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Dumm und gefährlich: „Oldschool Society“

Sebastian Lipp
Einleitung

Mitte Mai 2015 sollte das Mobile Einsatzkommando (MEK) der Polizei die „Oldschool Society“ (OSS) beobachten und zuschlagen, sobald die Neonazis von einem Treffen in der Kleingartenanlage „Sommerfreude“ los ziehen, um einen Anschlag zu begehen. Doch dazu kam es nicht. Die Anti-Terror-Spezialeinheit riet von dem geplanten Einsatz ab, weil nicht auszuschließen war, dass ein Zugriff eine Schießerei auslösen könnte, in deren Verlauf es einigen der mutmaßlichen Rechtsterroristen gelingen könnte, sich abzusetzen, um einen geplanten Sprengstoffanschlag auf eine Geflüchtetenunterkunft zu begehen. Stattdessen griff die Polizei zwei Tage vorher zu. Vier Mitglieder der Führungsebene wurden in U-Haft genommen und müssen sich seit April 2016 wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung am Oberlandesgericht in München verantworten. Wie gefährlich waren sie tatsächlich?

Foto: Roland Geisheimer / attenzione photo

Olaf Ogorek (1.v.l.) war Presseverantwortlicher der OSS.

Die Struktur von der OSS

Bei Facebook unterhielten die Neonazis eine öffentliche Seite mit über 3.000 Likes. Die Präsenz in den Sozialen Netzwerken dürfte den Hauptrekrutierungskanal der Gruppe dargestellt haben. Hier wurde offen gegen Asylsuchende, Juden und Antifaschisten gehetzt. Auch die Gewalt-Affinität der Gruppe wurde nicht verschleiert: „Eine Kugel reicht nicht“, hieß es auf einem Logo der OSS. Wer Gefallen daran fand, konnte in eine WhatsApp-Gruppe aufgenommen werden. Eine bei der Razzia gefundene Mitgliederliste enthielt 40 Einträge, tatsächlich muss die Gruppe noch größer gewesen sein. Bald stieg die Gruppe auf das vermeintlich abhörsichere Telegram um, um einem Zugriff durch staatliche Stellen zu entgehen. Das BKA platzierte jedoch einen verdeckten Ermittler „Rudi“ in der sogenannten „Hauptgruppe“. Daneben gab es den „OSS Geheimrat“, in dem sich die zuletzt aus den vier heute Angeklagten bestehende Führungsriege der Gruppe koordinierte. Auch hier gelang der Polizei die Ausleitung eines großen Teils des Chatverlaufes.

„Präsident“ und Gründer der Gruppe ist der 57-jährige Andreas Thomas Hafemann aus Augsburg. Er war Beisitzer im Vorstand des örtlichen NPD-Verbandes. Zum „Vizepräsidenten“ und „Chief of Security“ ernannte er Markus Wilms. Auch der 40-jährige Wilms war für die NPD tätig, für die er in seinem Geburtsort Düren kandidierte. Darüber hinaus war er Mitglied der militanten, inzwischen verbotenen „Kameradschaft Aachener Land“ (KAL) und trat später „als Aktivist einer Gruppierung namens ‘Kameradschaft und Loyalität’ (K. u. L.)“ in Erscheinung. Seine Lebensgefährtin Denise Vanessa Grüneberg (24) führte die Gruppe als „Schriftführerin“ und wohnte zuletzt mit ihm in Borna. Olaf Ogorek (48) aus Bochum sitzt ebenfalls auf der Anklagebank. Nach eigenen Angaben war er „Gauleiter NRW“ der „Vereinigte(n) Kameradschaft Deutschland“ (VKD). Von Ogorek soll die Idee stammen, Anschläge zu begehen, „um das Ausländern und Salafisten in die Schuhe zu schieben“, und so Erregung in der Bevölkerung zu erzeugen. Diskutiert wurden Sprengstoffanschläge auf den Kölner Dom und auf Einkaufszentren. Im „Geheimrat“ unterhielt man sich außerdem darüber, „Antifa-Häuser“ mit Molotow-Cocktails anzugreifen oder Linke mit Baseballschlägern anzugehen. Nach der Aussage eines Bundesanwaltes am Rande des Prozesses gab es jedoch Hinweise, dass die Mitglieder der Führungsebene die Anschläge nicht selbst begehen wollten. Grüneberg habe im „Geheimrat“ die übrigen Mitglieder abschätzig als „Lollis“ bezeichnet. Diese Einschätzung passt zu den Aussagen einer ehemaligen Freundin Grünebergs. Ihrer Wahrnehmung nach habe Grüneberg die Fähigkeit, Menschen zu manipulieren. Anschläge traue sie ihr zu — allerdings so, dass sie sich „nicht selber die Hände schmutzig machen würde“.

Anschlagspläne

Etwa ein Dutzend der Mitglieder traf Mitte November 2014 erstmals in der Kleingartenanlage „Sommerfreude“ nahe Wilms' Wohnort aufeinander. Die Anklage geht davon aus, dass dort die inhaltliche Ausrichtung der OSS thematisiert wurde: „Erörtert wurde der ‘bewaffnete Kampf gegen Salafisten’, die Herstellung von Spreng­stoff, ein ‘gewaltsames Vorgehen gegen Asylanten’ und ‘wer bereit wäre, auch in den Knast zu gehen für irgendwelche Taten’.“ Nach einem Bericht des BKA waren möglicherweise schon damals Aktionen unmittelbar geplant, wofür Teile der Neonazi-Truppe aber zu betrunken gewesen sein dürften. Deshalb wurde ein zweites Treffen vom 8. bis 10. Mai vereinbart — diesmal ohne Alko­hol, dafür dunkel gekleidet für eine „Nachtwanderung“. Kurz zuvor besorgten Wilms und Grüneberg am 1. Mai Pyrotechnik mit hoher Sprengkraft (wie z.B. "Cobra 11" Böller) im Ausland. Anschließend rief Wilms seinen „Präsidenten“ Hafemann an und besprach die Verwendung der illegal eingeführten Ware als Sprengsatz. Das Gespräch wurde ab gehört: „… hier, so ein Cobra 11, hier, weißt du, hier Dachpappenstifte draufmachen mit Sekundenkleber ringsrum, draufkleben und dann so ein Ding im Asyl … so ein Ding im Asylcenter, im Asylheim so, weißt du, Fenster eingeschmissen und dann das Ding hinterhergejagt.“ Hafemann dazu: „Tät’ mir schon gefallen, wär’ schon so nach meinem Geschmack.“ Denise Vanessa Grüneberg war während des Telefonats anwesend. Im Hintergrund erklärte sie, dass man aufgrund der Sprengkraft die Zündschnüre verlängern müsse.

Dumm, aber gefährlich

Darauf wurden Durchsuchungsbeschlüsse erwirkt und die Gruppe wenige Tage vor dem Treffen am 6. Mai hochgenommen, die vier Führungskader wurden in Untersuchungshaft verbracht. Sichergestellt wur­den Datenträger, Neonazi-Devotionalien, Nägel, Pyrotechnik und einige Waffen. Darunter waren keine scharfen Schusswaffen und auch nicht die von Hafemann auf Fotos herum gezeigte scharfe Munition. Dass die Gruppe in dieser Hinsicht überschätzt worden sei, räumte ein Vertreter der Bundesanwaltschaft jüngst ein. Präsentiert wurde die Razzia damals trotzdem als Schlag, der möglicherweise die Bildung eines zweiten NSU verhindert habe — und betont, wie wichtig dafür die Arbeit der Verfassungsschutzbehörden gewesen sei.

Allerdings fragte das Vice-Magazin nicht von ungefähr, ob es sich bei der OSS um die „dümmste Terrorgruppe Deutschlands“ handelte. Ihre mangelnde Fähigkeit zur Konspirativität bewies die OSS nicht nur durch die Veröffentlichung eines Gruppenphotos vom ersten Treffen auf Facebook. Auch im Wohnumfeld des „Präsidenten“ war klar, wer der selbstständige Maler mit der Aufschrift „Wir kommen todsicher“ auf seinem Firmenfahrzeug war. Eine Zeugin sagte, durch den Reichsadler mit den Initialen A. H. auf Hafemanns Privatfahrzeug hätten alle gewusst, wessen Geistes Kind er ist. Trotzdem: „Keiner hat gedacht, dass da sowas dabei raus kommt.“ Und dies, obwohl Hafemann in aller Öffentlichkeit seine kaum von scharfen Waffen unterscheidbaren Gaspistolen polierte und dabei beobachtet wurde.

Kein Wunder, dass sich die OSS unverwundbar fühlte. Das hält zum Teil bis heute an. Als ein ehemaliges Mitglied des „Geheimrats“ vor Gericht zu den Positionen der Angeklagten befragt wurde und eine Antwort schuldig blieb, stand Hafemann auf, als wolle er in erhabener Pose fragen: „Wer ist dein Präsident?“ Der vorsitzende Richter versuchte zu sortieren, ob die Gruppe überwiegend „ausländerfeindlich“ oder „kritisch“ sei: „Haben Sie wahrgenommen, dass er prinzipiell ausländerfeindlich ist oder ob es sich darum dreht, wie die sich hier benehmen?“, fragte er etwa einen Zeugen.

Das von der OSS hinterlassene, weitgehend unangetastete Netzwerk dürfte gemeinsam mit der restlichen Neonaziszene aus diesem Verfahren erneut lernen, dass es in Deutschland möglich ist, sich an einer rechtsterroristischen Struktur zu beteiligen, ohne ernsthafte Konsequenzen fürchten zu müssen — und dies sogar ohne wirklich konspiratives Agieren.

Selbst der BKA-Chef geht inzwischen davon aus, dass sich aus den grassie­renden rassistischen Mobilisierungen neue terroristische Strukturen bilden könnten. Auf Pegida bzw. deren Ableger etwa wurde in der OSS positiv Bezug genommen. Hafemann will bei deren Münchener Ableger intensiv mitgewirkt haben. Die frühere Pegida-Funktionärin Tatjana Festerling hat unlängst die Kundgebungsteilnehmer von Pegida München dazu aufgerufen, sich zu bewaffnen.