Nur eine Gang von vielen?
Thomas Sandberg (Sachsen-Anhalt), Alex Hartinger (Niedersachsen), Michael Weiss (apabiz, Berlin)Große Teile der neonazistischen Szene gefallen sich in martialischen Posen des »Untergrundkampfes«. Wer sich auf die Suche nach derartigen Gruppen macht, stößt auf Netzwerke, die sich seit vielen Jahren als »Untergrund« exponieren und personelle Kontinuität aufweisen. Folgt man zum Beispiel den Spuren einer Gruppe von Neonazis aus Sachsen-Anhalt, die im Februar 2009 ein Schießtraining in Bulgarien durchführten, so lassen sich Konturen ihres Netzwerkes erkennen. Dieses hat mit einem klandestinen Untergrund weniger zu tun, sondern vielmehr mit purer Selbstverständlichkeit, mit der sich der militante Kern der Szene bisweilen nach außen präsentiert.
Das Schießtraining in Bulgarien
Auf dem Bulgarien-Programm von vier Neonazis aus dem Magdeburger Raum stand ein Schießtraining. Mit Pumpguns, Revolvern und Pistolen ballerten die deutschen BesucherInnen auf Pappscheiben mit menschlichen Umrissen. Grund ihrer Reise war ein Konzert der Band Civil Disorder in Sofia. Sänger Steffen J. präsentiert sich auf den Fotos des Schießtrainings schussbereit mit Pistole. Seine Ehefrau Carmen steht mit einer Pumpgun dahinter. Die J.’s leben in einer alten Molkerei in Angern im Landkreis Börde. Das Anwesen ist seit Jahren als Neonazi-Treffpunkt bekannt, bei einer Razzia im Frühjahr 2004 fand die Polizei dort eine alte Panzerfaust mit fast vier Kilogramm Sprengstoff.
Selbst im beruflichen Alltag lässt Steffen J. kaum Zweifel an seiner Gesinnung aufkommen. Seine Firma, mit der er Dienstleistungen im Bereich Messe-, Trocken- und Innenausbau anbietet, trägt den Namen Rent A Crew, abgekürzt »R.A.C.«. Das Kürzel steht in der Neonazi-Szene für »Rock Against Communism«. Des weiteren zeigt die Website der Firma einen sich mit einem Zimmermannshammer kreuzenden Schraubenschlüssel. Das Symbol ist offenkundig an das Symbol der militanten Hammerskins angelehnt, das zwei gekreuzte Zimmermannshämmer zeigt. Vieles im Kreis der J.’s und der Band Civil Disorder sind symbolhafte Anspielungen.
Immer wieder im Fokus: Blood & Honour
Je mehr man über der NSU und seine mutmaßlichen UnterstützerInnen weiß, desto häufiger fällt der Name des internationalen Netzwerkes B&H, dessen deutsche Sektion im Jahr 2000 verboten wurde. Als der spätere NSU 1998 in den Untergrund ging, war das von B&H ausgerufene Konzept des Combat 18 impulsgebend für den Teil der Szene, der sich für den »Krieg gegen das System« aufrüstete. Im Blickfeld der Ermittler stehen heute insbesondere Personen des ehemaligen Führungskreises von B&H Sachsen. Sie sollen das untergetauchte Neonazi-Trio versteckt und mit Pässen versorgt sowie ihnen möglicherweise Waffen verschafft haben. Die B&H-Gruppe im niedersächsischen Hildesheim galt Ende der 1990er Jahre als Verfechterin des Kurses, B&H zur militanten »politischen Kampfgemeinschaft« zu formieren. 1999 veranstaltete B&H Hildesheim einen Liederabend, in dem das Duo Eichenlaub aus Jena auftrat, das kurz zuvor ein Solidaritätslied für die untergetauchten Böhnhardt, Zschäpe und Mundlos veröffentlicht hatte. Unter den ZuhörerInnen saß der heute inhaftierte mutmaßliche NSU-Unterstützer Holger Gerlach und neben ihm am Tisch Hannes Franke aus Hildesheim.
Hannes Franke und Johannes Knoch waren zu dieser Zeit Exponenten von B&H in Hildesheim. Beide waren über das Verbot im Jahr 2000 hinaus für B&H aktiv und traten weiterhin als Duo auf. Bereits 1998 hatte Knoch eine »Warrior Combat and Survival School« gegründet, die paramilitärische Trainings wie Scharfschützenausbildung anbietet. 2007 veröffentlichten antifaschistische Gruppen umfangreiche Recherchen zur »legalen« Hildesheimer Wehrsportgruppe (vgl. AIB Nr. 76), was Knoch, der mittlerweile bei den Hells Angels untergekommen war, veranlasste, Verbindungen zur Neonaziszene abzustreiten. Sein Kompagnon Hannes Franke reiste zu dieser Zeit, im September 2007, zum ISD-Memorial nach England. Das Konzert erinnert an den 1993 tödlich verunglückten B&H-Begründer Ian Stuart Donaldson (ISD) und gilt als das alljährliche internationale Treffen von B&H und FreundInnen. Ein Erinnerungsfoto des Events zeigt Hannes Franke im vertrauten Miteinander mit Carmen J. aus Angern.
Selbsternannte Elitekrieger: Die Hammerskins
Carmen J. ist umtriebig und reisefreudig. Für das neonazistische Medienprojekt »Media Pro Patria« aus Thüringen trat sie 2007 als Darstellerin eines Werbevideos für ein drogenfreies Leben auf. Ein undatiertes Bild zeigt sie posierend mit KameradInnen unter dem Schriftzug »Arbeit macht frei« am Eingang des KZ Auschwitz. Neben ihr steht Maik Scheffler, eine zentrale Figur der sächsischen Neonaziszene. Als Ende 2011 das Freie Netz, ein internes Forum von Kadern der »mitteldeutschen« Neonaziszene, aufflog, wurden Maik Scheffler und Thomas Gerlach als tonangebende Personen des Netzes enttarnt. (siehe Artikel: »Sachsen: Der Streit zwischen »Freien Kräften« und NPD«)
Beide gehören den Hammerskins an, einem internationalen, 1986 in den USA gegründeten, Netzwerk, das sich als Elite einer weltweiten Neonazi-Skinhead-Bewegung versteht. Das Verhältnis von B&H und Hammerskins ist bisweilen wegen des elitären Führungsanspruchs beider Gruppierungen von Konkurrenz geprägt. Tatsächlich jedoch ist unter den militanten Truppen und Combat 18-AnhängerInnen längst ein Miteinander feststellbar. Insbesondere Hammerskin Thomas Gerlach steht heute im Verdacht, Kontakt zu NSU-Unterstützern gehabt zu haben. Aus ganz Europa trafen sich Hammerskins im November 2007 auf dem »European Hammerfest« in Mailand. Die »Hammerskins Westsachsen« waren angereist, mit ihnen Maik Scheffler, Thomas Gerlach sowie seine Ehefrau – und neben ihr steht auf Fotos dieses Treffens Carmen J. aus Angern.
Das »European Hammerfest 2008« wurde in Ungarn ausgerichtet. Im Erinnerungsalbum »Hammerfest Budapest 18.10.08« eines saarländischen Hammerskins findet sich das Foto eines Waffenlagers. Darauf posiert vor gestapelten Metallkisten ein Hammerskin mit Panzerfäusten.
Aus der Normalität gerissen
Wenn man über Jahre im harten Kern der Neonazi-Szene unterwegs ist, entstehen viele Freundschaften und Bekanntschaften und oft ist nicht ersichtlich, welche Substanz diese haben. Dies gilt auch für die J.’s. Eine Mitwisserschaft oder gar mit Mittäterschaft an den Verbrechen des NSU ist nicht erkennbar und nicht einmal wahrscheinlich, zu offen und leichtsinnig kokettieren sie mit dem »Untergrund«. Doch sie sind erkennbar mit einem Netzwerk verbunden, von dem Links und Querverweise zu mutmaßlichen UnterstützerInnen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) führen. Und sie sind wohl nur eine Gang von vielen.
Der Artikel »Nur eine Gang von vielen?« erschien in anderer Fassung erstmals am 8. Dezember 2011 auf dem Blog Berlin rechtsaußen www.blog.schattenbericht.de/2011/12/nur-eine-gang-von-vielen
Steffen J. bemühte sich prompt, eine weitere Verbreitung des Textes per Anwalt zu verhindern. Diese Reaktion zeigt die ehrliche Empörung von zwei Neonazis, die sich mit Firma und Familie im Magdeburger Hinterland wohleingerichtet haben, die für ihre vielfältigen und völlig offen nach außen getragenen neonazistischen Aktivitäten niemals ernsthafte Konsequenzen erfahren haben und sich dies offenkundig nicht einmal vorstellen können.