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Die Funkzellenabfrage - Maßnahme staatlicher Überwachung und Ausforschung

Rechtsanwalt Peer Stolle (Gastbeitrag)
Einleitung

Die Überwachung der Telekommunikation ist ein verbreitetes Instrument von Strafverfolgungsbehörden und Geheimdiensten. Über das Aufzeichnen von Telefongesprächen und das Mitlesen von E-Mails hinaus hat in den letzten Jahren die Erhebung und Auswertung der Verkehrsdaten, die bei der Telekommunikation anfallen, immer grö­ßere Bedeutung erlangt. 

Diese Daten können bei den Providern von den Ermittlungsbehörden abgefragt werden; es können aber auch sämtliche Telekommunikationsvorgänge erfasst werden, die über eine oder mehrere bestimmte Funkzellen abgewickelt werden. Diese so genannte nicht-individualisierte Funkzellenabfrage wurde vor allem im Nachgang der Proteste gegen die Neonazidemonstration in Dresden im Februar 2011 als Repressionsmaßnahme bekannt. Später kam heraus, dass auch in Berlin zur Verfolgung von Auto-Brandstiftungen regelmäßig Funk­zellenabfragen angeordnet wurden.

Verkehrsdaten und Funkzellenabfragen

Zu den Verkehrsdaten gehören zwar nicht die Inhalte der Kommunikation, aber ansonsten praktisch alle Daten, die bei Telekommunikationsvorgängen anfallen (können), u. a. die Nummern der beteiligten Anschlüsse, eventuelle personenbezogene Berechtigungskennungen, bei mobilen Anschlüssen die Standortdaten, die IMEI-Nummern (Gerätenummer) von Handys, IP-Adressen, Beginn und Ende der jeweiligen Verbindung nach Datum und Uhrzeit und die übermittelten Datenmengen, der Abstrahlungswinkel des sich in der jeweiligen Funkzelle befindlichen Handys, ggf. Standort bzw. Funkmast des Gesprächspartners, Anwahlversuche, eingehende Anrufe auf der Mailbox sowie der Versand und Empfang von SMS. Von den Verkehrsdaten sind die Bestandsdaten zu unterscheiden, also Name und Anschrift des Inhabers einer Telefonnummer.

Die Verkehrsdaten können von den Ermittlungsbehörden in Echtzeit erhoben werden; sie können aber auch rückwirkend abgefragt werden, da die Daten bei den Telekommunikations-Providern zu Abrechnungs- und Überprüfungszwecken gespeichert werden. Einige Netzbetreiber speichern die Daten dabei bis zu 180 Tage lang.

Eine rückwirkende Verkehrsdatenabfrage für Mobilfunkanschlüsse wird oft dann angeordnet, wenn im Laufe der Ermittlungen Mobilfunkgeräte sichergestellt worden sind. Von dieser auf bestimmte Mobilfunkanschlüsse gerichteten Verkehrsdatenabfrage unterscheidet sich die nichtindividualisierte Funkzellenabfrage dadurch, dass sämtliche Telekommunikationsvorgänge im Mobilfunknetz in einem geografisch bestimmten Bereich in einer konkreten Zeitspanne erfasst werden. Die Ermittler gehen also nicht von einer bestimmten ihnen bekannten Telefonnummer aus, sondern von einem räumlichen Bereich, der sie interessiert. Damit werden unterschieds­los alle Verkehrsdaten, die im Rahmen der über eine oder mehrere Funkzellen in einem bestimmten Zeitrahmen abgewickelten Telekommunikation angefallen sind, abgefragt. Der Durchmesser von Funkzellen variiert zwischen 100 Metern in Großstädten und mehreren Kilometern in wenig besiedelten Gebieten.

Hohe Streubreite

Funkzellenabfragen weisen damit zwangsläufig eine hohe Streubreite auf. Je nachdem, für welchen Zeitraum eine Funkzellenabfrage angeordnet worden ist und wie groß und dicht besiedelt das betroffene Gebiet ist, können einige wenige oder sogar Millionen von Telekommunikationsdaten erhoben werden.

Vom Gesetzgeber wird vorausgesetzt, dass die Anordnung einer Funkzellenabfrage nur bei Vorliegen eines durch Tatsachen belegten Verdachts zur Aufklärung einer Straftat von erheblicher Bedeutung erfolgt, wenn gleichzeitig die Erforschung des Sachverhaltes ansonsten aussichtslos oder erheblich erschwert wäre. Eine weitere Möglichkeit besteht, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Täter auch mit Handys kommuniziert haben. Aufgrund der hohen Streubreite und den damit verbundenen Grundrechtseingriffen war es bisher anerkannt, dass eine nicht-individualisierte Funkzellenabfrage nur bei Anlegung eines strengen Verhältnis­mäßig­keits­maß­stabes angeordnet werden darf. Bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung, so die Rechtsprechung, ist besonders zu beachten, wie groß der betroffene Personenkreis vermutlich sein wird.

Das Beispiel Sachsen

Diese Einschätzung der rechtlichen Voraussetzungen muss nach den Erfahrungen von Dresden revidiert werden. In Sachsen wird die Funkzellenabfrage offenbar als Standardinstrument der Straf­verfolgung angesehen, das bei einer Vielzahl von Ermittlungsverfahren Anwendung findet. Im Zusammenhang mit den Ermittlungsverfahren gegen Antifaschist_innen, die gegen die alljährlich stattfindende Neonazidemonstration protestiert haben, wurde bekannt, dass in Dresden Funkzellenabfragen ganztägig für größere innerstädtische Gebiete, in denen sich ein vielfältiges Versammlungsgeschehen abgespielt hatte, angeordnet wurden. Allein bei einer Funkzellenabfrage wurden 896.072 Verkehrsdatensätze von 257.858 Rufnummern erfasst. Insgesamt wurden mehr als eine Million Datensätze von mehr als 300.000 Betroffenen abgerufen.

Da es sich an dem Tag um ein dynamisches Geschehen gehandelt hat, ermöglichen die Daten die Feststellung, wann sich welches Mobiltelefon in welcher Funkzelle befunden hat. Erkennbar ist weiterhin, wer mit wem wann wie oft kommuniziert hat, ob über bestimmte Mobiltelefone Kommunikationsverbindungen gebündelt worden sind etc. Das Kommunikationsverhalten unterschiedlicher Personen kann abgeglichen und in Beziehung gesetzt werden, indem etwa geprüft wird, ob mehrere Mobiltelefone gleichzeitig die Funkzellen gewechselt oder mit denselben Telefonen kommuniziert haben. In Dresden wurden beispielsweise Schnittmengenvergleiche vorgenommen, um herauszufinden, welche TK-Kennung an Orten, an denen Straftaten begangen worden sein sollen, gehäuft erhoben worden ist. Diese großen Daten­mengen können mühelos verarbeitet werden. Fast alle Landeskriminalämter verfügen mittlerweile über kriminalpolizeiliche Fallbearbeitungs-, Recherche- und Analyse­systeme, die es ermöglichen, diverse Daten und Ermittlungserkenntnisse aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten, zu bewerten, miteinander in Beziehung zu setzen und automatisiert zu analysieren. Auch das LKA Sachsen arbeitet mit einem so genannten »ermittlungsunterstützenden Fallanalysesystem Sachsen«, kurz »eFAS«, das auch bei der Auswertung der im Rahmen der Funkzellenabfragen erhobenen Verkehrsdaten Anwendung gefunden hat. Mittlerweile wurde auch bekannt, dass die Verkehrsdaten, die in Dresden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens wegen des Brandanschlages auf Fahrzeuge der Bundeswehr im Jahr 2009 erhoben worden sind, mit den Daten, die vom LKA Berlin im Zusammenhang mit den Brandanschlägen auf Kraftfahrzeuge erhoben worden sind, abgeglichen worden sind.

Ermittlungsansätze

Überführen lassen sich Tatverdächtige mit solchen Daten in den meisten Fällen nicht. Allein aufgrund der Tatsache, dass sich ein bestimmtes Mobilfunkgerät zu einer bestimmten Zeit am fraglichen Ort befunden hat, wird schwerlich ein Tatnachweis geführt werden können. Die betroffenen Personen geraten allerdings unter Rechtfertigungsdruck. Sie müssen ggf. erklären, warum sich ihr Handy zu der fraglichen Zeit an dem Ort befunden hat. Sie sind darüber hinaus der Gefahr ausgesetzt, dass gegen sie weitere Ermittlungsmaßnahmen ergriffen werden, die noch schwerwiegender in ihre Grundrechte eingreifen können. Darüber hinaus bieten solche Daten im Rahmen von Strukturverfahren, wie sie auch derzeit in Dresden wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung geführt werden,  Ansatzpunkte für die Erweiterung des Beschuldigtenkreises und der Ermittlungshandlungen. Funkzellenabfragen dienen damit vor allem der Generierung von Ermittlungsansätzen und der Gewinnung von »Zufallsfunden«. Auch wenn diese Daten für das eigentliche Verfahren nur von untergeordneter Bedeutung sein sollten, können sie die Grundlage für eine Vielzahl von weiteren Ermittlungen sein.


Peer Stolle ist Rechtsanwalt in Berlin und vertritt u. a. Betroffene der Funkzellenabfragen in Dresden.