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Ein Vorbild und Mutmacher ist gestorben

Einleitung

Peter Gingold, in Frankfurt in einem jüdischen Elternhaus groß geworden, Kommunist seit seinem 15. Lebensjahr, Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime, Gewerkschafter und aktives Mitglied unter anderem im VVN/BdA, im Verband Deutscher in der Résistance (DRAFD) und im Auschwitzkomitee, ist mit 90 Jahren am 26. Oktober 2006 in Frankfurt gestorben.

Bild: attenzione-photo.com

Nicht nur für das AIB-Redaktionskollektiv, sondern für sehr viele jüngere und ältere  AntifaschistInnen war Peter Gingold einer jener Widerstandskämpfer und Überlebenden der NS-Verfolgung, der trotz aller Unterschiede in der politischen Analyse durch seine Bereitschaft zur Auseinandersetzung, zum Diskutieren und Streiten, im gemeinsamen Engagement und Aktionen, durch seinen Humor, sein Lachen und die sehr persönliche und direkte Art, gerade auch auf Jüngere zuzugehen und sie anzusprechen, Vorbild und Mutmachender war.

Das zeigte sich auch noch im letzten Gespräch, das wir mit ihm anlässlich des 60. Jahrestages der Befreiung im Winter 2005 mit ihm führten. Ganz selbstverständlich lud Peter Gingold zu Tee und Gebäck in seine Frankfurter Wohnung ein, in der die vielen Bücher, Broschüren, das Faxgerät und der Computer deutlich machten, wie aktiv und eingebunden Peter Gingold trotz seines hohen Alters war: Sei es bei der Kampagne gegen die IG Farben, bei Demonstrationen gegen Neonazis oder gegen die NS-Traditionspflege der Gebirgsjäger in Mittenwald, bei Gewerkschaftsveranstaltungen oder antifaschistischen Seminaren.

Dabei schien er kaum gealtert zu sein im Vergleich zu den Begegnungen und Veranstaltungen mit ihm Anfang und Mitte der 1990er Jahre; beispielsweise bei einer der ersten Anhörungen zur ZwangsarbeiterInnen-Entschädigung 1995 in Berlin, als jegliche gesellschaftliche und politische Anerkennung noch undenkbar schien. 

Peter Gingold gab trotz Verfolgung und vieler Niederlagen die Hoffnung auf eine bessere Realität und Gesellschaft nie auf. Dieser Optimismus hat ihn auch durch die Jahre der NS-Verfolgung nicht verlassen. Schon im Sommer 1933 musste Peter Gingold nach mehrwöchiger SA-Haft wegen seiner Aktivitäten im Widerstand nach Frankreich emigrieren. Nach der deutschen Besetzung Frankreichs war er für die Résistance in der Travail Allemand (TA) aktiv. Zu seinen Aufgaben gehörte es, Kontakt zu NS-kritischen Wehrmachtssoldaten zu knüpfen und sie für eine Zusammenarbeit mit der Résistance zu gewinnen. Währenddessen wurden zwei seiner Geschwister nach Auschwitz deportiert. Nach seiner Verhaftung durch die Gestapo in Dijon im Februar 1943 wurde er wochenlang verhört und gefoltert. Trotzdem gelang es ihm im April 1943 zu fliehen und sich dann wieder der Résistance anschließen. Nachdem er gemeinsam mit seiner Ehefrau und Genossin Ettie 1945 nach Frankfurt zurückgekehrt war, verweigerte ihm die Bundesrepublik noch jahrelang die vom NS-Regime aberkannte deutsche Staatsangehörigkeit.

Doch danach gefragt, ob er jemals daran gedacht hatte, Deutschland zu verlassen, sagte Peter Gingold im Winter 2005: »Eigentlich nicht. Ich sage immer, ich hätte nicht zurückkehren können, wenn ich nicht wüsste, wie viel Widerstand es gegeben hat, auch wenn er nicht viel bewirkte. Aber den hat es gegeben. Und ich erlebe Menschen, die nicht das haben wollen, wie es sich entwickelt, die sich engagieren. Wenn es das nicht gäbe, dann hätte ich gesagt: ›Dann verlasse ich dieses Land.‹ Und dann sagte ich, dann musst du da bleiben, die brauchen dich auch. Wenn wir alle das Land verlassen, dann ist es den anderen nur ganz recht.«

Wir werden Peter Gingold vermissen.