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In Verkehrung der Tatsachen

Einleitung

Unter der Beteiligung des Hallenser Ex-Blood & Honour-Aktivisten Sven Liebich überfielen 20 Neonazis eine Gruppe von AntifaschistInnen. Diese hatten gerade friedlich vor dem Ladengeschäft von Liebich demonstriert. Die Polizei nahm die Personalien der Antifas, nicht die der Neonazis auf und machte die Opfer zu Tätern.

Der Hallenser Neonazi Sven Liebich (am Schild) bei einer Demonstration am 17. Juni 2002 in Bitterfeld.

Den AntifaschistInnen in Halle ist Sven Liebich wirklich kein Unbekannter. Seit Jahren schon gehört er zum harten Kern der Hallenser Neonazi-Szene. Bis 1999 betrieb er den Ultima-Tonträgervertrieb, einen der größten Neonazi-Vertriebe in der Bundesrepublik, den er aufgrundpolizeilicher Repression aufgeben musste. Insbesondere sein Engagement für Blood & Honour und Combat 18 machte ihn bei seinen Kameraden in Sachsen-Anhalt bekannt. Obwohl sich die Strukturen von Blood & Honour in Sachsen-Anhalt im Vergleich mit anderen Bundesländern bescheiden ausnehmen, schaffte es Liebich immerhin eine Ausgabe eines B&H-Fanzines namens »The new Dawn« zu produzieren.

Inwieweit er dabei von anderen B&H-Gruppen unterstützt werden musste, ist indes nicht bekannt. Nach dem Verbot von Blood & Honour am 14. September 2000 war jedenfalls auch Sven Liebich von Hausdurchsuchungen betroffen. Sein starkes Engagement im Bereich der rechten Jugendkultur und Musikszene führte zum Ausbau entsprechender Strukturen in der Region. Er betreut inzwischen die Läden »The Last Resort« in Halle, der offiziell von seiner Schwester Sandra betrieben wird, und »Mitgard« in Leipzig. Um gegen den Laden »The Last Resort« zu protestieren, trafen sich am 17. November 2001 etwa 15 AntifaschistInnen vor dem Ladengeschäft in der Lauchstädterstraße in Halle.

Der Laden, der eine der zentralen Anlaufadressen militanter Neonazis im südlichen Sachsen-Anhalt ist, sollte ins Licht der Öffentlichkeit gerückt werden. Wie in vielen vergleichbaren rechten Ladengeschäften werden auch in Liebichs »Last Resort« rechte Musik, Szene-Klamotten und anderes Propagandamaterial vertrieben. Der Laden richtet sich vor allem an die 14- bis 25Jährigen, um sie in die örtliche Struktur der freien Kameradschaften zu integrieren. Nachdem die AntifaschistInnen ca. eineinhalb Stunden friedlich vor dem Laden protestiert hatten und auch die Polizei währenddessen keinerlei Grund zum Einschreiten sah, löste sich die kleine Spontanversammlung auf. Während von der Polizei nichts mehr zu sehen war, hielten neben den Antifas mehrere Autos, aus denen ca. 20 bis 25 Neonazis sprangen.

Nach Aussagen der Betroffenen wurden sie von den Angreifern regelrecht eingekreist und u.a. mit Knüppeln und Ketten angegriffen. Der Ladenbesitzer Liebich war nach Aussagen der Antifas mit einem Messer bewaffnet an der Aktion beteiligt. Nach fünfminütiger Auseinandersetzung zogen sich die Neonazis zurück. Die kurz darauf eintreffende Polizei zeigte jedoch wenig Interesse an den Schilderungen der Opfer, im Gegenteil. Die Beamten nahmen die Personalien der Antifas auf. Auf mehrmalige Nachfrage, ob ihnen klar wäre, dass die Antifas gerade massiv angegriffen worden wären, entgegneten Beamte, diese seien doch selbst schuld, da sie die Angreifer ja provoziert hätten. Der Unterschied zwischen friedlichem Protest und einem organisierten bewaffneten Überfall schien ihnen nicht klar.

Die Situation gipfelte darin, dass ein weiteres Polizeifahrzeug vorfuhr, aus dem Sven Liebich stieg, auf mehrere Personen zeigte und sie beschuldigte, ihn angegriffen zu haben. Den Antifas wurde es bisauf eine Ausnahme verwehrt Anzeigen aufzugeben. Als Fazit bleibt, dass die Geschädigten als Täter dargestellt werden. Vier Angegriffene mussten ambulant behandelt werden. Die Verkehrung der Opfer in Täter findet seitens der Polizei trotz offensichtlicher Zusammenhänge statt. Unmöglich ist eine friedliche Protestaktion mit dem Ziel, Öffentlichkeit über rechtsextreme Strukturen herzustellen, mit einem organisierten Angriff einer neonazistischen Schlägertruppe vergleichbar. Dass Neonazis am helllichten Tag bewaffnet und mit solch extremer Gewaltbereitschaft vorgehen, gibt Anlass zur Sorge. Diese Sorge scheint die Polizei in Halle/Saale jedoch nicht zu teilen.