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links im Netz

Sven Maier
Einleitung

Online-Demonstrationen, Mailinglists und Indymedia: nach Jahren des Argwohns entdecken Linke in Deutschland die Möglichkeiten der Neuen Medien.

Die elektronischen Netzwerke wurden von ihren PionierInnen als dezentral, offen, erweiterungsfähig und antiautoritär beschrieben. Das Internet habe zutiefst demokratische Wirkung,  weil jede Information sofort und überall auf der Welt zugänglich werde. EnthusiastInnen sahen in den Servern, Leitungen und Computern eine neue Welt allseitig vernetzter Kommunikation entstehen, ein Rhizom1 im Sinne der französischen Philosophen Deleuze/Guattari. Naheliegend also, dass sich Linke im Internet bewegen wie die Fische im Wasser.

Fragt man die Suchmaschine google.com nach »revolution«, so erhält man beeindruckende 3.860.000 Hinweise, wo sie im world wide web zu finden sei, und revolution AND internet ist die mit Abstand häufigste Wortkombination. Die Mehrheit der Texte, auf die hier hingewiesen wird, handelt aber nicht von Autonomen und ZapatistInnen, sondern davon wie NASA, Apple und Max-Planck-Institut »den Bürgern überall auf der Welt die Wohltaten der technologischen Revolution« (Bill Clinton) bringen.

Schöne neue Welt ?

Die Linke steht jener Revolution der Technologie zwiespältig oder feindlich gegenüber. Wenig erstaunlich, entsprechen manche der Errungenschaften doch exakt den Visionen, die einst VolkszählungsgegnerInnen bewegte. Heute ist alles, was gestern Sinnbilder moderner Paranoia waren, online zu ordern, von den omnipräsenten Kameras bis zum Sender im Kopf: Das Kamerasystem »FaceIt!«2 scannt in Londoner Fussgängerzonen die Gesichter und meldet LadendiebInnen an den Sicherheitsdienst. Der »Digital Angel«3 , ein mit Körperwärme betriebener GPS-Sender, kann in die Körper von Sexualverbrechern, Kindern, GlobalisierungsgegnerInnen und SoldatInnen implantiert werden, um Aufenthaltsorte und biologische Daten per Satellit zu übermitteln.

50 Jahre brauchte Orwells »1984« von der Niederschrift bis zur technischen Möglichkeit seiner Realisierung. Huxleys »Schöne neue Welt« ist zwar immer noch Science Fiction, aber auch das Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit des Menschen kündigt sich an: noch bevor das Human Genome Project4 die Sequenzierung der menschlichen DNS bekanntgab, entwarfen der Philosoph Sloterdijk und der Schriftsteller Michel Houellebecq »Regeln für den Menschenpark«5 .

Normalität statt Widerstand

Um solche Entwicklung zu verhindern, zerschmetterten linksradikale Militante vor fünfzehn Jahren an der Freien Universität Berlin die Prototypen der Computer, ohne die heute kein Flugblatt entsteht. Vor zehn Jahre noch wurden Kartentelefone mit Sekundenkleber attackiert, heute hat jede zweite Demonstrantin ein Mobiltelefon in der Tasche. Gentechnologie und pränatale Diagnostik, die neben der Mikroelektronik als »anschlagsrelevante Themen« galten, gehören heute als Insulin oder Schirmbild zur vorgefundenen Normalität auch von Linken und Feministinnen. Der überrollte Widerstand gegen Neue Technologien war nicht technophob.

Die Erkenntnis, dass Wissenschaft nicht neutral und die Entwicklung der Produktivkräfte keine Einbahnstrasse ins kommunistische Paradies ist, schuf nicht nur Neue Innerlichkeit, sondern auch avantgardistische Alternativen. Solarenergie etwa, ursprünglich als Bedrohung der Wohlstandsgesellschaft stigmatisiert, wurde zur Entwicklungsbranche ebenso wie Hacker als Neo-Terroristen galten, um schließlich als Sicherheitsberater Wertschätzung zu finden. Dem Hype um das von US-Militär und Atomforschungszentren entwickelte Internet begegnete die Linke zunächst mit Ambivalenz oder Abstinenz. Die Vision vom globalen Netz informierter Citoyens wurde als Internationale weisser Mittelstandsjungs entlarvt, die ihre isolierte Existenz mit Kriegsspielen und Pornos fristen.

Grundsätzlicher Kritik fehlt es nicht an Grundlage. Mehr als die Hälfte der in Deutschland aufgerufenen Internetseiten sind pornographisch, während nur ein Prozent aller Seiten politischen Inhalts im klassischen Sinn ist. Die Mehrheit der User ist jung, weiss und männlich, erdrückende 88 Prozent gehören einer vergleichsweise abgesicherten und gebildeten Schicht von IndustriemetropolenbewohnerInnen an. Das Internet, ein Medium der globalen Elite?  Man sollte nicht vergessen, dass dies auch auf das Telefon, das gleichermassen die Welt verändert hat,  zutrifft. Die Tatsache, dass 65 Prozent  der Menschheit noch nie einen Hörer in der Hand hatte, rechtfertigt wohl kaum die Dämonisierung der Gerätschaft.

Kommerz für Alle?!

»Access for all!«, die erste netzpolitische Forderung der Linken, reflektierte die Exklusivität des Mediums. Die Bekämpfung des »digital divide«  geniesst heute breite Unterstützung und wird von Weltbank, Sony und auch der deutschen Bundesregierung auf die Tagesordnung, zum Beispiel der G8-Gipfel6 , gesetzt. Für die global players ist das Internet interessant als Vertriebsweg, der  noch zu subventionieren und mit Attributen der KonsumentInnendemokratie aufzuladen ist. Im Ergebnis fraglos zu begrüssen, ist die Mühe um Modems für die Armen allerdings wenig kitschig - geht es doch um die Erschliessung des künftigen Kunden, dem sich nach der Hardware- Gerechtigkeit Zahlungsfähigkeit als das Zugangskriterium auf den Markt der Möglichkeiten erschliessen wird.

Die Grenze verläuft nicht nur zwischen online und offline, sie findet auch im Netz als elektronische Reproduktion des entfesselten Globalkapitalismus statt. Wie sonst nur in mittelamerikanischen Freihandelszonen zu haben, gestalten Medienmultis und Aufsichtsbehörden ungetrübt von Datenschutz und Grundrechten die virtuelle Welt nach ihren Bedürfnissen. Die Einverleibung der Tauschbörse Napster durch die Musikindustrie und das US-amerikanische Überwachungssystem Echelon7 , sind dafür nur bekanntere Beispiele. Und das Internet von AOL und Amazon ist mit Sicherheit kein Deleuze’sches Rhizom – man kann der Sache mit Abkürzungen wie B2C vielleicht den Flair ultimativer Hipness verleihen, aber die »business to consumer«-Struktur   bleibt so banal wie der Otto-Versand.

Kontrolle und Widerstand

Die neuen Einkaufsparadiese und ihre politische Umgebung wollen abgesichert sein. Neben der digitalen Signatur stehen da Cybercrime-Convention8 , Zensurfilter9 und Internet Task Force10 auf der Agenda. Das klingt nicht nach Demokratie. Eher schon erinnert die Kombination aus Wirtschaftswunder (»dotcomania!«)  und Massenkonsum (»Ich bin drin!«) mit Aufrüstung (»Cyberwar!«), Angst vor Infiltration (»Virenwarnung!«) und Verfolgung abweichenden Verhaltens (»Hacker!«) an die Finsternis der McCarthy-Ära.

Die ApologetInnen von eCommerce und  eGovernment rüsten nicht grundlos für schwerwiegende Auseinandersetzungen im Netz - sind in dem Raum, der sich hinter den Bildschirmen aufgetan hat, Kontrolle und Kommerz doch so wenig notwendige Eigenschaften wie in jeder anderen gesellschaftlichen Sphäre. Die umfassende Kontrolle der Kommunikation wird durch anonyme Remailer11 , Verschlüsselungssoftware12 wie PGP und Steganografie, die in den USA juristisch als Kriegswaffen gelten, deutlich erschwert. Das Echelon-System, mit dem der US-Geheimdienst NSA Emails pauschal nach Schlüsselbegriffen wie »US-imperialism« scannt, wird von NetzaktivistInnen an »Jam Echelon«-Aktionstagen regelmäßig und massenhaft mit Reizwörtern zugeschüttet.

Der Zensur geht es nicht besser: Als die Genueser Polizei nach den Demonstrationen gegen den G8-Gipfel die von linken NetzaktivistInnen betriebene Website netstrike.it13 beschlagnahmte, veröffentlichten solidarische Gruppierungen die kriminalisierten Seiten auf ihren Servern. Das massenhafte mirroring erwies sich nicht zum ersten Mal als erfolgreiche Waffe gegen die selektive Repression. Auch die allgemeinere Unterdrückung von Information durch Zensurfilter lässt sich umgehen, etwa mit der FreeBird14 - Software: Wenn der Zugriff von einem Rechner auf eine Seite gesperrt ist, wird die Anfrage automatisch über die Rechner anderer FreeBird-Anwender-Innen geleitet und die angefragte Seite verschlüsselt zurückgesandt. Im elektronischen Netzwerk kann man auf Daten von überall zugreifen, sie kopieren, verändern und wieder zugänglich machen. Die vagabundierenden Daten sind den einen freie Kommunikation und kollektiver Textfluss.

Wer sie dagegen kapitalistischer Verwertung unterwerfen will, muss den Strom unterbrechen und einhegen. Das Rhizom widerspricht einem Pfeiler der Privatwirtschaft, dessen tragende Bedeutung mit der Zunahme immaterieller Arbeit noch wächst: der Figur des Autors und seinem geistigen Eigentum. Texte, Musik, Programme - an keinem Ort der Welt wird soviel eingebrochen und geraubt wie im Internet. Jedes password wird geknackt und Leute, die immer anständig ihre U-Bahn-Karte lösen, klauen Programme, die zehntausende Euro kosten würden. Während Microsoft seinen Quellcode hütet wie CocaCola ihr Rezept, ermöglicht Open Source Software wie Linux15 den AnwenderInnen, den Code weiterzuentwickeln. Die Free Software Foundation hat sogar ein CopyLeft-Zertifikat16 entwickelt, mit dem Text gegen seine kapitalistische Verwertung geschützt werden kann.

Online protestieren

Die Verbindung aller mit allen taugt zu mehr als KundInnenverkehr. Ein Gespenst geht um im Cyberspace. Mit der Frequenz von dotcom-Neugründungen nimmt auch ein Phänomen zu, dessen typisch kryptische Abkürzung zum blanken Schrecken von ManagerInnen und PolizistInnen avanciert ist: DdoS. »Distributed Denial of Service Attack« bezeichnet die Technik, einen Webserver durch die Erzeugung eines Vielfachen der vorgesehenen NutzerInnenanfragen in kurzer Zeit so zu belasten, dass das System abstürzt. Im Februar 2000 waren auf diese Weise grosse kommerzielle Websites wie e-Bay und CNN lahmgelegt worden. Die Attacken auf die blinkende Oberfläche des eCommerce, für die sich niemand verantwortlich zeigte, wirkten semantisch wie Steinwürfe auf die Fensterscheiben einer Bank.

Auf dem gleichen technischen Prinzip fusst eine Praxis, die seit 1995 existiert und in der Linken in Deutschland breiter bekannt geworden ist, seitdem am 20. Juni 2001 AbschiebegegnerInnen die Internetpräsenz der Deutschen Lufthansa AGangriffen: Online-Demonstrationen mit öffentlich formulierten Forderungen, bei denen nicht anonyme Cracker mit fremden Grossrechnern, sondern tausende User mithilfe von Online Protest Software18 zeitgleich auf bestimmte Internetseiten zugreifen. Solche virtuellen Sit-In’s modifizieren DDoS-Techniken zu Adaptionen des Strassenprotestes. Ähnliches trifft auch auf das Hacken von Websites zu. Die Zahl politischer Graffiti steigt; so war Jörg Haider beispielsweise im Juli 2001 mit Hitlerschnauzer auf der FPÖ-Homepage zu sehen.

Dass die Universalität und Verknüpfbarkeit von html linken Medienprojekten und Archiven ungeahnte Reichweite verschaffen  kann, hatten PionierInnen wie nadir17 schon erkannt, bevor die ersten grafischen Browser verfügbar waren. Wie das Spinnennetz, das die Möglichkeiten von Mailinglisten und Newsboards propagierte, litt das Projekt lange daran, dass die prinzipielle Verfügbarkeit von Information wenig Wirkung zeitigt, solange sie nicht genutzt und auf die eine oder andere Weise in politische Diskussion und Aktion übersetzt wird – im Netz, aber vor allem auf der Strasse. Nadir gehörte zu den InitiatorInnen des Independent Media Center Germany18 , eine von weltweit 55 solcher Initiativen, die in den letzten zwei Jahren entstanden sind und dieses Dilemma aufgehoben haben.

Die Websites von Indymedia stellen nicht nur Information zur Verfügung, sondern leben durch Beiträge, die AktivistInnen und JournalistInnen direkt über Formulare hochladen können. Das »open posting« kann nicht für die Qualität der Beiträge bürgen, ermöglicht aber eine Aktualität wie sie kein anderes linkes Medium leisten kann. Bei Mobilisierungen wie jener gegen den G8-Gipfel in Genua hat Indymedia seine Bedeutung für die Kommunikation unter den AktivistInnen wie für die Information einer breiteren Öffentlichkeit unter Beweis gestellt – was auch die Polizei erkannte, die das IMC Genova stürmte, JournalistInnen verprügelte und die gesamte Infrastruktur zertrümmerte.

Grenzenloser Widerstand

Funkgeräte sind bei grösseren linken Veranstaltungen und Demonstrationen schon seit den 1980er Jahren gang und gebe. Inzwischen werden zur schnellen und mobilen Kommunikation auch Notebooks, Digitalkameras, Mobiltelefone und Palm Tops eingesetzt, deren Datenformate sich mit dem Internet verknüpfen lassen. So wurden die antirassistischen Grenzcamps in verschiedenen Ländern im Sommer 2001 per Video-Livestream simultan ins Netz übertragen. Bei den Demonstrationen gegen die Amtseinführung von US-Präsident George Bush im Januar 2001 informierten die OrganisatorInnen mithilfe eines dem SMS ähnlichen UPOC-Pagers19 die in Washington verteilten DemonstrantInnen auf den Displays ihrer Mobiltelefone, während der Mitschnitt des Polizeifunks nicht nur einer kleinen Gruppe, sondern live im Internet zugänglich war – ob dies den DemonstrantInnen tatsächlich Vorteile verschaffte, ist leider nicht bekannt.

Als George Bush ein Jahr zuvor auf dem Parteitag der Republikanischen Partei nominiert worden war, hatte es ebenfalls massive Proteste gegeben. Damals waren zwei Männer wegen des Besitzes gefährlicher Waffen festgenommen worden – es handelte sich um Mobiltelefone. Die beiden gehörten wohl nicht zufällig der Ruckus Society an, einer Organisation, die »Tech Toolbox Action Camps«20 organisiert, bei denen AktivistInnen vom Abseilen von Gebäuden bis zum Einrichten verschlüsselter Mailinglists Technologien lernen können, die für den Kampf sinnvoll sein können. In Deutschland bietet die neue Initiative d-a-s-h ebenfalls Internet-Workshops21 für AktivistInnen an. Eine sinnvolle Sache, denn heute will fast jede Initiative mindestens eine Website ins Netz stellen und eine Mailinglist anbieten, nur: die wenigsten GenossInnen - wissen, wie es geht.

Sven Maier ist Mitglied der Initiative Libertad! (http://www.libertad.de), die zusammen mit »Kein Mensch ist illegal« die Online-Demonstration gegen die Lufthansa AG initiierte.