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Identitäre Gewalt in Wien

autonome antifa [w] (Gastbeitrag)
Einleitung

In Österreich radikalisiert sich die „Identitäre Bewegung“ zunehmend und greift gewaltsam ihre politischen Gegner an.

Foto: DÖW

Der IB-Kassierer Fabian Rusnjak bewaffnet mit einem Teleskopschlagstock.

Österreich im Jahr 2016: Die österreichischen Regierungsparteien der konservativen ÖVP und der Sozialdemokraten haben eine „gemeinsame Linie“ in der sogenannten „Flüchtlingskrise“ gefunden und überbieten sich seitdem mit immer neueren Vorschlägen zum Umgang mit Flüchtenden. Man müsse die Sorgen und Ängste in der Bevölkerung ernst nehmen und den Zuzug von Flüchtenden stoppen. Das Boot sei voll. Der „Kurswechsel“ der Regierung ist Wasser auf die Mühlen der extremen Rechten. Diese verlieren sich gerade in einem hyperaktiven Kundgebungs- und Demonstrationsmarathon. Beinahe täglich finden rassistische und extrem rechte Kundgebungen in ganz Österreich statt. Diese Entwicklung ist neu für Österreich. Die extrem rechte FPÖ, welche gute Kontakte zum Neonazismus pflegt und rechts neben sich keinen Platz lässt, konnte den Rassismus und Autoritarismus für ihre Wahlerfolge kanalisieren. Auf der Straße war die extreme Rechte schon lange nicht mehr so präsent wie heute, dafür aber im Parlament. Nun drängen neonazistische Gruppen auf die Straße, auch weil sie den Rückenwind spüren, den das gesellschaftliche Klima in Österreich erzeugt. Am erfolgreichsten konnten sich neben der FPÖ als parlamentarischen Arm der extremen Rechten die „Partei des Volkes“ (PDV) um ihren Obmann Tomi Kirsch (Thomas Kirschner) und die extrem rechte „Identitäre Bewegung“ (IB) etablieren. Die „Identitären“ haben sich in den letzten Jahren viel Mühe gegeben, eine Fassade des gewaltlosen Aktivismus aufzubauen. Engagierte Antifaschist_innen haben in der Vergangenheit bereits erfahren müssen, wie es um die vermeintliche Gewaltlosigkeit der „Identitären” steht.

Nach einer antirassistischen Kundgebung Mitte Januar in Graz, die sich gegen eine Demonstration der „Identitären“ vor einer geplanten Geflüchtetenunterkunft richtete, wurde eine Gruppe von Antifa­schis­t_innen, die sich gerade auf dem Heimweg befand, von führenden Mitgliedern der „Identitären“ brutal angegriffen und überfallen. Dabei setzten die Angreifer einen Teleskopschlagstock, einen Gürtel mit Eisenschnalle und mit Quarzsand verstärkte Handschuhe ein. Die Betroffenen berichteten in der Tageszeitung „der Standard“, dass die Täter sie bereits bei der davor stattfindenden antirassistischen Kundgebung im Visier gehabt hatten. Einer der Angegriffenen berichtet dort: „Die haben uns aufgelauert, einer von ihnen ist während der Kundgebung immer wieder durch unsere Reihen marschiert, hat sich unsere Gesichter eingeprägt, und ein anderer hat uns auch fotografiert”. Der bewaffnete Überfall konnte von einer angegriffenen Antifaschistin fotographisch dokumentiert werden. Unter den Angreifern befanden sich demnach: Fabian Rusnjak (mit Teleskopschlagstock), der als Kassierer der „Identitären Bewegung Österreich“ fungiert; Dominik H. (mit Gürtel) der schon als Ordner bei Demonstrationen der „Identitären“ aufgefallen ist; Phillipp Huemer, welcher als Redner bei verschiedenen Kundgebungen auftrat; Maximilian M. und Richard Sch.,  die auch dem Umfeld der „Identitären“ zuzuordnen sind.

Extrem rechts, neonazistisch, „identitär“?

Der organisierte, bewaffnete Überfall stellt eine neue Stufe der Radikalisierung der extrem rechten Gruppe dar. Ähnlich wie in Frankreich gründeten sich die „Identitären“ nach den Repressionsschlägen gegen die österreichische Neonazibewegung im Zusammenhang mit der Seite alpen-donau.info. Der inhaltliche und ideologische Schwenk der „Identitären“ muss vor allem als Strategie wahrgenommen werden,  einerseits den eigenen Einfluss zu vergrößern und anschlussfähiger zu werden, andererseits eine Form des Aktivismus zu wählen, der nicht sofort mit behördlicher Repression und dem Verbotsgesetz konfrontiert ist. Dennoch sind die Verbindungen der „Identitären“ zum neonazistischen Spektrum mehr als augenscheinlich. Der Großteil der „Identitären“ rekrutiert sich aus dem deutsch-völkischen Burschenschaftermilieu und aus dem organisierten Neonazispektrum. So tummelten sich jetzige Mitglieder der „Identitären“ vor nicht allzu langer Zeit im Umfeld des Neonazis Gottfried Küssel (VAPO, alpen-donau.info), wie zum Beispiel Martin Sellner, einer der führenden Köpfe der „Identitären“. Damit will man aber heute nichts mehr zu tun haben. Man gibt sich wahlweise als harmloser Heidegger Lesekreis aus oder als aktivistische Freizeitbeschäftigung für Kulturanthropologen. Mangels positiver intellektueller Vordenker, welche nicht gleich in Verbindung mit dem Nationalsozialismus und seinen Verbrechen gebracht werden können, beruft man sich auf die „Konservative Revolution“ oder den italienischen Faschismus. Die Ideen und politischen Vorstellungen der sogenannten „Konservativen Revolution“ sind aber nicht unabhängig oder gar als widerständig gegenüber dem Nationalsozialismus zu fassen, sondern als dessen Vordenker und Wegbereiter.

Old Shit — New Style

Die Tatsache, dass die Anhänger_innen der „Konservativen Revolution“ nicht ausnahmslos hinter Hitler und dem Nationalsozialismus standen, werden von den "Identitären" bewusst dazu genutzt, um eine klare Trennung zwischen ihren großen Vorbildern und den Nazis zu argumentieren. Die Absicht dahinter war und ist die Freisprechung der „Konservativen Revolutionäre“ von jeglicher Beteiligung an der ideologischen und kulturellen Etablierung des Nationalsozialismus, um sich — ohne Auschwitz denken zu müssen — auf den Faschismus beziehen zu können. Thomas Mann bezeichnete in einer Tagebuchnotiz den Nationalsozialismus als „politische Wirklichkeit jener konservativen Revolution“. Und über den Lieblings-Theoretiker der „Identitären“ schlechthin, bemerkte Adorno: „Heideggers Einordnung in den Hitlerschen Führerstaat war kein Akt des Opportunismus“, sondern folgte aus einer Philosophie, die „bis in ihre innersten Zellen faschistisch“ sei.
Was von den „Identitären“ selbst als Ethnopluralismus bezeichnet wird, ist nichts anderes als Rassismus und der Versuch, einen gesellschaftlich werbefähigen Begriff für eine völkisch-nationale Ideologie zu finden, der nicht in Zusammenhang mit dem NS und seinen Verbrechen gesehen wird. Anstelle des verpönten Wortes „Rasse“ tritt der Begriff der Kultur – gemeint ist damit aber der gleiche rassistische Herrschaftsanspruch. In ihrer Inszenierung als Krieger für die „ursprüngliche Kultur und ursprünglichen Werte“ bedient die „Identitäre Bewegung“ eine Symbolik, deren Projektionsquelle eine romantisierte Vergangenheit irgendwo zwischen Mittelalter und Nationalsozialismus darstellt.

Im Hamsterrad der Abwehrkämpfe?

Angesichts der gesellschaftlichen Stimmung in Österreich, welche geprägt ist durch die Wahlerfolge der extrem rechten FPÖ und dem Erstarken neonazistischer Gruppen auf der Straße, gilt es neue Strategien zu finden. In Hinblick auf die Aktivitäten der „Identitären“ gilt es ihre öffentlichen Auftritte mit antifaschistischem Protest zu konfrontieren. Durch die Normalisierung extrem rechter Positionen, welche die FPÖ erreicht hat, werden neonazistische Gruppen aber allgemein nicht als die Gefahr wahrgenommen, die sie wirklich sind, sondern sogar in das staatliche Fernsehen als normale Diskussionspartner zu Sendungen eingeladen. Rassistische Mobilmachungen auf der Straße haben ein nicht zu unterschätzendes Politisierungspotential,  das die Hemmschwelle zu tätlichen und gefährlichen Angriffen entscheidend herabsetzt. Aus diesem Grund gilt es dem rassistischen Mob keine ruhige Minute zu geben, antifaschistische Strukturen — gerade in ländlichen Regionen — zu stärken und den gesellschaftlichen Rechtsruck in ganz Europa zu begegnen.