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Keine Vereinnahmung der Opfer in Mittenwald

Einleitung

Vor acht Jahren haben Antifaschist_innen das Traditionstreffen der deutschen Gebirgstruppe in Mittenwald gestört. Ihre Forderung an die »alten Kameraden«, für ihre Opfer während des Zweiten Weltkrieges eine Gedenkminute einzulegen, beantworteten die Anwesenden mit Tätlichkeiten und Beleidigungen. Acht Jahre später wurde im März ein Denkmal für die Opfer der NS-Gebirgsjäger offiziell eingeweiht.

Nach dem unterbundenen Gedenken 2002 pilgerten jährlich mehrere Hundert Antifaschist_innen zu Pfingsten nach Mittenwald, um gegen die sogenannte Brendten-Feier zu protestieren. Diese vom »Kameradenkreis e.V.« ausgerichtete Selbstbeweihräucherung auf dem Hohen Brendten führte 50 Jahre lang ehemalige Weltkriegsteilnehmer der Gebirgsjäger mit ihren Nachfolgern in der Bundeswehr zusammen. In Mittenwald sah man es mit Stolz und Anerkennung für die »Helden« der Gebirgstruppen vor und nach 1945.

Zu Beginn der Proteste war Hermann Salminger nicht nur Bürgermeister des Ortes, sondern auch Sohn des Mittenwalder Ritterkreuzträgers und Oberstleutnant der NS-Gebirgsjäger Josef Salminger, der 1943 in Griechenland von Partisanen erschossen wurde. Salmingers Truppe hatte vorher beim Massaker in Komeno 317 griechische ZivilistInnen, darunter 97 Kinder, abgeschlachtet. Entsprechend dieser engen Verbindung zwischen Mittenwald und »seinen« Gebirgsjägern wurden Demonstrant_innen stets mit großer Feindseligkeit empfangen. Obgleich der auftrumpfende »Volkszorn« der MittenwalderInnen nach Skandalen bei den Gebirgsjägern der Bundeswehr und Gerichtsverfahren gegen alte Wehrmachtstäter immer kleinlauter ausfiel.

Schon am 30. Mai 2009 hatte der »Arbeitskreis Angreifbare Traditionspflege« (AK) zum Abschluss seiner Mittenwald-Kampagne auf spektakuläre Weise ein Denkmal für die Opfer der NS-Gebirgstruppe abgestellt. Das geschmackvolle Denkmal, von dem niemand annahm, dass die Gemeinde es als »Geschenk« annehmen würde, sollte eine erneute Wende herbeiführen. Der neue Bürgermeister des Marktes Mittenwald, Adolf Hornsteiner (CSU), sammelte seinen Gemeinderat mit dem Beschluss hinter sich, das Denkmal, das zunächst rasch abgeräumt worden war, zur Überraschung vieler als Geschenk zu akzeptieren. Das angeschlagene Image der Gebirgsjäger, angebliche Einbrüche im Pfingstgeschäft des Touristenortes und zunehmende überregionale Aufmerksamkeit waren die Triebfedern des Bürgermeisters bei den Verhandlungen mit dem AK, um diesen mit der Annahme des »Geschenks« davon abzubringen weiter in Mittenwald zu demonstrieren.

Bei der protokollarisch bis ins kleinste Detail geplanten Einweihungsfeier in der Aula der Mittenwalder Grund- und Hauptschule, inszenierte Hornsteiner seine Gemeinde als geläutert von der Last jahrzehntelanger Mißachtung der Opfer der Gebirgstruppe. Seine Zerknirschung über die begangenen Verbrechen der Wehrmacht klang so glaubwürdig, dass man hätte meinen können, nun die Absolution nicht weiter verweigern zu dürfen. Landrat Harald Kühn (CSU) war am Vortag extra in die KZ-Gedenkstätte Dachau aufgebrochen, um sich in die rechte Stimmung zu bringen. Das konnte nur der evangelische Geistliche toppen, der monatlich einen Tag dort meditierend verbringe. Abgesehen vom pathologischen Gehalt dieses Bekenntnisses konnte während der Feier der Eindruck entstehen, Sinn der Veranstaltung sei allein, das Wohlwollen des AK zu erringen und in einem Akt der Versöhnung endlich einen Schlussstrich unter alles ziehen zu dürfen.

Nicht in dieses peinliche Schema passte die Rede des Auschwitz-Überlebenden Maurice Cling, der den Tag seiner Befreiung aus den Händen der Deutschen im April 1945 durch die Amerikaner in Mittenwald erlebte. Als er seine Todesangst schilderte und eine Geste der Menschlichkeit seitens einer unbekannten Mittenwalderin, die ihm zwei rohe Kartoffeln zusteckte, brachen viele in Tränen aus. Dies war der eigentliche Gehalt des Festaktes: Nachdem das offizielle Mittenwald Maurice Cling und zahlreichen anderen ZeitzeugInnen acht Jahre lang die kalte Schulter gezeigt hatte, stand er nun vor den Gemeindeoberen und vielleicht 100 weiteren MittenwalderInnen, konnte seine Geschichte erzählen und bekam dafür jene Anerkennung, die ihm und vielen anderen bisher vorenthalten worden ist.

Der AK hatte sich zwar dazu durchgerungen an dem Festakt teilzunehmen, jedoch nicht ohne in dem Redebeitrag nochmals deutlich auf die Dimension der Verbrechen der NS-Gebirgstruppe hinzuweisen und die ungebrochenen Traditionslinien bis in die heutige Bundeswehr zu betonen. Immerhin finde die Selbstbeweihräucherung der Gebirgstruppe auf dem Hohen Brendten nach wie vor statt: »Ziehen Sie einen Trennstrich zur Traditionspflege der Täter!« forderte der AK. Während dieser Rede verließen die Angehörigen des Kameradenkreises empört den Saal.

Kritiker_innen innerhalb des AK hatten immer wieder darauf hingewiesen, dass die Anwesenheit von Uniformierten für den Anlass völlig inakzeptabel sei. Ein Plenum hatte jedoch am Rande eines Ratschlages in München am Vorabend der Einweihung beschlossen, man werde die Anwesenheit von Bundeswehr-Soldaten »ignorieren« und »ertragen« und das Ganze »in würdevoller Form« hinter sich bringen. Man habe an der von Hornsteiner geschickt eingerührten Veranstaltung »um den Preis der eigenen intellektuellen Entwaffnung« teilgenommen, heißt es dazu in einer kritischen Stellungnahme. Und weiter: »Wenn etwas den AK (...) für uns und manche andere interessant gemacht hat, dann war es der Punkt, das wir endlich damit aufgehört hatten, den für die aktuelle Bundeswehrpraxis wie Politik bedeutenden Mittenwald-Tanz nicht mehr – wie der Rest dieser Gesellschaft – zu ›ignorieren‹. Wir waren seit Mai 2002 auch nicht dazu bereit, diesen zu ›ertragen‹ und in ›würdevoller Form‹ schon gar nicht. Irgendwie hatte ich gehofft, dass es uns in dieser bedeutenden ideologischen Frage gelingen könnte eine elegante Gratwanderung zwischen Fundamentalpolitik dümmster Provenienz und prinzipienlosester Realpolitik hinzulegen. Das ist aber an diesem Punkt völlig missglückt.«

Das stimmt jedoch nicht ganz: Die klaren Worte des Redebeitrages des AK, die genau diejenigen getroffen haben, die damit gemeint waren, haben verhindert, dass der ganze Akt in einem Strudel aus Harmoniesülze versinken konnte. Und auch das Denkmal selbst, dessen Inschriften keine Vereinnahmung dulden, trägt dazu bei, dass die Gratwanderung nicht so vollkommen mißglückt ist, wie in der Nachbereitung behauptet. Die Gemeinde, die in der irrigen Annahme lebte, sie erhalte am Ende dieses Tages die Vergebung, sah sich ernüchtert und Hornsteiner war so perplex, da sein Durchmarsch mißlungen war, dass er nicht merkte, wie blödsinnig sich sein Lamento über die »Krawallmacherei« ausnahm: Ausgerechnet bei einer Feier, die die Krawallmacher vom AK in jahrelanger Kleinarbeit erzwungen hatten. Es sei nun, so meinte er, am AK die ausgestreckte Hand der Versöhnung zu ergreifen, die die Gemeinde diesen hinhalte.

Worum aber war es gegangen seit dem ersten Protest 2002? Doch nicht um Versöhnung, nicht um Schulterschlüsse und die Eingemeindung der Proteste. Dem AK ist es gelungen, die Leugnung der Verbrechen der NS-Gebirgsjäger zu durchbrechen und wenigstens in Mittenwald den Opfern jene Achtung zu verschaffen, die ihnen jahrzehntelang verweigert wurde. Aber Mittenwald ist nur ein kleines Kaff irgendwo in den Alpen. Es ging nie um Mittenwald, es ging immer darum, deutlich zu machen, dass die Bundesrepublik bis heute versucht, den Opfern ihres Vorgängerstaates Anerkennung und Entschädigung vorzuenthalten, die Täter zu schützen und neue Kriegseinsätze auf Grundlage einer bereinigten und mit entpolitisierten Denkmalen gesäumten Geschichtsdeutung zu führen.

Auch Maurice Cling ging diese erstickende Umarmung durch Mittenwald, die Bundeswehr und den Kameradenkreis zu weit: Mit klaren Worten weist er die geheuchelte Ergriffenheit des Vorsitzenden des Kameradenkreises, Oberst a.D. Manfred Benkel, zurück und stellt fest: »Diese ›innere Bewegtheit‹ verträgt sich schlecht mit der Feier auf dem Brendten, die ja der Tradition der Gebirgsjäger gewidmet ist. Dass Herr Benkel in Anlehnung an meine Rede dieses Treffen zudem als ›Mahnung‹ verstanden haben will, ist ein schockierender Versuch der Vereinnahmung der Opfer durch die Täter und eine unglaubliche Entstellung des Gedenkens an die Opfer.« Zudem machte er in einer anschließenden Stellungnahme klar, »dass für mich jede Aussöhnung zwischen Tätern und Opfern inakzeptabel ist«.