Mehr Nutzen als Schaden - Informanten des Verfassungsschutzes
Seit einigen Wochen fallen die Spitzel in der Naziszene wie Fallobst von den Bäumen, erst das Enfant terrible der Neonaziszene Thomas Dienel, dann der ehemalige stellv. NPD-Landesvorsitzende von Mecklenburg-Vorpommern Matthias Meier und kurz danach der Terrorliebhaber Carsten Szczepanski. Eine Analyse der bekannt gewordenen Fakten lässt den Schluss zu, dass die Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz den Neonazis mehr genutzt als geschadet hat.
Dies ist, wie ein Blick zurück zeigt, eigentlich keine neue Erkenntnis, Konsequenzen wurden allerdings bisher keine gezogen. Dabei handelt es sich hier nicht um Einzelfälle oder Ausrutscher, sondern um vorauszusehende Fehler. Es handelt sich hier nicht um individuelles Fehlverhalten, sondern um strukturelle Fehler, die immer wieder zu den gleichen Abläufen führen. Es gibt in der Geschichte des Verfassungsschutzes mehrere Fälle, in denen Informanten rechtsextreme Organisationen erst aufbauten oder die federführenden Personen in diesen waren.
Motiv der Spitzel und auch der Führungsoffiziere ist, mehr Informationen liefern zu können. »Was ist los, warum passiert nichts mehr? Los leier mal was an!« ärgerte sich etwa der Führungsoffizier des Spitzels Michael Wobbe, der für das niedersächsische Amt für Verfassungsschutz in der »Nationalistischen Front« (NF) tätig war. Der V-Mann zog los und warb Jugendliche für eine rechtsextreme Gruppe: »Da entstand dann langsam eine unabhängige Kameradschaft, die sich ohne mich nie gegründet hätte«, sagte Wobbe später.
Auch die Wehrsportgruppe »Heimatschutzkorps der Waffen-SS in Ostwestfalen-Lippe« wurde von Peter Schulz, einem V-Mann des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes, gegründet. Nach einer Durchsuchung gegen Mitglieder der Wehrsportgruppe im September 1995 meldete die Polizei dies zwar als wichtigen Schlag gegen den organisierten Neonazismus. Jedoch, nur zwei der 13 Mitglieder wurden zu geringen Strafen wegen Verstoß gegen das Versammlungsgesetz verurteilt.
1992 baute der VS-Informant Bernd Schmitt, der Einblicke in die inzwischen verbotenen »Nationalistische Front« verschaffen sollte, den »Deutschen Hochleistungs-Kampfkunstverband« auf. Vorbild war die vom NF-Führer Meinolf Schönborn geplante Terrorgruppe »Nationalistisches Einsatzkommando« (NEK). 1994 liefen Ermittlungen gegen Schmitt wegen Fortführung der NF. Bekannt wurde die Tätigkeit Schmitts erst im Prozess zum Solinger Brandanschlag, weil die Täter in dessen Kampfsportverein trainiert hatten. Schmitt war ein überzeugter Neonazi, der schon vor seiner Indienstnahme in der Neonaziszene aktiv war.
Geld und Schutz für Neonazis
Auch die von den Verfassungsschutzämtern gezahlten Honorare kommen nicht selten dem Aufbau von Neonazistrukturen zugute. »Massenhaft Werbematerial« habe ihm der Thüringer Verfassungsschutz finanziert, sagte etwa Thomas Dienel. Das Honorar von 25 000 Mark, das dem Führungskader diverser Neonazigruppierungen für die Informantentätigkeit gezahlt worden ist, habe er als »Spendengelder« für die rechte Szene betrachtet.
Auch die NF konnte in ihrer Anfangsphase auf Gelder des Verfassungsschutzes zurückgreifen. Der Mitte der 80er Jahre angeworbene Informant Norbert Schnelle hatte seine Tätigkeit mit der NF-Parteiführung abgesprochen. Die Informationshonorare wurden zum Aufbau der Partei genutzt. Ein weiterer Vorteil der Informanten liegt im Schutz vor Gerichtsverfahren. Ihm sei zu erkennen gegeben worden, man könne Strafverfahren von ihm »weghalten«, sagte Thomas Dienel.
Dem Informanten Carsten Szczepanski wurde Strafmilderung versprochen. Ein zwar in der BRD illegales, aber scheinbar gängiges Mittel. Aber nicht nur für die V-Leute selbst war die Verbindung zum Verfassungsschutz von Vorteil. So sagte Thomas Dienel aus, er habe den VS in Bezug auf die rechte Szene abgeschöpft, unter anderem habe er Informationen über Polizeieinsätze und Ermittlungen der Staatsanwaltschaft erhalten. Diese Aussage deckt sich mit der von Norbert Schnelle, der ebenfalls angab, die NF mehrfach vor Hausdurchsuchungen und Polizeiaktionen gewarnt zu haben.
Informationen sind wertlos ...
Unzählige Skandale um die V-Leute haben die Verfassungsschutzämter in Verruf gebracht. Wer Informationen über die Naziszene haben wolle, müsse notgedrungen im Trüben fischen, so deren gängige Rechtfertigung. Aber was sind derart gewonnene Informationen wert? Er habe »nichts verraten« und selbst der NPD-Landesverband habe Bescheid gewusst, behauptet beispielsweise Matthias Meier, ehemaliger stellvertretender NPD-Landesvorsitzender aus Stralsund über seine Arbeit als Informant des Verfassungsschutzes.
Auch Norbert Schnelle, Mitglied der NF, besprach mit NF-Chef Schönborn, welche Informationen er an den Verfassungsschutz weitergeben durfte. Geliefert wurden nur schon bekannte oder überholte Fakten. Eine weitere Tücke liegt im System selbst. Nur wer als Spitzel angeblich »wichtige« Informationen liefert, bekommt Geld und wird gefördert.
Nur solche Führungsoffiziere, die wichtige Informanten in der Szene haben, können ihre Ausgaben rechtfertigen und auf Karriere hoffen. Daher werden unwichtige Nachrichten aufgewertet oder sogar erfunden. Aus der Mücke wird ein Elefant. Der Offizier freut sich über die brandheißen Informationen und prüft sie besser erst gar nicht nach. Dabei sind Spitzel oft zwielichtige Personen; so waren die V-Leute Bernd Schmitt und Werner Gottwald zum Zeitpunkt ihrer Indienstnahme wegen Betrugs vorbestraft.
... und werden nicht verwertet
Selbst wenn einmal wichtige Informationen gewonnen werden, bleiben sie ohne Folgen. Ab 1973 berichtete Werner Gottwald unter dem Decknamen »Reiser« dem Verfassungsschutz aus der Neonaziszene. Er war Gründungsmitglied der illegalen NSDAP/AO, Generalsekretär der Nazisammelbewegung »Nationale Deutsche Freiheitsbewegung« und an der Organisation diverser Neonazigruppierungen beteiligt. Zudem war Gottwald in Waffenhandel und Sprengstoffanschläge verwickelt.
Deren Vorbereitung meldete jedoch nicht Werner Gottwald, sondern der V-Mann Werner Lock. Ebenfalls in der illegalen NSDAP/AO brach er später aus Enttäuschung über die Untätigkeit des VS den Kontakt ab und ging an die Öffentlichkeit. Er schätzte, dass ein Zehntel der damaligen NSDAP/AO- Kader Informanten des VS waren. Obwohl diese illegale Struktur unter den Augen und tätigen Händen diverser VS-Mitarbeiter groß geworden ist, leugnete der Verfassungsschutz noch über Jahre die Existenz dieser Struktur. Auch diese Untätigkeit hat eine bestimmte Logik. Zum einen ist der VS der Meinung, die ausspionierte Organisation in der Hand zu haben. Zum anderen will er weitere Informationen gewinnen, und drittens kann er angeblich seine Informanten nicht gefährden.
In der Führungsspitze der NF waren mehrere Informanten tätig. Was jedoch in den Prozessen gegen die NF an Informationen bekannt und verwendet wurde, war antifaschistischen Kreisen durch Recherche längst bekannt. Die Verurteilung Schönborns wegen Weiterführung der verbotenen NF gründete sich fast ausschließlich auf Dokumente, die von einer Bürgerinitiative vorgelegt worden waren. Im Dolgenbrodter Brandstifterprozeß konnten die Aussagen Sczcepanskis nicht verwandt werden, da die Richterin aufgrund von zugesagter Strafmilderung für Sczcepanski an dem Wahrheitsgehalt seiner Aussagen zweifelte.
Außer Spesen...
Die Geschichte der Arbeit mit Spitzeln und Informanten in der Neonaziszene belegt, dass dadurch die Strukturen oft gefördert und geschützt wurden. Es wurde finanzielle und strukturelle Aufbauhilfe geleistet. Oft entstanden neo-nazistische Gruppen erst durch die V-Leute. Es sind Neonazis, die vom VS angeworben werden und gegen Geld oder Strafmilderung wahre oder erlogene Informationen preisgeben. Sicherlich war es nicht der VS, der die Neonazistrukturen insgesamt gründete: Aber bei der Arbeit mit Informanten wird der Bock zum Gärtner gemacht.