Die Wahrheit ist irgendwo da draußen...
Eike SandersDie deutsche »Truther«-Bewegung
Ein junger Jenaer Neonazi wurde im Oktober 2009 geoutet: Die Antifaschistische Initiative »Sieben auf einen Streich« stellte der Öffentlichkeit Nico Sch., Mitglied der Burschenschaft Normannia und der JN, vor. An ihm lässt sich laut der Thüringer Antifagruppe die »Vernetzung rechts-militanter, national-konservativer und studentisch-alternativer Kreise« offen darstellen. Belegt wird dort neben seinen neonazistischen Aktivitäten auch, dass er Mitglied des Stammtisches des infoNetzwerk Thüringen ist.1
- 1http://atf.antifa.net /nico-packt-aus/index3f01.html?option=com_content&view=section&layout=blog&id=13&Itemid=62
Das infoNetzwerk besteht aus »Infokrieger[n], welche auch Truther genannt werden«. Dies ist sicherlich im Fall von Nico Sch. eine von den LeserInnen als Nebeninformation abgetane Erkenntnis. Doch die »Infokrieger« und ihr Umfeld begegnen uns neuerdings vermehrt in der extremen Rechten: auf dem Szene-Internetportal altermedia standen schon mehrere Artikel, der neonazistische JVA-Report druckte einen Beitrag, sogar die NPD Stade1 – alle haben die Quelle: infokrieg.tv.
Themen jenseits der »Massenmedien«?
Die »Nachrichten-Plattform« infokrieg.tv, die es seit 2006 gibt, ist der deutsche Ableger von »infowars.com« – einer US-amerikanischen Webseite des Verschwörungstheoretikers Alex Jones. Nach den Anschlägen des 11. September 2001 erhielten dessen »Theorien« von überall und zu allen Themen stattfindenden Verschwörungen enormen Auftrieb. Die deutsche Seite, die vom jungen Studenten Alexander Benesch betrieben wird, ergänzt Jones’ antikommunistische und verschwörerische Thesen noch um tendenziell antisemitische2 , geschichtsrevisionistische und völkische3 Inhalte.
Inzwischen hat sich auch im deutschsprachigen Raum ein immer offener auftretendes Konglomerat unzähliger Webseiten und meist loser Gruppen gebildet, die sich unter dem Begriff »Truther«4 -Bewegung zusammenfassen lässt. An größeren Netzwerken seien hier neben infokrieg.tv und den InfoNetzwerken noch die Anti-Zensur-Koalition erwähnt, die nicht nur Scientologen eine Bühne bietet, sondern auch dem extrem rechten Verschwörungstheoretiker und Antisemiten Jo Conrad. Daneben gibt es viele Gruppen und Webseiten, die sich vor allem um Verschwörungen kümmern, die nur ein Thema betreffen (Chemtrails, Impfkritik, Germanische Neue Medizin, Europa-Politik etc.). Zum Teil sind sie untereinander zerstritten, punktuell treten aber einzelne Personen in verschiedenen Netzwerken auf.
Die StichwortgeberInnen und das Gefolge setzt sich in Deutschland aus »Wahrheitssuchenden« aller Couleur zusammen: alten und jungen AntiimperialistInnen, esoterischen New-Age-VerschwörerInnen, AntikommunistInnen und damit auch manchmal extrem rechten Anti-Antifas und AntisemitInnen – doch die wenigsten sind Neonazis. Die verbindende Klammer ist der Grundansatz, man befinde sich lediglich auf der Suche nach der »Wahrheit« und in Opposition zu den »Massenmedien« der »Eine-Welt-Ordnung«. Mit den Themen 9/11, Impfkritik, Bilderberger-Konferenz (und anderen Geheimbünden), Wirtschaftskrise, Krieg (meist Nah-Ost) und »Globale Elite« werden jedoch die simpelsten antiamerikanischen bis antisemitischen Reflexe bedient.
Nicht Links gegen Rechts sondern Gut gegen Böse!
Politisch verorten sich die »Infokrieger« außerhalb des »Links-Rechts-Schemas« und explizit gegen dieses. »Gegen politischen Dogmatismus« zu sein ist indes eine Prämisse, die v.a. auch junge Leute, die Ein-Punkt-Politik (z.B. Datenschutz wie in der Piratenpartei) betreiben, anspricht und sie – so absurd das klingen mag – politisiert.
Das Gefühl, weder rechts noch links zu sein ist zum einenden Moment geworden. Niemand fragt, aus welcher politischen Positionierung heraus man denn eine gemeinsame Diskussionsgrundlage hätte. Ein konstruktiver Diskurs geschweige denn ein emanzipatorischer Gesellschaftsentwurf kann so nicht entstehen. Das Nicht-Rechts-Sein beschränkt sich in den meisten Beiträgen lediglich darauf, sich gegen vermeintliche Verleumdungen »der Kommunisten« zu erwehren, wobei eine inhaltliche Analyse meist ausbleibt. Im Gegenteil wird vehement nach links polemisiert: »Da der Antifaschismus in Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg aber ohne Faschismus auskommen muss, sucht [...] er ihn überall und zimmert sich so ein neues Feindbild [...] So ist »Faschist« heute nicht mehr die Bezeichnung für einen Anhänger des ehemaligen sozialistischen Funktionärs, ehemaligen Antikriegsaktivisten und späteren Ministerpräsidenten Italiens Benito Mussolini, sondern jeder der nicht in das verzerrte Weltbild der Linksextremisten passt.«5 Sich selbst als eine bedrohte Minderheit stilisierend, wird im Namen des Guten (»Wahrheit«) der Kampf gegen das Böse (»Manipulation«/Lüge) geführt. So schleudert infokrieg.tv selbst den Vorwurf »Faschismus!« ungeachtet von historischen Fakten und Inhalten in alle Richtungen.
Patchwork-Wahrheiten für Zweifelnde
Sich selbst systemkritisch gebend ist die politische Analyse der Welt bei infokrieg.tv doch denkbar simpel: »Die westlichen Industrienationen [leben] überhaupt nicht in einem kapitalistischen System, sondern in einer von privaten Zentralbanken gesteuerten Planwirtschaft«6 . Es gibt keine philosophische oder (politik-)wissenschaftliche Schule oder Denkrichtung, nach deren Logik die Ereignisse und Facetten der Welt in Beziehung zu einander gesetzt werden. Allein der Leitspruch cui bono (wem nützt es?) wird zum Grundprinzip erhoben: Die Welt ist kein komplexes Herrschaftssystem, sondern ein System der Herrscher und der Marionetten und der verdummten Masse. Diese bösen Mächte werden personalisiert und sitzen in vielen Verschwörungsfiguren an der US-amerikanischen Ostküste. Das allgemeine apokalyptische Setting des Informationskrieges legitimiert auch immer wieder die Erfindung von falschen Fakten und das Wegwischen offensichtlicher Widersprüche – lieber eine falsche Wahrheit als das Eingeständnis, sich nicht alles selbst erklären zu können.7
Dass in der »Truther-Bewegung« mehrere, sich komplett widersprechende »Wahrheiten« nebeneinander existieren können, wird entweder ignoriert oder als Qualitätsmerkmal und Pluralität (im Gegensatz zu »Faschismus«) verkauft. Es entstehen Patchwork-Wahrheiten nach dem wikipedia-Prinzip: Die Wahrheit ist die Summe der Einzelwahrheiten, auch wenn sie widersprüchlich sind. Hierfür wird eine gemeinsame Plattform geboten und der/die InfokriegerIn kann sich mit all den anderen mutigen ZweiflerInnen verbündet fühlen. Allein der Prozess des Zweifelns, Fragens und Suchens nach der Wahrheit macht einen zum besonderen Menschen in Abgrenzung zu der »verdummten« Masse.
Ausblick
Sicher ist, dass es sich um ein wachsendes, weitverzweigtes und dennoch ausdifferenzierendes Netzwerk oder Milieu handelt, das sich hauptsächlich im virtuellen Raum abspielt und dessen politische Präsenz derzeit eher marginal ist. Dennoch ist ein gewisser missionarischer Eifer festzustellen: »Infokrieger« schreiben ihre Messages (9/11 – Inside Job – www.infokrieg.tv) mit Kreide auf die Straßen Berlins, sie verteilen Umsonst-DVDs, kleben Aufkleber. In der Praxis stellt sich das Problem, dass richtige und wichtige Kritik wie die am »Überwachungsstaat« auch von infokrieg.tv besetzt wird. Infokrieg.tv und ähnliche Seiten liefern allerdings nicht nur eine völlig stupide Welterklärung, sondern halluzinieren neben der obligatorischen jüdischen Verschwörung auch immer wieder kommunistische Verschwörungen. Eine konsequente Abgrenzung – nicht nur auf gemeinsamen Demonstrationen – lassen viele Teile der sich irgendwie als links oder antikapitalistisch begreifenden »Truther« jedenfalls immer noch vermissen.
Zuerst erschienen im monitor, Rundbrief des apabiz,
Nr. 43, Dezember 2009.
- 1www.npd-stade.de/netzseiten/index.php?option=com_content&task=view&id=2…; zuletzt 21.5.2010
- 2So zieht der Artikel »Die globale Elite selbst ist der Urheber des UFO-Verschwörungskultes« von Paul Joseph Watson/Alex Benesch 24.03.2008 die extrem antisemitische Zeitung bzw. Webseite von Clay Douglas als Quelle heran. (http://infokrieg.tv /ufo_hoax_2008_03_24.html; zuletzt am 21.5.2010)
- 3So bewirbt infokrieg.tv auch das Buch »Das Deutschlandprotokoll« von Ralf U. Hill. Hill – der auch von der (Ex-)DDR als »Mitteldeutschland« spricht und von der BRD als »GmbH« – in einem Interview mit Benesch und Hofer zum Ideal der nationalen Souveränität: »Man muss auch dazu sagen, dass jedes Volk einfach seine Wurzeln hat, ja. Das sind ethnische Wurzeln, das sind kulturelle Wurzeln, Sprache, einfach wie sie sich geben. Und wer seine Identität verliert und keine Wurzeln mehr hat und nicht mehr weiß, wer er ist, der ist auch sehr manipulierbar« (43:29 – http://www.videogold.de/infokrieg-videocast-16032008-mit-ralf-hill-auto…; zuletzt am 6.12.2009).
Benesch: »Gerade Zuwanderung ist ein beliebtes Mittel um Chaos zu stiften« (http://infokrieg.tv/2009_11_22_alternative_medien_2von4.html; zuletzt am 21.5.2010) - 4Engl: truth = Wahrheit
- 5von: »Freigeist«: »Antifaschismus und andere Lebenslügen« (23.Nov 09):http://infokrieg.tv/2009_11_23_antifaschismus.html; zuletzt am 21.5.2010
- 6Benesch: http://infokrieg.tv/2009_12_01_piratenpartei.html; zuletzt am 21.5.2010
- 7An dieser Stelle sei auf die Zeitschrift »Skeptiker«, herausgegeben von der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften, verwiesen, die z.B. im Heft 4/08 physikalisch belegt, warum das WTC 7 auch ohne Sprengung einstürzen konnte.