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Sachsen: Der Streit zwischen »Freien Kräften« und NPD

Jenny Bauchwitz
Einleitung

Seit fünf Jahren arbeiten in Sachsen NPD und das Neonazi-Netzwerk »Freies Netz« (FN) eng zusammen. Während bereits Ende 2010 zunehmende Differenzen zwischen den ungleichen Kooperationspartnern erkennbar wurden (Vgl. AIB Nr. 89) zeigen sich inzwischen tiefe Risse. Seit Bekanntwerden der rassistischen Morde des »Nationalsozialistischen Untergrund« (NSU) scheinen die Konflikte weiter zuzunehmen. 

Foto: Recherche Ost

Maik Scheffler als Redner auf einer Demonstration am 24. April 2010 in Torgau.

Spätestens seit Bekanntwerden der rassistischen Mordserie des NSU wächst der Druck auf das FN. Einige FN-Kader stehen im Verdacht, sich im direkten Umfeld des NSU bewegt zu haben, wie etwa der Altenburger Neonazikader Thomas »Ace« Gerlach1 . Er verwendete bereits 2005 das Passwort »struck-mandy« in internen Neonaziforen. Mandy Struck, mit der Gerlach zeitweilig eine Beziehung führte, gilt den Ermittlungsbehörden als unmittelbare Unterstützerin des NSU. Sie »lieh« ihren Namen dem NSU-Mitglied Beate Zschäpe als Deckidentität.

Thomas Gerlach und Maik Scheffler gründeten das »Freie Netz« 2007 als Dachorganisation für mehrere freie Kameradschaften. Teil des FN ist seit 2009 auch der »Nationale Widerstand Jena«, der heute »FN Jena« heißt. Deren Führer Ralf Wohlleben und André Kapke waren Kader des Thüringer Heimatschutzes (THS), aus dem die späteren NSU-Mitglieder kamen. Die vier traten immer wieder gemeinsam als Organisatoren verschiedener Szene-Events auf. Ralf Wohlleben sitzt seit Anfang des Jahres wegen Unterstützung des NSU in Untersuchungshaft. Er steht im Verdacht, eine der Mordwaffen und Munition beschafft zu haben (vgl. AIB Nr. 93).

Zweckbündnis zwischen NPD und FN

Eine Kooperation zwischen NPD und FN besteht seit dessen Gründung, und das obwohl sich das FN von Anfang an als Gegengewicht zur NPD positionierte. Die sächsische Landtagsfraktion der NPD sah in den FN-Aktivisten eine wichtige Gruppe an der Basis, deren Potential genutzt werden sollte: Die Partei hoffte auf aktive Unterstützung und angesichts der dünnen Personaldecke auf die Möglichkeit, alle Wahllisten mit »fähigen« Personen zu besetzen.

Das erklärte Verhältnis der FN-Aktivisten zur NPD ist nicht weniger instrumentell. Sie hoffen auf Geld für die eigene Struktur und einen legalen Anschein. Darüber hinaus streben sie nach bezahlten Posten um im Innern der Partei eine Radikalisierung nach nationalsozialistischen Leitlinien zu bewirken. Bezeichnend für die Absichten der FN-Aktivisten in den Strukturen der NPD ist eine 2010 veröffentlichte Erklärung des Leipziger FN-Ablegers »Aktionsbündnis Leipzig«. Darin wird die NPD aufgefordert »eine Weltanschauungspartei« zu werden, die es »sich zum Ziel setzt, das System und den es beherrschenden liberal-demokratischen Gedanken restlos auszulöschen«. Gezeichnet wurde der vor Hitler-Zitaten strotzende Text von »revolutionären Strukturen in NPD und JN«, die identisch sind mit den »Freien Kräften« unter Leitung des Leipziger FN-Kaders Tommy Naumann. Dieser baute trotz seiner ablehnenden Haltung gegenüber der NPD die »Freien Kräfte« zur JN-Struktur um. 2009 setzte er sich als Landeschef der JN an deren Spitze, um dort mit anderen FN-Aktivisten das gemeinsame »NS-Leitbild« umzusetzen.

Eine noch steilere Parteikarriere absolvierte der »geistige Vater des Freien Netzes« Maik Scheffler. Mit dem Wissen um eine wachsende Struktur im Rücken wurde Scheffler 2008 zum zweiten Mal NPD-Mitglied, um die »Wahlpartei« in eine »Weltanschauungspartei« umzugestalten. Ein Jahr darauf war er NPD-Stadtrat in Delitzsch, Kreisvorsitzender in Nordsachsen und Mitarbeiter des NPD-Landtagsmitglieds Jürgen Gansel. 2011 wurde er zum stellvertretenden Landesvorsitzenden der NPD Sachsen.

Auch Thomas Gerlach versuchte als Vertreter des FN in Thüringen massiv Einfluss auf die Entwicklung der NPD in mehreren Kreisverbänden zu nehmen – allerdings wesentlich erfolgloser als seine Kameraden in Sachsen. Und das trotz bester Kontakte zur Bundesparteispitze. Spätestens seit 2007 erhielt Gerlach von Frank Schwerdt, dem damaligen NPD-Bundesvorstandsmitglied und heutigen stellvertretenden Bundesvorsitzenden, immer wieder brisante E-Mails mit Interna der Parteispitze. Auch Jens Pühse, Bundesorganisationsleiter der NPD, versorgte ihn mit vertraulichen Informationen.

Gegenseitige Distanzierungen

Der sächsische Landesvorstand der NPD sah sich zu einer Distanzierung veranlasst, nachdem bekannt wurde, dass Gerlach im Verdacht steht, den NSU unterstützt zu haben: Gerlach gelte »seit jeher […] als Gegner der Nationaldemokraten«. Laut Insiderinformationen gab es mehrere Krisentreffen der Parteispitze, bei denen auch Kader des FN zum Rapport bestellt wurden, unter anderem Scheffler. Thematisiert wurden vermutlich auch seine Äußerungen über die NPD im internen Kommunikationsforum der FN-Kader, welches im Herbst 2011 durch AntifaschistInnen in Auszügen veröffentlicht wurde.2 Dort hatte Scheffler klar Stellung gegen seinen Vorgesetzten Holger Apfel bezogen und sich insgesamt von der NPD distanziert. Gerlach stimmte Scheffler damals zu, die NPD sei »in der Hand von Opportunisten und Karrieristen«. Die NPD-Führung konnte ihren Ärger nicht verbergen. Apfel-Vize Udo Pastörs sprach in einem Interview etwas kryptisch den »Narrensaum« in der Partei an: »überall da, wo eine gewisse Grenze überschritten wird, kann und wird es zukünftig keine Duldung geben«. Apfel betonte in einem Interview mit der Parteizeitung »Deutsche Stimme«, die NPD lasse sich »nicht auf der Nase herumtanzen«, notfalls müsse man sich »auch mal von Leuten trennen, die die NPD nur instrumentalisieren oder Politik mit einem Abenteuerspielplatz verwechseln.«

Auch wenn Scheffler im selben Interview von Apfel Rückendeckung erhielt, scheint seine Position geschwächt zu sein. So scheiterte sein Versuch, einen weiteren FN-Aktivisten im Landesvorstand zu etablieren. In FN-Kreisen ist man nicht nur über die offensichtlichen Grenzen des Bestrebens, bis an die Spitze der NPD zu rücken vergrätzt, sondern auch über die Wahl des FN-Kritikers Mario Löffler zum neuen NPD-Landesvorsitzenden. Tommy Naumann ließ im Februar gar intern verlauten, dass er seinen Posten als Landeschef der JN niederlegen wird – »aus Protest«, wie Insider berichten. Die NPD-Landtagsfraktion hat Naumann daraufhin »aus betriebswirtschaftlichen Gründen« als Mitarbeiter gefeuert. Naumann bemüht nun das Arbeitsgericht gegen seine Kündigung.

Einigung unwahrscheinlich

Vollständig kann die Partei nicht auf die FN-Aktivisten verzichten. Anfang des Jahres kursierte an die Adresse parteifreier Aktivisten aus ganz Sachsen eine versöhnliche NPD-Einladung zu einem Gespräch im Februar unter dem Motto »Frei und Partei«. Es war bereits das zweite Konfliktgespräch, mit der die NPD ihr rebellisches Umfeld wieder einfangen wollte. Scheffler steht in dieser Entwicklung ganz offensichtlich zwischen den Stühlen. Dass Schefflers Strategie der Doppelrolle aufgeht und es ihm gelingt, nicht nur den FN-internen Zwist beizulegen, sondern auch den tiefen Riss zwischen NPD und »Freien Kräften« zu kitten, ist nicht zu erwarten.