Eine Heimstatt für Verschwörungsfreaks
In der Prignitz gibt’s ein Spukschloss: Im Nordwesten Brandenburgs gründete sich unlängst ein »Fürstentum Germania« als »Abspaltung von der BRD«. Auf einem heruntergekommenen Dorf-Anwesen – dem »Staatsgebiet« – tummelt sich eine Schnittmenge aus bräunlich-bunten Esos und knallharten Neonazis.
Antisemitischer Verschwörungsglaube und Neonazismus gehören seit jeher eng zusammen, wenngleich die beiden Spektren nicht völlig deckungsgleich sind. Die rechte Verschwörungsszene ist seit Jahren im Aufwind, spätestens seit 1995 das Buch »Geheimgesellschaften« von Jan van Helsing (eigentlich: Jan Udo Holey) erschien, sich über 100.000 Mal verkaufte und schließlich wegen seines antisemitischen Inhalts beschlagnahmt wurde. Van Helsings durchaus innovative Methode war es weniger, neue Verschwörungen »aufzudecken«, sondern vielmehr, die bereits existenten Theorien aneinander zu reihen. Sein Buch ist eine Zusammenstellung von allem, was ausreichend wild klingt: Illuminati, »Reichsflugscheiben« (das sollen SS-Ufos sein), die altbekannten »Protokolle der Weisen von Zion« (siehe AIB 76), die »Bilderberger« und so weiter. Noch einmal katalysiert durch den 11. September 2001 sprießen vor allem im Internet diese Art von Verschwörungskompilationen wie Pilze aus dem Boden. Auch die »Reichsbürger«, Neonazis und HolocaustleugnerInnen die meinen, das Deutsche Reich würde noch existieren, gehören dazu.
Derlei Zirkel waren bisher örtlich isoliert und tauschten sich vor allem im Internet über ihre Erkenntnisse zur giftigen und geheimen Klimamanipulation (»Chemtrails«); zu ihren »Holocaust-Zweifeln«; zu Spekulationen wer denn nun das Weltgeschehen in der Hand habe oder über pseudojuristische Reichskontinuitäten, aus.
Die Neuigkeit ist: Das Spektrum ist jetzt auch offline anzutreffen. Mitte Februar 2009 wurde in Krampfer (Gemeinde Plattenburg im Kreis Prignitz, Land Brandenburg) das »Fürstentum Germania« ausgerufen. 4000 Quadratmeter hat der neue »Staat«. Auf dem Gelände steht ein baufälliges Schloss, welches als »Regierungssitz« fungiert. Das »Fürstentum« will ein »basisdemokratischer Kirchenstaat« sein und hat auch schon eine eigene Verfassung aufgeschrieben. Die Paragrafen derselben schwanken zwischen erheiternd (»Jeder Bewohner von Germania hat [...] einen Obstbaum seiner Wahl zu pflanzen«) und purer Demokratiefeindlichkeit (das Staatsoberhaupt in dieser »Basisdemokratie«, »Fürst« Michael Freiherr von Pallandt, ist auf Lebenszeit im Amt). Vor allem sind die Texte aus dem »Fürstentum« durchdrungen von der Gewissheit, gutes für die Menschheit zu tun. Bei Korruption und Krieg werde man einfach nicht mitmachen.
Faktisch besteht das »Fürstentum« bislang aus dem Schloss mitsamt einer Handvoll BewohnerInnen und aus einem Kreis von bundesweit vielleicht 200 UnterstützerInnen. Man bastelt ein wenig vor sich hin und schreibt sich ansonsten gegenseitig die Internetforen voll, in denen wortreich über die Egomanie der jeweils anderen »Fürstentum«-Supporter geklagt wird. Die Stellungnahmen verbreiten Aufbruchstimmung und Smartness. Andere Staaten, wie Russland und der Vatikan, seien kurz davor den Staat »Germania« anzuerkennen; neues Staatsgebiet würde bald hinzugekauft werden; im Schloss werde bald eine Reha-Einrichtung für sexuell mißbrauchte Kinder eingerichtet; man werde BRD-verfolgten Wissenschaften eine Zufluchtstätte sein...
Dass die Soße, die im Schloss angerührt wird eine braune ist, erschließt sich schnell wenn man über den Aktivenstamm recherchiert. Die eine Hauptperson ist Johannes »Jo« Conrad, der mit seinem Buch »Entwirrungen« 1996 einen Nachfolger für die beschlagnahmten »Geheimgesellschaften« vorlegte. Der Verschwörungsautor zitiert gerne aus den »Protokollen der Weisen von Zion« und hält es für selbstverständlich, wenn »Wirtsvölker« sich dem schädlichen Einfluss der Juden erwehren. Neben Conrad steht vor allem Jessie Marsson im Rampenlicht des »Fürstentum«. Marsson hält sich, eine Internet-Autobiografie verrät das, für ein von amerikanischen Geheimdiensten erschaffenes Klonkind. Als solches glaubt er auch zu wissen, dass die, die Deutschland unterdrücken, häufig in »Rabbineruniformen« auftreten würden.
Bis vor kurzem war er Betreiber der inzwischen gelöschten Internetpublikation »Deutsches Volksblatt«, laut dessen Texten eine Familie Knobloch die Wirtschaft in der Hand habe und solche Behauptungen mit Standbildern aus dem Holocaustleugnungs-Film »Schwindlers List« garniert. Einer der »Ritter der Menschenrechte« (eine Art stimmberechtigter Rat von verdienten »Bürgern«) ist Thomas Patzlaff, ein als Reichsbürger und Holocaustleugner bekannter Berliner. Man kann auch erahnen, welche Sorte von sonst verfolgter Wissenschaft im »Fürstentum« unterstützt werden soll. »Fürstentum«-Unterstützer Volker Köhne warb nämlich für die »Germanische Neue Medizin«. Credo derselben: Krebs sei nichts weiter als Ausdruck eines persönlichen Konflikts und könne sozusagen durch gutes Zureden geheilt werden. »Die Juden« würden diese Therapie seit längerem kennen und für ihr Volk anwenden, aber gemeinerweise »Nicht-Juden« davon abhalten ebenfalls von solchen Segnungen zu profitieren.
Kurzum: Alles was brutal antisemitisch ist, »Verschwörungen« aufdeckt und eben eine gehörige Portion Irrsinn transportiert, hat seinen Platz im »Fürstentum«. Umso faszinierender ist, wie schwierig sich anfangs in der Region Bevölkerung, Zivilgesellschaft und Behörden damit taten, das »Fürstentum« einzuordnen. Der Sektenbeauftragte der Evangelischen Kirche sah anfangs gar »links angehauchte Anarchisten« am Werk (er hat das inzwischen revidiert). Der Brandenburger Verfassungsschutz schweigt sich wohlfein aus, ließ verschiedentlich aber wissen, dass er dort nichts verfassungsfeindliches von statten gehen sehe, wenngleich ihm aber Erkenntnisse vorlägen, nach denen im »Fürstentum« auch »Linksextreme« ihr Unwesen treiben würden. Auch Innenminister Jörg Schönbohm warnte unlängst vor der Vermischung von Links- und Rechtsextremen.
Erfreulich ist es daher, dass inzwischen das Misstrauen gegen die neuen SchlossbewohnerInnen in der Bevölkerung überwiegt und auch etliche Medienbeiträge erschienen, die nicht nur die Obskuritäten im Schloss bestaunten, sondern sie auch als ideologisch rechtsaußen bewerteten. Die allgemeine Verunsicherung über das »Fürstentum« ist dennoch bemerkenswert. Hat eine Initiative Verbindungen zur NPD, fällt es leichter sie »rechtsextremistisch« zu nennen. »Reichsbürger« sind als Label nicht so bekannt und deshalb fällt es vielen schwerer sie, trotz himmelschreiend antisemitischer und neonazistischer Propaganda, als ebenfalls »rechtsextremistisch« zu erkennen.
Immerhin schießen die Behörden der »BRD GmbH« (O-Ton Germania) mittlerweile quer. Weil keine Wohnnutzung für das marode Schloss beantragt wurde, hat das Bauamt die »Fürstentum«-Aktiven am 19. Mai 2009 vor die Tür gesetzt, das Schloss gesperrt und alle Zugänge verrammelt. Widerstand dagegen leistete das »Fürstentum« nicht. Stattdessen campieren die Aktiven nun in Zelten vor ihrem Regierungssitz, zu dem sie keinen Zugang mehr haben.