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Mit der Anti-Antifa gegen den Totalitarismus

Einleitung

Ende Juni 2002 in Sachsen-Anhalt. Auf der Internetseite des Nationalen Beobachters findet sich ein Aufruf zur Organisierung der Anti-Antifa. Für eine Zeitung des militanten Neonazispektrums inzwischen nicht mehr ungewöhnlich. Doch kurz darauf überschlagen sich die Ereignisse.

Bild: attenzione-photo.com

Anti-Antifa als Querschnittsthema der rechten Szenen.

In den frühen Morgenstunden des 26. Juni durchschlägt ein Molotow-Cocktail ein Fenster in der Reilstraße 78 – einem linken Wohn- und Kulturprojekt in Halle. Die Täter, die den Brandsatz noch auf dem Gelände des Hauses zusammengebastelt hatten, können unerkannt entkommen. Den BewohnerInnen der Reilstraße gelingt es den Brand zu löschen und somit Schlimmeres zu verhindern. Nur einen Abend später dringen Unbekannte in die Räume des linken Kulturzentrums in Gardelegen ein. Sie legen Feuer, das beide Etagen des Gebäudes zerstört. Nur wenige Stunden später werden in Halle Hakenkreuze an die Fassade der Reilstraße 78 geschmiert. Wiederum bleiben die Täter unerkannt.

28. Juni Magdeburg. Brandanschlag auf das »Reinheitsgebot«, einen zentralen Anlaufpunkt für die Magdeburger NPD und freie Kameradschaften. Die Parole »Antifa heisst Angriff« wird gesprüht, die Polizei ermittelt in alle Richtungen. Das »Reinheitsgebot« – für seinen Besitzer Matthias Güttler ohnehin eher ein Verlustgeschäft – muss daraufhin schließen. Offensichtlich kein so herber Rückschlag. Inzwischen eröffnete er ein Lokal im für ihn günstigeren Magdeburger Norden.

Keiner der genannten Anschläge wurde bisher aufgeklärt, die Hintergründe bleiben im Dunkeln. Umso interessanter – die Reaktionen der Neonazi-Szene. Direkt nach den Ereignissen finden in Sachsen-Anhalt mehrere Demonstrationen statt. Einen Abend nach dem Anschlag auf das Haus in der Reilstraße demonstrieren in Halle 150 AntifaschistInnen. In den Reihen der Freien Kameradschaften scheint man darauf nur gewartet  zu haben. In den Abendstunden des 28. Juni demonstrieren in Gardelegen ca. 50 Neonazis spontan gegen angeblichen »linken Terror«. Und das obwohl zwei stadtbekannte rechte Aktivisten nur kurze Zeit vor dem Brandanschlag in Gardelegen das betroffene Objekt inspiziert hatten.

Auf den Internetseiten des Nationalen Beobachters und des Aktionsbüros Mitte, wurde schon fleißig an den Legenden  gestrickt. Alle Anschläge seien das Werk der Antifa, um dem durch den Regierungswechsel in Sachsen-Anhalt in Bedrängnis geratenen »Antifa-Verein« Miteinander e.V. eine Legitimationsgrundlage zu verschaffen. Deshalb wurden von Seiten der Kameradschaften weitere Demonstrationen angekündigt. Die erste fand unter dem Motto: »Gegen linken Terror – Verbietet die Antifa!« am 6. Juli in Magdeburg statt. An ihr beteiligten sich etwa 150 Neonazis, die durch das eher  alternativ geprägte Viertel Stadtfeld zogen und zusätzlich die Räumung eines besetzten Hauses forderten. Eine Woche später marschierten dann 100 Vertreter der Freien Kameradschaften erneut durch Gardelegen.

Auffällig in diesem Zusammenhang die Argumentation der rechten Kameraden. Im Vordergrund stand weniger die Kraftmeierei in Form von Drohungen gegen  Antifas als die lauthals vorgetragene Forderung nach einem staatlichen Eingreifen. Entsprechend wurden die Ereignisse politisch ausgeschlachtet. Der Verein Miteinander e.V., der für seine antirassistische Arbeit über Sachsen-Anhalt hinaus bekannt geworden ist und mit Zuschüssen aus dem Topf »Tolerantes Sachsen-Anhalt« finanziert wird, geriet besonders ins Schussfeld. Seine Mitarbeiter seien sogar z.T. linke »Straftäter«, behauptete Sven Liebich, ehemaliger Blood&Honour-Kader in Sachsen-Anhalt und Mitverantwortlicher  für den Nationalen Beobachter, in einem offenen Brief an die CDU-Landtagsfraktion. Darin forderte er ein konsequentes Vorgehen gegen den Verein und stellte sich als politisch rechten aber aufrechten Demokraten dar, dessen einzige Sorge ist, dass Kinder zu Gewalttätern erzogen werden könnten.

Allen Aktivitäten war die Wut über den »Aufstand der Anständigen« bzw. das vermehrte Interesse der Öffentlichkeit am Rechtsextremismus anzumerken. Unter den Vorzeichen einer veränderten politischen Landschaft in Sachsen-Anhalt wurde von Neonazis versucht, mit gleicher Münze heimzuzahlen. Die CDU, ihr war der Verein Miteinander ohnehin ein Dorn im Auge, kündigte zuvor an, Miteinander e.V. nicht mehr in der bisherigen Form fördern zu wollen. Im Koalitionsvertrag wurde das Schicksal des Vereins - für seine antirassistische Arbeit noch dazu als »politisch einseitig« bezeichnet - besiegelt. Die Freien Kameradschaften jubelten. Einen weiteren Grund zur Freude erhielten sie, als am 1. September in Magdeburg die »Ulrike«, das besetzte Haus im Stadtteil Stadtfeld, geräumt wurde, gegen das sie demonstriert hatten. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass kurz vorher ein ehemaliger DVU-Landtagsabgeordneter zur städtischen CDU-Fraktion übertrat. Im Landtag war er bis dahin nur durch einen öffentlichen Beitrag aufgefallen. Darin hatte er sich für den Erhalt von rechten Jugendclubs eingesetzt.

Mit der Anti-Antifa in die gesellschaftliche Mitte

Auch wenn  an den Demonstrationen der Anti-Antifa im Großen und Ganzen die immergleichen Personen teilnahmen, zeigte sich doch ein deutlicher Paradigmenwechsel in der politischen Ausrichtung der Anti-Antifa-Arbeit. Bisher waren vor allem die Neonazi-Strukturen in Sachsen-Anhalt für die eher rustikale Art der Anti-Antifa bekannt. Organisationen wie der Selbstschutz Sachsen-Anhalt, der nicht nur bundesweit als Ordnerdienst für rechtsextreme Veranstaltungen buchbar ist, sondern selbst bei unpolitischen öffentlichen Veranstaltungen wie in der Diskothek »Pumpe« in Salzwedel eingesetzt wird, sind für ihr militantes Anti-Antifa-Engagement bekannt. Kürzlich tauchten im nördlichen Sachsen-Anhalt sogar »Erfassungsbögen« auf, mit denen die Daten von AntifaschistInnen katalogisiert werden.

Eine andere Form der Anti-Antifa besteht in politischen Handlungen, die sich eher an die allgemeine Öffentlichkeit richten, um sie zur Positionierung gegen AntifaschistInnen zu bewegen, als in der Sammelei von Daten über politische Gegner, um diese einzuschüchtern und zu verfolgen. In diese Richtung gehen auch zwei, bisher wenig beachtete Veröffentlichungen der extremen Rechten. »Wir erklären uns mit den politisch engagierten Menschen solidarisch, die in diesem Land echte Zivilcourage beweisen. Und das sind keine anderen als diejenigen, die sich im politischen Leben dem Terror der Antifa, also gerade den ‘Angriffen’ auf der Straße, mutig entgegenstellen und für ihren Einsatz oftmals einen hohen Blutzoll zahlen«1 schreibt das Autorenkollektiv gegen Totalitarismus in seinem im rechtsextremen Grabert-Verlag erschienenen Buch »Antifa heißt Gewalt«.

Das »Autorenkollektiv«, das sich laut Klappentext aus »sechs in verschiedenen politischen Szenen Deutschlands aktiven Insidern« zusammensetzt, kann seine politische Selbstverortung nur mühsam verbergen. Die Hauptintention liegt in der Konstruktion eines negativ besetzten, als politischen Kampfbegriff zu definierenden Antifaschismus. Antifaschismus wird als »Ideologie der Zerstörung und Gleichschaltung«2 diffamiert. Die offensive Benutzung des Begriffs Totalitarismus zeigt dabei den versuchten Brückenschlag. Indem ein Gespenst eines angeblich entfesselten, demokratiebedrohenden und mit den Schaltstellen der Macht eng verwobenen Antifaschismus gemalt wird, wird eine unverhohlene Verharmlosung der eigenen rechtsextremen Szene betrieben. Auf den seitenlangen Abhandlungen über angebliche Opfer des Antifaschismus erscheinen Neonazis plötzlich als deutsche Jugendliche, deutschfreundliche Aktivisten oder im extremsten Fall als Patrioten.

So erhält auch der bekannte Nazi-   Liedermacher Frank Rennicke ausreichend Platz auf nicht weniger als fünf Buchseiten, seine tränenreiche Erklärung darüber zu wiederholen, dass er am 1. Mai 1997 in Hannoversch-Münden aus Angst vor AntifaschistInnen in das Schaufenster eines Militaria-Geschäftes sprang.3 Ziemlich verschwörungstheoretisch mutet es schon an, die Darstellungen der Autoren zu verfolgen, wer in ihren Augen als Vertreter des Antifaschismus einzuschätzen ist. Das von ihnen skizzierte Spektrum reicht von der Bundesregierung über den größten Teil der Medien, den Sicherheitsbehörden bis hin zu Autonomen Antifas. Dementsprechend lang und heterogen ist die Liste von Personen, die im Buch namentlich als AntifaschistInnen genannt werden. Dabei wurde sich zahlreichen, vor allem aber öffentlich zugänglichen Quellen bedient.

Besonders oft wird  aber ein weiteres Buch anti-antifaschistischer Literatur herangezogen. »Das antifaschistische Milieu«4 vom Junge-Freiheit Autor Claus-M. Wolfschlag bläst grundsätzlich in das gleiche Horn wie das »Autorenkollektiv gegen Totalitarismus«. Da Wolfschlags Arbeit als Dissertation Anfang 2001 an der Philosophischen Fakultät der Uni Bonn, der Wirkungsstätte des  Anti-Antifa-Professors Hans-Hellmuth Knütter, eingereicht wurde, ist ein entsprechendes Mehr an Mühe durchaus erkennbar. Auf über 480 Seiten werden aber grundsätzlich die selben Thesen vertreten. Mit zahlreichen Originalquellen soll auch hier der »totalitäre Antifaschismus« entlarvt werden. Interessant sind aber vor allem die Überlegungen dazu, wie gegen den »Antifaschismus« vorgegangen werden solle.

Das Konzept einer offensiven und militanten Anti-Antifa wird dort in Frage gestellt. Obwohl deutlich Sympathie für die militante Anti-Antifa erkennbar wird, wird als erfolgversprechenderer Weg die massive Öffentlichkeitsarbeit gefordert. Dazu bedürfe es aber einer Selbstdarstellung, die Provokationen möglichst vermeidet. Bürgernahes Auftreten, Forderungen nach polizeilichem Schutz, Erstatten von Anzeigen und die Suche nach potenziellen Bündnispartnern sollten demnach im Vordergrund stehen. Der Trend, wonach, wie in Sachsen-Anhalt zu sehen, die Anti-Antifa-Aktionen der Neonazi-Szene sich neben der physischen Bedrohung von Antifas auch auf die anderen Bereiche wie Öffentlichkeitsarbeit und ein generell bewussteres Umgehen damit erstrecken, ist vielerort zu sehen.

Sei es eine Broschüre über den alternativen Verein »Pfeffer und Salz« aus Angermünde, die von der Anti-Antifa Berlin herausgegeben wurde oder eine Demonstration unter dem Motto »Gegen den antifaschistischen Konsens vorgehen« am 27. Juli 2002 in Dresden – Anti-Antifaschismus gehört für die extreme Rechte nach wie vor zu einem der wichtigsten Politikfelder. Dass der Fokus dabei zunehmend auf öffentlichen Aktionen liegt, zeigt, dass darin offensichtlich auch ein weiteres nicht unerhebliches Mobilisierungspoten-zial gesehen wird. Die Kampagnen der extremen Rechten zu Themen wie Sozialpolitik und Arbeitslosigkeit zeigten in der jüngeren Vergangenheit eher wenig Erfolg in den eigenen Reihen. Demgegenüber  bedienten klassische Themen wie etwa die Glorifizierung der Wehrmacht und des Nazionalsozialismus  das eigene Klientel besser. Daher könnte Anti-Antifaschismus, als ureigenes rechtes Thema, zunehmend eine wichtigere Rolle spielen.

  • 1Autorenkollektiv gegen Totalitarismus: Antifa heißt Gewalt, Tübingen 2002, S. 20.
  • 2Ebd., Klappentext
  • 3Siehe »1. Mai: Zweites München blieb aus«, in AIB 39, S. 23ff.
  • 4Wolfschlag, Claus-M.: Das antifaschistische Milieu, Graz 2001.