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Militanter Neonazismus in Griechenland

Maik Fielitz
Einleitung

Mehr als zwei Jahre sind vergangen, seitdem der antifaschistische Rapper Παύλος Φύσσας (Pavlos Fyssas) von dem Anhänger der Χρυσή Αυγή (Chrysi Avgi / Goldene Morgenröte) Giorgos Roupakias im Rahmen eines koordinierten Angriffs im September 2013 ermordet wurde. Aktuelle Einblicke in ein verwobenes Neonazi-Milieu.

Screenshot der Website von C18 Hellas, auf der Neonazis mit einem antisemitischen Anschlag posieren.

Dieser kaltblütige Akt löste nicht nur eine antifaschistische Mobilisierungswelle aus, sondern auch erstmals staatliches Vorgehen gegen die über 30 Jahre weitgehend unbehelligt agierende Organisation. Alle achtzehn damaligen Abgeordneten sowie die Befehl­s­geber und Schläger der paramilitärischen ‚Stoßtruppen‘ müssen sich seit April 2015 für die Leitung und/oder Beteiligung an einer kriminellen Organisation verantworten.
Die gewalttätige Praxis der Chrysi Avgi war über Jahre hinweg der Fixpunkt für den organisierten Neonazismus in Griechenland. Ideologisch im Nationalsozialismus gefestigt und bestens vernetzt mit internationalen Neonazigrößen, nahm die Chrysi Avgi eine Art Alleinvertretungsanspruch für gegenwärtigen NS-Aktivismus ein und konnte sich mit Verbindungen zu den Erben der 1974 beendeten Militär-Junta auch über das subkulturell ausgerichtete Neonazimilieu hinaus in der extremen Rechten verankern. Die wiederholt wechselnden Loyalitäten der bis heute intakten Parteispitze hielten lange die Balance zwischen der Akzeptanz in der extremen Rechten und der Anerkennung in militanten, aktionsorientierten Kreisen.
Nicht erst mit dem Einzug der Chrysi Avgi in den Athener Stadtrat (2010) und das nationale (2012) wie europäische Parlament (2014) geriet dieses Verhältnis ins Wanken. Bereits seit den 1990er Jahren distanzierten sich zunehmend Aktivisten der ersten Stunde, nachdem sich der einstige Ideologiezirkel und Schlägertrupp zu einer Partei konstituierte. Es traten in der Folge neue Akteure in Erscheinung, die durch ihre offene Gewaltanwendung und -androhung sowie die Kampfansage an die post-diktatorische Demokratie dem parlamentarischen Weg der Chrysi Avgi eine Absage erteilten und stattdessen einen erlebnisorientierten Akti­vis­mus bevorzugten, der kaum trennbar von der neonazistischen Subkultur ist.
Trotz dieser bereits lang anhaltenden Heterogenisierungsprozesse wird national wie international das neonazistische Spektrum oft mit der Chrysi Avgi vorschnell gleichgesetzt, wodurch interessante Nuancen im (sich wandelnden) Selbstverständnis und in der Interaktion zwischen verschiedenen Akteuren der extremen Rechten Griechenlands außer Acht bleiben. Im Folgenden  sollen daher die Verstrickungen und die kurzen Wege im militanten Neonazismus dar- und Gruppierungen vorgestellt werden, die bislang im Schatten der Chrysi Avgi standen. Die jüngsten Anschläge und der zunehmend sichtbare Aktivismus militanter Kleingruppen rufen Glaubwürdigkeitsprobleme bei der Chrysi Avgi hervor und stellen gleichzeitig antifaschistische Gruppierungen vor neue Herausforderungen.

Tendenzen der Dezentralisierung im griechischen Neonazismus

Für griechische Neonazis führte in den 1980er und 1990er Jahren kein Weg an der Chrysi Avgi vorbei. Ioannis Giannopoulos, ein führender „Veteran des griechischen Nationalsozialismus“, erklärte, dass er „keine andere Wahl“ als den Beitritt zur Chrysi Avgi hatte, um sich Anfang der 1990er Jahre für die Sache des Nationalsozialismus zu betä­ti­gen.1 Als geschlossener ideologischer Zirkel und gewaltaffine Miliz konnten sowohl aktionsorientierte Jugendliche als auch in die Jahre gekommene NS-Nostalgiker gebunden werden. Dabei orientierte man sich stark an internationalen Entwicklungen der NS-Szene und schuf eine Synthese aus deutschem Nationalsozialismus und ‚rassen‘-basiertem Hellenismus.
Durch einen erhöhten Zulauf im Zuge einer (staatlich initiierten) nationalistischen Kampagne zur Namensgebung des Nachbarlandes Makedonien öffnete sich Chrysi Avgi neuen nicht-neonazistischen Unterstützerkreisen und nahm einen Bewegungscharakter an. Mit dem Ende der „reinen Jahre“, die laut dem Aussteiger Haris Kosoumvris durch die Abkehr von zentralen Charakteristika wie Paganismus, dem offenen Konflikt mit dem politischen System und der institutionalisierten Rechten sowie dem offenen Bekenntnis zum Nationalsozialismus gekennzeichnet waren2 , gingen zentrale Größen des griechischen (Neo)National­sozia­­­lis­mus auf Distanz. Interne Parteiklüngel und zweifelhafte Geschäfte im Rotlichtmilieu forcierten diesen Prozess. Nichtsdestotrotz blieb die Position der Chrysi Avgi in der Szene bis in die 2000er Jahre hinein unhinterfragt, wobei sie ihre Glaubwürdigkeit über subkulturelle Bindungen in Neonazi-Musiknetzwerke wie Blood&Honour und Hooliganismus herstellte3 .
Eine gemäßigtere Rhetorik im Wahlkampf 2012 und die taktische Lossagung von zentralen Grundfesten der NS-Ideologie provozierten szeneinterne Kämpfe um die Einschätzung, inwiefern Chrysi Avgi noch für eine national(sozial-)istische Revolution kämpfe. Der als „tragisch“ wahrgenommene „ideologische Wandel; die Aufgabe der Ideen, die über drei Jahrzehnte standfesten, neonationalsozialistischen Nachwuchs [angezogen haben]4 , lösten im parteifernen Neonazispektrum ein Umdenken in der Beziehung zur Chrysi Avgi sowie in Fragen der strategischen Ausrichtung aus.
Gerade ‚national-revolutionäre‘ Gruppierungen wie die seit 2003 bestehende ΜΑΥΡΟΣ ΚΡΙΝΟΣ (Mavros Krinos / Schwarze Legion) drückten der Chrysi Avgi das in Neonazikreisen verpönte Label Rechtsaußen (akrodexia) auf und charakterisiert sie im Akkord mit gemäßigt oppositionell agierenden Akteuren als „Anhängsel der bürgerlichen Klasse.5 Enttäuscht von der Aufgabe des gewalttätigen Aufstands und der Anpassung an die Gegebenheiten der parlamentarischen Demokratie wird besonders die Parteielite angegriffen und der hierarchische Aufbau hinterfragt, der Selbstbereicherung und familiäre Oligarchien hervorbringe.

Neue Organisations- und Interaktionsformen

Ähnlich wie in anderen europäischen Ländern — und besonders beeinflusst vom deutschen Vorbild der Kameradschaften — bildete sich aus den Abspaltungen von der Chrysi Avgi ein parteifernes Spektrum heraus, das sich in regionalen Kleingruppen organisierte und die Hegemonie der Chrysi Avgi szeneintern infrage stellte. Rückblickend auf jenes Projekt der „nationalistischen Autonomie“ kommt die Gruppierung Ιδεάπολις (Ideapolis) in einem Positionspapier zu dem Schluss, dass die festgefahrenen Strukturen der Chrysi Avgi den Ruf nach einem neuen Organisationsmodell forcierten, das sich nicht von realpolitischen Überlegungen korrumpieren lässt, sondern viel mehr auf ideo­­logische Reinheit und aktionistische Schlagkraft baut.6 Daraus bildete sich einerseits die bereits erwähnte Gruppierung "Mavros Krinos", die sich zum publizistischen Auffangbecken von enttäuschten Chrysi Avgi-Anhängern entwickelte. Andererseits trug die Gründung des landesweit operierenden Netzwerks „Autonome Nationalisten“ mit mehr als einem Dutzend regionalen Unterorganisationen zur Ausdifferenzierung des organisierten Neonazismus bei. Ab Mitte der 2000er Jahre galten beide Organisationen als Speerspitze des ‚autonomen‘ Widerstands. Obwohl diese zahlenmäßig bei weitem nicht so sehr ins Gewicht fallen wie in Deutschland, standen ihre Aktionen doch der Gewalttätigkeit ihrer Vorbilder wenig nach.
Im Gegensatz zur Chrysi Avgi verstehen die ‚Autonomen Nationalisten‘ den Nationalsozialismus griechischer Prägung als eine führerlose „Grassroots-Ideologie“, gespickt von einem omnipräsenten Antisemitismus und metaphysischen Einflüssen.7 Gerade die Beziehungen zum bürgerlichen Staat und dessen Institutionen sowie die damit zusammenhängende Wahl der Mittel unterschieden sie deutlich von der Chrysi Avgi. Sie befürworten dezentrale Strukturen, verbinden lebensweltliche Orientierungen mit politischer Agitation und übernehmen die Symbolik antifaschistischer Subkultur. In ihrer programmatischen Schrift „Nostalgiker der Zukunft“ knüpfen sie an gängige national-revolutionäre Positionen an, die sich gegen Kapitalismus und Kommunismus richten und propagieren eine nationale Revolution, die mit einer starken Ästhetisierung von Gewalt verbunden ist.8
Mit dem Niedergang des Autonomen Netzwerks 2012 und einer weiteren Abspaltungswelle von der Chrysi Avgi bildete sich eine neue Generation ‚autonom‘ neonazistischer Gruppierungen heraus. Stellvertretend stehen dafür die „Nonkonformen Mäander-Nationalisten“ (A.M.E), die anfangs besonders durch Sprühereien auffielen, sich zunehmend jedoch auch in Brandstiftungen und Bombenbauen versuchen. Von der personellen Stärke her unbedeutend ist es doch besonders die drastische Form der Mittel oder der Anschlagsziele, die sie in den Fokus der Öffentlichkeit rücken. Sie fühlen sich dem führerlosen Widerstand verpflichtet, organisieren sich in kleinen regionalen Zellen und dokumentieren all ihre Aktionen auf ihrem Blog. Die Anschlagsziele sind dabei in erster Linie besetzte Häuser sowie jüdische Denkmäler und Friedhöfe.

Seit Anfang 2015 agieren militante Neonazis ebenso unter dem Label "Combat 18 Hellas", wobei die Grenzen zur AME verschwimmen und beide Organisationen zusammen Anschläge durchführen. Eine erste Aktion unter dem Kürzel C18 war die Schändung des Denkmals Pavlos Fyssas am 25. Februar 2015, das mit mehreren Hakenkreuzen versehen wurde, und der Angriff mit Molotowcocktails auf das soziale Zentrum Pasamontana in Korydallos. Interessant ist in diesem Zusammenhang die bewusst-provokative Wahl des Fyssas-Denkmals kurz vor Prozessbeginn gegen die Chrysi Avgi, welche zwei Botschaften impliziert: Einerseits gibt man der Chrysi Avgi zu verstehen, dass sie ihr frühes Werk fortführen und andererseits richtet sich die Aktion an Antifaschist_innen, indem betont wird, dass von nun an nationalistische Parteien für Antifaschist_innen „das geringste Problem sein werden.“9

Es folgten Brandanschläge auf weitere besetzte Häuser, bei denen es glücklicherweise nur Sachschaden gab. Ebenso aufschlussreich ist die Rhetorik in der Selbstdarstellung und in den Bekennerschreiben, welche eine deutliche Provokation gegen die Chrysi Avgi darstellt. So unterschreiben C-18 Aktivisten ihre Kommuniqués immer mit dem jahrelang von der Chrysi Avgi reproduzierten Goebbels-Zitat „Wir kommen zurück und die Erde wird beben“ und benennen im Gegensatz zur Chrysi Avgi den Autor und versuchen das Zitat nicht aus dem Zusammenhang zu reißen.

Chrysi Avgi im Spiegel des militanten  Neonazismus

Trotz der sich ausdifferenzierenden Politikansätze zwischen der zunehmend parlamentarisch agierenden Chrysi Avgi und ihrem auf Eskalation setzenden Neonazi-Umfeld gibt es verschiedene Meinungen, wie der Wahlerfolg der Chrysi Avgi aus der Sicht von NS-Aktivisten einzuschätzen sei. Generell treten hier zwei Argumentationen gegeneinander an: Einerseits betonen Gruppen wie die A.M.E, bei der es personelle Überschneidungen mit der Chrysi Avgi gibt, dass sie trotz der ideologischen Unterschiede und der persönlichen Probleme mit der Parteiführung grundsätzlich solidarisch sind und für die gemeinsame Sache kämpfen.10 Andererseits artikulieren immer mehr Gruppen eine offene Feindschaft gegen die Chrysi Avgi, „die öfter ihre ideologische Ausrichtung als ihre Unterwäsche wechselt.11
Gerade subkulturelle Gruppierungen und Foren nehmen in der Kritik an der Chrysi Avgi kein Blatt vor den Mund. So wird vom neonazistischen Online-Forum "Altermedia Hellas" wiederholt skandalisierend mit Begriffen wie Schande und Verrat hantiert, um Chrysi Avgi im neonazistischen Milieu zu delegitimieren. Bis in die späten 2000er Jahre hinein steuerte sie selbst noch Berichte und Analysen für die Webseite bei und nutzte sie zur Agitation in der Neonazi-Szene. Nun sieht sie sich Anschuldigungen mangelnder Standfestigkeit und bedingungsloser Unterwerfung unter ein als feindselig verstandenes politisches System aus­ge­setzt.12

Die Feindseligkeiten richten sich besonders gegen Parteifunktionäre, wobei zentrale Slogans der Chrysi Avgi mittlerweile gegen sie verwendet werden. So wird der populistische Slogan „Dreckskerle, Verräter, Politiker“ nun auf die Chrysi Avgi selbst gemünzt und somit ihre Verbundenheit mit dem poli­tischen System unterstrichen. Die ‚systemische Wende‘ und somit das Einlassen auf parlamentarische Standards wird als „Eintauchen in die Logik Zions13 gedeutet, womit eine deutliche, kaum umkehrbare Trenn­­linie zwischen militantem Neonazismus und Chrysi Avgi gezogen wird.
Die Diskrepanz in der Einschätzung, ob Chrysi Avgi weiterhin Teil eines sich als nationalsozialistische Bewegung verstehenden Netzwerkes ist oder bereits als Sinnbild einer Anpassung an systemische Kräfte verstanden werden kann, wird weiterhin durch das staatliche Eingreifen verkompliziert. So sind ‚autonome Nationalisten‘ faktisch ebenso betroffen gewesen von Hausdurchsuchungen und Repressalien und bauen auf demselben Märtyrermythos zweier im November 2013 erschossener Neonazis auf wie die Chrysi Avgi. Sie fordern in diesem Kontext die „Einheit der Nationalisten14 — allerdings jenseits von Parteistrukturen.

Ausblick: Kampf um die Hoheit im organisierten Neonazismus

Die extreme Rechte Griechenlands im Allgemeinen und der neonazistische Flügel im Besonderen müssen sich seit der Etablierung der Chrysi Avgi zur drittstärksten Partei im krisengeschüttelten Griechenland mit einem klassischen Dilemma extrem rechter Politik auseinandersetzen: der Öffnung zu bürgerlichen Wählerkreisen bei gleichzeitiger Beibehaltung interner Standfestigkeit. Dieser Spagat gelang durch das Austarieren verschiedener Diskursebenen und der Selbstdarstellung einerseits als Teil des nationalistischen Spektrums, das bis in die bürgerliche Mitte geht, und andererseits als etablierte Pionierin des griechischen Neonazismus. So bestätigte die Parteispitze wiederholt, dass sie weder Aussagen aus der Vergangenheit revidieren oder direkte Aktionen bereuen, noch sich von ihrer ideologischen Überzeugung abkehren werde. Jenseits der propagierten Standhaftigkeit passte die Partei (zumindest nach außen hin) ihr Auftreten an und integrierte einst als kompromissbereit verpönte Ideologiefragmente wie die starke Stellung der orthodoxen Kirche oder fragwürdige Repräsentanten rechter bürgerlicher Parteien, was Unmut in der NS-Szene hervorrief.
Der wahre Bruch betrifft allerdings das Verständnis, inwieweit die staatlichen Institutionen der gemeinsamen Sache dienlich sein können, oder ob eine Anpassung an parlamentarische Spielregeln bereits als Verrat verstanden wird. Während beispielsweise die A.M.E eine deutliche Wahlempfehlung für die Chrysi Avgi aussprach, den Wahlerfolg 2012 „mit Optimismus und Freude“ begrüßten und gar den „Freunden der Chrysi Avgi“ ihre Anerkennung aussprachen15 , werteten NS-Größen wie Αριστοτέλης Καλέντζης (Aristotle Kalentzis) die Teilnahme an den Wahlen als unvereinbar mit dem eigenen Ansatz. Ihm zufolge unterstützte Chrysi Avgi mit dem Einzug ins Parlament 2012 „ein kollabierendes politisches System“, das es in dieser Phase zu zerschlagen gelte.16
Die Institutionalisierung der Chrysi Avgi lässt eine weitere Zersplitterung und Radikalisierung des militanten Milieus erwarten. Trotz der Widersprüchlichkeit in der Positionierung zu aktuellen Entwicklungen um die Chrysi Avgi ist doch die Reaktion organisierter Neonazis auf die zunehmende Anpassung der Chrysi Avgi hilfreich, um parteiinterne Neuausrichtungen einschätzen zu können. Dabei kam es offensichtlich zu einer internen Neubewertung der Lage der extremen Rechten in Griechenland, womit der Kampf um die Hoheit im NS-Spektrum eröffnet ist.