Kokain und Waffen vom V-Mann
Seit Ende August 2007 ein krimineller Neonazi aus dem nordrhein-westfälischen Lünen als Informant des Verfassungsschutzes enttarnt wurde, geht es nicht nur in der rechten Szene hoch her. Der NRW-Verfassungsschutz soll die kriminellen Machenschaften des 27-Jährigen gedeckt haben.
Im Rahmen eines Prozesses gegen einen Neonazi war der Stein ins Rollen geraten, der jetzt neben der Neonaziszene auch die Politik beschäftigt. Angeklagt wegen eines Raubüberfalls, hatte das Landgericht Dortmund Robin Sch. zu acht Jahren Haft verurteilt. Der 22-jährige hatte ausgesagt, Neonazi Sebastian Seemann habe ihn zu der Tat angestiftet und ihm die Waffe in die Hand gedrückt, mit der er bei einem Überfall auf einen Supermarkt einen Kunden schwer verletzte. Hintergrund soll ein geplatzter Rauschgift-Deal in Ostwestfalen sein, bei dem Sch. um mehr als 10.000 Euro geprellt worden sein soll.
Weil die Ermittlungsergebnisse der Bielefelder Polizei, die wegen möglicher Rauschgiftgeschäfte Seemanns Telefon abgehört und dessen Gespräche mit seinem V-Mann-Führer belauscht hatte, in den Prozessakten auftauchten und dem rechten Szene-Anwalt von Sch. – dem Dortmunder Andrè Picker – zugingen, wurde die Rolle Seemanns bekannt und der V-Mann unfreiwillig »verbrannt«. Bei seiner Festnahme fanden die Ermittler neben Waffen auch 300 Gramm Kokain. Bereits 2004 war Seemann, der zuletzt zusammen mit seinem Bruder in Lünen die Rock-Kneipe »Störtebeker« betrieb, wegen Handels mit Betäubungsmitteln in 178 Fällen, 2005 wegen Nötigung, Körperverletzung und Verstößen gegen das Waffengesetz und 2006 erneut wegen eines Verstoßes gegen das Waffengesetz verurteilt worden. Tatsachen, die auch dem Verfassungsschutz nicht entgangen sein dürften.
Ein offenes Geheimnis
In der neonazistischen Szene war es ein offenes Geheimnis, dass der 27-jährige mit Waffen handelte: »Seit einigen Jahren hat Sebastian Seemann fast jedem den er kannte scharfe Waffen und Sprengstoff angeboten und diese auch mit- und vorgeführt«, so seine einstigen »Kameraden«. Sie sind nicht gut auf ihn zu sprechen, soll er doch die Hinweise zur Festnahme einer Gruppe von Neonazis aus dem Umfeld von »Blood & Honour Flandern« gegeben haben. Bei den Neonazis, von denen viele zum belgischen Militär gehörten, waren Hunderte Waffen, Sprengstoff und eine einsatzfähige Rucksackbombe sichergestellt worden. Nach Belgien hatte Seemann gute Verbindungen, wohnte er doch selbst zeitweise dort. Mehr als 1.500 Neonazis aus ganz Europa reisten im Dezember 2004 zu einem »Blood & Honour« Konzert nahe Antwerpen. Mit »Razors Edge« und »Chingford Attack« aus England, »Kraftschlag« und »Race War« aus Deutschland spielten Top-Acts der Szene, auch die »Weissen Wölfe« aus NRW erklommen die Bühne. Organisator war Seemann. Medienberichten zufolge stand er damals bereits auf der Gehaltsliste des NRW-Verfassungsschutzes.
Auch in den beiden folgenden Jahren zählte er zu den Organisatoren von »ISD Memorial«-Konzerten zu Ehren des B&H-Gründers Ian Stuart Donaldson in Belgien. Seine Beteiligung an der Vorbereitung des »ISD Memorial« am 1. September 2007 in den Niederlanden ist umstritten – verwundern würde es nicht, soll doch mit dem ehemaligen Chef der Kameradschaft Dortmund-Witten, Carsten K., noch ein Neonazi aus dem Dortmunder Raum an der Organisation beteiligt gewesen sein. Auch über ihn kursieren bereits seit Jahren Spitzelgerüchte. Seemanns kriminelle Machenschaften schienen den Verfassungsschutz nicht zu stören. Dabei ist sein Vorstrafenregister beachtlich: von der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, dem Handel mit Betäubungsmitteln über Körperverletzung und Nötigung bis hin zu Verstößen gegen das Waffengesetz reichen die rund 20 Eintragungen. Nicht wegen der Duldung seiner kriminellen Geschäfte, sondern weil ein Mitarbeiter des Geheimdienstes ihn vor der Telefonüberwachung durch die Polizei gewarnt haben soll, hat die Staatsanwaltschaft inzwischen ein Verfahren wegen des Verrats von Dienstgeheimnissen und Strafvereitelung eingeleitet. Die Rufe nach persönlichen Konsequenzen in der Politik werden lauter. Sollte gegen einen Mitarbeiter des Verfassungsschutzes Anklage erhoben werden, müsse NRW-Innenminister Ingo Wolff zurücktreten, so der innenpolitische Sprecher der SPD, Karsten Rudolph. Ein CDU-Bundestagsabgeordneter hat unterdessen erneut die Frage aufgeworfen, ob auch der Dortmunder Neonazi Michael Berger ein V-Mann war. Der 31-Jährige, der 2000 drei Polizeibeamte erschoss, soll ein enger Freund Seemanns gewesen sein.
Reaktionen in der Szene
In Erklärungsnöte sind auch jene geraten, die der V-Mann bespitzeln sollte. Eilig distanzierten sich die Dortmunder Neonazis von ihrem Kameraden, der seit Jahren zur Clique um die lokale Rechtsrock-Band »Oidoxie« zählt. Von dem Konzert 2004 hatte man noch gerne profitiert. »Wie ich ja schon vorher sagte, fließt der Erlös ohne Ausnahme wieder zurück in die Bewegung. Also in deutsche und belgische politische und m....... Widerstandsdivisionen.«, hatte der V-Mann damals geschrieben. Die Formulierung »m....... Widerstandsdivisionen« dürfte wohl »militante Widerstandsdivisionen« bedeuten und könnte eine Erklärung für die zahlreichen Waffenfunde bei seinen belgischen Kameraden sein.
»Nach jeder Veranstaltung« werde »ein Teil des Erlöses an die Kameradschaft Dortmund gehen«, ließ Seemann 2004 verlauten. Diese kaufte davon eine Lautsprecheranlage für ihre Demos, danach sei allerdings kein Cent mehr in die Szene geflossen, beteuert sie jetzt. »Politische Aktivisten haben sich schon vor Monaten von seiner Person und seinem Umfeld distanziert«, erklärte der »Nationale Widerstand Dortmund«. Offensiv versucht man, den V-Mann als unpolitisch zu diskreditieren und eine Trennung der Szene in politische Aktivisten und eine »Musikfraktion« zu suggerieren: »Er bewegte sich ausschließlich in der Musikszene.« Hingegen erinnern sich Beobachter gut an Seemanns Teilnahme an Aufmärschen und »Anti-Antifa«-Aktionen, so outete er sich während einer antifaschistischen Demonstration mit einem »C18«-T-Shirt.
Eine strikte Trennung erscheint auch aus anderen Gründen wenig glaubhaft: Zusammen mit Seemann wurde auch der Dortmunder »Autonome Nationalist« Manuel Bayerl festgenommen. Auch er soll in Drogengeschäfte verstrickt sein. Bayerl gehörte zu den Administratoren des Internet-Portals »Freier Widerstand« und fehlte in den vergangenen Jahren bei kaum einer Aktion von »Autonomen Nationalisten«. Naheliegend, dass die Szene weitere Folgen fürchtet, falls auch Bayerl für den Verfassungsschutz gearbeitet haben sollte. In den Mittelpunkt der Kritik rückten die »Oidoxie«-Mitglieder. »Laut uns zugespielten Informationen«, so war auf der neonazistischen Internetseite Altermedia zu lesen, gingen ›Insider‹ davon aus, »dass sie zumindest Bescheid gewusst haben«. Die Band gibt sich unschuldig, die Nachricht habe sie »wie ein Messerstich ins Herz getroffen«. Der als V-Mann enttarnte Neonazi sei »mehr als 10 Jahre unser Kamerad und Freund gewesen«. Auch von dessen Rauschgifthandel will man nichts geahnt haben.
Dies nehmen viele der Gruppe nicht ab. Ein Diskussionsteilnehmer bei Altermedia: »Das Seemann mit Koks dealt, ist seit gut 4 Jahren (!) bekannt. Die Musikfraktion störte das wenig. Da verdiente sich nicht nur Seemann eine goldene Nase, sondern auch andere subversive Gestalten der Musik-Fraktion. Die V-Mann-Frage stellte sich in Bezug auf S. auch schon seit mehreren Jahren. Wie immer interessierte es die ›Führer‹ des Musik-Geschäfts wenig. Da geht es um Kohle, nicht mehr nicht weniger.«