Keine »privilegierte Quelle«
Der Jungen Freiheit hat das Sublimieren von Stammtischparolen in national-konservative Diskurse bereits manche Unterlassungsklage eingebracht. Im Rechtsstreit um Artikel über einen ehemaligen Referenten des Miteinander e.V. in Sachsen-Anhalt, bemühte die Zeitung einen der Führungskräfte der halleschen Neonaziszene als Zeugen.
Nach dem sog. Sommer der Anständigen stand auch die »Junge Freiheit« auf. Über mehrere Ausgaben hinweg setzte sie sich mit Projekten, Stiftungen und Vereinen auseinander, die im Sinn staatlicher und zivilgesellschaftlicher Intervention gegen Rechtsextremismus arbeiten. Unter der Überschrift »Linksextremismus II« wurde in der Ausgabevom 28. Februar 2003 der Miteinander e.V. aus Sachsen-Anhalt zum Thema. Der Bildungs- und Serviceverein war durch empfindliche Mittelkürzungen unter der im Frühjahr 2002 neu gewählten Landesregierung bereits in der medialen Öffentlichkeit präsent. Um Miteinander e.V. als linksextrem zu diffamieren, setzte der besagte Artikel von Manuel Ochsenreiter bei zwei Referenten des Regionalbüros für das südliche Sachsen-Anhalt an.
Das Fotografieren von Neonaziaufmärschen und langjährige Arbeit in Bildungsvereinen und Initiativen wurde zu Charakteristika von militanten Antifaschisten stilisiert. Das diese Herleitung mehr als dünn war, schien auch dem Autoren klar. So kam man nicht umhin, solch bemerkenswerte Details, wie die von Musikvorlieben und die der angeblichen Mitgliedschaft in der Anarchistischen Pogo Partei Deutschland (APPD) eines Referenten zu präsentieren. Zudem fabulierte man einen anderen Referenten zum »polizeibekannten, linken Schläger«. Der Verein wies die Vorwürfe zurück, eine der diffamierten Personen beauftragte einen Rechtsanwalt. Dem »Verlag Junge Freiheit« wurde eine Gegendarstellung, die die schlammpig recherchierten Behauptungen und falschen Anschuldigungen des Artikels korrigierte, zugestellt. Diese wurde nach einem erfolglosen Einschüchterungsversuch, auch gedruckt. Jedoch entschloss man sich aufgrund weiterer Recherche zur zweite Runde und legte mit dem Artikel »Das Netzwerk arbeitet weiter« nach.
Der Informant
Da die vorher gehenden Anschuldigungen nicht aufrecht zu halten waren, entschied man sich halt für einen anderen Sachverhalt. Bemüht wurde der einschlägig bekannte Neonazi Sven Liebich. Dieser ist inoffizieller Betreiber des Ladenlokal »The Last Resort« in Halle, eines der durchsuchten Objekte im Zuge des Verbotes von Blood & Honour in Deutschland im Jahr 2000. Der Verfassungsschutzbericht 2002 für Sachsen-Anhalt weist ihn als Führungsfigur einer »eindeutig neonazistisch« ausgerichteten Szene aus. Mit seinen Aktivitäten sei er »vor allem auf Außenwirkung bedacht«. So betätigte sich Liebich sowohl bei Aktionen während der Hochwasserkatastrophe als auch bei Demonstrationen zum 20. April in Weimar oder Protesten gegen die Wehrmachtsausstellung im Juni 2002 in Leipzig. Genau der richtige Mann also, um Mitarbeiter in Anti-Rechts-Projekten zu diffamieren. Mit Hilfe von Liebich nahm die »Junge Freiheit« ausgerechnet auf einen Vorfall in Halle vom 17. November 2001 Bezug. (siehe AIB 54 Winter 2001/2002). An diesem Samstag hatten sich ca. fünfzehn AntifaschistInnen zu einer spontanen Aktion vor dem Geschäft in der halleschen Lauchstädter Strasse versammelt, um denVertrieb des rechten Angebots wenigsten für einen Tag zu behindern. Die Präsenz des Ladens sollte im Stadtteil öffentlich thematisiert werden.
Zwei Stunden, eine versuchte Polizeikontrolle und eine Verhaftung später, löste sich die Kundgebung auf. Rund zwanzig Neonazis griffen einen Teil der sich auf dem Rückweg befindlichen Antifas an. Förmlich eingekesselt, verteidigten sich diese gegen die zumindest mit einem Messer und Ketten bewaffneten Angreifer. Eine Frau, die sich aus der Gruppe gelöst hatte, wurde wenig später von einer Frau aus der Nazigruppe zu Boden geschlagen. Zwei Personen mussten sich nach dem Überfall in ambulante Behandlung begeben, leichtere Verletzungen hatten alle der Angegriffenen davongetragen.
Überraschende Erinnerungen
Für die »Junge Freiheit« versicherte Liebich nun an Eides statt, der bereits im ersten Artikel namentlich benannte, ehemalige Referent vom Miteinander e.V., habe ihn an diesem Tag mit einer Flasche beworfen. Eine Information mit erstaunlichem Neuigkeitswert – weder bei der Polizei noch an anderer Stelle, hatte Liebich zuvor diese Anschuldigung erhoben. Begründet wurde dieses Versäumnis damit, das ihm bei der Polizei kein Foto des ihm namentlich bekannten Beschuldigten vorgelegt wurde. Nun freut es jede Zeitung, Informationen mit exklusivem Charakter zu bekommen, im Fall einer juristisch sicheren Zeugenschaft hätte eine alte Kammelle allerdings bessere Dienste getan. So verwundert es nicht weiter, dass das Kammergericht Berlin nach Beschwerde auch die Verbreitung der im zweiten Artikel aufgestellten Behauptungen untersagte. Rechtsanwalt Kunze hatte den heiklen Fall für die »Junge Freiheit« übernommen.
Mit dem brillanten Zeugenaufgebot in der Rückhand, entschied sich die Redaktion weiterhin für die offensive Präsentation aller fraglichen Artikel. Dabei hatten sie sich eigentlich verpflichtet, nach der Gegendarstellung auch die weitere Veröffentlichung der beiden Artikel zu unterbinden. Monate geschah in dieser Hinsicht nichts, man bekam im elektronischen Archiv der »Jungen Freiheit« ebenso Zugang zu den Texten, wie über die einfache Abfrage über diverse Suchmaschinen im Internet. Folgerichtig entschloss sich der Beschuldigte im September 2003 zur Einforderung bzw. zum Einklagen der im Fall der Weiterverbreitung angedrohten Vertragsstrafe von 10.000 Euro.
Nach Zustellung der Klageschrift scheint irgendwer den Fall aus dem Aktenschrank geholt zu haben. Der erste Artikel ist spätestens seit dem nicht mehr online. Scheinbar ist die Akte im Verlag nicht vollständig, denn Artikel zwei blieb bisher zugänglich. Die »Junge Freiheit« bittet regelmäßig um Spenden bei ihrer Leserinnen- und Leserschaft. Die überdurchschnittlichen Einkommen derselben könnten sie beim finanziellen Volumen der Vertragsstrafe retten. Möglich wäre auch, dass man sich die zehntausend Euro durch die Einnahmen des halleschen Ladenlokals erstatten lässt. Von dort kamen ja die gewinnbringenden Informationen. So oder so, eine Pleite würde mindestens anstehen. Wahrscheinlicher ist wohl, dass die halleschen Nazis bei einem Anruf in der Reaktion nie mehr über die automatische Warteschleife hinauskommen und den nächsten Ausgaben der »Jungen Freiheit« wieder aufrüttelnde Bettelbriefe beiliegen werden.