt Potsdam in den letzten Jahren zum Kristallisationspunkt rechter Gewalt entwickelt hat. So gab es im letzten Jahr über 15 dokumentierte Übergriffe gegen Personen aus dem alternativen Spektrum. Die Täter scheinen dabei immer wieder aus demselben Personenkreis zu stammen. Es handelt sich um eine ca. 30 Personen umfassende Neonazitruppe, aus denen sich auch die »Anti-Antifa Potsdam« rekrutiert und gute Kontakte zu anderen Nazigruppen in der Region unterhält.

Die Anti-Antifa aus Potsdam und ihr politisches Umfeld bei einem Neonazi Aufmarsch in Halbe.

»... Wir die anti-antifa verstehen uns nicht als feste Organisation.Vielmehr sind wir unabhängige Kameraden die es sich zur Aufgabe gemacht haben regional entgegen der antifa zu arbeiten. Das sieht im einzelnen wie folgt aus: -erfassung von Daten jeglicher Art ...« (Rechtschreibung im Origi­nal). So liest sich der Wilkommen­shinweis auf der Internetseite des »Anti-Antifa Networks – Sektion Potsdam«. Auf dieser sich noch im Aufbau befindlichen Seite finden sich die Adressen von mehreren alternativen Projekten und auch eine Rubrik für besetzte Häuser ist geplant. Weiterhin ist der Aufbau eines Personenindexes vorgesehen und teilweise schon umgesetzt. So finden sich hier bereits der Name eines Journalisten des Berliner Tages­spiegels und der Name, zusammen mit zwei Fotos, einer Mitarbeiterin des Vereins »Opferperspektive«. Beide Perso­nen haben sich im Zuge eines Gerichtsprozesses gegen ein bekanntes Mitglied der Potsdamer Naziszene intensiv mit dieser auseinandergesetzt. Auch die Sicherheitsbehörden scheinen die Bedrohung, die von der Potsdamer Naziszene ausgeht, durchaus ernst zu nehmen. So wurde der Mitarbeiterin von »Opferperspektive« nach Stellen eines Strafantrages sofort Beobachtung durch das LKA Berlin angeboten. Indes scheinen sich Polizei und Staatsanwaltschaft nicht sicher zu sein, wer der Betreiber dieser Seite ist, da sie auch zwei Tage nach Eingang der Anzeige immer noch im Netz stand.

Strukturen offenlegen

Dem Antifaschistischen Infoblatt (AIB) anonym zugespieltes Material beweist jedoch, dass hinter der Internetpräsenz der gleiche Per­sonen­kreis steht, der auch für einen Großteil der Übergriffe gegen nicht rechte Jugendliche in Potsdam verantwortlich ist. Entworfen hat die Seite der 20 Jährige Oliver K. aus Potsdam. Oliver K. ist für die Zusam­men­stellung der Adressliste und den Ent­wurf der Einleitungstexte zuständig gewesen. Er selber rechnet sich dem Spektrum der freien Kameradschaften zu und ist regelmäßiger Besucher von Neonaziaufmärschen in ganz Deutsch­land. In einer von ihm selber aufgestellten Statistik finden sich alleine 23 Aufmärsche aus den letzten zwei Jahren, auf denen die Potsdamer Struktur anzutreffen war. 

Auf diesen Aufmärschen wurden auch Fotos von GegendemonstrantInnen geschossen, die sich am Rande der Demonstration befanden. Dass diese Fotos auch auf der Homepage veröffentlicht werden sollten, ist anzunehmen. Für das Schießen von Fotos scheinen haupt­sächlich der Berliner Nazi Danny L. (24) und die Potsdamerin Melanie W. (19) verantwortlich zu sein. Doch nicht nur Linke und deren Projekte stehen im Visier der »Anti-Antifa«, was von Danny L. gemachte Fotos zeigen, die dem AIB vorliegen. Diese zeigen gut erkennbar mehrere Mitglieder der Berliner Poli­zei­einheit PMS (Politisch motivierte Straßengewalt), die sich unter anderem mit rechts motivierter Gewalt beschäftigt.

Dass dieses Foto- und Adressen­sammeln nicht, wie auf der Homepage behauptet, rein dokumentarischen Zwecken dient, zeigt der Angriff gegen das alternative Projekt Chamä­leon zu Sylvester 2002. Hierbei wurden das Haus und BesucherInnen einer Sylvesterparty von mehreren Neonazis überfallen, die in der nahegelegenen Gutenbergstraße ebenfalls eine Sylvesterparty feierten. Es wurden hierbei alle Fenster des Unter­geschosses eingeworfen und das Haus mit Signalmunition beschossen, dabei wurden Naziparolen skandiert und Hitlergrüße gezeigt. Unter den ca. 50 feiernden Neonazis waren laut Zeu­gen­aussagen neben dem Gastgeber Mike M. (genannt Impi) auch Danny L., Melanie W. und Oliver K. anwesend. Das Chamäleon steht auf dem Entwurf für die »Anti-Antifa« Home­page auf einer Adressliste ganz oben und ist bereits durchgestrichen. In dem Entwurf zu der Homepage befindet sich auch schon eine Liste von besetzten Häusern (oder zumindest das, was die Neonazis dafür halten) in Potsdam, die aber bisher noch nicht ihren Weg ins Internet gefunden hat.

Drei Monate später kam es zu einem erneuten Übergriff in Potsdam. Am 23. März 2003 überfielen die Neonazis Enrico P., Heiko Groch, Jens F. und Jeanette H. einen 16jährigen Jugendlichen, der der alternativen Szene in Potsdam angehört. Sie schlugen ihn am Bahnhof Rehbrücke mit einem Teleskop­schlagstock auf den Kopf und versuchten eine Ziga­rette in seinem Gesicht auszudrücken. Als das Opfer die Angreiferin Jeanette H. als ehemalige Klassen­kameradin identifizierte und sie bat aufzuhören, ließen sie von ihm ab und warfen ihn stark blutend auf die Gleise. Dabei ist es dem Zufall zu verdanken, dass nicht weitaus Schlim­meres passierte, da der hier ankommende Zug eine halbe Stunde Verspä­tung hatte. Groch, der mittlerweile wegen dieser Tat zu 6 Jahren Frei­heits­strafe verurteilt wurde, gab als Tatmotiv »Hass gegen Linke« an.

Dabei ist es kein bloßer Zufall, dass es ausgerechnet den 16jährigen traf. Er wohnt im gleichen Dorf wie Groch und war diesem bestens als Anhänger der alternativen Szene bekannt. Kurz nach der Tat traf Groch sein Opfer in einer Kneipe und versuchte ihn zu einer die Neonazis entlastenden Falsch­aussage zu bewegen. Auch zwischen Tatbeteiligten dieses Überfalls und den schon aufgezeigten Strukturen der »Anti-Antifa Potsdam« bestehen enge Verbindungen. So bewohnen Enrico P. und Danny L. eine gemeinsame Wohnung in Berlin und Jens F. lässt sich beim Neonazi-Auf­marsch in Halbe gemeinsam mit Melanie W. und anderen Neonazis dieser Struktur auf einem Gruppenfoto verewigen. Oliver K. plante laut eigenen Angaben mehrere Gefängnis­besuche für Heiko Groch. Mitnehmen wollte er Enrico P. und Melanie W.

Szeneübergreifende Kontakte

Gute Kontakte scheinen auch zu anderen Nazigruppen zu bestehen. Die erst Anfang Januar 2003 entworfene Homepage der Potsdamer wurde bereits im März um den Punkt »Anti-Antifa Networks« erweitert. Unter diesem Eintrag sollen Links zu Anti-Antifa Gruppen in Hamburg, Bayern und Sachsen bereitgestellt werden. In dieser Liste wird die eigene Gruppe auch nicht mehr als »Anti-Antifa Potsdam« aufgeführt, sondern vollmundig als »Anti-Antifa Berlin/Bran­den­burg«. Waren die Neonazis am ersten Verhandlungstag gegen Heiko Groch deutlich unterrepräsentiert und mussten sich auf das Fotografieren von Angehörigen der zahlreich erschie­nen Potsdamer Alternativszene begnügen, mobilisierten sie zum zweiten Verhandlungstag  neben mehreren Anhängern der lokalen Nazi­szene auch Neonazis von außerhalb Potsdams.

Verbindungen bestehen aber auch in andere Szenen. So arbeiteten sowohl Heiko Groch als auch Mike M. als Tätowierer in Potsdam und zumindest Mike M. fühlt sich laut Zeugenaus­sagen eher der Rockerszene als der Kameradschaftsszene zugehörig. Mindestens Melanie W. unterhält auch Verbindungen in das Spektrum des verbotenen Musiknetz­werks »Blood & Honour«. So wird sie namentlich in einem Booklet der Band Bloodshed gegrüßt und ist dort auch auf einem Portraitfoto abgebildet. Bloodshed ist das Nachfolge­projekt der Band Proissenheads, die eng mit den Blood & Honour Netzwerk verwoben war. Auch im Terminkalen­der von Oliver K. finden sich diverse Devotionalien von Blood & Honour. In den Skizzen zum Home­pageentwurf taucht auch mehrfach das Kürzel C18 (Combat 18) auf. Dabei scheinen sich die Potsdamer Aktivis­ten zu diesem Label eher selber dazuzurechnen, als dass ernsthafte Kon­takte bestehen dürften.

Die Potsdamer Gruppe besteht sicher zum Großteil nicht aus geschulten Kadern, die Mitglieder oder gar Kader irgendwelcher Organisa­tionen oder Parteien sind. Dennoch, oder gerade deshalb geht von ihnen eine nicht zu unterschätzende Gefahr für andersdenkende Menschen aus. Sie haben es immerhin über Jahre hinweg geschafft sich ein beachtliches »Gewaltmonopol« in Potsdam und Umgebung zu schaffen, das lange Zeit weder durch staatliche Repres­sion noch durch antifaschistische Intervention zu Sprengen war. Ihr äußerst brutales Vorgehen und das bewusste Inkaufnehmen von Haft­strafen lassen auf eine Art »Allmachts­gefühl« bei den Neonazis schließen. Sie scheinen in großen Teilen den Bezug zur Realität verloren zu haben und lassen sich vollends von ihrem durch Rassismus und Fremden­hass geprägten Weltbild leiten. Dieses ist eine Tendenz, die in der militanten Neonaziszene in letzter Zeit häufiger zu beobachten ist. Trotz dem absolut dilettantischen Vorgehen der Gruppe haben sie es fertig bekommen mehr oder weniger unbehelligt ein Netz­werk aufzubauen und eine Struktur zu schaffen, welche von außen nur schwer zu Überblicken und zu bekämpfen war. Grund zur Hoffnung gibt aber der relativ große Anteil von Potsdamer Jugendlichen, die nicht mehr länger bereit scheinen diesem Treiben noch tatenlos zuzusehen. So bleibt zu hoffen, dass aus dem eindrucksvollen Solidaritätsbeweis beim Prozess gegen Groch, es wurden alle Stühle im großen Gerichtssaal besetzt, so dass die anwesenden Neonazis keinen Platz mehr gefunden haben, eine Kontinuität von konsequenter Antifa­arbeit erwachsen kann.