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Hammerskins im Hintergrund

Einleitung

Ende 2014 sorgte ein Text der „Anti-Antifa Recherchegruppe ,Thomas Kuban‘“ auf der Neonazi-Homepage DortmundEcho für Verwunderung unter Politiker_innen der Piraten-Partei und antifaschistischen Journalist_innen.

Malte Rede­ker aus Ludwigshafen ist der „European Secretary“ der neonazistischen Hammerskins Nation (HSN). Hier im Vordergrund (mitte) bei einer Demonstration im November 2009 in Wunsiedel.

Der Text behauptete unter dem Titel „Spitzel aufgedeckt“, dass der frühere Fraktionsvorsitzende der Berliner Piratenpartei Andreas B. am 13. Dezember 2014 auf der gemeinsamen Anreise zu einem RechtsRock-Konzert von Neonazis als „Spitzel“ enttarnt worden sei. Er sei von der Neo­nazi-Reisegruppe fotografiert und ausgesetzt worden. Durch ein veröffentlichtes Foto der Situation erschien der Sachverhalt zumindest nicht vollkommen konstruiert. Auf diesem Foto trug Andreas B. einen Neonazi-Pullover.

Einige Zeit später räumte Andreas B. in einer Stellungnahme ein, tatsächlich gemeinsam mit Neonazis unterwegs gewesen zu sein. Über seine Motive schwieg er bislang öffentlich. Er betont jedoch: „Ich bin Antifaschist und lehne jedwedes rechtes Gedankengut ab. Dafür habe ich mich als Queerpolitischer Sprecher auch in der Vergangenheit eingesetzt.1

Die Dortmund-Story

Die im DortmundEcho-Text erzählte Geschichte der „Anti Antifa Ermittlungsgruppe Ges.Ma“ klingt jedoch so unrealistisch, dass sie in diesem konkreten Fall eher der gewollten Verunsicherung linker Strukturen dienen dürfte. Demnach hätte man das Projekt „Thomas Kuban“ initiiert, um sich „Erkenntnisse über die ,militante‘ Antifa-Szene zu verschaffen, vorzubeugen und Einblicke in Strukturen zu bekommen“.

Der Namensgeber des Projektes, Thomas Kuban, ist das Pseudonym eines Journalisten und Buchautors, der vor allem durch Veröffentlichungen über seine Recherchen in der RechtsRock-Szene bei Neonazis verhasst wurde.

Die Neonazis behaupten, dass sie seit mehr als zwei Jahren eine Neonazi-Frau als Spitzel über die Tierrechts-Szene in die antifaschistische Bewegung eingeschleust hätten, welche zur Enttarnung von Andreas B. beigetragen hätte. Insgesamt stellt sich für erfahrene Szenekenner_innen die Story als äußerst unglaubwürdig und in der Gesamtschau als nicht plausibel dar.

Die Hammerskin-Story

Tatsächlich war seit mindestens 2012 eine Person unter dem Namen „Jan Goodnls“ aus (angeblich) Fürstenwalde/Spree in sozialen Netzwerken der Neonazi-Szene unterwegs.2 Diese Person benannte sich später in „Paul White“ um und wurde als der vermeintliche Antifa-Spitzel Andreas B. identifiziert. Da Andreas B. jedoch öffentlich für seine Partei auftrat war die Enttarnung nur eine Frage der Zeit.

Vor allem der „European Secretary“ der neonazistischen Hammerskins Nation (HSN), Malte Rede­ker aus Ludwigshafen, trieb die szene-öffentliche Verbreitung des Outings auffällig früh voran. In der Gerüchteküche der RechtsRock-Szene wird er teilweise sogar als der Autor des Textes gehandelt.

Das verwundert kaum. Am 13. Dezember 2014 fand in Frankreich unter dem Namen „White X-Mas“ ein Konzert seines Hammerskin-Chapters Westwall statt, das von mehreren hundert Neonazis aus Deutschland besucht wurde. Hier waren die RechtsRock-Bands „Helle und die RACker“, „Überzeugungstäter“, „Confident of Victory“, „Blutzeugen“, „Kraftschlag“ und „Sniper“ angekündigt. Als „Überraschungsband“ trat „Gestapo“ auf. Ursprünglich war das Konzert für Belgien angekündigt worden.

Zu diesem Konzert zog es offenbar auch einen Personenkreis um die Neonazi-Musiker Andreas K., Matthias W. und Tobias W. von der Hammerskin-Band „Division Germania“. Andreas K. aus Mönchengladbach ist als Aktivist des Hammerskin Chapter Westwall bekannt und spielte auch in der Hammerskin-Band „Jungsturm“ mit. In ihrem Mietbus landete dann wohl auch Andreas B., bevor er von den Neonazis mit den Vorwürfen konfrontiert und in Belgien ausgesetzt wurde. Zumindestens rühmte sich dieser Personenkreis innerhalb der RechtsRock-Szene mit der Story, einen „Antifa-Spitzel“ in den Ardennen ausgesetzt zu haben.

Repressions-Angst

Offenbar wurde wegen der fehlenden Ano­nymität der beteiligten Neonazis und ihrer Strukturen auf direkte körperliche Angriffe auf Andreas B. verzichtet. Die direkt oder indirekt beteiligten Personen aus den Kreisen der Hammerskins fürchteten wohl die unvermeidbaren polizeilichen Ermittlungen, welche eine Verletzung von Andreas B. hervorgerufen hätte.
Die Sorge vor einem Hammerskin-Verbot dürfte wohl auch der Grund gewesen sein, warum eine indirekte Veröffentlichung des Outings über die Dortmunder Neonazi-Szene gewählt wurde.

Gewaltfreiheit war ansonsten bisher nicht gerade der Ruf der Hammerskins um Malte Redeker. Als im Januar 2009 in Ludwigshafen eine antifaschistische Demonstration gegen die Umtriebe des Hammerskin-Chefs Malte Redeker und seinen Laden „Streetwear Company“ stattfand, überfielen rund 40 bewaffnete Neonazis ein vermeintlich linkes Bekleidungsgeschäft in Mannheim. Der Überfall soll von Seiten der regionalen Hammer­skin-Strukturen geplant worden sein. Mutmaßliche Beteiligte an dem Überfall, die noch am selben Tag von der Polizei festgenommen werden konnten, waren u.a. die damaligen Hammerskins Christian L. und Marc W. Doch die Ermittlungen gegen insgesamt 17 Neonazis wurden eingestellt.

Bereits im November 2008 hatten rund 30 Neonazis eine antifaschistische Veranstaltung zum Thema Rechtsrock an der Ludwigshafener Fachhochschule angegriffen. Auch diese Aktion soll u.a. von den regionalen Hammerskin-Strukturen geplant worden sein.3

VS verhinderte Hammerskin Verbot

Im Jahr 2000 schrammten die Hammerskins in Deutschland nur knapp an einem Verbot vorbei. Das damalige Verbot gegen die neo­nazistische „Blood & Honour — Division Deutschland“ (B&H) und deren Jugendgruppe „White Youth“ sollte ursprünglich auch den Hammerskins gelten. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) war vom Bundesinnenministerium beauftragt worden, die Verbotsvoraussetzungen zu prüfen und Beweise vorzulegen, die ein Verbot rechtfertigen würden. Doch die Hammerskins kamen davon, da der Verfassungsschutz sich u.a. wegen seiner eigenen Spitzel außer Stande sah, ein Verbot mit Belegen zu unterstützen.

Als ein Grund wurde genannt: „Sämtliche personenbezogenen Informationen stammen aus dem Einsatz von V-Personen — überwiegend der Landesbehörden für Verfassungsschutz. Sie sind dementsprechend als Verschlusssache eingestuft und unterliegen dem Quellenschutz.4 Zwei Jahre später wurde der Chef der Hammerskins Sachsen, Mirko Hesse (Decknamen „Strontium“), als bezahlter Spitzel des Bundesamtes für Verfassungsschutz enttarnt.

Malte Redeker möchte gegenwärtig offenbar die Hammerskins nicht unnötig weiter in das Licht der Öffentlichkeit bringen. Wie in der letzten Ausgabe des AIB veröffentlicht wurde, haben die Europäischen Hammerskins einige Negativschlagzeilen zu befürchten. Das portugiesische Chapter der Hammerskins soll in organisierten Drogenhandel und Gewalt gegenüber Kameraden verwickelt sein.5 Das letzte „European Officers Meeting“ der Hammerskins Ende Januar 2015 wurde offenbar als Reaktion auf die Zustände in das Clubhaus der Hammerskins nach Lissabon verlegt. Mit einem Konzert wurde hier das 10-jährige Bestehen der Portugiesischen Hammerskins gefeiert.

Doch ob diese Offensive und das Outing eines angeblichen Antifa-Spitzels reicht, um den Ruf der Europäischen Hammerskins zu verbessern, bleibt offen. Der nächste Ärger steht wahrscheinlich ins Haus, wenn in der Szene breiter bekannt wird, das Malte Redeker über seinen Neonazi-Versandhandel „Gjallarhorn Klangschmiede“ mehrfach mit der Sebnitzer Firma druckbude.com von René Morche (Firma „Tatex“ / Textildruck) zusammengearbeitet haben soll, um sich Neonazi-T-Shirts produzieren zu lassen. Hinter dieser Firma soll sich inoffiziell der frühere V-Mann Mirko Hesse aus Hohwald verbergen.6  

Er betreibt an derselben Anschrift die Firma „Mirko Hesse Roughtex“ (Versandhandel, Werbegestaltung). Mit Malte Redeker soll der frühere VS-Spitzel Mirko Hesse sogar mehrfach persönlich geschäftlich in Kontakt gestanden haben, wie einige Neonazis hinter vorgehaltener Hand kritisieren.

  • 1Eine Bewertung dieser Darstellung ist zur Zeit nicht möglich, da Andreas B. die Bitte um ein Gespräch mit dem AIB unbeantwortet ließ.
  • 2„Goodnls“ dürfte hierbei für den Anti-Antifa-Slogan „Good night — left side“ stehen.
  • 3Antifaschistische Initiative Heidelberg: „Hammerskins im Südwesten mit neuen Strukturen“.
  • 4Freundeskreis Gamma/Carina Boos: „Schützt der Verfassungsschutz die ,Hammerskins‘“?
  • 5AIB 105: „Portugal: Hammerskins on Drugs“
  • 6Vgl. AIB Nr. 55: „Das Ende vom Lied“